Boden

Meeresfluten überströmten in der Urzeit die niederdeutschen Flächen der Weser bis hinauf an die westfälische Pforte. Zermalmter Granit, was wir Sand nennen, bildete den Grund dieser Wasserfläche. Blöcke dieses Gesteins liegen allenthalben vereinzelt in dem Boden als stumme Zeugen der Veränderungen der Urwelt, die auf unsere Fragen keine Antwort geben. Als die Wasser zurücktraten und dieser Sandboden aufs Trockene kam, bahnte sich der Fluss Weg durch die weichen Massen, fand aber nach unten den Widerstand der immer wiederkehrenden Fluten zu mächtig, und zerteilte sich in vier schmale Mündungen. So noch bis ins zwölfte Jahrhundert. Die Flut, welche über das Land mit den Mündungen des Stroms floss, brachte die Schiffe in den Fluss und führte sie fort.

Aber der Fluss strömte nicht allein den Sand, den er in seinem Laufe fand, fort, und warf hin und wieder Sandbänke auf, sondern er brachte auch jenseits seiner Pforte aus fetten Fluren feine Erdteilchen, die in seinen Wogen schwammen, da sich jene Sandzüge nur in der Tiefe wälzten. Jener ursprüngliche Sandboden bildete die Geest, der Niederschlag fruchtbarer Erdteile bildete die Marsch. Auch die trübe Woge des Meers brachte Sand, wie fruchtbare Teile, und wirkte auf dieselbige Art *).


*) Geest und Marsch heißt trocknes und sumpfiges, oder auch hohes und niedriges Land. In lateinischen Schriften des Mittelalters heißt es humidum et siccum oder auch altum et bassum. Geest und Güst ist einerlei, und bedeutet unfruchtbar.

Der Marschboden ist anfangs Slick, eine nasse breiartige Masse, in welchem schwere Körper versinken. Bald aber erzeugen sich zähe Pflanzen, die den Schlamm zusammen halten. Nicht lange, so ist derselbe so hoch, dass ihn das Wasser nicht mehr überströmt; dann wird er härter, und das tragbare Land erwartet die bearbeitende Hand des Menschen. Sechs Fuß hohe Marsch erfordert eine Zeit von achthundert Jahren. So wirkt immer die Natur erneuend, zerstörend. Noch macht die Flut bis acht und zwanzig Stunden die Weser hinauf das alte Gebiet des Meeres geltend, noch etwas weiter besuchen die Seemöwen ihr altes Reich; in einigen Jahrhunderten wird es schon anders sein.

So erhöhten sich einzelne Striche allmählich; die Wasser drängten sich zusammen; auf den Erhöhungen oder Wurten baute sich der Siedler an. Aber unsicher war diese Lage immer noch. Diese Wurten konnten nur durch Erdwälle gegen höhere Fluten geschützt werden; in dem Schutze derselben konnten die Wohnungen stehen, konnte sicher das Vieh auf den unabsehbaren Flächen weiden. Das Land jenseits blieb so niedrig, als es war, diesseits der Erdwälle oder Deiche wurde es durch neue Anspülungen höher. Durch beides wurden die Wasser immer mehr zusammengedrängt; der Strom ward gezwungen, seine schmalen Mündungen zu verlassen, und sich in eine breite Mündung zu beschränken, die auch jetzt noch ihre Entstehung verrät.

Wo der ursprüngliche Sand, also die jähhohen Ufer der Weser, oder die Geest endet, liegen die Moore, die zum Teil jenen Sandhöhen ihre Entstehung verdanken. In diesen tiefen Flächen konnte das Wasser stehen bleiben; sie nahmen die von Regengüssen und Überschwemmungen losgerissenen Gewächse in sich auf, erzeugten Wasserpflanzen, verschlangen diese wieder, in dem Maße, wie sich neue erzeugten und die alten verdrängten. Da bildete sich in diesen Tiefen auf dem festen Sandboden eine aus Pflanzenteilen bestehende Lage, durchdrungen von Erdharz, die je tiefer, desto dichter und schwerer durch den Druck der oberen Lage, je höher desto leichter, faseriger, mehr den Ursprung verratend, erschien. Dies ist das Moor, das den Torf liefert, sich immer neu erzeugt, und nur dann aufhört, wenn es mit Graben durchzogen, und so den Wasserpflanzen die Nahrung entzogen wird.

In dem Maße, wie das Meer oder der Fluss Sandbänke oder Erhöhungen aufwarf, die nach und nach den Wellen nicht mehr erreichbar waren, ward auch hier die Ansiedlung möglich. Aber nur die Bewohner der Geest waren ganz vor der steigenden Flut sicher.

Ansiedlung auf der Marsch war von der Natur dem Ackerbauer angewiesen; die Geest belohnte des Landmanns Mühe nur nach vieler Verbesserung, wenn auch nicht mit reichlichen, doch mit vorzüglichen Arten von Feldfrüchten; das Moor war am undankbarsten.

Dieses vom Meer verlassene oder ihm entrissene flache Sumpf- und Sandland gab seinen Bewohnern gegen willkürliche Herrschaft von Außen den Schutz, welche den Gebirgsbewohnern ihre unzugänglichen Felsmauern zu gewähren pflegen. Die Bewohner dieses Landes, begünstigt durch die Lage und durch Einheit der Gesinnung, hatten schon seit unbekannter Zeit dasjenige erworben und bewahrt, was jedem Menschen das teuerste ist: Unabhängigkeit von aller Willkür und selbstständiges Gemeinwesen.