Anton Graff (1736-1813)
deutscher Maler und der bedeutendste Portraitmaler seiner Zeit
Autor: Glaser, Curt (1879-1943) deutscher Arzt, Kunsthistoriker, Kunstkritiker und Sammler, Erscheinungsjahr: 1910
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Rokokokunst, Anton Graff, Curt Glaser, Portraitmalerei, Bildnisse, Meisterwerke, Friedrich der Große
Während im Hause der Berliner Akademie mit fürstlichem Gepränge die Ausstellung französischer Rokokokunst eröffnet wurde, stand zu gleicher Zeit gegenüber in den Räumen der Schulteschen Kunsthandlung eine bescheidene Ausstellung von Werken eines deutschen Künstlers eben des 18. Jahrhunderts: Bildnisse Anton Graffs. Es war, als sei nichts geändert seit der Zeit des Großen Friedrich, der seinen Schlössern den Schatz französischer Meisterwerke sicherte, die jetzt den Grundstock der großen Akademie-Ausstellung bilden, der den Franzosen Pesne zum Hofmaler hatte und sich um Boucher und Vanloo bewarb, währender die neuen Regungen künstlerischen Lebens bei seinen Landeskindern geflissentlich übersah.
Noch hat niemand das verhängnisvolle Versiegen der Produktionskraft zu erklären versucht, das Deutschland durch zwei Jahrhunderte zum kunstärmsten aller Länder machte, das Deutschland allein im 17. Jahrhundert steril bleiben ließ, als überall sonst, in Frankreich, Italien, Spanien, Belgien, Holland ein reiches und vielgestaltetes, künstlerisches Leben blühte. Der Dreißigjährige Krieg, mit dessen Verwüstungen man gewöhnlich die kulturelle Verarmung Deutschlands zu erklären sucht, fand in Wahrheit nur wenig mehr zu zerstören. Auf dem Grunde, den Luther der deutschen Sprache, Dürer der bildenden Kunst gegeben, war kein Gebäude errichtet worden. So mußte das 18. Jahrhundert in allem von neuem beginnen, es konnte nicht auf nationalen Traditionen weiterbauen, sondern mußte in der Fremde in die Lehre gehen, und man kann es einem feinen Geiste, wie der große Preußenkönig es war, nicht verargen, wenn er die Befriedigung seiner künstlerischen Bedürfnisse an der Quelle suchte, man kann es auch verstehen, wenn er als dilettierender Laie mehr Vertrauen in seinen Hofmaler setzte, der doch ein Franzose war, als in irgend einen Deutschen. So kam es, dass Graff, der in Dresden als Hofmaler und Porträtist der besten bürgerlichen Kreise des damaligen Deutschland lebte, wenn ihn der Weg nach Berlin führte, nicht in dem König, sondern in dessen Bruder Heinrich einen liebenswürdigen Gönner fand.
Prinz Heinrich führt denn auch den Vorsitz in der vornehmen Gesellschaft des Geburtsund Geistesadels, die Graffs Pinsel verewigte und die nun für kurze Zeit wieder vereint von den Wänden der Schulteschen Salons herabblickt. Es sind fast lauter bekannte Namen, denen man begegnet, Fürsten, Staatsmänner, Gelehrte, Künstler seiner Zeit haben ihm gesessen. Gleichwie Lenbach im ausgehenden 19., so hat Graff im 18. Jahrhundert eine ganze Galerie berühmter Zeitgenossen geschaffen. —
Nicht mehr in der Kirche fand die neu erstehende Kunst ihren natürlichen Nährboden, sondern in dem Jahrhundert der Aufklärung und des Individualismus fiel ihr als vornehmste Aufgabe das Porträt zu. So sind die Tischbein, Ettlinger, Graff ihres Zeichens Porträtmaler, und der fruchtbarste unter ihnen, der als Vermächtnis eines langen Lebens vielleicht die größte Zahl gemalter Bildnisse hinterließ, ist Anton Graff gewesen. Die Kunstgeschichte hat seinen Namen nicht vergessen, schon vor dreißig Jahren widmete Richard Muther ihm eine Monographie, Julius Vogel, dem auch das Zustandekommen der Ausstellung zu danken ist, hat sich die Erforschung seines Lebenswerkes zur Aufgabe gemacht, aber wenn ein größeres Publikum gelernt hat, mehr in ihm zu sehen als den Porträtisten der und der berühmten Männer, nämlich einen Künstler, dessen Werk für die Entwicklung der deutschen Malerei der Neuzeit von Bedeutung ist, so hat die Jahrhundert-Ausstellung der National-Galerie dieser Erkenntnis die Bahn gebrochen. Und ihr ist es auch zu danken, dass nun solche Ausstellungen möglich sind, in denen das Lebenswerk einzelner Meister, die dort nur mit ein paar ausgewählten Proben zu zeigen waren, in größerem Zusammenhange vorgeführt werden kann. Denn es heißt schon auf ein lebhaftes Interesse zählen, wenn man 182 Gemälde von einem Meister in einer Ausstellung vereint, noch dazu, mit einer einzigen Ausnahme, lauter Bildnisse, und nicht immer vorsichtig gewählte Stücke, was bei so großem Umfange ja unmöglich ist; auch ist nicht alles Beste da, konnten doch gerade einige Hauptwerke, die sich in dem Besitz öffentlicher Galerien befinden, nicht zur Stelle geschafft werden. So hat das Ganze nicht den Charakter einer repräsentativen Ausstellung bekommen. Vielleicht holt man in drei Jahren zum Jubiläum der hundertsten Wiederkehr des Todestages des Meisters das an anderer Stelle nach. Was jetzt geboten werden konnte, ist mehr eine Vorbereitung, eine Zusammenstellung möglichst alles erreichbaren Materiales, die dazu dienen wird, das Urteil über das Können und die Kenntnis von Art und Entwicklung des Künstlers zu klären. Dafür war es weniger wichtig, allgemein Bekanntes einmal an einem Orte zu vereinen als möglichst viel Unbekanntes zur Anschauung zu bringen. So ist es in der Tat gelungen, ein Bild von der gesamten Tätigkeit des Meisters, nicht nur von seinen besten Leistungen zu geben, einen Blick in die Werkstatt eines vielbeschäftigten Porträtmalers des 18. Jahrhunderts tun zu lassen. Denn um eine Werkstatt muss es sich handeln. Es ist an sich kaum denkbar, dass Graff die 1655 Porträts, die man ihm nachrechnen kann, mit allen Wiederholungen sämtlich von Anfang bis zu Ende eigenhändig gemalt habe, und die sehr verschiedene Qualität und oft unvereinbare Malweise machen die Annahme, dass mehrere Gehilfenhände mit im Spiele gewesen, vollends zur Gewissheit.
Man muss daran denken, dass das Porträtbedürfnis der Zeit auf ganz anderer Grundlage ruhte als heutzutage, wo die Photographie alle primitiveren Anforderungen an ein bleibendes Abbild der Persönlichkeit deckt. So bleiben heut nur die Ausnahmebedürfnisse für den Künstler übrig, und es ist darum berechtigt, wenn eine moderne Ästhetik im Porträt zunächst das Kunstwerk sucht und die Forderung der Ähnlichkeit an die zweite Stelle rücken will. Das war früher anders. Das allgemeine Porträtbedürfnis war vom Künstler zu befriedigen, und zumal bei Persönlichkeiten, die im öffentlichen Leben standen, bei Fürsten, Gelehrten, Künstlern, genügte nicht ein einmaliges Porträt, Wiederholungen wurden verlangt und geliefert. Bei wichtigeren Aufträgen führte der Meister dann vielleicht selbst noch einmal die Hauptsachen, den Kopf und die Hände, aus, half bei weniger wichtigen nur hie und da dem Schüler oder Gehilfen nach, aber viele derartige Arbeiten sind offenbar Kopien, die nicht einmal mehr im Atelier des Meisters selbst entstanden, sondern im Auftrage der Dargestellten irgendwo verfertigt wurden.
Die Ausstellung bot vielfach Gelegenheit, Reihen von Exemplaren eines Bildnisses nebeneinander zustudieren, so Friedrich Wilhelm II., Lessing, Chodowiecki und seine Frau, Sulzer, Bause, Moses Mendelssohn, von dem nicht weniger als fünf Bildnisse gezeigt wurden. Zuweilen lässt sich das Original mit Sicherheit herausfinden, und die übrigen Exemplare offenbaren sich deutlich als Kopien. In einigen Fällen kann man auf das Vorhandensein eines solchen Urbildes nur zurückschließen.
Leicht ist es allerdings nicht, das mit Sicherheit von Fall zu Fall zu beurteilen. Denn es gibt wenige Künstler, die so tiefgehende Wandlungen erfahren haben, wie Anton Graff. In seinem langen Leben, er ist 1736 geboren und 1813 gestorben, und im Aufsteigen aus provinzieller Abgeschiedenheit in seiner Heimat in der Schweiz zum Hofmaler in Dresden und beliebtesten Porträtisten Norddeutschlands hat er die Stilwandlungen nicht eines, sondern mehrerer Menschenleben durchgemacht. In seinem Beginn steht er noch fast im Mittelalter, in den Traditionen des 17. Jahrhunderts, die für Deutschland allerdings kaum mehr Traditionen waren. 1755 malte er ein Bildnis seines Vaters noch ganz in der trokkenen, harten Weise der Provinzkunst seiner Zeit, tüchtig aber handwerklich, ein Bild, wie man es allenthalben finden kann, etwa in Ahnengalerien oder Rathäusern kleiner Städte, wo sich Porträts jener Zeit erhalten haben. Das Bild gibt den Auftakt. Rasch wächst der Künstler in seine Zeit hinein. Er kommt in das Licht einer fürstlichen Hofhaltung, und hier muss er das beste, was damals geschaffen wurde, kennen und schätzen gelernt haben. Englische und französische Porträts sind ihm wohl zu Gesicht gekommen. Es gibt Bilder von ihm, die an Gainsborough und Reynolds, andere, die an die Maler des französischen Hofes erinnern.
Graff steht in Parallele mit den Porträtisten der zweiten Generation des Jahrhunderts. Man denkt an Roslin, wenn man das Bildnis der Herzogin Philippine Charlotte von Braunschweig-Wolfenbüttel sieht, und das schöne Repräsentationsporträt ihres Bruders, des Prinzen Heinrich (Abb. S. 302), hat nichts von der Fülle eines Rigaudschen Feldherrnporträts, nichts auch von der weichen Gelassenheit in Nattiers berühmtem Porträt des Marschalls Moritz von Sachsen, sondern die Schlichtheit, die man auch am französischen Hofe nach der Mitte des Jahrhunderts vom Porträt forderte. Allerdings ist diese bei Graff wohl nicht nur freiwillig, sondern hat in einer gewissen Befangenheit in Anordnung, Ausdruck und Haltung ihren anderen Grund. Man kann nicht verkennen, dass zwischen Graffs Werken und den besten gleichzeitigen Franzosen immer der Abstand einer anderen Kultur, eines anderen Könnens bleibt, aber hie und da gelingt doch auch dem Deutschen in der einen oder anderen Art ein erstaunlich guter Wurf.
Das Porträt Friedrich Wilhelms II. (Abb. S. 301), das schöne Bildnis einer unbekannten Prinzessin (Abb. S. 305) und manche aus der großen Leipziger Porträtgalerie zählen hierher. Diese dankt der Liebhaberei des Buchhändlers Reich ihre Entstehung, der den Wunsch hatte, in seinem Hause eine Galerie berühmter Männer anzulegen. Es war ein Gedanke, der in der Zeit mehrfach auftauchte. Gleim in Halberstadt war vorangegangen, und noch König Ludwigs Walhalla ward aus einer ähnlichen Geistesrichtung geschaffen. Reich berief neben Tischbein auch Graff, der in seinem Auftrage eine Reihe bekannter Gelehrter und Künstler porträtierte. Auch nach Berlin kam Graff bei dieser Gelegenheit zum ersten Male, hier lernte er den Ästhetiker Sulzer kennen, dessen Tochter seine Frau wurde und durch dessen Vermittlung er an den Berliner Hof kam.
Etwa um 1790 folgt eine entscheidende Wandlung im Stile der Graffschen Kunst. Ein äußerliches Kennzeichen ist die Tracht der Frauen, die jetzt an Marie Antoinette erinnert. Die Malweise wird eine andere. Sie nähert sich Greuze. Die Farben sind auf ein feines Perlgrau und ein helles Blau gestimmt.
Das Bildnis der Herzogin von York gehört hierher (Abb. S. 308). Es ist 1788 gemalt. Der rote Sammetmantel ist nicht mehr das Zentrum der farbigen Komposition wie in früheren Fürstenporträts, etwa dem des Prinzen Heinrich, er tritt auch räumlich zurück, ist nur noch als Kontrast da, dient allein dazu, die kühlen, grauen und blauen Töne des Bildes zur Wirkung zu bringen. Es ist eine neue Mode, ein anderer Geschmack, von dem der Künstler sich tragen lässt. Und wie es sich hier schon weniger um eine persönliche Entwicklung handelt als um ein Mitgehen mit dem Stilwandel einer Zeit, so sucht in der letzten Zeit seiner Tätigkeit, die noch ein gutes Stück in das beginnende 19. Jahrhundert hineinreicht, Graff sich dem neuen Geschmack des Empire und den großen Vorbildern der Zeit, den Klassizisten David und Gerard zu nähern.
Die Zeit will vom Porträt nicht mehr die fürstliche Attitüde, aber auch das einfache Dasein genügt nicht mehr, sondern man sucht eine persönliche, charakteristische Haltung. Frühere Versuche Graffs in der Richtung waren fehlgeschlagen. Hatte er aus dem Doppelbildnis seiner zwei Kinder ein Genrebild zu machen versucht, so blieb die Haltung steif, die emporblickenden Augen des älteren Knaben sind nicht überzeugend, weil sie offenbar nur in eine fertige Porträtaufnahme eingetragen sind. Jetzt gibt er den Buchhändler Nicolai mit der Redegeste (Abb. S. 309), den Kupferstecher Bause bei der Arbeit, Chodowiecki in charakteristischer Haltung, sich selbst auf dem Stuhle vor der Staffelei sitzend (Abb. geg. S. 301 ), und auch die großen Repräsentationsporträts der Zeit wie das des Rittmeisters von Carlowitz, des Fürsten Heinrich XIII. von Reuß, die 1805 gemalt sind, zeigen die einfache, aber individuelle Pose der neuen Zeit.
Als Künstler bleibt Graff in allen diesen Änderungen des äußeren Gewandes, die nicht eigentlich eine Entwicklung bedeuten, stets der gleiche. Er war keiner von den Großen, nicht mehr als ein tüchtiges Talent. Schon die unbedingte Beschränkung auf das Porträt weist darauf hin. Aber mit seinem soliden Können stellt er doch ein gewisses Niveau dar, einen Qualitätsbegriff, der von der deutschen Malkunst des 18. Jahrhunderts nicht allzu schlecht denken lässt. Gewiss kann sie sich nicht mit der reichen, vielgestaltigen Kunst des französischen Rokoko vergleichen, auch nicht mit der vornehmen, wenn auch niemals im letzten Grund reinen und selbständigen Kunst der englischen Porträtisten des 18. Jahrhunderts, aber in seinem umgrenzten Gebiet hat Graff als Künstler seine hohe Bedeutung, steht er als tüchtiger Könner am Eingang einerneuen Zeit, einer neuen Blüte deutscher Kunst.
300 Anton Graff – Selbstbildnis
301 Anton Graff – Bildnis Friedrich Wilhelms II.
302 Anton Graff – Bildnis des Prinzen Heinrich von Preußen
303 Anton Graff – Bildnis von Corona Schroeter
304 Anton Graff – Bildnis von Johann Adam Hiller
305 Anton Graff – Bildnis einer Prinzessin
307 Anton Graff – Bildnis von Johann Georg Sulzer
308 Anton Graff – Bildnis der Herzogin von York
309 Anton Graff – Bildnis des Buchhändlers Nicolai
Prinz Heinrich führt denn auch den Vorsitz in der vornehmen Gesellschaft des Geburtsund Geistesadels, die Graffs Pinsel verewigte und die nun für kurze Zeit wieder vereint von den Wänden der Schulteschen Salons herabblickt. Es sind fast lauter bekannte Namen, denen man begegnet, Fürsten, Staatsmänner, Gelehrte, Künstler seiner Zeit haben ihm gesessen. Gleichwie Lenbach im ausgehenden 19., so hat Graff im 18. Jahrhundert eine ganze Galerie berühmter Zeitgenossen geschaffen. —
Nicht mehr in der Kirche fand die neu erstehende Kunst ihren natürlichen Nährboden, sondern in dem Jahrhundert der Aufklärung und des Individualismus fiel ihr als vornehmste Aufgabe das Porträt zu. So sind die Tischbein, Ettlinger, Graff ihres Zeichens Porträtmaler, und der fruchtbarste unter ihnen, der als Vermächtnis eines langen Lebens vielleicht die größte Zahl gemalter Bildnisse hinterließ, ist Anton Graff gewesen. Die Kunstgeschichte hat seinen Namen nicht vergessen, schon vor dreißig Jahren widmete Richard Muther ihm eine Monographie, Julius Vogel, dem auch das Zustandekommen der Ausstellung zu danken ist, hat sich die Erforschung seines Lebenswerkes zur Aufgabe gemacht, aber wenn ein größeres Publikum gelernt hat, mehr in ihm zu sehen als den Porträtisten der und der berühmten Männer, nämlich einen Künstler, dessen Werk für die Entwicklung der deutschen Malerei der Neuzeit von Bedeutung ist, so hat die Jahrhundert-Ausstellung der National-Galerie dieser Erkenntnis die Bahn gebrochen. Und ihr ist es auch zu danken, dass nun solche Ausstellungen möglich sind, in denen das Lebenswerk einzelner Meister, die dort nur mit ein paar ausgewählten Proben zu zeigen waren, in größerem Zusammenhange vorgeführt werden kann. Denn es heißt schon auf ein lebhaftes Interesse zählen, wenn man 182 Gemälde von einem Meister in einer Ausstellung vereint, noch dazu, mit einer einzigen Ausnahme, lauter Bildnisse, und nicht immer vorsichtig gewählte Stücke, was bei so großem Umfange ja unmöglich ist; auch ist nicht alles Beste da, konnten doch gerade einige Hauptwerke, die sich in dem Besitz öffentlicher Galerien befinden, nicht zur Stelle geschafft werden. So hat das Ganze nicht den Charakter einer repräsentativen Ausstellung bekommen. Vielleicht holt man in drei Jahren zum Jubiläum der hundertsten Wiederkehr des Todestages des Meisters das an anderer Stelle nach. Was jetzt geboten werden konnte, ist mehr eine Vorbereitung, eine Zusammenstellung möglichst alles erreichbaren Materiales, die dazu dienen wird, das Urteil über das Können und die Kenntnis von Art und Entwicklung des Künstlers zu klären. Dafür war es weniger wichtig, allgemein Bekanntes einmal an einem Orte zu vereinen als möglichst viel Unbekanntes zur Anschauung zu bringen. So ist es in der Tat gelungen, ein Bild von der gesamten Tätigkeit des Meisters, nicht nur von seinen besten Leistungen zu geben, einen Blick in die Werkstatt eines vielbeschäftigten Porträtmalers des 18. Jahrhunderts tun zu lassen. Denn um eine Werkstatt muss es sich handeln. Es ist an sich kaum denkbar, dass Graff die 1655 Porträts, die man ihm nachrechnen kann, mit allen Wiederholungen sämtlich von Anfang bis zu Ende eigenhändig gemalt habe, und die sehr verschiedene Qualität und oft unvereinbare Malweise machen die Annahme, dass mehrere Gehilfenhände mit im Spiele gewesen, vollends zur Gewissheit.
Man muss daran denken, dass das Porträtbedürfnis der Zeit auf ganz anderer Grundlage ruhte als heutzutage, wo die Photographie alle primitiveren Anforderungen an ein bleibendes Abbild der Persönlichkeit deckt. So bleiben heut nur die Ausnahmebedürfnisse für den Künstler übrig, und es ist darum berechtigt, wenn eine moderne Ästhetik im Porträt zunächst das Kunstwerk sucht und die Forderung der Ähnlichkeit an die zweite Stelle rücken will. Das war früher anders. Das allgemeine Porträtbedürfnis war vom Künstler zu befriedigen, und zumal bei Persönlichkeiten, die im öffentlichen Leben standen, bei Fürsten, Gelehrten, Künstlern, genügte nicht ein einmaliges Porträt, Wiederholungen wurden verlangt und geliefert. Bei wichtigeren Aufträgen führte der Meister dann vielleicht selbst noch einmal die Hauptsachen, den Kopf und die Hände, aus, half bei weniger wichtigen nur hie und da dem Schüler oder Gehilfen nach, aber viele derartige Arbeiten sind offenbar Kopien, die nicht einmal mehr im Atelier des Meisters selbst entstanden, sondern im Auftrage der Dargestellten irgendwo verfertigt wurden.
Die Ausstellung bot vielfach Gelegenheit, Reihen von Exemplaren eines Bildnisses nebeneinander zustudieren, so Friedrich Wilhelm II., Lessing, Chodowiecki und seine Frau, Sulzer, Bause, Moses Mendelssohn, von dem nicht weniger als fünf Bildnisse gezeigt wurden. Zuweilen lässt sich das Original mit Sicherheit herausfinden, und die übrigen Exemplare offenbaren sich deutlich als Kopien. In einigen Fällen kann man auf das Vorhandensein eines solchen Urbildes nur zurückschließen.
Leicht ist es allerdings nicht, das mit Sicherheit von Fall zu Fall zu beurteilen. Denn es gibt wenige Künstler, die so tiefgehende Wandlungen erfahren haben, wie Anton Graff. In seinem langen Leben, er ist 1736 geboren und 1813 gestorben, und im Aufsteigen aus provinzieller Abgeschiedenheit in seiner Heimat in der Schweiz zum Hofmaler in Dresden und beliebtesten Porträtisten Norddeutschlands hat er die Stilwandlungen nicht eines, sondern mehrerer Menschenleben durchgemacht. In seinem Beginn steht er noch fast im Mittelalter, in den Traditionen des 17. Jahrhunderts, die für Deutschland allerdings kaum mehr Traditionen waren. 1755 malte er ein Bildnis seines Vaters noch ganz in der trokkenen, harten Weise der Provinzkunst seiner Zeit, tüchtig aber handwerklich, ein Bild, wie man es allenthalben finden kann, etwa in Ahnengalerien oder Rathäusern kleiner Städte, wo sich Porträts jener Zeit erhalten haben. Das Bild gibt den Auftakt. Rasch wächst der Künstler in seine Zeit hinein. Er kommt in das Licht einer fürstlichen Hofhaltung, und hier muss er das beste, was damals geschaffen wurde, kennen und schätzen gelernt haben. Englische und französische Porträts sind ihm wohl zu Gesicht gekommen. Es gibt Bilder von ihm, die an Gainsborough und Reynolds, andere, die an die Maler des französischen Hofes erinnern.
Graff steht in Parallele mit den Porträtisten der zweiten Generation des Jahrhunderts. Man denkt an Roslin, wenn man das Bildnis der Herzogin Philippine Charlotte von Braunschweig-Wolfenbüttel sieht, und das schöne Repräsentationsporträt ihres Bruders, des Prinzen Heinrich (Abb. S. 302), hat nichts von der Fülle eines Rigaudschen Feldherrnporträts, nichts auch von der weichen Gelassenheit in Nattiers berühmtem Porträt des Marschalls Moritz von Sachsen, sondern die Schlichtheit, die man auch am französischen Hofe nach der Mitte des Jahrhunderts vom Porträt forderte. Allerdings ist diese bei Graff wohl nicht nur freiwillig, sondern hat in einer gewissen Befangenheit in Anordnung, Ausdruck und Haltung ihren anderen Grund. Man kann nicht verkennen, dass zwischen Graffs Werken und den besten gleichzeitigen Franzosen immer der Abstand einer anderen Kultur, eines anderen Könnens bleibt, aber hie und da gelingt doch auch dem Deutschen in der einen oder anderen Art ein erstaunlich guter Wurf.
Das Porträt Friedrich Wilhelms II. (Abb. S. 301), das schöne Bildnis einer unbekannten Prinzessin (Abb. S. 305) und manche aus der großen Leipziger Porträtgalerie zählen hierher. Diese dankt der Liebhaberei des Buchhändlers Reich ihre Entstehung, der den Wunsch hatte, in seinem Hause eine Galerie berühmter Männer anzulegen. Es war ein Gedanke, der in der Zeit mehrfach auftauchte. Gleim in Halberstadt war vorangegangen, und noch König Ludwigs Walhalla ward aus einer ähnlichen Geistesrichtung geschaffen. Reich berief neben Tischbein auch Graff, der in seinem Auftrage eine Reihe bekannter Gelehrter und Künstler porträtierte. Auch nach Berlin kam Graff bei dieser Gelegenheit zum ersten Male, hier lernte er den Ästhetiker Sulzer kennen, dessen Tochter seine Frau wurde und durch dessen Vermittlung er an den Berliner Hof kam.
Etwa um 1790 folgt eine entscheidende Wandlung im Stile der Graffschen Kunst. Ein äußerliches Kennzeichen ist die Tracht der Frauen, die jetzt an Marie Antoinette erinnert. Die Malweise wird eine andere. Sie nähert sich Greuze. Die Farben sind auf ein feines Perlgrau und ein helles Blau gestimmt.
Das Bildnis der Herzogin von York gehört hierher (Abb. S. 308). Es ist 1788 gemalt. Der rote Sammetmantel ist nicht mehr das Zentrum der farbigen Komposition wie in früheren Fürstenporträts, etwa dem des Prinzen Heinrich, er tritt auch räumlich zurück, ist nur noch als Kontrast da, dient allein dazu, die kühlen, grauen und blauen Töne des Bildes zur Wirkung zu bringen. Es ist eine neue Mode, ein anderer Geschmack, von dem der Künstler sich tragen lässt. Und wie es sich hier schon weniger um eine persönliche Entwicklung handelt als um ein Mitgehen mit dem Stilwandel einer Zeit, so sucht in der letzten Zeit seiner Tätigkeit, die noch ein gutes Stück in das beginnende 19. Jahrhundert hineinreicht, Graff sich dem neuen Geschmack des Empire und den großen Vorbildern der Zeit, den Klassizisten David und Gerard zu nähern.
Die Zeit will vom Porträt nicht mehr die fürstliche Attitüde, aber auch das einfache Dasein genügt nicht mehr, sondern man sucht eine persönliche, charakteristische Haltung. Frühere Versuche Graffs in der Richtung waren fehlgeschlagen. Hatte er aus dem Doppelbildnis seiner zwei Kinder ein Genrebild zu machen versucht, so blieb die Haltung steif, die emporblickenden Augen des älteren Knaben sind nicht überzeugend, weil sie offenbar nur in eine fertige Porträtaufnahme eingetragen sind. Jetzt gibt er den Buchhändler Nicolai mit der Redegeste (Abb. S. 309), den Kupferstecher Bause bei der Arbeit, Chodowiecki in charakteristischer Haltung, sich selbst auf dem Stuhle vor der Staffelei sitzend (Abb. geg. S. 301 ), und auch die großen Repräsentationsporträts der Zeit wie das des Rittmeisters von Carlowitz, des Fürsten Heinrich XIII. von Reuß, die 1805 gemalt sind, zeigen die einfache, aber individuelle Pose der neuen Zeit.
Als Künstler bleibt Graff in allen diesen Änderungen des äußeren Gewandes, die nicht eigentlich eine Entwicklung bedeuten, stets der gleiche. Er war keiner von den Großen, nicht mehr als ein tüchtiges Talent. Schon die unbedingte Beschränkung auf das Porträt weist darauf hin. Aber mit seinem soliden Können stellt er doch ein gewisses Niveau dar, einen Qualitätsbegriff, der von der deutschen Malkunst des 18. Jahrhunderts nicht allzu schlecht denken lässt. Gewiss kann sie sich nicht mit der reichen, vielgestaltigen Kunst des französischen Rokoko vergleichen, auch nicht mit der vornehmen, wenn auch niemals im letzten Grund reinen und selbständigen Kunst der englischen Porträtisten des 18. Jahrhunderts, aber in seinem umgrenzten Gebiet hat Graff als Künstler seine hohe Bedeutung, steht er als tüchtiger Könner am Eingang einerneuen Zeit, einer neuen Blüte deutscher Kunst.
300 Anton Graff – Selbstbildnis
301 Anton Graff – Bildnis Friedrich Wilhelms II.
302 Anton Graff – Bildnis des Prinzen Heinrich von Preußen
303 Anton Graff – Bildnis von Corona Schroeter
304 Anton Graff – Bildnis von Johann Adam Hiller
305 Anton Graff – Bildnis einer Prinzessin
307 Anton Graff – Bildnis von Johann Georg Sulzer
308 Anton Graff – Bildnis der Herzogin von York
309 Anton Graff – Bildnis des Buchhändlers Nicolai
300 Anton Graff – Selbstbildnis
301 Anton Graff – Bildnis Friedrich Wilhelms II.
302 Anton Graff – Bildnis des Prinzen Heinrich von Preußen
303 Anton Graff – Bildnis von Corona Schroeter
304 Anton Graff – Bildnis von Johann Adam Hiller
305 Anton Graff – Bildnis einer Prinzessin
307 Anton Graff – Bildnis von Johann Georg Sulzer
308 Anton Graff – Bildnis der Herzogin von York
309 Anton Graff – Bildnis des Buchhändlers Nicolai