Aphorismen aus der Feder von Georg Christoph Lichtenberg.

Autor: Lichtenberg, Georg Christoph (1742-1799)
Themenbereiche
Über Lichtenberg

Ich wünsche, ich wäre in meinen Bemühungen, das menschliche Herz kennenzulernen, minder glücklich gewesen.
Georg Christoph Lichtenberg


Lichtenbergs Schriften können wir uns als der wunderbarsten Wünschelrute bedienen. Wo er einen Spaß macht, liegt ein Problem verborgen.
Goethe


Lichtenberg macht Späße und neckt die Verstellungsarten der andern.
Goethe



Eine seltsamere Ware als Bücher gibt es wohl schwerlich in der Welt. Von Leuten gedruckt, die sie nicht verstehen, gebunden, rezensiert und gelesen von Leuten, die sie nicht verstehen, und nun gar geschrieben von Leuten, die sie nicht verstehen.


Es ist sehr gut, die von andern hundertmal gelesenen Bücher immer noch einmal zu lesen; denn obgleich das Objekt einerlei bleibt, so ist doch das Subjekt verschieden.


Wenn ein Volk sich einmal aus der edlen Einfalt in das mehr Schimmernde verloren hat, so geht, wie ich glaube, der Weg nach der Einfalt zurück durch das höchst Affektierte, das mit dem Ekel endigt.


Es gibt wenig Gelehrte, die nicht einmal gedacht hätten, sich reich zu schreiben. Das Glück ist nur wenigen beschieden. Unter den Büchern, die geschrieben werden, machen wenige ihr Glück, wenn sie leben bleiben, und die meisten werden tot geboren.


Da, wo einen die Leute nicht mehr können denken hören, da muß man sprechen; sobald man aber dahinkommt, wo man wieder Gedanken voraussetzen kann, die mit unsern einerlei sind, muß man aufhören zu sprechen. Ein solches Buch ist Sternes Reise, aber die meisten Bücher enthalten zwischen zwei Punkten nichts als den allergemeinsten Menschenverstand, eine stark ausgezogene Linie, wo eine punktierte zugereicht hätte. Alsdann ist es erlaubt, das Gedachte auszudrücken, wenn es auf eine besondere Art ausgedrückt wird; doch dies ist schon mit unter der ersten Anmerkung begriffen.


Ich glaube, daß es mit dem Studieren geradeso geht wie in der Gärtnerei; es hilft weder, der da pflanzt noch der da begießt, etwas, sondern Gott, der das Gedeihen gibt.


Wenn sich unsere jungen Leute gewöhnten, gegen drei Gedichtchen für das Herz nur eines für den Kopf zu machen, so hätten wir Hoffnung, einmal im Alter einen Mann zu sehen, der Kopf und Herz hätte, die seltenste Erscheinung. Die meisten haben nicht mehr Licht im Kopf, als gerade nötig ist, zu sehen, daß sie nichts darin haben.


Ob nicht eine stehende Macht von Rezensenten gut wäre, die die Streitigkeiten der übrigen Gelehrten führten und die Gerechtsame und Vorzüge der Nation dartäten? Diese Leute müßten ebensoviel Gelehrsamkeit und Beredsamkeit besitzen als die Soldaten Tapferkeit.


Was dem Ruhm und der Unsterblichkeit manches Schriftstellers ein größeres Hindernis in den Weg legt als der Neid und die Bosheit aller kritischen Journale und Zeitungen zusammengenommen, ist der fatale Umstand, daß sie ihre Werke auf einen Stoff müssen drucken lassen, der zugleich auch zu Gewürztüten gebraucht werden kann.


Viele Priester der Minerva haben außer mancher Ähnlichkeit mit der Göttin selbst auch die mit dem berühmten Vogel derselben, daß sie zwar im Dunkeln Mäuse fangen, aber am Tageslicht den Kirchturm nicht eher sehen, als bis sie sich die Köpfe daran entzweistoßen.


Der einzige Fehler, den die recht guten Schriftsteller haben, ist der, daß sie gewöhnlich die Ursache von sehr vielen schlechten oder mittelmäßigen sind.


Das Populärmachen sollte immer so getrieben werden, daß man die Menschen damit heraufzöge. Wenn man sich herabläßt, so sollte man immer daran denken, auch die Menschen, zu denen man sich herabgelassen hat, ein wenig zu heben.


Ich sehe die Rezensionen als eine Art von Kinderkrankheit an, die die neugebornen Bücher mehr oder weniger befällt. Man hat Exempel, daß die gesündesten daran sterben und die schwächlichsten oft durchkommen. Manche bekommen sie gar nicht. Man hat oft versucht, ihnen durch Amulette von Vorrede und Widmung vorzubeugen oder sie gar durch eigene Urteile zu inokulieren, es hilft aber nicht immer.


Es ist traurig, daß die meisten Bücher von Leuten geschrieben werden, die sich zu dem Geschäfte erheben, anstatt daß sie sich herablassen sollten. Hätte z. B. Lessing ein Vademekum für lustige Leute herausgeben wollen, ich glaube, man hätte es in alle Sprachen der Welt übersetzt.


Eine glückliche Situation zu einem Stück ausgefunden, macht die übrige Arbeit leicht; die, die eine Sache bloß mit Einfällen verschönern wollen, haben eine Höllenarbeit.


Ich glaube, der schlechteste Gedanke kann so gesagt werden, daß er die Wirkung des besten tut, sollte auch das letzte Mittel dieses sein, ihn einem schlechten Kerl in einem Roman oder einer Komödie in den Mund zu legen.


Um witzig zu schreiben, muß man sich mit den eigentlichen Kunstgegenständen aller Stände gut bekannt machen. Ein Hauptwerk, in jedem nur flüchtig gelesen, ist hinlänglich; denn was ernsthaft seicht ist, kann witzig tief sein.


Vieles Lesen macht stolz und pedantisch, viel sehen macht weise, verträglich und nützlich. Der Leser baut eine einzige Idee sehr aus, der andere, der Weltseher, nimmt von allen Ständen etwas an, modelliert sich nach allen, sieht, wie wenig man sich in der Welt um den abstrakten Gelehrten bekümmert, und wird ein Weltbürger.


Wenn man die Geschlechter nicht an den Kleidungen erkennen könnte, ja überhaupt die Verschiedenheit des Geschlechts erraten müßte, so würde eine neue Welt von Liebe entstehen. Dies verdient in einem Roman mit Weisheit und Kenntnis der Welt behandelt zu werden.


Ein guter Ausdruck ist so viel wert wie ein guter Gedanke, weil es fast unmöglich ist, sich gut auszudrücken, ohne das Ausgedrückte von einer guten Seite zu zeigen.


Es ist ein großer Rednerkunstgriff, die Leute zuweilen bloß zu überreden, wo man sie überzeugen konnte; die halten sich alsdann oft da für überzeugt, wo man sie überreden kann.


Warum die Menschen so wenig behalten können, was sie lesen, davon ist der Grund, daß sie so wenig selbst denken. Wenn jemand das, was andere gesagt haben, gut zu wiederholen weiß, so hat er gewiß sehr viel nachgedacht; es sei denn, daß sein Kopf ein bloßer Schriftzähler wäre, und dergleichen sind manche Köpfe, die des Gedächtnisses wegen Aufsehen machen.


Mit wenig Worten viel sagen, heißt nicht, erst einen Aufsatz machen und dann die Periode abkürzen, sondern vielmehr die Sache erst überdenken und aus dem Überdachten das Beste so sagen, daß der vernünftige Leser wohl merkt, was man weggelassen hat. Eigentlich heißt es, mit den wenigsten Worten zu erkennen geben, daß man viel gedacht habe.


Die Zeiten, wo man anfängt, die Regeln zu studieren, wie es andere Zeiten gemacht haben, daß sie es so weit brachten, sind böse Zeiten. Die besten Köpfe werden entsetzlich belesene, bleiche, schwindsüchtige Stubensitzer, statt gutverdauende, frische Erfinder zu sein.


Die feinste Satire ist unstreitig die, deren Spott mit so wenig Bosheit und so viel Überzeugung verbunden ist, daß er selbst diejenigen zum Lächeln nötigt, die er trifft.


Lessings Geständnis, daß er für seinen gesunden Verstand fast zu viel gelesen habe, beweist, wie gesund sein Verstand war.


Ein Mittel, sich Ruhm zu erwerben, ist, wenn man mit einer gewissen Zuversicht in eine dunkle, unbekannte Materie hineingeht, wohin es niemand der Mühe wert achtet, einem zu folgen, und darüber mit scheinbarem Zusammenhang räsoniert.


Das Buch hat die Wirkung, das gewöhnlich gute Bücher haben: es macht die Einfältigen einfältiger, die Klugen klüger, und die übrigen Tausende bleiben ungeändert.


Ihr Geschichtschreiber rückt den Helden nicht auf, daß ohne euch ihre glänzendsten Taten nach hundert Jahren vergessen sein würden; denn ohne diese glänzenden Taten hätte man nie etwas von euch erfahren.


Unter die größten Entdeckungen, auf die der menschliche Verstand in den neuesten Zeiten verfallen ist, gehört meiner Meinung nach wohl die Kunst, Bücher zu beurteilen, ohne sie gelesen zu haben.


Darf man Schauspiele schreiben, die nicht zum Schauen sind, so möchte ich sehen, wer mir wehren wollte, ein Buch zu schreiben, das nicht zum Lesen ist.


Es ist mit den Versen der Frühlingspoeten wie mit den Krebsen; sie taugen nur in den Monaten, in deren Namen kein r ist.


Jeder arme Teufel sollte wenigstens zwei ehrliche Namen haben, damit er den einen davon wagen könnte, um den andern ins Brot zu bringen. So haben Schriftsteller anonym geschrieben. Man könnte sich dann mit dem einen noch wehren, wenn der andere abgeschnitten wäre.


Diejenigen unter den Gelehrten, denen es an Menschenkenntnis fehlt, lernen gewöhnlich mehr, als sie brauchen, und die vernünftigen unter ihnen können nie genug lernen.


Ich habe durch mein ganzes Leben gefunden, daß sich der Charakter eines Menschen aus nichts so leicht erkennen läßt, wenn alle Mittel fehlen, als aus einem Scherz, den er übelnimmt.


Es gibt Leute, die so fette Gesichter haben, daß sie unter dem Speck lachen können, daß der größte physiognomische Zauberer nichts davon gewahr wird, da wir arme, winddünne Geschöpfe, denen die Seele unmittelbar unter der Epidermis liegt, immer die Sprache sprechen, worin man nicht lügen kann.


Bei Kindern läßt man Putz, weil man sie ausziert, ohne dadurch die Beschaffenheit ihres Geistes anzeigen zu wollen. Eine Livree und Uniform können noch so munter sein, sobald aber jemand an seinem eigenen Leib die Sachen aus eigener Wahl trägt, ist das Kleid nicht mehr Decke, sondern Hieroglyphe.


Man wird bei allen Menschen von Geist eine Neigung finden, sich kurz auszudrücken, geschwind zu sagen, was gesagt werden soll.


Manche Menschen äußern schon eine Gabe, sich dumm zu stellen, ehe sie klug sind; die Mädchen haben diese Gabe sehr oft.


Man irrt sich gar sehr, wenn man aus dem, was ein Mann in Gesellschaft sagt oder auch tut, auf seinen Charakter schließen will. Man spricht und handelt ja nicht immer von Weltweisen; das Vergnügen eines Abends kann an einer Sophisterei hängen.


Es ist sonderbar, daß diejenigen Leute, die das Geld am liebsten haben und am besten zu Rate halten, gern in der Verkleinerung davon sprechen. Da kann ich doch meine sechshundert Tälerchen dabei verdienen, ein hübsches Sümmchen. Wer so sagt, schenkt nicht leicht ein halbes Tälerchen weg.


Die recht guten, offenherzigen Leute muß man nie unter den Phrasendrechslern suchen.


Es ist wahr, alle Menschen schieben auf und bereuen den Aufschub. Ich glaube aber, auch der Tätigste findet so viel zu bereuen als der Faulste; denn wer mehr tut, sieht auch mehr und deutlicher, was längst hätte getan werden können.


Woher mag wohl die entsetzliche Abneigung des Menschen herrühren, sich zu zeigen, wie er in seinen geheimsten Gedanken ist? In der Körperwelt ist alles wechselseitig; das, was er sich sein kann und zugleich sehr aufrichtig. Nach unseren Begriffen sind die Dinge gegeneinander alles Mögliche, was sie sein können, und der Mensch ist es nicht. Er scheint mehr das zu sein, was er nicht sein sollte. Die Kunst, sich zu verbergen, oder der Widerwille, sich geistlich oder moralisch nackend sehen zu lassen, geht bis zum Erstaunen weit.


Der Mensch ist der größten Werke alsdann fähig, wenn seine Geistesstärke schon wieder abnimmt, so wie es im Juli um zwei Uhr nachmittags, da die Sonne schon wieder zurückweicht und sinkt, heißer ist als im Juni um zwölf Uhr.


Es wäre gewiß ein verdienstliches, wenngleich nicht leichtes Unternehmen, das Leben eines Menschen doppelt oder dreifach zu beschreiben; einmal als ein zu warmer Freund, dann als ein Feind und dann so, wie es die Wahrheit selbst schreiben würde.


Es gibt Leute, die alles glauben, was sie wollen; das sind unglückliche Geschöpfe.


Es ist eine goldene Regel, daß man die Menschen nicht nach ihren Meinungen beurteilen müsse, sondern nach dem, was diese Meinungen aus ihnen machen.


Wir leben in einer Welt, wo ein Narr viele Narren, aber ein weiser Mann nur wenig Weise macht.


Im Deutschen reimt sich Geld auf Welt; es ist kaum möglich, daß es einen vernünftigeren Reim gebe; ich biete allen Sprachen Trotz.


Es gibt wohl keinen Menschen in der Welt, der nicht, wenn er auch um tausend Taler willen zum Spitzbuben wird, lieber um das halbe Geld ein ehrlicher Mann geblieben wäre.


Mancher hat bloß Feinheit genug, sich verhaßt zu machen, aber nicht genug, sich zu empfehlen.


Andere lachen zu machen, ist keine schwere Kunst, solange es einem gleich gilt, ob es über unsern Witz ist oder über uns selbst.


Es gibt Leute, die zu keinem Entschluß kommen können; sie müssen sich dann erst über die Sache beschlafen haben. Das ist ganz gut; nur kann es Fälle geben, wo man riskiert, mitsamt der Bettlade gefangen zu werden.

Es gibt wirklich viele Menschen, die bloß lesen, damit sie nicht denken dürfen.


Seit der Erfindung der Schreibkunst haben die Bitten viel von ihrer Kraft verloren, die Befehle hingegen gewonnen. Geschriebene Bitten sind leichter abzuschlagen, und geschriebene Befehle leichter gegeben als mündliche. Zu beiden ist ein Herz erforderlich, das oft fehlt, wenn der Mund der Sprecher sein soll.


Mir tut es allemal weh, wenn ein Mann von Talent stirbt; denn die Welt hat dergleichen nötiger als der Himmel.


Das Bekehren der Missetäter vor ihrer Hinrichtung läßt sich mit einer Art von Mästung vergleichen; man macht sie geistlich fett und schneidet ihnen hernach die Kehle ab, damit sie nicht wieder abfallen.


Es kommt nicht darauf an, ob die Sonne in eines Monarchen Staaten nicht untergeht, wie sich Spanien ehedem rühmte, sondern was sie während ihres Laufes in diesen Staaten zu sehen bekommt.


Gewissen Menschen ist ein Mann von Kopf ein fataleres Geschöpf als der deklarierteste Schurke.


Lerne deinen Körper kennen und was du von deiner Seele wissen kannst; gewöhne deinen Verstand zum Zweifel und dein Herz zur Verträglichkeit. Lerne den Menschen kennen und waffne dich mit Mut, zum Vorteil deines Nebenmenschen die Wahrheit zu reden. Schärfe deinen Verstand durch Mathematik, wenn du sonst keinen Gegenstand findest; hüte dich aber vor Namen, Registern und Würmern, wovon flüchtige Kenntnis nichts nützt und eine genaue ins Unendliche führt.


Man kann die Fehler eines großen Mannes tadeln, aber man muß nur nicht den Mann deswegen tadeln.


Wenn die Hunde, die Wespen und die Hornissen mit menschlicher Vernunft begabt wären, so könnten sie sich vielleicht der Welt bemächtigen.


Je weiser man wird, desto mehr sieht man in den Werken der Natur. Warum sollte nicht auch in manchen unserer Gedanken sehr viel mehr enthalten sein als wir zuweilen bemerken? Es sind ja auch Produkte der menschlichen Natur. Jeder Gedanke ist an sich etwas, der falsche so gut als der wahre. Der falsche ist nur das Unkraut, das wir in unserer Haushaltung nicht gebrauchen können. So läßt sich manches entschuldigen, was ich dem Hogarth angedichtet habe. Er konnte alles instinktmäßig hingeworfen haben, ohne es zu wissen.


Die Entschuldigungen, die man bei sich selber macht, wenn man etwas unternehmen will, sind ein vortrefflicher Stoff zu Monologen; denn sie werden selten anders gemacht, als wenn man allein ist, und sehr oft laut.


Wie glücklich würde mancher leben, wenn er sich um anderer Leute Sachen so wenig bekümmerte als um die seinigen.


Es ist gewiß ein sicheres Zeichen, daß man besser geworden ist, wenn man Schulden so gern bezahlt, als man Geld einnimmt.


Wer ist unter uns allen, der nicht einmal im Jahr närrisch ist, d. i., wenn er sich allein befindet, sich eine andere Welt, andere Glücksumstände denkt als die wirklichen? Die Vernunft besteht nur darin, sich sogleich wieder zu finden, sobald die Szene vorüber ist, und aus der Komödie nach Hause zu gehen.


Jedes Gebrechen am menschlichen Körper erweckt bei dem, der darunter leidet, ein Bemühen, zu zeigen, daß es ihn nicht drückt. Der Taube will gut hören, der Klumpfuß über rauhe Wege zu Fuß gehen, der Schwache seine Stärke zeigen usw.


Wenn man nur die Kinder dahin erziehen könnte, daß ihnen alles Unendliche völlig unverständlich wäre.


Nachdem die Welt schon so lange gestanden hat, scheint es fast unmöglich, an Menschen weiter zu künsteln. Man lasse die Kinder soviel als möglich tun und halte sie immer zu ältern, als sie selbst sind; man schwatze ihnen nicht viel von großen Männern vor, sondern halte sie womöglich an, andere zu übertreffen. Wer immer angehalten wird, seine Spielkameraden zu übertreffen, der wird im vierzigsten alle seine Kollegen übertreffen.


Vielleicht ist noch nie ein Vater gewesen, der nicht irgendeinmal sein Kind für etwas Originelles gehalten hatte. Doch, glaube ich, sind die gelehrten Väter diesem Irrtum mehr ausgesetzt als irgendeine andere Klasse von Vätern.


Verminderung der Bedürfnisse sollte wohl das sein, was man der Jugend durchaus einschärfen und wozu man sie zu stärken suchen müßte. Je weniger Bedürfnisse, desto glücklicher, ist eine alte, aber sehr verkannte Wahrheit.


Die Gesundheit sieht es lieber, wenn der Körper tanzt, als wenn er schreibt.


Es gibt in Rücksicht auf den Körper gewiß, wo nicht mehr, doch ebenso viele Kranke in der Einbildung als wirkliche Kranke; in Rücksicht auf den Verstand ebenso viele, wo nicht sehr viele Gesunde in der Einbildung als wirklich Gesunde.


Es ist gut, wenn junge Leute in gewissen Jahren vom poetischen Übel, befallen werden; aber inokulieren muß man es ihnen um Himmels willen nicht lassen.


Es gibt große Krankheiten, an denen man sterben kann; es gibt ferner welche, die sich, wenn man gleich nicht eben daran stirbt, doch ohne vieles Studium bemerken und fühlen lassen; endlich aber gibt es auch welche, die man ohne Mikroskop kaum erkennt. Dadurch nehmen sie sich aber ganz abscheulich aus, und dieses Mikroskop ist Hypochondrie. Ich glaube, wenn sich die Menschen recht darauf legen wollten, die mikroskopischen Krankheiten zu studieren, sie würden die Genugtuung haben, alle Tag krank zu sein.


Wenn man einmal Nachricht von Patienten gäbe, denen gewisse Bäder und Gesundbrunnen nicht geholfen haben, und zwar mit eben der Sorgfalt, mit der man das Gegenteil tut, so würde niemand mehr hingehen, wenigstens kein Kranker.


Wir leben und empfinden so gut im Traum als im Wachen, und das eine macht so gut als das andere einen Teil unserer Existenz aus. Es gehört unter die Vorzüge des Menschen, daß er träumt und es weiß. Man hat schwerlich noch den rechten Gebrauch davon gemacht. Der Traum ist ein Leben, das mit unserm übrigen zusammengesetzt das wird, was wir menschliches Leben nennen. Die Träume verlieren sich in unser Wachen allmählich herein, und man kann nicht sagen, wo das eine anfängt und das andere aufhört.


Philosophie ist immer Scheidekunst, man mag die Sache wenden, wie man will. Der Bauer gebraucht alle Sätze der abstraktesten Philosophie, nur eingewickelt, versteckt, gebunden, wie der Physiker und Chemiker sagt; der Philosoph gibt uns die reinen Sätze.


Ich bin überzeugt, daß die Hälfte des menschlichen Geschlechtes, wenigstens des zahmen Teils desselben, den man den gesitteten nennt, über die Hälfte zu viel ißt, denn was man, zumal in den höheren Klassen, Hunger nennt, ist meistens mehr ein Appetit nach Hunger als der eigentliche Bedürfnishunger selbst.


Man muß in der Welt und im Reich der Wahrheit frei untersuchen, es koste, was es wolle, und sich nicht bekümmern, ob der Satz in eine Familie gehört, worunter einige Glieder gefährlich werden könnten.


Wenn man die Natur als Lehrerin und die armen Menschen als Zuhörer betrachtet, so ist man geneigt, einer ganz sonderbaren Idee vom menschlichen Geschlechte Raum zu geben. Wir sitzen alle mitsammen in einem Kolleg, haben die Prinzipien, die nötig sind, es zu verstehen und zu fassen, horchen aber immer mehr auf die Plaudereien unserer Mitschüler als auf den Vortrag der Lehrerin. Oder wenn ja einer neben uns etwas nachschreibt, so spicken wir von ihm, stehlen, was er selbst vielleicht undeutlich hörte, und vermehren es mit unseren eigenen orthographischen und Meinungsfehlern.


Es gibt für jeden Grad des Wissens gangbare Sätze, von denen man nicht merkt, daß sie über dem Unbegreiflichen, ohne weitere Unterstützung, auf bloßem Glauben schweben. Man hat sie, ohne zu wissen, woher die Sicherheit kommt, mit der man ihnen traut. Der Philosoph hat dergleichen so gut wie der Mann, der da glaubt, das Wasser fließe deswegen immer bergab, weil es unmöglich wäre, daß es bergauf fließen könne.


Vom Wahrsagen läßt sich wohl leben in der Welt, aber nicht von Wahrheitsagen.


Eine der sonderbarsten Anwendungen, die der Mensch von der Vernunft gemacht hat, ist wohl die, es für ein Meisterstück zu halten, sie nicht zu gebrauchen und so, mit Flügeln geboren, sie abzuschneiden.


Die gemeinsten Meinungen und was jedermann für ausgemacht halt, verdient oft am meisten untersucht zu werden.


Seitdem man Wissenschaft zu nennen beliebt, anderer törichte Meinungen zu kennen, die man vielleicht aus einer einzigen Formel nach den Regeln einer ganz mechanischen Erfindungskunst herleiten könnte und sich überall durch Mode, Gewohnheit, Ansehen und Interesse leiten läßt, seitdem ist den Menschen die Lebenszeit zu kurz geworden.


Die gar subtilen Männer sind selten große Männer, und ihre Untersuchungen sind meistens eben so unnütz als sie fein sind. Sie entfernen sich immer mehr vom praktischen Leben, dem sie doch immer näher zu kommen suchen sollten. Sowie der Tanzmeister und Fechtmeister nicht von der Anatomie der Beine und Hände anfängt, so läßt sich gesunde, brauchbare Philosophie auch viel höher als jene Grübeleien anfangen.


Die Astronomie ist vielleicht diejenige Wissenschaft, worin das wenigste durch den Zufall entdeckt worden ist, wo der menschliche Verstand in seiner ganzen Größe erscheint, und wo der Mensch am besten lernen kann, wie klein er ist.


Man irrt sich, wenn man glaubt, daß alles unser Neues bloß der Mode zugehört; es ist etwas Festes darunter, Fortgang der Menschheit muß nicht verkannt werden.


Der Mensch lebt allein, um sein und seiner Mitmenschen Wohl so sehr zu befördern, als es seine Kräfte und seine Lage erlauben. Hierin kürzer zu seinem Endzweck zu gelangen. nützt er die Versuche seiner Vorfahren. Er studiert, ohne jene Absicht zu studieren, bloß um sagen zu können, was andere getan haben; dies heißt, die letzte der Wissenschaften treiben. Solche Leute sind so wenig eigentliche Gelehrte als Register Bücher sind. Nicht bloß wissen, sondern auch für die Nachwelt tun, was die Vorwelt für uns getan hat, heißt ein Mensch sein. Soll ich, um nicht noch einmal zu erfinden, was schon erfunden ist, mein Leben über der Gelehrten Geschichte zubringen? Sagt man doch Dinge vorsätzlich zweimal und nimmt es einem nicht übel, wenn nur die Einkleidung neu ist. Hast du selbst gedacht, so wird deine Erfindung einer schon erfundenen Sache gewiß allemal das Zeichen des Eigentümlichen an sich tragen.