Aphorismen und Miszellen. 121 bis 125.

Autor: Börne, Carl Ludwig (1786-1837)
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121. Ihr möget immerhin in Hübners synchronistischen Tabellen der Weltgeschichte nach einem Volke blättern, das dämischer sei als das deutsche, unbeholfener, furchtsamer und trübsinniger – ihr werdet keines finden. Die Langeweile ist seine Ehehälfte, und hat die Fabellehre noch keinen Gott des Gähnens, so nenne man ihn Teut. So ehrliche, gute Häute als wir hat die Welt nicht mehr. Das wissen auch die Gerber überall, und seit Jahrhunderten haben wir Europa mit Pergament, Trommelfellen und Sohlleder versorgt, und seit Jahrhunderten hat unsere Haut zu allen Verträgen und zu allen Kriegen gedient.

Ist die Erde eine hohe Schule, dann sitzt der Deutsche auf dem Lehrstuhle der Logik; er schleicht von Satz zu Satz und kommt nicht zum Schlusse, und schließt er, so beschließt er nichts, und hat er beschlossen, und es wäre reif zum Handeln, so kehrt er um, denn das halbe Jahr ist vorüber, neue Füchse suchen ursprüngliche Belehrung, das Heft wird zurückgeblättert und das alte Lied wiederum abgeplärrt. Mit solchem fröhlichen Mute übernehmen sie die Mühe des Sisyphus, daß sie zu beneiden sind statt zu beweinen; man möchte sein wie sie. Als die französische Revolution ihre logische Kette zerriß, da wurden sie ganz verdutzt und breiteten sich, was damals noch zu entschuldigen war, mit tiefer Gründlichkeit über den großen Text aus. Sie räusperten sich und sprachen:

„Im Anfange erschuf Gott Himmel und Erde.“ Noch waren Sonne, Mond und Sterne nicht geschaffen, da trat Spanien ein. Sie legten die Vergangenheit in Salz und griffen zur frischen Gegenwart. Abermals räusperten sie sich und sprachen: „Im Anfange erschuf Gott Himmel und Erde.“ Portugal, Neapel, Piemont, Griechenland fielen ins Wort; immer von neuem angefangen, und so wird die Welt untergehen, ehe sie zum siebenten Tag der Schöpfung kommen. Ich drücke mich zu mehrerer Undeutlichkeit deutsch aus, ich rede, was hoffentlich nicht jeder verstehen wird, von den Zusammenkünften. Wirft der Wind einen Ziegel vom Dache, so läuft alles erschrocken aufs Feld hinaus, denn sie meinen, die Erde bebte; da doch nichts gebebt, als ihr schwaches, schuldbewußtes Herz. Hatte aber wirklich ein Erdbeben das Haus erschüttert, daß die Fenster sprangen – schickten sie zum Glaser und ließen neue Scheiben fertigen.

122. In Meinungskämpfen sei man dann am vorsichtigsten, wenn die Gegner sich uns nähern und uns beistimmen. Die Wahrheit dient oft nur als Leiter zur Lüge, der man verächtlich den Rücken wendet, sobald die Höhe erreicht ist.

123. Im allgemeinen Anzeiger der Deutschen, diesem genauen Register des langweiligsten aller Bücher, streiten zwei Pfarrer über die Abschaffung der Feiertage. Der eine Gegner, welcher für deren Beibehaltung spricht, sagt: nur ein fauler Geistlicher, der lieber gar nicht predigte, könne für die Abschaffung der Feste reden. Er schreibt aber nicht fauler, sondern f ... – Nun komme noch einer und fordere Öffentlichkeit des gerichtlichen Verfahrens! Für wen? Für Menschen, die in allen ihren freiwilligen Handlungen, in ihrem ganzen außergerichtlichen Verfahren so heimlich tun, daß sie Küsse und Ohrfeigen nur hinter sieben Schlössern geben? Für Menschen, die ihre Empfindungen, ihre Bedrängnisse, die alles abbrevieren, nur nicht ihre Titel und niederträchtigen Schmeicheleien? Still davon – jedem Volke was ihm gebührt.

124. Gesellschaften, die sogenannten moralischen Personen, sind gewöhnlich sehr unmoralisch.

125. Die alte Kunst verkörperte das Geistige, die neue vergeistigt das Körperliche. Sie ist hier und dort, was hier und dort die Religion. Die Kunst des Heidentums war versinnlichte Kraft, Gegenwart, Genuß, die des Christentums ist übersinnliche Entsagung, Zukunft, Hoffnung. Weil Kunst die Geburt des Könnens, das Geschöpf des schöpferischen Menschen ist, die christliche Kunst aber Duldung und Ohnmacht darstellt, so ist sie keine. Das Gebilde dem Stoffe, diesen dem Urstoffe, den Urstoff dem leeren Raume, die Farben dem Lichte, die Zeit der Ewigkeit, die Gedanken dem Denken aufopfernd, ist die christliche Kunst ein Rückwärtsgebären des menschlichen Daseins, wo der Sohn zum Erzeuger des Vaters wird – sie ist keine Kunst, denn sie bildet nicht, sie zersetzt. So wenig Calderons Poesie wahre dramatische Dichtkunst, so wenig ist christliche Malerei wahre bildende Kunst. Daher ist bei den Alten Skulptur, bei den Neueren Malerei vorherrschend. Dort Umrisse und Anschauung, hier Perspektive und Berechnung. Nicht in dem was ist, in dem was dahinter ist, spricht sich die Bedeutung eines Gemäldes aus. Daher Republiken, Freiheit des Glaubens (Götter der Wahl, Vielgötterei), Protestantismus, Männer, Verstand – die Skulptur; Monarchien, alleinherrschende Religion (Katholizismus), Weiber und Gefühl aber die Malerei mehr befördern und lieben. Das mehr Plastische in der altdeutschen Malerschule, nach ihr in der niederländischen, weniger vorhanden in der französischen, gänzlich mangelnd in der italienischen, zeigt in diesem sinkenden Grade die Stärke des protestantischen Prinzips jener Völker im Staate und Einzelnleben an. Ich erfahre: Dannecker arbeite jetzt an einem Christus, und nach Versicherung der Kunstkenner sei dies Gebild das höchste, was die neuere Kunst hervorgebracht habe. Ob dieser große deutsche Künstler die rätselhafte Aufgabe befriedigend werde lösen können, mag jeder mit billigem Unglauben abwarten. Wie ein Christus plastisch dargestellt werden könne, begreift sich schwer. Entweder die Kunst des Bildes oder die Göttlichkeit des Urbildes muß untergehen. Die Götterbilder der Griechen waren vermenschlichte Götter, und das himmlische Licht ward von der irdischen Masse eingesogen; der Gottmensch der Christen aber ist ein göttlicher Mensch, das Licht muß über die Masse siegen – ein Sieg, den nur die Malerei erringen kann.