Aphorismen und Miszellen. 231 bis 236.

Autor: Börne, Carl Ludwig (1786-1837)
Themenbereiche
231. Lord Londonderry, der sich auf dem Festlande seinen Doktorhut geholt, sagte neulich, da er dem Parlamente die Gewaltsbill gegen das aufrührerische Irland vorlegte (wie man nun immer bereit ist, Zahnschmerzen durch Ausreißen der Zähne zu stillen): „Übrigens kann ich die Kammer versichern, daß die Unruhen in Irland mit jenen theoretischen Grundsätzen der Empörung, welche gegenwärtig die Welt verpesten, in gar keiner Verbindung stehen. Man darf die Unzufriedenheit, die aus Leiden entspringt, wären diese auch eingebildet, mit jenen schlechten Lehren nicht verwechseln, die zu allem führen, nur zur Freiheit nicht.“ ... Das heißt: als Beklagter wegen einer Schuld und deren Zinsen die Schuld der Zinsen eingestehen und die des Kapitals ableugnen! Woher die Zinsen?

232. Wenn Uhrmacher den Zeiger auf eine frühere Stunde setzen wollen, dann drehen sie ihn nicht zurück, sondern sie lassen ihn vorwärts den ganzen Kreis durchlaufen, bis er auf die gehörige Stunde kommt. Nun ist zwar die Menschheit keine Uhr; da es aber Leute gibt, die sie dafür ansehen, so sollten sie auch nach den Regeln der Mechanik verfahren.

233. Wer sich nicht scheut, im Auskehricht der Literatur herumzustöbern, der findet da manchmal noch ganz gute und brauchbare Dinge. So entdeckte ich in einem Winkel des Freimütigen ein „afrikanisches Lustspielchen“ von Julius von Voß, genannt: „Viele Köche verderben den Brei“. Viel Witz kann von diesem schwarzen Lustspielchen nicht gefordert werden, denn es füllt nur drei Seiten an, die, wie die Buchdrucker sagen, splendid gedruckt sind. Es ist aber doch von keiner geringen Bedeutung. Herr von Voß nämlich, der auch das Lustspiel: „Die beiden Gutsherren“ geschrieben hat, schwimmt, wie ein Korkstöpsel an der Angel, zwischen Fischer und Fisch die Mitte haltend, auf der Oberfläche der Politik herum; oder, um mich deutlicher und kürzer im Französischen auszudrücken: Herr von Voß ist au niveau de la politique du jour. Jetzt vernehme man den Inhalt des afrikanischen Lustspielchens. „Der neue schwarze Sultan“, der den Titel führt „Büffel aller Büffel“, läßt nach seiner Thronbesteigung die verschiedenen Oberbeamten vor sich kriechen und sagt ihnen: sie könnten tun, was sie wollten – Abgaben erheben oder erlassen, das Volk drücken, Krieg führen oder Frieden schließen, stehlen oder hängen lassen, Gerechtigkeit üben oder nicht; wenn sich aber einer von ihnen unterstände, je dem Büffel aller Büffel Bericht zu erstatten und ihn mit dem Selbstregieren zu belästigen, so würde er unfehlbar gehängt, gerädert, gespießt oder gebraten, nach beliebiger Auswahl seines Herrn. Die Oberbeamten kriechen ganz vergnügt zum Zimmer hinaus, und sagen: das sei ihnen schon recht, sie könnten es nicht besser wünschen. Darauf läßt sich der Büffel aller Büffel seinen Pilau bringen, das heißt in der Sprache der asiatischen Kochkunst einen Brei. Er findet ihn aber ganz ungenießbar und ist um so erboster darüber, da er zur Bereitung des Breis sechs Köche angestellt hatte. Jetzt naht sich der Narr der Oberdenker und sagt: Büffel aller Büffel, viele Köche verderben den Brei! Der Büffel aller Büffel wird nachdenkend, läßt die Oberbeamten zurückrufen und sagt ihnen, wenn sie ihn nicht von allem in Kenntnis setzten und sich unterständen, eigenmächtig zu regieren, ließ er sie hängen, rädern, spießen oder braten. Die Herren Oberbeamten kriechen ganz betrübt zum Zimmer hinaus und seufzen sehr. – Nun, sind das nicht liberale Gesinnungen? Das ist noch wenig; aber besser ein Sperling in der Hand als eine Taube auf dem Dache.

234. Die Deutschen erreichen später als andere Völker ein Ziel, es sei in Kunst, Wissenschaft oder im bürgerlichen Leben. Nicht etwa, daß sie den kürzesten Weg nicht kennten oder zu träge fortwanderten – sie haben nur darum einen längern Weg zum Ziele, weil sie weiter herkommen. Sie gehen überall von Grundsätzen aus, und ist ein Fettflecken vom Rockärmel wegzubringen, studieren sie die Chemie vorher und studieren so lange und so gründlich, bis der Rock darüber in Lumpen zerfällt. Aber das gerade ist ihnen recht, aus Lumpen machen sie Schreibpapier. Sie machen aus allem Papier.

235. „Keine Gewalt auf Erden kann den Fluch lösen, der bis jetzt auf dem Ankauf der Emigrantengüter haftet: kein wohldenkender Sohn oder Enkel der ersten Käufer kann mit ruhigem Gewissen sterben, wenn er nicht durch Erstattung des ungerechten Besitztums die Seele des Erwerbers von der Strafe befreit, die sie in jener Welt leidet.“ Über die erbärmlichen Menschen! Jetzt machen sie gar die Ewigkeit zu einer Deputiertenkammer und setzen den lieben Gott auf die rechte Seite. Aber wer hat jene Worte gesagt? Etwa Herr von Marcellus, oder ein Missionär im südlichen Frankreich? Mitnichten – ein deutsches Blatt hat diese Rede geführt, in einem Lande, wo sie sonst vor lauter Protestantismus froren, daß ihnen die Zähne klapperten. Jetzt kommt es noch dahin, daß sie dort den verstorbenen Nicolai, der in jedem Veilchen einen Jesuiten roch, ausgraben, um ihn als Ketzer zu verbrennen! Möchten sich doch gewisse Leute nicht mit gewissen Dingen abgeben! Das sieht aus wie ein wilder Schweinskopf, dem man Blumen in das Maul gesteckt.

236. Am Hofe Franz I. glaubte man wahrzunehmen, daß das Ansehn des Kanzlers Duprat zu fallen beginne. Die Höflinge, stets auf die kleinsten Umstände lauernd, die den Sturz eines Günstlings zu verkündigen scheinen, bemerkten, daß der König zufriedene und wohlgefällige Blicke auf einen Mann stattlichen Ansehens, den besonders ein sehr schöner Bart auszeichnete, geworfen und dabei mit lauter Stimme gesagt hatte: Das ist ganz der Mann, wie ich ihn brauche. Gar nicht zu zweifeln, jener Unbekannte muß der neue Kanzler sein. Schon drängen sich die Höflinge an ihn, schon schmeicheln sie ihm; sie haben es aber mit einem geistreichen Manne zu tun, der sich über sie lustig macht, ohne zu dulden, daß man ihn zum besten habe. Dieser Kanzler durch die schöpferische Einbildungskraft der Höflinge war der Historiograph Bouchet. Der König, angezogen durch seine herrliche Gestalt und die Fülle seines herabwallenden Bartes, hatte gedacht, daß er ein gutes Modell zu der Neptunsstatue vorstellen könnte, mit deren Verfertigung er gerade einen Künstler beauftragt hatte. Die Höflinge lachten etwas gezwungen über das Mißverständnis.

Dies ist der Inhalt eine neuen Lustspiels, das unter dem Namen „Die Höflinge oder der Bart des Neptun“ in Paris aufgeführt wird. Von den darin spielenden geschichtlichen Personen sind nur erst Franz I., der Kanzler Duprat und der Historiograph Bouchet gestorben.