Aphorismen und Miszellen. 001 bis 005.

Autor: Börne, Carl Ludwig (1786-1837)
Themenbereiche
1. Minister fallen wie Butterbrode: gewöhnlich auf die gute Seite.

2. Eitelkeit ist Ökonomie; man sollte sie nicht tadeln, sie ist eine Tugend. Der Eitle legt täglich einige kleine Befriedigungen seiner Eigenliebe zurück und bringt so endlich einen kleinen Schatz zusammen. Auch hat man unrecht, zu behaupten, daß sich nie wahre Verdienste zur Eitelkeit gesellten; man kann sehr reich sein und geizig zugleich. Von zwei Menschen mit gleich großen Verdiensten, von welchen der eine eitel ist und der andere was man bescheiden nennt, ist im Grunde der eitle bescheidener als der bescheidene. Der letztere weiß, daß er reich ist, und denkt, es könne ihm an Ruhm nicht mangeln, sooft er ihn brauche; der andere ist vorsichtig, traut seinen Verdiensten nicht und spart. Wenn Ruhmbegierde eine Tugend ist, ist es Eitelkeit auch; denn sie ist die Scheidemünze der Ruhmbegierde. Daß wir mit eiteln Menschen ungern umgehen, beweist nichts für ihren Fehler, sondern für unsern. Wir meiden sie aus gleichem Grunde, als wir die Armen meiden; wir fürchten immer, sie möchten etwas von uns verlangen.

3. Ich las von einem berühmten Philosophen, es sei einer der Hauptgrundsätze seiner Lehre: Alles was ist, ist gut. Ob es wahr ist – nicht der Satz, sondern daß er so aufgestellt worden – weiß ich nicht. Ich kenne die Schriften jenes Philosophen nicht, ich lese nie philosophische Bücher, mein Kopf ist zu schwach, er verträgt sie nicht.

Ein deutsches philosophisches System kommt mir vor wie ein Getreidefeld, zu dem man uns hinführt und uns freundlich einladet, uns satt zu essen. Ganz gewiß ist in der deutschen Philosophie die beste, gesundeste und unentbehrlichste Nahrung des menschlichen Geistes; doch wäre es artiger von unsern Wirten, wenn sie uns gebackenes Brot vorsetzten. Wenn wir vor jeder Mahlzeit erst die Schnitter, die Drescher, die Müller, die Bäcker machen sollten, dann kämen wir gar zu spät an den Tisch. Doch das gehört nicht hierher. Ich hörte ferner erzählen, daß es Staatsmänner gebe, die jenen Philosophen wegen seiner Lehre und diese selbst sehr begünstigten, weil sie glaubten, sie sei für die Regierungen vorteilhaft, indem sie den Regierten Grund und Recht zu klagen nehme, sondern sie vielmehr anweise, mit allem Bestehenden zufrieden zu sein, weil alles was ist, gut ist. Ob es sich mit der philosophischen Praxis jener Staatsmänner, wie mir erzählt worden, wirklich so verhalte, weiß ich nicht. Eines aber weiß ich gewiß: daß, wenn jener Grundsatz wie bezeichnet ausgesprochen, und wenn er wie berichtet angewendet oder zum nötigen Gebrauche zurückgelegt worden – jene Staatsmänner nicht wissen, was sie wollen, da es keine Lehre gibt, die für die Ruhe der Staaten und für die Sicherheit der Regierungen gefährlicher, keine, die revolutionärer wäre, als die Lehre: Alles was ist, ist gut. Man denke sich, jener Philosoph würde Regierungspräsident oder gar Minister; seine Verwaltungsgehörigen hätten Klagen oder glaubten sie zu haben, wären gedrückt oder glaubten sich gedrückt; sie gingen zum Philosophenminister, machten ihm Vorstellungen und bäten um Abhülfe. Dieser, obzwar Minister, würde sich bei der überraschenden Veranlassung ohne seinen Willen erinnern, daß er früher Philosoph gewesen – die Katze läßt das Mausen nicht, auch wenn sie eine schöne Prinzessin geworden – und würde den Abgeordneten der Bürgerschaft sagen: Ihr guten Leute wißt nicht, was ihr sprecht; geht eures Weges, alles was ist, ist gut. ... Schön, Minette, man muß seiner Natur treu bleiben! ... Wenn aber jetzt die Abgewiesenen zu murren anfingen, sich zusammenrotteten, dem Ministerphilosophen die Fenster einschlügen, die Kassen, die Magazine plünderten, raubten, mordeten und andere Verbrechen begingen, die eine Empörung zu begleiten pflegen – was täte dann der Ministerphilosoph? Er würde die Empörer zu besänftigen suchen, ihnen ihre Gesetzwidrigkeit, ihr Verbrechen, die unglücklichen Folgen ihrer Ausschweifungen vorhalten. Wenn diese aber sprächen: Herr Minister, Sie wissen nicht, was Sie reden, gehen Sie Ihres Weges, alles was ist, ist gut; ein Ist ist wie das andere Ist; ist eine Regierung, so ist ein Volk; ist Ordnung, so ist Anarchie; ist Gesetzmäßigkeit, so ist Revolution; ist die Macht, die ist, zu ehren, so ist unsere Macht auch eine, die ist – was würde der Philosoph darauf antworten? ...Der Philosoph gar nichts; aber der Minister ließe die Anführer der Empörung aufhängen und die minder Schuldigen einkerkern; und das ist auch das klügste, was er in einem solchen unphilosophischen Falle tun könnte. Aber, nach Hause gekommen, ließe er sich heimlich von seiner Frau seine alten Kollegienhefte holen, sie abstäuben, und dann – wenn er die Stelle noch finden kann – nähme er eine Schwanfeder und machte durch den Satz: Alles was ist, ist gut einen dicken Strich. Mich dauern nur die armen Gehängten; der Strich, einige Tage früher gezogen, hätte ihnen das Leben erhalten.
4. Diplomaten sehen mit den Ohren; die Luft ist ihr Element, nicht das Licht. Darum lieben sie Stille und Dunkelheit.

5. Das Schicksal macht nie einen König matt, ehe es ihm Schach geboten.