Aphorismen und Miszellen. 135 bis 145.

Autor: Börne, Carl Ludwig (1786-1837)
Themenbereiche
135. Der Verstand, als Blitzableiter des Unglücks, kann es an dem Herzen der Menschen unschädlich herabführen, vermag aber nicht, es abzuwenden.

136. Es gibt Fußpfade, die zu dem Geiste und Herzen der Menschen schneller und anmutiger führen als jene staubigen Heerstraßen einer feindlichen und grämlichen Lehre, auf welchen die Hartnäckigkeit den Angriff erwartet, sich verteidigend in den Weg stellt oder uns mit ihren Ausfällen zuvorkommt.

137. Man fand im Altertum geld- und geistreichere Menschen als jetzt, aber der Wohlstand war weniger verbreitet; es gab keine Bemittelte.

138. Was nützen uns oft die wärmsten Freunde? Sie lieben uns höchstens wie sich selbst – aber wie lieben sie sich selbst!

139. Die Weiber verlangen das Größte und das Kleinste zugleich; sie fordern Liebe und auch, daß man artig gegen sie sei – eine Million in Scheidemünze.

140. Das Volk hat nur da die Freiheit mißbraucht, wo es sie sich genommen, nicht da, wo man sie ihm gegeben: So wird der lange Zeit Gefangene, der durch eigene Kraft seinen finsteren Kerker erbricht, von dem plötzlich eindringenden Sonnenlichte geblendet, er taumelt und weiß nicht, was er tut; dem sich aber das Gefängnis freiwillig und gemach auftut, der verläßt es dankerfüllt und gehet froh und besonnen nach Hause.

141. Welch einen trüben Anblick gewähren uns jene Menschenscharen, die, Europens Winter ahnend, wie Zugvögel in ein wärmeres Land überziehen, wo sie Nahrung im Freien finden und nicht angstvoll abzuwarten haben, daß ihnen übermütige Fürstendiener kümmerliche Brosamen darreichen. Wir wollen den Blick abwenden von den engen Fußpfaden, den Bächlein, den dürren Gebüschen unserer Heimat, und uns mit jenen Riesenströmen, jenen unermeßlichen Wäldern voll Blüten und Düften, die uns aus Amerika zulocken, befreunden. Lernt genau das Land kennen, wo noch eurer viele nach langen Leiden das altergraue Haupt zum Ausruhen und Sterben hinlegen und wo eure Söhne ungeneckt eure Enkel wiegen werden. Wohl verläßt keiner fröhlichen Mutes das Land, das ihn geboren, und niemand vermag ohne Schmerzen sich von der mütterlichen Erde loszureißen, worin das Herz mit tausend Wurzeln fasert. Aber ermannet euch, fliehet, ehe der Sturm kommt und die Erde unter euren Füßen wankt. Europa verdient den Adel nicht mehr, den es von seinen Vorfahren ererbt, die ihn erworben. Es trete in die Gleichheit mit den übrigen Weltteilen zurück, und wenn es seine Herrschaft über Amerika nicht aufgeben will, wird es ihm noch dienen müssen. Vielleicht ist die Menschheit bestimmt, die vier Jahreszeiten ihres Daseins in den verschiedenen Weltteilen auszuleben. Asien war die Wiege des menschlichen Geschlechts; Europa sah die Lust, die Kraft, den Übermut seiner Jugend. In Amerika entwickelt sich die Fülle und Weisheit des männlichen Alters, und nach Jahrtausenden erwärmt die greise Menschheit ihre kalten, zitternden Glieder in Afrikas Sonne und sinkt endlich lebenssatt als Staub in Staub dahin.

142. Man bauet selten seine Meinung auf festem Grunde, man baut sie in die Luft, gibt dem Zimmerwerke schwache Stützen, und erst wenn man mit dem Dache fertig ist, unterwölbt man das Gebäude. Auch vor dem gerechten Urteile geht oft ein Vorurteil her.

143. Napoleon war der hohe Priester der Revolution, und als er so dumm war, die Göttin um ihre Anbetung zu bringen, brachte er sich um seine Priesterwürde, und seine Macht ging unter.

144. Ja, Luther hatte es verstanden, als er dem Teufel das Dintenfaß an den Kopf geworfen! Nur vor Dinte fürchtet sich der Teufel, damit allein verjagt man ihn.

145. Gott hat seine Höflinge, die ihm schmeicheln, als wenn er ein Fürst wäre.