Aphorismen und Miszellen. 026 bis 030.

Autor: Börne, Carl Ludwig (1786-1837)
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26. Mit Cicero begann jene bis auf unsere Tage herabgehende Zeit, wo sich das Licht von der Wärme, die Einsicht von der Kraft, das Wollen von dem Können, der Geist vom Charakter trennte. Er führt die Reihe jener großen Männer an, die, weil sie nur den einen oder nur den andern besaßen, entweder ohnmächtig das Gute wollten oder einsichtslos die Kraft zum Bösen hatten und übten. Cicero – ein gelehrter, geistreicher Staatsmann, wenn er sprach oder schrieb – war unwissend und verblendet, wenn er handeln sollte. Er hatte den Mut des Geistes, aber nicht den Mut des Charakters, und er verstand nicht, daß zur Heilung einer schlechten Zeit, wo sie je möglich ist, man zu guten Zwecken sich schlechter Mittel bedienen müsse. Octavius war der Mann seiner Zeit. Unter ihm begann das moderne Regieren, begann die Polizeispitzbüberei, der Ministerialismus. Er zuerst übte die Kunst, die Freiheit des Volkes, statt, wie es früher wohl geschah, zu morden, zu rauben oder zu stehlen, zu übervorteilen und durch jüdische Schlauheit sich anzueignen. Als Octavius, lange nach dem Tode Ciceros, einst einen seiner Neffen besuchte, traf er ihn in einem Buche Ciceros lesend, das er beim Eintreten des Cäsars schnell zu verbergen suchte. Augustus merkte es, nahm das Buch, las einen großen Teil im Stehen und sagte zu seinem Neffen, indem er es zurückgab: „Das war ein gelehrter Mann, mein Sohn, ein gelehrter Mann und der sein Vaterland sehr liebte.“ Das ist ganz der stolz-gutmütige Ton eines modernen Staatsmannes, der einem unbeholfenen Gelehrten, der ihm nicht schaden kann, nach seiner Art Gerechtigkeit widerfahren läßt.

27. Im Kampfe zwischen Adel und Bürgerschaft hat der Adel, er mag angreifen oder sich verteidigen, den Vorteil, daß er von der Höhe herab gegen einen Feind streitet, der in der Ebene steht.

28. Was die Besten und nur die Besten unter den Zeitgenossen wünschen, das geschieht zwar auch, aber spät; denn da die Besten ihrer Zeit vorauseilen, so werden ihre Wünsche und Bedürfnisse erst die der Nachwelt. Doch was die Menge wünscht, das geschieht bald.

29. Die Vorsehung ist auch weltklug und heult mit den Wölfen wie der schlaueste Mensch. Sobald aber ihr Wille reif geworden, wirft sie die Maske ab.

30. Manche Menschen haben bloß männliche, andere bloß weibliche Gedanken. Daher gibt es so viele Köpfe, die unfähig sind, Ideen hervorzubringen, weil man die Gedanken beider Geschlechter vereint besitzen muß, wenn eine idealische Geburt zustande kommen soll.