Aphorismen und Miszellen. 301. Gesammelte Schriften.

Autor: Börne, Carl Ludwig (1786-1837)
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301. Gesammelte Schriften

Von Ludwig Börne

Von den unwichtigsten oder den scherzhaftesten Dingen wollte ich mit Ernst und breiter Würde sprechen; aber von meinen Schriften ernsthaft reden – nein, das kann ich nicht. Herr Campe, der sie sich angeeignet, sprach sogar von einer Gesamtausgabe meiner Werke. Wie würde ich mich schämen, wenn er je so etwas drucken ließe! Ich habe keine Werke geschrieben, ich habe nur meine Feder versucht, auf diesem, auf jenem Papiere; jetzt sollen die Blätter gesammelt, aufeinander gelegt werden, und der Buchbinder soll sie zu Büchern machen – das ist alles. Zu dem Alten wird einiges Neue kommen; doch wer, nach so vielen Jahren, das Alte nicht vergessen, für den behielt es einen Wert, und wer es vergessen, dem ist alles neu. Ich habe hundertundzwanzig Bogen zu liefern versprochen. Hundertundzwanzig Bogen! Guter Gott, hat denn Voltaire so viel Geist? Aber zum Glücke ist in dem Druckvertrage von dem Geiste meiner Schriften gar nicht die Rede, und ich war sehr froh, als er unterschrieben war und unwideruflich geworden.

Es ist so schwer, Bescheidenheit zu erkünsteln, und mir zumal, dem Kunstfertigkeit ganz mangelt, würde es nie gelingen. Und doch brauchte ich sie oder ihren Schein, die Leser zu begütigen. Möchten sie meiner Aufrichtigkeit nur eines glauben. Es ist nicht meine Schuld, wenn alte Reden sich zum zweiten Male hören lassen, es ist die meiner Freunde, ich habe ihnen lange widerstanden. Vielleicht verdiene ich keine Achtung für das, was ich geschrieben, aber für das, was ich nicht geschrieben, verdiene ich sie gewiß. Ich war älter als dreißig Jahre, als ich mich an die Wortdrechselbank gesetzt, seitdem sind zehn Jahre vorübergegangen; ich hätte früher anfangen, fleißiger fortfahren können, ich tat es nicht, ich kam spät und kehrte selten wieder. Hätte ich es anders gemacht, wie die Andern, dann wäre meine Sammlung voller geworden, und sie wäre jetzt, gleich einem Wolkenbruche, auf Dich, armen Leser, herabgefallen. Meine Freunde haben mich oft träge gescholten, sie haben mir Unrecht getan. Ich habe nicht vermeiden können manches zu lernen, und über das, was ich wußte, mochte ich nicht reden. Wo ich unwissend war, nur da hatte ich Trieb, mich auszusprechen, da war ich frei. Ich suchte immer meinen eignen Weg, wenn auch vorhersehend, daß ich nur zu bekanntem Ziele würde kommen. Traf ich aber dort mit den Besseren zusammen, machte es mir Freude; es hätte mich nicht gefreut, mit ihnen zu wandern oder mich führen zu lassen. So habe ich mühsam erfunden, was ich leichter hätte finden können, so verlor ich Zeit, und der Leser gewann sie. Doch das war es nicht allein, warum ich so schweigsam lebte. Ich hatte eine Richtung des Geistes, eine, und diese zu verfolgen, ward mir oft verwehrt. Was jeder Morgen brachte, was jeder Tag beschien, was jede Nacht bedeckte, dieses zu besprechen hatte ich Lust und Mut, vielleicht auch die Gabe; aber ich durfte nicht. Wie, durfte ich nicht? Ich bin ein Deutscher, lebe im Vaterlande, in einer Zeit, die Alles darf, und ich durfte nicht? Ich habe es erfahren, ich habe es gelebt, und doch ist es so unglaublich, daß ich oft an meinen Sinnen zweifle. Käme ein treuherziger Mann und spräche: Du durftest, ermuntere Dich, Freund, Du hast geträumt – ich striche mit der Hand über die Stirne und sagte: wahrhaftig, ich habe geträumt, ich durfte!

Was ich immer gesagt, ich glaubte es. Was ich geschrieben, wurde mir von meinem Herzen vorgesagt, ich mußte. Darum, wer meine Schriften liebt, liebt mich selbst. Man würde lachen, wenn man wüßte, wie bewegt ich bin, wenn ich die Feder bewege. Das ist recht schlimm, ich weiß es, denn ich begreife, daß ich darum kein Schriftsteller bin. Der wahre Schriftsteller soll tun wie ein Künstler. Seine Gedanken, seine Empfindungen, hat er sie dargestellt, muß er sie frei geben, er darf nicht in ihnen bleiben, er muß sie sachlich machen. Ach, die böse Sachdenklichkeit, es wollte mir nie damit glücken! Ich weiß nicht, ob ich mich darüber betrüben soll. Es muß wohl etwas Schönes sein um die Kunst. Die Fürsten, die Vornehmen, die Reichen, die Glücklichen, die Ruhigen im Gemüte lieben sie. Aber sie sind so gerecht, die Kunstkenner, daß mich oft schaudert. Nicht was die Kunst darstelle, es kümmert sie nur, wie sie es darstelle. Ein Frosch, eine Gurke, eine Hammelskeule, ein Wilhelm Meister, ein Christus – das gilt ihnen alle gleich; ja sie verzeihen einer Mutter Gottes ihre Heiligkeit, wenn sie nur gut gemalt. So bin ich nicht, so war ich nie. Ich habe nur immer Gott gesucht in der Natur, die göttliche Natur in der Kunst, und wo ich Gott nicht fand, da fand ich Unnatur, und wo ich die göttliche Natur nicht fand, da fand ich elende Stümperei, und so habe ich über Geschichten, Menschen und Bücher geurteilt und so mag es wohl geschehen sein, daß ich manches gute und schöne Werk getadelt, nur weil ich den Werkmeister schlecht und häßlich fand.

Ich suchte zu bewegen; der Beweislehrer gab es schon genug. Wer zu den Köpfen redet, muß viele Sprachen verstehen, und man versteht nur eine gut; wer mit dem Herzen spricht, ist Allen verständlich, spricht Musik, in der sich jeder vernimmt, sich, und eine leise Antwort hört auf jede leise Frage.

Freunde haben es mit Verdruß, Gleichgültige als einen Tadel, auch einige Übelwollende es mit Schadenfreude ausgesprochen: ich könnte kein Buch schreiben. Aber, habe ich denn eines geschrieben? Und was ist's! Ein Buch ist Wein im Fasse, ein Blatt Wein in der Flasche – wenn Wein ist hier und dort; wer trinken will, muß das Faß doch anzapfen, wer lesen will, muß das Buch in Kapitel füllen. Auch habe ich gedacht, für Bücher sei jetzt die Zeit zu eilig und beschäftigt – die Welt ist auf Reisen.

Gehet nun hin, ihr guten einfältigen Blätter, ich wünsche euch Glück, ihr braucht es. Als ihr noch still und bescheiden auf der Schwelle des Musentempels saßet, zufrieden mit dem kleinsten Almosen des Beifalls, da waren euch viele hold, da waret ihr froh und sorgenlos. Jetzt schreitet ihr mit Stolz und Geräusch durch die Säulenhalle, und man wird euch nach eurer Würde fragen, ehe man euch aufnimmt, und euch empfangen nach eurer Würde. Ich sage nicht, wie üblich: daß ich jedes Lob mit Dank annehmen, dem Tadel aber mit Verachtung begegnen werde – ich sage es nicht, denn ich denke es nicht. Wahrlich, mir ist sehr bange – nicht vor dem Urteile, aber mir ist bange, ich möchte empfindlich dagegen werden. Bis heute war ich es nicht. Guter Gott! Wenn mich noch in meinen alten Tagen die Lobsucht der Schriftsteller befiele und der Krampf der Ehre meine gute breite Brust zusammenzöge – es wäre schrecklich!

Habe ich gesagt, ich wollte nicht mit breiter Würde von meinen Schriften reden? Ach, was sind die Vorsätze des Menschen! Ich glaube, daß ich es doch getan.

Hannover, im November 1828.