Aphorismen und Miszellen. 183 bis 185.

Autor: Börne, Carl Ludwig (1786-1837)
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183. Auf welcher niedrigen Stufe der sittlichen Bildung die Türken stehen, ersieht man aus der wenigen Kenntnis, die sie von den sittlichen Fortschritten anderer Völker haben; und diese ihre Unwissenheit verrät sich in den Spitznamen, die sie den Völkern geben, mit welchen sie in Berührung kommen, und die noch heute lauten wie vor Jahrhunderten, ob sie zwar gar nicht mehr passen. So nennen sie die Deutschen wüste Flucher (Deschurer Kiasir), ob uns zwar kein rauhes Wort mehr aus dem Munde kommt, wir so glatt sind wie geschorener Sammet, selbst Ohrfeigen nur in seidenen Handschuhen austeilen und die Stecknadeln zu unsern Sticheleien solange abbrevieren, bis nichts übrigbleibt, als das stumpfe Köpfchen, derart, daß selbst im grimmigsten Spotte über eine vornehm tuende Sängerin wir noch gelassen bleiben und nicht sagen: eine aufgeblasene Catalani, sondern (wie im Allgem. Anzeiger vom 9. Febr.) „eine aufgeblasene C. ...“, welches dreideutig genug ist, da das C auch Circe oder Calypso heißen kann. Die Engländer nennen sie Tuchkrämer, ob es zwar die Franzosen und Niederländer jetzt mehr sind. Die Griechen, welche jetzt kämpfen wie die Löwen, nenn sie immer noch Hasen. Für die Italiener haben sie den Spitznamen Tausendfärbige (Ressar, Renki), da sie sich doch in ihrem letzten Kriege alle blaß gezeigt. Die Juden schelten sie immer noch Hunde, obzwar diese jetzt fast mehr sind als Menschen und zum Adel der Nation gehören. Die Ragusaner heißen sie Spione, denn es ist ihnen unbekannt geblieben, daß eine weise Nationalökonomie auch dieses Monopol schon längst abgeschafft hat. Die Spanier, die sich gegenwärtig mehr sputen als zu loben ist, nennen sie Faulenzer. Am meisten Furcht und Achtung scheinen die Türken vor den Russen zu haben, denn sie heißen sie verruchte Russen (Ruszi menkjus). Ob die Spitznamen, die sie den übrigen Nationen geben, angemessen sind, können wir nicht beurteilen. Sie nennen die Araber Unsinnige; die Armenier Dreckfresser (Boktschi); die Bosnier Landstreicher; die Bulgaren Straßenräuber; die Georgianer Läusefresser; die Indier Bettler; die Mainotten Tollköpfe; die Moldauer dumme Bauern (Bogdaninaden) und hornlose Böcke (Bojenssis Gtojne); die Polen ungläubige Prahler (Tussul Giaur); die Tartaren Aalfresser (Laxh Jejidschi); die Wallachen Fiedler. Von den Böhmen und Kurden sagen sie: Tschingene tschalar Kord vinar, ein Böhme geigt und ein Kurde tanzt ... Es würde der lieben deutschen Jugend gar nichts schaden, wenn sie einstweilen obige türkische Vokabeln auswendig lernte.

184. Ein feiner Kopf hat den klugen Gedanken – nicht bloß gehabt, sondern auch niedergeschrieben, nicht bloß niedergeschrieben, sondern auch drucken lassen: man solle fürder alle politischen Werke in lateinischer Sprache schreiben, daß möglicher Schade verhütet werde. Aber das Übel hat zu tief gewurzelt, solche Hausmittel helfen nicht mehr, man muß sich wirksamerer Arzneien bedienen. Die Leute würden sich dazu bequemen, lateinisch zu lernen, und es bliebe alles beim alten. Würden aber alle politischen Werke in der Sprache des Herrn Görres geschrieben, ließe man lieber fünf gerade sein, als daß man sie verstehen lernte. Denn dazu reichte nicht hin, lateinisch zu wissen, man dürfte auch im Griechischen, Hebräischen, in der Physik, Metaphysik, Chemie, Astronomie, Geographie, Nautik, Mineralogie, Mythologie, Geometrie, Statik, Medizin, Algebra, Chirurgie und in der Apothekerkunst nicht fremd sein. Im beliebten Konversationslexikon findet man bei weitem nicht alles, was man nötig hat, um sich nur folgende Ausdrücke zu erklären, die auf wenigen Seiten der Schrift „Europa und die Revolution“ gesammelt worden sind. Nämlich: Hermesschlusses, Metastase, latent, Wurflinien, austrophische Furchen, Goldschlich, Oblonge, Differenzial, Integration, Heliozentrisch, Liberationen, Perturbationen, Aberrationen, Sekulargleichungen, epicyklisch, Othin, Mimer, Simurche, Mardichore, die bösen Dews, Maia, Miasmen, die Wendilsen, Iran und Turan, Museon, Systole und Dyastole, Alkahest, Lebermeer, floride Schwindsucht, Belustempel, Berserkerwut, ceraunischen Berge, Senkel, Tyofen, Rosrädbücher.

185. Die Deutschen sind so angeborner knechtischer Natur, daß, wenn sie frei wären, sich ihrer eigenen Freiheit zu begeben, wenn die Regierungen nicht edler dächten als sie selbst, sie all ihr Tun und Lassen, ihr Denken und Reden, ihr Gehen und Stehen, ihr Essen und Trinken, ihr Lachen und Weinen, alles bis auf ihre Träume, dem Maße, Gewichte und Takte der Gesetze, Richter und Verwalter unterwerfen würden. Solche niederträchtige Menschen verdienen gar nicht, gute Fürsten zu haben, man sollte sie nach Marokko schicken. Und nicht bloß Männer von dieser oder jener Partei, sondern Männer aus allen Parteien haben solche niedrige Gesinnungen oft an den Tag gelegt. Zu diesen Freunden der Dienstbarkeit gehört auch jener Ungenannte, der kürzlich im Allgemeinen Anzeiger eine Abhandlung über das anonyme Rezensentenwesen geschrieben hat. Er nennt dieses „einen das Zeitalter schändenden Unfug“. Dieses heißt nun freilich etwas zu hausbäckig gesprochen; die Ehre unsers Zeitalters ist so schwächlich nicht, daß sie an solchen Kleinigkeiten stürbe; aber allerdings, das anonyme Rezensieren ist sehr zu tadeln. Wer bei der Beurteilung eines Werkes nur die Wahrheit, wenigstens das, was er dafür hält, im Auge hat, und wer den Mut besitzt, die Wahrheit gegen alle Angriffe zu verteidigen – der nennt oder bezeichnet sich unter seinen Rezensionen. Aber das ist ein Werk der Freiheit, das hat jeder mit seinem Gewissen abzumachen, die Staatsgesetze haben sich nicht hineinzumischen. Unser edle Freund der Untertänigkeit will aber, daß „von Obrigkeits- und Rechtswegen“ das anonyme Rezensieren abgeschafft werde. Er nennt anonyme Rezension einen literarischen Meuchelmord (das ist doch gar zu schauerlich!), die Literaturzeitungen geheime Gesellschaften, Femgerichte, und den Redakteur einer solchen Zeitung Oberhaupt des geheimen Bundes. Solche literarische Karbonari, meint er, müßten mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden. Nicht zu vergessen ... die anonymen Rezensenten nennt er auch Zigeuner, eine Banditen-, Strolch- und Gaunergesellschaft. Der edle Mann donnert so heftig gegen das anonyme Kritisieren, daß er in seinem Feuereifer vergaß – seinen Namen unter seine eigene Abhandlung zu setzen!