Einleitung

Die Buchdruckerkunst ist seit ihrem Anfange so ungebührlich gemissbraucht worden, dass es sehr zur Frage steht, ob diese große Kunst dem Menschengeschlecht bis jetzt mehr Heil oder Unheil gebracht habe. Immer höher steigt die Bücherproduktion und immer mehr wird durch das tote Bücherwesen das lebendige Menschenwesen erstickt. Unter solchen Umständen bedarf es vor dem Richterstuhl einer höhern Kritik für jedes neue Buch des Beweises, dass es zur Existenz berechtigt ist, — dass es in sich selbst die geistige Notwendigkeit des Lebens trägt.

Diesen Beweis zu Gunsten des vorliegenden Büchleins zu führen, ist der hauptsächlichste Zweck dieser Einleitung, und es ist diese Beweisführung ziemlich weitläufig behandelt worden, weil sie zugleich die philosophische Basierung des praktischen Gebäudes enthält, das dem Leser in dieser Schrift vorgeführt wird. Dass die Wasserheilkunde im Allgemeinen zu einem Platz in der Literatur wie im Leben berechtigt ist, wird von dem urteilsfähigen Teil des Publikums nicht mehr bestritten. Es liegt mir also nur ob, hier nachzuweisen, dass dies spezielle Buch einen gerechten und notwendigen Anspruch auf einen solchen Platz habe; diese Nachweisung kann nicht anders geführt werden, als durch den Beweis, dass die bis jetzt erschienenen praktischen Lehrbücher der Hydriatrik nicht praktisch sind., d. h.: das, es nicht möglich ist, mit alleiniger Hülfe derselben jeden Krankheitsfall richtig zu behandeln, ja nicht einen einzigen mit voller Sicherheit. Zu dieser Behauptung soll diese Einleitung dadurch einen allgemeinen Beweis liefern, dass die völlige Falschheit und Unwahrheit der Fundamentalsätze unter Fundamentalkonstruktionen in allen bisher erschienenen therapeutischen Büchern, sowohl medizinischen, als hydriatrischen, nachgewiesen wird. Große Denker haben als Mahlsteine und Reliquien ihres Daseins dem Menschengeschlecht Wahrheitssätze hinterlassen, deren Konsequenzen die Wissenschaft von vielem Irrtum befreiten, und das Leben von vielem Unglück heilen würden ,— wenn die Masse der Menschen im Stande wäre, diese Konsequenzen zu erspähen und dann anzuwenden. Einer dieser großen Wahrheitssätze ist derjenige, den Alexander Humboldt in seiner physikalischen Geographie (Vorlesung im Manuskript) so ausdrückt: „In der Natur und im Leben gibt es keine genera und species, sondern nur Individuen.“ Dieser Satz ist unter allen denen, welche der vielüberschätzte Naturforscher ausgesprochen hat, bei weitem der wichtigste, und wenn Humboldt zuerst in einer scholastischen Zeit (wir stecken trotz der stolzen Träume unserer sogenannten Philosophen noch tief in den Windeln der Scholastik und Wortgelehrsamkeit) diese Wahrheit gefunden hätte, so würde dieser einzige Fund hinreichen, den Humboldt in die erste Reihe der modernen Naturforscher zu stellen. Aber dem ist bei Weitem nicht so: denn schon Locke und Newton sprechen diesen Satz dem Geiste nach mehr als einmal aus und J. J. Rousseau stellt ihn mit dürren Worten auf.


Ich glaube nicht, dass es Not tut, die Wahrheit des zitierten Satzes weitläufig zu beweisen; denn so viel ich weiß, ist eben so wenig ein Zweifel oder Einwand dagegen erhoben, als auf der andern Seite eine Anwendung davon bis jetzt auf die Wissenschaften gemacht ist. Dies Letztere ist ein höchst bedauernswertes Faktum, und ist mir für meine Person ein Beweis, dass die Intelligenz unter dem Menschengeschlecht in der modernen Zeit sehr viel geringer ist, als sie in der antiken es war. — Die konsequente Verfolgung und Anwendung jenes Satzes würde in fast allen Wissenschaften eine heilsame Krisis und Revolution hervorbringen. — Wenn ich mit meinen schwachen Kräften mich an diesen Versuch wagen will, so darf ich doch in diesem Buche dabei nur die Heilwissenschaft im Auge haben, und muss meine weiteren Gedanken einer späteren Arbeit aufbewahren.

Wie die Einteilung der Begriffe und Dinge in Klassen oder Gattungen, in genera und species entstanden ist, und wie sie absolut unentbehrlich für den menschlichen Geist ist, darüber werde ich weiter unten sprechen. Hier nur ein Paar Worte darüber, dass sie außerhalb des menschlichen Kopfes gar nicht existiert, also in objektiver Beziehung eine völlige Unwahrheit ist.

Man teilt in der Naturkunde die Dinge ein in Tiere, Pflanzen und Mineralien. Aber es fehlt die Abgrenzung zwischen diesen Haupteinteilungen; sie verschwimmen durch eine Folge einander ähnlicher Individuen so in einander, dass nirgends eine Grenze anzugeben ist. Gehen wir weiter hinab in die Unterabteilungen, in die classes, genera und species, so schiebt sich zwischen die zwei einander angrenzenden Unterabteilungen immer wieder eine Unter-Unterabteilung so ein, dass keine bestimmte Abmarkung möglich ist, und zwischen allen Unter-Unterabteilungen finden sich immer wieder Individuen, die nicht ganz in die eine und nicht ganz in die andere passen, die vielmehr die Verbindung zwischen den gemachten Abteilungen bilden und eben dadurch so aufheben, und alles Abteilungswesen als völlig unwahr darstellen. Ich erinnere endlich noch an die sogenannten Spielarten im Tier- und Pflanzenreich, die den sogenannten Naturforschern viel Kopfbrechen machen, d. h. denjenigen Naturforschern, welche nicht erkennen, dass alles Einteilen der Dinge in classes, genera und species in objektiver Beziehung eitel Unwahrheit ist.

Eben so wenig, wie man die Dinge außer dem Menschen mit Wahrheit klassifizieren kann, eben so wenig kann man die Prozesse und Erscheinungen im Geiste, im Gemüte und im Körper des Menschen klassifizieren. Man teilt die Temperamente in Klassen — aber jeder Mensch hat ein anderes Temperament als irgend ein anderer Mensch; es gibt in Wahrheit aufs Haar eben so viele Temperamentsklassen, als es Menschen gibt, und alle diese Temperamente, wenn man sie nach Verwandtschaft und Ähnlichkeit ordnet, und neben einander stellt, verschwimmen so unmerklich in einander, dass nirgends eine Grenze anzugeben, und somit auch keine Klassenabteilung derselben in Wahrheit möglich ist.

Wenn schon im Geiste und Körper des Menschen bei denjenigen Prozessen, welche nicht abnorm und nicht naturwidrig sind, jede Klassifikation Unwahrheit ist, so muss dies noch mehr bei denjenigen Prozessen der Fall sein, welche abnorm sind, also bei den Krankheiten. Und so ist es auch.

Die Art und Beschaffenheit einer Krankheit wird durch vier Momente bedingt. Erstens durch die ursprüngliche Constitution des kranken Individuums; zweitens durch die Art der krankheitsbedingenden Ursache des Krankheitsstoffes; drittens durch die Masse der krankheitsbedingenden Ursache und viertens durch den Sitz der Krankheit in diesem oder jenem Organe oder in Organen. Aus diesen Punkten zusammengenommen ergibt sich als notwendige Folge die Kraft und Art der Gegenwirkung des Organismus gegen die Krankheitsursache, und daraus ergeben sich die Krankheitszeichen, die Symptome, Wenn nun schon zugestanden werden muss, dass es nicht zwei gesunde Individuen gibt, die einander im Körperbau, in allen Organen und dem Verhältnis derselben zu einander völlig gleich sind, so ist es klar, dass diese Ungleichheit noch viel stärker werden muss, wenn drei neue Momente und Ursachen der Ungleichheit hinzutreten, wie dies beim kranken Individuum durch die Art, die Masse und den Sitz der Krankheitsursache, des Krankheitsstoffes der Fall ist.

Also gilt von den Krankheiten in noch höherem Grade dasselbe, was oben von den Temperamenten in Bezug auf Klasseneinteilung gesagt wurde. Die willkürlich gemachten genera und species von Krankheiten existieren gar nicht, weil sie in Wirklichkeit der Abgrenzung und somit des Anfangs und des Endes entbehren, und weil von den in einer solchen Krankheitsgattung zusammengefassten Krankheitsfällen oder Krankheitsindividuen kein einziger dem andern gleich ist, sondern nur mehr oder minder ähnlich. Es ist sehr selten, dass man bei zwei Menschen, die von derselben Krankheitsspezies, z. B. vom Nervenfieber befallen sind, nicht verschiedene Krankheitszeichen wahrnehme (als Beweis des wirklich verschiedenen Krankheitswesens), und selbst da, wo dies nicht der Fall ist, liegt die Ursache nicht in der völligen Gleichheit der Krankheitszeichen, sondern allein in der unzureichenden Schärfe der menschlichen Wahrnehmungen. — Wer mehr über dies Thema lesen will, und auch, wer einen Anstoß an dem oben gebrauchten Worte „Krankheitsstoff“ nimmt, den verweise ich auf meine beiden früheren hydriatrischen Schriften*). —

*) Miscellen zur Gräfenberger Wasserkur. 1846. Über die gewöhnlichen ärztlichen Missgriffe beim Gebrauch des Wassers als Heilmittel etc. 1847.

Aus dem Nichtvorhandensein der Krankheitsklassen im Leben und aus der Verschiedenheit der Krankheitszeichen und des Krankheitswesens an und in den verschiedenen kranken Individuen ergibt sich die Nochwendigkeit, dass jeder Kranke einer eigentümlichen Behandlung bedarf. Ja, es kommt nicht selten vor, dass wenn man zwei von derselben Krankheitsspecies, z. B. vom Nervenfieber Befallene, auf gleiche Weist behandeln wollte, man dadurch notwendig dem Einen den Tod, dem Andern notwendig die Gesundheit geben würde. Es bedarf also für die Ausübung der Heilkunst nicht einer Anleitung, wie jede der sehr gelehrt klassifizierten Krankheitsgattungen oder Krankheitsarten, sondern vielmehr wie jeder einzelne Kranke behandelt werden muss. Die Wahrheit und Notwendigkeit dieses letzteren Satzes drängt sich so sehr jedem Menschenverstand auf, dass selbst diejenigen, welche mit dicken Büchern gegen denselben gesündigt haben, gezwungen gewesen sind, ihn anzuerkennen und auszusprechen, aber freilich in einer Weise, dass dadurch der Unsinn ihrer dicken Bücher mit dem Scheine eines halben Sinnes übertüncht ist. Ihre Phrasen lauten nämlich so: „ein Handbuch der Heilkunst kann nur die Behandlung der Krankheiten im Allgemeinen lehren; diese Behandlung aber muss bei jedem einzelnen Kranken anders modifiziert werden — das ist die Kunst des Individualisierens, welche nicht aus Büchern, sondern nur aus der Praxis erlernt werden kann.“ Nur der ganz stumpfe, oder durch Wortgelehrsamkeit verblödete Menschenverstand kann den doppelten Unsinn solcher und ähnlicher Phrasen übersehen. „Krankheiten im Allgemeinen“ heißt direkt nichts Anderes, als Krankheitsgattungen; solche Krankheitsgattungen und Klassen existieren aber im Leben und in der Wahrheit gar nicht, folglich heißt „sie behandeln und heilen lehren“ so viel wie „die Anweisung geben, wie man ein nicht existierendes Ding behandeln und aufheben soll.“ (Die Produktion solcher Anweisungen, deren eine ungeheure Menge in dickleibigen medizinischen und hydriatrischen Schriften existieren, ist allein schon Beweis genug, dass unsere Zeit auf die trübseligste Weise in Wortgelehrsamkeit und Scholastik versunken ist.) Der Kern der obigen Phrase ist aber selbst dann noch ein praktischer Unsinn, wenn die Einteilung der Krankheiten in Klassen eine Wahrheit wäre; denn dann lautet die Phrase in der Sprache des nicht scholastisierenden, sondern zersetzenden Menschenverstandes also: „Ein Handbuch der Heilkunst kann nur lehren, die Krankheiten in concreto (die von der äußern Existenz abgezogenen und abgesonderten Begriffe von den Krankheitsklassen) zu behandeln, nicht aber die Krankheiten in concreto (die an den existierenden Individuen haftenden Krankheiten, d. h. die kranken Individuen).“ Die absolute Unbrauchbarkeit solcher Handbücher in praktischer Beziehung ist also in dem eigenen Bekenntnis derselben auf das Bündigste ausgesprochen.

Die mir bekannt gewordenen Handbücher der Wasserheilkunst sind sämtlich nach der Regel der Krankheitsklassifikation konstruiert*) und namentlich schreibt Munde aus den Handbüchern der Allopathie den Grundsatz wörtlich ab, dass die Kunst des Individualisierens nur durch die Praxis erlernt werden könne.

*) Ich muss bekennen, dass ich von den hydriatrischen Schriften nur die bekanntesten und am häufigsten aufgelegten gelesen habe, etwa ein halb Dutzend. Dennoch kann ich mit Sicherheit annehmen, dass in den übrigen mir unbekannten Schriften der alte Irrtum der Heilung nach Krankheits-Gattungen und Arten ebenfalls fortlebt; denn wäre unter diesen und letzteren eine, welche die wahren Prinzipien der Heilkunst enthielte, so müsste sie die bekannteste und gelesenste unter allen sein. J. H. Rausse.

Er bekennt dadurch selbst die Unbrauchbarkeit seines mühsam zusammengebrachten dicken Buches.

Die Kunst des Individualisierens oder die Kunst, jeden Kranken sicher und richtig zu behandeln, beruht auf sehr wenigen, sehr einfachen und sehr mitteilbaren Fundamentalsätzen, und braucht zum Zweck des Heilens durchaus nicht herumzuraten, welche von den sehr gelehrt klassifizierten Krankheiten der Kranke besitze. Diese Grundsätze werden in dieser Schrift in einer Weise mitgeteilt werden, dass Jedermann ohne saures Studium sie fassen und ohne Gefahr des Fehlgreifens sie ausüben kann; bei der Mitteilung werden alle Regeln der äußersten Vorsicht beobachtet und eingeschärft werden.

Dass diese Grundsätze einfach, geringe an Zahl von dem gesunden Menschenverstande ohne alle Hilfe einer positiven Wissenschaft auffindbar und untrüglich in der Ausübung sein müssen, das kann man auf drei ganz verschiedenen Wegen beweisen:

1) Auf dem philosophischen Wege. Alle Wissenschaften, die nicht bloß als Irrtum im Wahn der Menschen existieren, sondern auch außerhalb seines Schädels als Wahrheit vorhanden sind, entspringen in strenger Konsequenz aus einem oder wenigen einfachen Sätzen, (so wie nach der Meinung aller bedeutenden Naturforscher die unendliche Mannigfaltigkeit der Naturerscheinungen aus einem obersten Naturgesetz entspringen muss) aus welchen ähnlich der sinnlichen Figur eines Stammbaums die Töchtergesetze sich weiter abwärts verzweigen.

2) Auf dem deistischen Wege. Da die Gesundheit ein unbedingtes Menschengut und weiter die Bedingung des Gelingens aller wahren Kulturbestrebungen ist, so muss notwendig der Weltgeist die Erhaltung und Herstellung der Gesundheit nicht an sehr gelehrte, sehr komplizierte und eben deshalb sehr trügliche Grundsätze gebunden haben, sondern an solche Bedingungen, deren Verständnis jedem Menschen gleich von der Geburt an mit auf den Lebensweg gegeben ist. Wären jene Grundsätze an Gelehrsamkeit und Wissenschaft gebunden, so würden alle ungelehrten und doch schon mit Krankheiten behafteten Völker eines absoluten Menschengutes, der Gesundheit, entbehren müssen, was unmöglich ist, wenn man nicht annimmt, dass ein böses Wesen auf dem Weltenthron sitze.

3) Auf einem ganz speziellen Erfahrungswege. Alle diejenigen Männer, welche bei Entdeckung und Vervollkommnung der Wasserheilkunde selbsttätig gewesen sind, entbehrten derjenigen gelehrten Bildung, welche man die medizinische zu nennen pflegt, und alle jene Männer waren bei ihrer entdeckenden und bildenden Tätigkeit nicht auf die Hilfsmittel jener Gelehrsamkeit, sondern allein auf die Beobachtung der Natur durch ihren Menschenverstand angewiesen. Zu der hier einschlagenden Natur gehören vor allen Dingen die verschiedenen Äußerungen des körperlichen Gefühls in gesunden und kranken Tagen.

Es ist eine bekannte Tatsache, dass unter den vielen von Medizinern verfassten hydriatrischen Schriften keine einzige ist, welche entweder auf die Fortbildung der Wasserheilkunde einen wesentlichen Einfluss geübt, noch überhaupt einen bedeutenden Leserkreis gefunden hat.

Wenn aber — so kann man weiter schließen — die wahren Grundsätze der Heilkunst die Eigenschaften der Einfachheit, leichten Auffindbarkeit und Untrüglichkeit in der Ausübung notwendig haben müssen, so sind alle diejenigen Systeme von Grundsätzen, welche jene Eigenschaften entbehren, dadurch schon 2 priori als Irrtümer gezeichnet.

Zu dem bisher in dieser Einleitung Gesagten muss ich noch eine Betrachtung und eine Erklärung hinzufügen.

Die Betrachtung trifft die Unzuverlässigkeit aller Heilkunst für den Fall, dass die Klassifikation der Krankheiten in genera und species eine Wahrheit wäre, und dass die Ausübung der Heilkunst auf der Basis dieser Klassifikation beruhen müsste. Denn dann wäre zur sichern und richtigen Wahl der Heilmittel notwendig, die Art und das Wesen der Krankheit oder besser gesagt, jedes besondern Krankheitsfalles richtig zu erkennen, und es würde, aus einer Misskennung des Krankheitswesens notwendig ein Missgriff in den Kurmitteln folgen. Wie häufig diese Missgriffe sein würden, geht aus dem Wesen der menschlichen Natur hervor, die bekanntlich der Gabe der Intuition entbehrt, und deshalb unfähig ist, das Wesenhafte der Dinge und Erscheinungen mit einiger Sicherheit zu erkennen.

Auch der allerbegabteste und geübteste Arzt irrt bisweilen bei Beurteilung des Wesens eines Krankheitsfalles, und alle berühmtesten Ärzte der alten und neuen Schule bekennen, dass sie während ihrer Praxis oft geirrt haben, und häufig nicht ganz sicher vor Irrtum waren. Wie viel mehr und öfter aber muss ein Laie dem Irrtum ausgesetzt sein, und was vollends soll ein Laie in der Semiotik und Pathologie mit solchen und ähnlichen Büchern beginnen, wie die sogenannten „Hydrotherapien“ des Herrn Munde und Anderer sind! Soll er etwa nach den Symptomen und Zeichen, die in solchen Büchern angegeben und aus einer allopathischen Pathologie abgeschrieben sind, den Namen und das Wesen einer Krankheit erraten, z. B. erraten, ob es eine Lungen- oder Brustfell-Entzündung sei, oder ob die Entzündung in der Leber oder im Herzen oder im Zwergfell oder in der Milz etc. ihren Sitz habe? Soll er, wenn er die Art der Krankheit erraten zu haben glaubt, dann das unter ihrer Rubrik vorgeschriebene Heilverfahren ausüben? Kein Mensch, der ein Gewissen hat, wird ein fremdes Leben auf solches Spiel des Zufalls setzen! Oder soll der Laie zu einem Mediziner schicken, sich von ihm den Namen der Krankheit sagen lassen, sodann den Namen im Register der „Hydrotherapie“ nachschlagen und schließlich nach der unter dem Krankheitsnamen angegebenen Methode darauf loskurieren? Schade nur, dass der Mediziner in den meisten Fällen auf den ersten Blick selbst aus dem genus und der species der Krankheit nicht recht klug werden kann, und dass der Laie, für den Herr Munde und Konsorten doch geschrieben, haben, absolut unfähig hierzu ist! Denken wir indessen diese Schwierigkeit glücklich überwunden, den Laien im richtigen Erkenntnisbesitz der Krankheit, ihrem Namen und ihrer Art nach — dann kommt nachträglich noch ein unübersteigliches Hindernis, nämlich die Notwendigkeit, die Kunst des „Individualisierens“ zu verstehen, wenn man das Wasser richtig anwenden will, „eine Kunst, die kein Buch, sondern nur die Praxis lehren kann.“ — Ich wiederhole es, nur in einer Zeit und unter Menschen, die durch Scholastik und Wortgelehrsamkeit um den besten Teil des gesunden Menschenverstandes gebracht sind, können sich Leser zu Büchern finden, die voll so leicht erkennbaren Unsinns und innerer Widersprüche sind, wie dies bei sämtlichen therapeutischen Handbüchern der Medizinkunst und Wasserheilkunde bis jetzt der Fall gewesen ist.
Wenden wir uns indes noch einmal und zum letzten Mal zu einer Kritik der Krankheitsklassifikation und darauf basierter Heilmethode, von einem Standpunkte aus, auf den ich meine Leser bisher noch nicht geführt habe. Angenommen auch die Wahrheit der Klassifikation, angenommen ferner die Möglichkeit, nach der Symptomologie und Semiotik der fraglichen Schriften jene genera und species richtig anzusprechen: so ergibt sich gleich noch eine Schwierigkeit, an deren Vorhandensein oder gar Hebung die bisherigen Verfasser von therapeutischen Handbüchern gar nicht gedacht haben. Nämlich die chronischen Krankheiten bestehen mit seltener Ausnahme nicht aus einer alleinigen der klassifizierten Krankheiten, sondern aus dem Zusammentreffen mehrer in dem kranken Individuum; sie sind oft vielfach kompliziert (dies ist in der Weise der klassifizierenden Bücher gesprochen; richtiger sollte man sagen: die chronischen Krankheitszustände sind gewöhnlich aus dem Kranksein mehrer von sich unabhängiger Organe und Symptome zusammengesetzt). Auch die akuten Krankheiten sind oft zusammengesetzter Natur, wenngleich minder oft, als die chronischen. Um ein solches Gesamtkrankheitswesen richtig zu erkennen und zu behandeln, wäre es also notwendig, zuerst die Einzelwesen zu erkennen und in der Erkenntnis zu sondern, um dann zu ermessen, gegen welches der Einzelwesen die Kur zuerst und am meisten gerichtet werden soll. Wenn dies Buch dem Spaß gewidmet wäre, könnte ich mir hier den Spaß machen und mittels der mathematischen Formel für die Kombinationen und Variationen nachweisen, dass die Zahl der möglichen Krankheitsverbindungen bei zu Grunde gelegter Zahl der einfachen Krankheiten nach mäßigster Angabe der gebräuchlichen Pathologien die Summe einer Million bei Weitem übersteigt. Ich könnte ferner darauf aufmerksam machen, dass jede Kombination noch wieder in eine große Zahl von Unterabteilungen zerfiele, dadurch dass die Starke jeder der kombinierten Krankheiten in ihrem Verhältnis zu einander bei keinen zwei Krankheitsfällen gleich ist; dass also nötig wäre, diesen Stärkegrad in Bruchteilen anzugeben, wenn man die Kraftsumme der gesamten Kombination = 1 setzte. Die Ausführung solcher Rechnungen, wenn sie möglich wäre, würde einen arithmetischen Beweis zu dem Axiom liefern, dass es genau so viele Klassen von Krankheiten gibt, als einzelne Krankheitsfälle vorkommen. Da dies nun in der Zukunft eben so sein wird, wie es in der Vergangenheit und Gegenwart war und ist, so folgt aus dem bisherigen Räsonnement, dass die Heilungsmethode nach Klassifikation der Krankheiten, wenn sie nicht der notwendigen Sicherheit entbehren soll, der genauen semitischen Zergliederung aller zukünftigen Krankheitsfälle bedürfte (weil Krankheitsfall mit Krankheitsklasse gleichbedeutend ist), und dass in dem also konstruierten therapeutischen Handbuch für die Ausübenden noch durch Nummern angegeben sein muss, in welche der Krankheitsklassen jeder zu behandelnde Kranke gehöre; denn kein Menschlicher Scharfsinn könnte dies herausfinden.

Man sieht hier, zu welcher riesenhaften Absurdität der Irrtum eines Gedankens für das beobachtende Auge sich vergrößert, wenn man die Konsequenzen dieses Irrtums mit Schärfe verfolgt und darlegt. Dass ich dies mit dem Irrtum der Krankheitsklassifikation von allen Standpunkten aus in alle Richtungen mit solcher Ausführlichkeit hier vorgenommen habe, war eine Notwendigkeit, die durch die Verbreitung, das Alter, und die unumschränkte Herrschaft dieses Irrtums herbeigeführt worden ist. —

Die Erklärung, auf deren notwendige Hinzufügung zu dem Bisherigen ich oben im Voraus hingewiesen habe, betrifft das Wesen der Einteilung, der Dinge in Gattungen oder Klassen im Allgemeinen. Obgleich eine erschöpfende Erörterung dieses Wesens nur in ein Buch gehört, das sich mit der Natur des menschlichen Geistes beschäftigt, so hielt ich hier eine Aufstellung solcher Erörterung doch um deshalb notwendig, weil ich ohne dieselbe des Widerspruchs mit mir selbst beschuldigt werden würde — wenn nicht von allen, so doch von vielen Lesern dieser Schrift.
Die Einteilung der Individuen in Gattungen und Arten ist:

1) eben so unentbehrlich für den Menschen, wie sie
2) gefährlich ist, und
3) deshalb mit größter Vorsicht gebraucht werden muss, wenn sie nicht alle Gebiete der menschlichen Erkenntnis mit Irrtum und Unwahrheit bevölkern soll.

ad. 1. Zuerst einige Worte über ihre Unentbehrlichkeit. Dieselbe ergibt sich aus zwei Ursachen a) daraus, dass der Mensch keinen intuitiven Geist besitzt, und b) daraus, dass er zu keiner Sachsprache fähig ist, sondern nur zu einer Wortsprache.

ad. a) Mangel der Intuition. Die F?higkeit des Durchschauens durch die Oberfläche hindurch bis in die Tiefe des Wesens der Dinge, ohne die Hilfsoperation anderer geistiger Bewegungen, ohne eine andere Tätigkeit als die des Schauens — dazu die Fähigkeit, mit jedem Blick zu umspannen die Absonderungen, sowohl die körperlichen als die geistigen, d. h. die Zahl der Dinge, ohne der Operation des Zählens zu bedürfen — das ist es, welches ich zusammen unter „Intuition*)“ verstehe, und das ist es, was ich für ein notwendiges Attribut Höherer Wesen halte. Die Intuition schauet Alles in der vollen Wahrheit, sie schaut das Nichtvorhandensein der Gattungen, weil sie die unabgrenzbaren Übergänge zwischen den Gattungen und die Unähnlichkeit der in einer Gattung durch Menschenwillkür und Konvention zusammengefassten Individuen schaut, weil sie schaut, wie die Gesamtheit der Individuen, ihren Erkennungszeichen nach gleichmäßig ohne Sprung oder Kluft sich aneinanderreihend, jedes ungleich dem andern, aber jedes ähnlich dem Nachbar, zusammen das wohl- und eng- und ohne Kluft zusammengefasste All der Dinge bilden. Also schauend ist der Mensch nicht. Sein Geist bedarf zu jeder Bewegung (Tätigkeit) der Krücken- und Gängelbänder, er bedarf, um zu einem Erkenntnisresultat zu kommen, mühsamer und komplizierter Operationen: „er muss zuerst die Sensationen in sich aufnehmen; dann muss er sie mit einander verbinden (Bildung der Begriffe); dann muss er die Begriffe mit einander vergleichen (Bildung der Urteile); er kann in vielen Fällen nicht direkt, sondern nur durch Hülfe der Analogien zu einem Urteile gelangen u. s. w.“

*) Ich weiß wohl, dass ich dem Worte „Intuition“ eine von dem deutschen philosophischen Sprachgebrauch abweichende Bedeutung beilege. Das Motiv dazu, so wie die weitere Entwicklung der Eigenschaften und Wirkungen der Intuition kann ich an diesem Orte nicht besprechen. Kant in seiner „Kritik der reinen Vernunft“ gebraucht das Wort „Spontaneität“ in einem Sinne, welches dem ähnlich ist, aber nicht gleich, welchen ich mit dem Worte ,,Intuition“ bezeichne. J. H. Reusse.

Zu allen diesen Operationen bedarf er der Einteilung der Dinge in genera und species, und somit der Gattungsbegriffe und Gattungsworte. Die Gattungsworte stehen gegenüber den Individuumswörtern oder Eigennamen. Wenn der Mensch die Gattungsbegriffe und Worte nicht hätte, wenn er z. B. den Gattungsbegriff „Baum“ nicht hätte, so müsste er sämtlichen Baumindividuen Eigennamen geben und statt des Gattungsbegriffes „Baum“ sämtliche Eigennamen und Gestalten alter Baumindividuen hintereinander sich im Geiste vorführen. Dass dies dem menschlichen Geiste unmöglich ist, steht Jedermann ein, und wie es sich beim Gattungsbegriffe „Baum“ verhält, so ist es auch bei allen andern Gattungsbegriffen: Haus, Mensch, Tier etc.

ad. b) Mangel einer Sachsprache. Eben so notwendig und noch fast notwendiger wie zum Selbstdenken und zur Erkenntnis bedarf der Mensch der Gattungs-Begriffe und Worte zur Mitteilung, denn er hat keine Sachsprache, und ist seiner ganzen Natur nach unfähig zu einer solchen. Wenn er einen Komplex von ähnlichen Individuen einem andern Menschen vor den Geist bringen will, so würde er, ohne den Besitz von Gattungsbegriffen und Worten, alle einzelnen Individuen des Komplexes oder der Gattung mit Eigennamen herzählen müssen, welches unmöglich ist. Wenn aber der Mensch zu einer Sachsprache fähig wäre, so würde er alle einzelnen Individuen der Gattung vor das Auge des Andern in einem wirklichen und völlig ähnlichen Bild hinstellen können; z. B. bei einem Komplex von Tönen das wirkliche Bild aller einzelnen Töne des Komplexes. Ich sage absichtlich: „das Bild der Töne.“

Der Mensch ist, abgesehen von vielen andern Ursachen, zu einer Sachsprache um deswillen nicht fähig, weil der Wege, auf denen er die Bilder der Dinge empfängt, fünf sind, statt eines einzigen, wie dies letztere bei vollkommenen Wesen der Fall sein muss. Weil das Auge des Menschen nicht fähig ist, die Töne zu sehen und er dennoch der sinnlichen Wahrnehmung der Töne notwendig bedarf, so ist ihm der materiellere Sinn des Gehörs gegeben worden. Weil sein Auge die feinste Ausdehnung der Dinge nicht sehen kann, ist ihm der grobmaterielle Doppelsinn des Geruchs und Geschmacks gegeben; weil das Organ des Sehens auf eine kleine Stelle beschränkt ist, musste den übrigen blinden Teilen des Leibes als Ersatz der Sinn des Gefühls gegeben werden. Schon wegen der physischen Erhaltung des Menschen war dieses Alles notwendig. Es scheint mir gewiss, dass zwischen dem Weltgeiste (Gott) und dem Menschen es Mittelwesen gehen müsse, die nur den einen Sinn des Auges haben ohne Beschränkung auf eine Einzelstelle und mit einer Sehkraft in das Wesen der Dinge, mit einer Sehkraft, die auch diejenigen Dinge schaut, die wir die übersinnlichen nennen, und die nur über unsern Sinnen stehen, weil unser Auge zu blöde ist, und unsere übrigen Sinne zu grobmateriell und tierisch sind. Auf den schöneren Sternen, die aus sich selbst den leuchtenden und nie erlöschenden Glanz des Tages erschaffen, wohnen vielleicht die vollkommneren, schöneren Wesen mit dem leuchtendstenden Auge, das keine Schranken kennt!

ad. 2) Die Gefährlichkeit, die mit dem Gebrauch der Gattungs-Begriffe und Wörter verbunden ist, entspringt aus dem so gewöhnlichen Irrtum, dass diese Gattungen in der Wirklichkeit vorhanden seien. Sobald dieser Irrtum in die Wissenschaft gedrungen ist, tötet er ihr Leben und ihre Wahrheit. Sobald dieser Irrtum sich der Menschen bemeistert hat, drängt er sie, auch da zu klassifizieren, wo der menschliche Geist dieser Krücke nicht bedarf; ja, dieser Irrtum verleitet die Menschen zu dem Wahn, dass der tiefste Inbegriff aller Philosophie und Wissenschaft in der scharfen Sonderung der Dinge in Klassen und noch mehr in der Zerspaltung dieser Klassen in Unter- und endlose Unter-Unterabteilungen bestehe. Vor solchem Wahn entflieht der lebendige Geist aus der Wissenschaft, und zurück bleibt ein Chaos endlosen und toten Details, indem der menschliche Geist verirrt und alles Verständnisses der Seele einer Wissenschaft und aller Uebersicht des Verhältnisses der Wissenschaften zu einander beraubt wird. Wenn auf solche Weise die lebendige Wissenschaft getötet ist, dann wird der Kadaver unter den Händen der Scholastiker anatomisch präpariert, und liefert in letzter Instanz die Mumie der toten Wortgelehrsamkeit, die unverändert durch Jahrtausende dieselbe bleibt.

ad. 3) Die Vorsicht, mit welcher die Klassifikation der Dinge geübt werden muss, besteht am meisten darin, dass Jedermann, der die Gattungsbegriffe und Worte gebrauchte, wohl wisse, dass sie nur eine Nothilfe für den menschlichen Geist seien, ohne objektive Wahrheit oder Existenz. Aus diesem Wissen folgt dann notwendig, dass man sich vor unnötigen Verengerungen und vor Zerspaltung in Unterabteilungen sorgfältig hütet, und dass man diese Zerspaltung und Verengerung noch viel mehr vermeidet, wenn sie nicht nur unnötig ist, sondern sogar auf die Natur einer Wissenschaft und den Zweck ihrer Ausbildung störend und verwirrend einwirkt.
Verfolgen wir nun die Konsequenzen dieses letzten Satzes in spezieller Beziehung auf die Ausübung der Heilkunst.

Die Lehre vom Wesen der Krankheiten, d. h. von den innern Prozessen und dem Sitze der Krankheiten, so wie von der Art der krankheitsbedingenden Ursache und der Beschaffenheit des Krankheitsstoffes, heißt die Krankheitslehre (Pathologie in engeren Sinne; denn im weitern Sinne gehört auch die Nachweisung der Veranlassung der Krankheiten, so wie die Beschreibung der wahrnehmenden Krankheitszeichen und deren Wesen und Bedeutung in die Pathologie). Jede Krankheitslehre bedarf notwendig der Klassifikation der Krankheiten nach dem innern Krankheitswesen; nur muss sich der Pathologe vor zu vielen Klassen und Unterklassen hüten, wenn er nach Wahrheit und Erhaltung des Lebens und Geistes seiner Wissenschaft strebt. Hat er aber zu seinem Zweck die tote Wortgelehrsamkeit (den Schein wahrer Gelehrsamkeit) und die Ertötung der Wissenschaft, so kann er nie zu viele Zerklüftungen der Klassen vornehmen. In der neueren Zeit ist ausschließlich dieser letzte Zweck verfolgt worden, und zwar mit dem allerausgezeichnetsten Erfolg.

Die Heilkunst kann dagegen bei ihrer Ausübung nicht an die richtige Erkenntnis des Krankheitswesens gebunden sein, weil diese Erkenntnis schon in der Theorie unsicher, in der Praxis gar tausend Irrtümern ausgesetzt ist und weil notwendig die Heilkunst auf einer Basis beruhen muss, die jeden Irrtum und Fehlgriff unmöglich macht, wie dies oben bereits auf drei verschiedenen Wegen nachgewiesen wurde. Diese Basis nun ist keine andere, als der Inbegriff der sinnlich wahrnehmbaren Krankheitszeichen, und zwar nur derjenigen Krankheitszeichen, die so deutlich und so markiert sind, dass bei ihrer Auffassung kein Mensch irren kann, der seine gesunden fünf Sinne hat.

Es gibt in jedem genus von Krankheiten eine Menge species von Krankheiten, die in ihren einzelnen Stadien so übereinstimmende Krankheitszeichen haben, dass die species schwer oder gar nicht von einander unterschieden werden können. Alle gleichzeitigen Stadien der dem Wesen nach verschiedenen Krankheiten bedürfen genau einer ganz gleichen Behandlung. Die Wahrheit dieses Satzes kennt jeder praktische Wasserarzt; diese Wahrheit ist selbst in der ,Hydrotherapie“ von Munde und andern hydriatrischen Schriften tatsächlich dadurch ausgesprochen, dass für die einander entsprechenden gleichzeichnigen Stadien wirklich ganz verschiedener Krankheiten dieselbe Behandlungsweise vorgeschrieben ist, und dass für dieselbe Krankheit so viele verschiedene Behandlungsarten gelehrt sind, als die Krankheit verschiedenzeichnige Stadien hat. Man sieht hieraus, dass indirekt auch in Mundes und Anderer hydriatrischen Schriften ein gut Teil der wahren Heilkunst enthalten ist, aber so versteckt in der heillosen Verwirrung, die durch eine falsche Klassifikationsnorm und durch unnötige Zerklüftung in Unterlassen hervorgebracht ist, dass diese Bücher völlig unbrauchbar für die Praxis sind, und selbst gefährlich für Jeden, der nicht durch eignes Nachdenken die falsche Norm der Klassifikation und die falsche Klassenzerklüftung in diesen Büchern erkannt hat. —

Wenn, wie oben gezeigt, die Ausübung der Heilkunst lediglich auf der Auffassung der deutlichsten und markiertesten Krankheitszeichen und auf der Behandlung aller gleichzeichnigen Stadien und Zustände beruhen muss; wenn ferner, wie noch früher gezeigt, jede Gedankenreihe der Klassifikation nicht entbehren kann, so ergibt sich hieraus auf das Evidenteste, dass in der Heilkunst die Norm der Klassifikation keine andere sein könne, als die Krankheitszeichen, und zwar nur diejenigen Krankheitszeichen, welche völlig deutlich und unverwechselbar für jeden mit gesunden Sinnen begabten Menschen, nimmermehr aber das Krankheitswesen, das von keinem Menschen stets sicher erkannt werden kann.

Wenn man die Wasseranwendung nach Krankheitszeichen lehrt, so lehrt man damit auch die Kunst des Individualisierens; denn es kommen nicht zwei zu derselben Krankheitsgattung gehörende Krankheitsfälle vor, die nicht verschiedene Krankheitszeichen, mindestens dem Grad nach hätten. Es wird unter tausend Typhuskranken niemals zwei geben, deren Puls während der ganzen Krankheit in einander gleichem Tempo gehen, deren Durchfälle in Bezug auf Qualität und Quantität der Ausscheidungen einander ganz gleich sind; deren Behandlung also auch jedenfalls in Bezug auf Kälte und Häufigkeit der Wasseranwendung verschieden sein wird. Ebenso verhält es sich in allen anderen Krankheiten: es hat nie zwei Krankheitsfälle gegeben, in denen die Krankheitszeichen völlig gleichlautend waren, wenn man alle Momente der Unterscheidung ins Auge fasste. —

Nun, mein lieber Leser, übergebe ich dir dies Buch und spreche vor Allem den Wunsch aus, dass dein Verstand schlicht und wahr sei, unverdorben durch Wortgelehrsamkeit und Scholastik; ich füge den zweiten Wunsch hinzu, dass deine ganze Seele mit Natursinn durchwebt sei, dass sie sprossend sei, wie der Frühling, und lebendig, wie der Puls im heißblütigen Jünglingsherzen!