Aphorismen und Miszellen. 146 bis 154.

Autor: Börne, Carl Ludwig (1786-1837)
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146. Wie habe ich mich auf meinen Reisen bemüht, etwas zu finden, das lächerlicher wäre als die deutsche Zensur! Aber ich habe vergebens gesucht. Wenn wir durchaus nicht reden wollten, sollten uns die deutschen Staatsmänner auf die Folter spannen, uns zum Reden zu zwingen. Jede freie Zeitung würde Preußen ein Regiment ersparen. Auch wissen sie das sehr wohl, nur meinen sie, es hätte Zeit bis zum Kriege. Sie füllen den Geist in kleine Riechfläschchen und verstopfen diese gut, und wandelt sie eine Ohnmacht an, greifen sie nach dem Spiritus. Es ist gar nicht zu sagen, welchen Hochmut die deutschen Staatsmänner gegen die Schriftsteller zeigen, sobald diese von etwas Gegenwärtigem, Lebendigem, Barem reden. Die Wahrheit dürfen wir besitzen, aber das Münzrecht derselben behalten sie sich vor. Ich will nicht behaupten, daß sie uns so sehr verachten, uns nicht für hängenswert zu halten; aber sie verachten uns ziemlich, beschauen uns von hinten und vorn, lachen über unser düsteres, ledernes, fremdartiges Ansehen, wünschen spöttisch ihr Glück auf! und zählen heimlich die Taler, die wir aus dem dunkeln Schacht geholt. Das freie Wort belästigt sie wie eine Mücke. Die Unglückseligen! Darum zählen sie auch die Bajonette, nicht die Herzen, und zittern, wenn der Feind so viel Bajonette mehr zählt als die vaterländische Macht. Es wird ihnen so bange, wenn ein anderer Staat fett und dick wird; sie wissen nicht, daß Fett keine Nerven hat, daß den Dicken der Schlag droht. Sie wissen nicht, daß es in unsern Tagen nur das Herz ist, welches siegt, welches erobert.

147. Keine größere Tücke kann das Schicksal gegen große Menschen üben, als wenn es sie am Schlusse einer alten Zeit erscheinen läßt. Sie sind dann nur die Leichensteine begrabener Geschlechter, und ihr Ruhm wird mit Füßen getreten. Welche aber das Geschick begünstigt, die läßt es am Anfange einer neuen Zeit auftreten. Sie wachsen dann in das zarte Jahrhundert hinein, mit ihm gegen den Himmel, und werden unsterblich. Goethe und Napoleon gehören zu den einen; Voltaire, Rousseau, Washington, Lafayette zu den andern.

148. Es ist mit der Herrschbegierde wie mit der Eßlust. Bei schwachen Gemütern ist jene oft am stärksten, wie diese oft am größten ist bei Menschen von schwacher Verdauung.

149. Es ist nichts angenehmer, als aus einem Übel, das uns begegnet, Vorteil ziehen – und man kann das immer. Dieses ist in einem andern als dem gewöhnlichen, aber in einem schönern Sinne eine Schadenfreude. Man kann den Teufel nicht feiner prellen.

150. Sooft ich in eine Universitätsbibliothek kam, fühlte ich Lust, den im Saale Herumgehenden zuzuflüstern: weckt die guten Bücher nicht, tretet leise auf, unterhaltet euch lieber mit den wachenden – mit den Professoren.

151. Vor allen Kindern, die uns begegnen, sollten wir uns tief und ehrfurchtsvoll verneigen; sie sind unsere Herren, für sie arbeiten wir. Ein Kind in der Hütte ist mehr als ein Greis auf dem Throne. Schon darum muß man suchen, Vater zu werden, um Kinder ohne Neid betrachten zu können.

152. Ein Zuckerbäcker in Spanien hat neulich erfunden, warmes Eis zu bereiten. Der Erfinder hat wahrscheinlich an Höfen gedient.

153. Die Haushaltungsbücher der Erfahrung sind darum so schwer zu benutzen, weil die Geschichte nur die einzelnen Posten bemerkt, aber nie Summe und Transport zieht.

154. Liegt ein Vornehmer krank auf seinem Lager, dann eilt die bezahlte oder die bettelnde Sorgfalt, Stroh auszubreiten über das Pflaster der nah gelegenen Gassen, damit nicht der schwere Fuß des Lastträgers, noch der Trott der Pferde, noch die rasselnden Räder den Leidenden aus seinem Fieberschlummer stören. Dieser ist froh, daß die Welt so stille sei; aber die geschäftige Menge treibt sich umher wie immer, jeder wandelt seinen Weg der Lust oder Not, die Wagen rollen nicht minder schnell, keiner verliert, und nur der Dieb gewinnt, daß er, wenn die Nacht herannaht, zögernden Schleichens überhoben, seiner Beute rascher entgegenstürzen darf ... So auch gehen Gedanken und Reden wie früher ihren gewohnten Weg, nur leisern Trittes, über die weiche Decke hin, mit der man, empfindliche Köpfe zu schonen, die Straßen der öffentlichen Meinung belegt hat.