Portland, den 12. September 1893.

Wir mussten am 10. September in Livingstone Früh 4 Uhr auf der Bahn sein, fuhren aber erst um 6 Uhr ab, die Züge haben gewöhnlich 1 bis 2 Stunden Verspätung, was bei den großen Entfernungen nicht zu wundern ist. Von Livingstone bis San Francisco haben wir 400 deutsche Meilen zurückzulegen und müssen dreimal im Schlafwaggon übernachten. In unserer Gesellschaft waren die vier Elektriker aus Berlin und Herr Kautsch, Preisrichter in Chicago. Heute trafen wir auch zum zweiten Male mit Dr. Mohr aus London zusammen, der mit uns auf der „Spree" reiste und den wir schon in Montreal wiedergesehen hatten.

Von Livingstone bis Portland sind wir zwei Tage und eine Nacht gefahren, haben daher eine weite Strecke durchreist. Am zweiten Tage waren wir fortwährend in den Felsengebirgen, deren Höhen vollkommen kahl sind. Der Wald in den Tälern ist in Folge der hohen Lage kein besonders guter und von der rohen Hand der Menschen arg mitgenommen, Die meistens engen Täler sind wenig kultiviert und werden größtenteils als Weide für Pferde und Rindvieh benützt. Mehrere kleinere Städte, die wir erreichten, verdienen wohl diesen Namen nur in Folge ihrer breiten Straßen, hölzernen Trottoirs, elektrischen Beleuchtung und hochtönenden Hotelnamen; Mimi und Miss Pattison möchten in keiner dieser Städte, weder in Helena noch in Missoula oder Spokane, wohnen. Die größere Stadt unter ihnen ist Helena, die Hauptstadt von Montana, mit 14.000 Einwohnern und der Mittelpunkt eines der reichsten Minendistricte in der Union: es ist von gold- und silberhaltigen Quarzgängen umgeben und aus dem benachbarten Fluss soll man bereits für 30 Millionen Dollars Gold entnommen haben. In dem benachbarten Butte City sind sehr berühmte Silberhütten, wie mir Geh. Rat Wedding sagte, mit vorzüglichen Einrichtungen zur Trennung des Kupfers und Silbers durch Elektrolyse, wie ich dies auch in Mannsfeld, Provinz Sachsen, öfters gesehen habe.


In einigen Indianer-Reservationen kamen die bemalten und bunt gekleideten Männer und Frauen an die Waggons, um verschiedene, oft gewiss nicht selbst fabrizierte Waren vergeblich zum Kaufe anzubieten. Neben der Bahn sahen wir auch viele Indianerhütten, ihre Weizenfelder sind oft ganz gut bestellt, Reiter in roten Kleidern tummelten sich auf ihren Rossen. Meistens sollen die Indianer zu gar nichts zu gebrauchen sein, oft sind einzelne Stämme aber auch sehr reich. In der Nähe von Tacoma, wo die Reservation aus guten Gründen besteht, sahen wir in derselben eine schöne Kirche, große Schule, Kirchhof und andere öffentliche Anstalten. Eine junge Indianerin daselbst soll 500.000 Dollars Mitgift bekommen.

Die größte und reichste Indianer-Reservation liegt aber südlich von Kansas; hier hat die Regierung schon vor mehreren Jahren ein größeres Gebiet von 600 deutschen Quadratmeilen von den Indianern zurückgekauft, in Sektionen eingeteilt, und ich glaube, zu einem Dollar pro Acre wieder an Weiße verkauft. Dieses Gebiet wurde an einem bestimmten Tage eröffnet und wer eine Sektion zuerst erreichte, hatte Anrecht, die Homestead zu kaufen. Viele viele Tausende von Menschen lagerten an der Grenze und als dieselbe geöffnet wurde, stürzten alle zu Wagen, zu Pferde und zu Fuß, einer über den anderen in das eröffnete Territorium, um zuerst in eine Sektion zu gelangen. Dabei gab es Mord, Totschlag und Unglücksfälle in Menge. Ein ähnliches Schauspiel wird sich in den nächsten Tagen in demselben Gebiete abspielen. Die Regierung hat an der Südgrenze von Kansas abermals 400 deutsche Quadratmeilen von den Indianern erworben und soll dieser Besitz in zwei Tagen eröffnet werden. Über 12.000 Menschen lagern bereits an der Grenze und bezahlen dort den Grundeigentümern eine Entschädigung, weil sie auf ihren Gründen warten dürfen und bei der Eröffnung der Grenze die ersten sind, die über dieselbe springen können. Durch die Entwertung des Silbers sind auch viele Bergarbeiter ohne Arbeit und strömen nun ins neue Land. Wer dasselbe rechtzeitig ereilt, kann sich ¼ Sektion zu 150 Joch für 160 Dollars erobern. Ich bin sehr begierig, in den Zeitungen zu lesen, wie die Geschichte endet.

Schon am ersten Tage überschritten wir bei 5.000 Fuß Höhe in einem 1.100 Meter langen Tunnel das Felsengebirge, aber auch hinter demselben war die Landschaft recht einförmig und ist es mir nicht erklärlich, wie sich eine Gesellschaft finden konnte, welche die North-Pacificbahn von Helena angefangen durch solche im wirtschaftliche Regionen zu bauen wagte. Die Bahnen in Amerika haben keine Subvention, erhalten aber neben ihrer Linie, wie ich erwähnte, große Landschenkungen, die sie nach und nach verwerten. Sind diese Gründe fruchtbar, wie z. B. in Dakota, so schlagen die Bahnen ein Heidengeld heraus, aber in Montana und Washington wird die North-Pacificbahn schwerlich viel für ihre Gründe bekommen haben, daher kein Wunder, dass sie jetzt schon zum zweiten Male unter Sequester gekommen ist.

Am zweiten Tage unserer Reise führte uns die Bahn in Steigungen wie am Semmering auf das Oascaden-Gebirge, eine Fortsetzung der Sierra Nevada und ein Tunnel von 2 Kilometer Länge brachte uns an die Westküste. Hier änderte sich die Vegetation mit einem Schlage! Durch einen mächtigen Urwald mit Fichten von V/ 2 bis 2 Meter Durchmesser und riesigen Höhen, mit 2 Fuß starken Lebensbäumen und einem undurchdringlichen Unterwuchse rasten wir mit starkem Gefälle und zahllosen Serpentinen in die Ebene der Westküste. Neben der Bahn war der Wald durch Feuer, Säge und Hacke verwüstet, in den Tälern suchten einzelne Farmer kleine Flächen durch Rodung für Feld und Wiesen zu gewinnen, auch Anfänge von Städten mit großen Sägen lagen auf unserem Wege, aber alles trug den Charakter des echten amerikanischen Urwaldes, des Unfertigen, der Verwüstung mit dem Schaffen neuer Werte. Später erweiterte sich das Tal, die Ansiedelungen mehrten sich, die Kultur nahm zu, viele Farmer hatten auch bedeutende Hopfenanlagen mit reicher Ernte und schöne Obstbäume zwischen den angekohlten Stöcken des Urwaldes angelegt und nette Wohnhäuser erbaut.

Um 5 Uhr Nachmittags des zweiten Tages erreichten wir Tacoma, eine auf mehreren Terrassen prachtvoll gelegene Stadt am Puget Sound. Dieselbe ist erst 20 Jahre alt und besitzt schon 36.000 Einwohner, zahlreiche Fabriken und einen lebhaften Handel mit der ganzen Welt. Ebbe und Flut dringen vom Stillen Ozean bis Tacoma und gerade als wir ankamen, war ein großer Teil der Umgebung unter Wasser. In zehn Jahren, meinte ein Mitreisender, werden Sie hier kein Wasser, sondern nur Fabriken finden. Augenblicklich sind die Amerikaner allerdings sehr niedergeschlagen, sie befinden sich in einer großen Krise und den eigentlichen Krach erwarten sie erst am Ende der Ausstellung. Hunderte von Banken haben ihre Zahlungen eingestellt, niemand hat bares Geld, dabei ist die Ernte sicherlich keine gute und die Geldnot ist so groß, dass es z. B. den hiesigen Hopfengarten-Besitzern an Geld fehlt, um den Hopfen pflücken lassen zu können.

Gestern fuhr ein Agent der Schottisch-Amerikanischen Hypothekenbank mit uns, der mir erzählte, dass dieselbe ihr Geld auf sicherste Hypotheken mit 8 Prozent ausgebe und dass der gesetzliche Zinsfuß in Washington 10 Prozent sei.

Auf dem sechs Stunden langen Wege zwischen Tacoma und Portland war es schon dunkel und wir konnten nur sehen, dass unser Zug auf einer Dampffähre von kolossalen Dimensionen über den mächtigen Columbia-Fluss geführt wurde.

Auch Portland hat eine herrliche Lage und ist eine blühende schöne Stadt mit 60.000 Einwohnern. Mit der Cablebahn bestiegen wir eine Anhöhe, von der wir die herrlichste Aussicht auf die Stadt genossen. Leider war der Himmel etwas bewölkt, so konnten wir den nördlich gelegenen 10.000 Fuß hohen und schneebedeckten Mount Hood nicht sehen. Von Portland kann man auch eine Tour nach Alaska per Dampfer machen, sie erfordert aber 14 Tage, oder über Vancouver nach Japan, wie überhaupt Portland und Tacoma durch ihre Lage eine große Bedeutung für den Handel Amerikas mit Asien erhalten werden. Erzherzog Franz Ferdinand, der ganz in unserer Nähe ist, kam von Japan ebenfalls hier nach Portland.

Der erste kalifornische Rotwein, etwas schwer, sonst gut, kalifornisches wunderbares Obst von allen Gattungen erinnerte uns, trotz aller Schneeberge, in einem milden Klima zu sein. Mimi und Miss P. akquirierten einen großen Korb mit Früchten und allerlei guter Sachen, um uns Männer bis San Francisco nicht verhungern zu lassen. Übrigens Hunger und Hitze haben wir bis jetzt weit weniger zu erdulden gehabt, als wir nach allen Berichten befürchten mussten.

Um 6 Uhr Abends reisen wir weiter, und wenn wir nicht ausgeraubt werden, sind wir Donnerstag Früh den 14. in San Francisco. Das Ausrauben der Züge wird wieder modern, auch der North-Pacificzug wurde vor 14 Tagen überfallen, 2.000 Dollars sind auf das Ergreifen der Räuber ausgesetzt. Unser Schlafwagen-Neger hatte zwei tiefe Wunden am Kopfe, die er bei Verteidigung seines Waggons bekommen hatte. Auffallend ist es, dass man, an der Westküste angelangt, plötzlich kein Papiergeld mehr bekommen kann. Alles wird in Gold bezahlt und es gibt Goldstücke bis zu 20 Dollars oder 50 Gulden. Ich erhob in der Bank in San Francisco 600 Dollars in 30 Goldstücken à 20 Dollars, die zu tragen mir schwer genug wurden.

Auf der Reise von Portland nach dem Süden habe ich in der Tat wiederholt bedauert, mein Leben nicht doppelt versichert zu haben. Wir fuhren die 800 Meilen bis Frisco, wie die Kalifornier ihre Hauptstadt abgekürzt nennen, in zwei Nächten und einem Tage, haben dabei genug gesehen, um ängstlich werden zu können. Wir mussten von Portland, das fast auf Meereshöhe liegt, die Sierra Nevada bis 1200 Meter Höhe ersteigen und dann im Sacramento-Thale bis ans Meer bergab fahren. Auf diesem Gebirgsübergange geht nun die Southern Pacificbahn einen ganzen Tag ununterbrochen in den merkwürdigsten Serpentinen, auf ganz ungewohnten Steigungen oder im größten Gefälle, durch lange, ausgezimmerte Tunnels oder über Brücken von fabelhafter Höhe, aber von so schwacher Konstruktion, dass wir jedes Mal aufatmeten, wenn ein Tal oder Fluss wieder glücklich passiert war! Über uns ragte durch einen halben Tag der schneebedeckte Kegel des 14.000 Fuß hohen Shasta, ein alter erloschener Vulcan, bei jeder Wendung der Bahn hervor und bot namentlich bei Sonnenuntergang einen wunderbaren Anblick. Auf der Hochebene zeigte sich selten Fruchtbau, meistens dürftige Weiden mit unzähligen Pferden- und Rindvieh-Herden in mit Draht eingezäunten Einfängen und den unvermeidlichen Windmotoren. Hier merkten wir, dass die Kultur erst kürzlich ihren Einzug gehalten habe musste.

Ausgebreitete Urwälder mit den herrlichsten Fichtenstämmen sind neben der Bahn verwüstet, große Sägewerke waren im vollen Betriebe oder bereits verlassen, nachdem sie ihr Zerstörungswerk beendet hatten, ein wahrer Jammer für das Herz eines Forstmannes. Ein Schlachtfeld barbarischer Art, es wird niedergemacht, was die Axt trifft und die Säge erreichen kann. Und wenn diese Prachtstämme auch nur wirklich benützt würden, sie liegen aber meist, nur um Platz zu machen, bis sie zufällig oder absichtlich verbrannt werden oder vermodern. Noch grausamer ist die Terpentingewinnung, den wunderbarsten Bäumen werden von allen Seiten tiefe Wunden beigebracht, bis nur noch die Leichen in die Luft ragen. Hesse-Wartegg, dieser gründliche Kenner amerikanischer Verhältnisse, behauptet, dass jährlich gegen 10 Millionen Acres Wald (140 deutsche Quadratmeilen) durch Fällung, Terpentin- und Samengewinnung, sowie durch Niederbrennen total vernichtet werden, und dass von den 26 östlichen Staaten nur noch Wisconsin, Michigan, Maine und Minnesota mehr Holz, als sie selbst bedürfen, besitzen. Vor 30 Jahren war in Kalifornien und Oregon noch der fünfte Teil mit dem herrlichsten Urwalde bedeckt, heute ist schon mehr als die Hälfte davon vernichtet; 30.000 Sägemühlen, oft wahre Riesenwerke, und 160.000 Menschen arbeiten in den Vereinigten Staaten in diesem Vernichtungswerke. Der sinnlosen Entwaldung folgt selbstverständlich eine Abnahme der Regenmengen und des Wasserzuflusses in den trockenen Jahreszeiten, eine häufige Wiederholung von Überschwemmungen durch die plötzlich anschwellenden Ströme, unter denen die Bewohner des Mississippitales besonders zu leiden haben. Und welchen unermesslichen Schatz hatte Amerika in seinen Waldungen! wie viel könnten diese himmelhohen starken Nadelhölzer, diese Weißeichen, Eschen, Vogelbeerbäume, Hartriegel, Tulpenbäume etc., unschätzbares Bauholz, wie viel vorzügliche Werkzeuge, Wagen, Kammräder etc. oder prachtvolle Möbeln liefern.

Die Gesetzgebung hat sich bisher vergeblich bemüht, jener Verwüstung Einhalt zu tun. Ein Bundesgesetz bestimmt, dass jeder Besitzer einer Homestead von 160 Acres freier Eigentümer derselben werden kann, wenn er durch fünf Jahre zehn Acres seiner Farm mit 2.700 Bäumen pro Acre bepflanzt und als Wald bewirtschaftet. In anderen Staaten besteht eine Vorschrift, nach welcher jedes Schulkind jährlich einen Baum zu setzen verpflichtet ist. Man behauptet, dass sich durch diese Maßregeln bereits die Wässer in manchen Flüssen vermehren und die Dürre weniger empfindlich sei! Sicherlich hat man hauptsächlich dieser unverantwortlichen Entwaldung die außergewöhnliche Plage der Heuschrecken zu verdanken, die z. B. 1862 in Illinois 10 Prozent der Ernte vernichteten und 1874 in Minnesota für drei Millionen Dollars Schaden machten.

In einer engen Talschlucht, am Fuße des Shasta, wurde plötzlich Halt gemacht, alle Welt stürzte aus den Waggons, um von einer aus dem Bergabhange mächtig hervorsprudelnden Quelle, zu trinken; sie lieferte aber auch in der Tat einen vorzüglichen Trunk, obgleich die Amerikaner Giesshübler-Wasser vorziehen; derselbe kostet echt oder imitiert so viel wie Bier, 50 Cents die kleine Flasche. Dann wurde es wieder dunkel und als wir am folgenden Morgen aus unseren Höhlen krochen, waren wir in der Ebene des Sacramento-Flusses.

Das amerikanische Eisenbahnleben ist ja ganz angenehm und dem europäischen vorzuziehen, wenn es nur mehr Züge und weniger Kontrolle und Räuber geben wollte. Seit 1. September geht hier im Westen auf allen Bahnen täglich nur ein benutzbarer Zug, steigt man irgendwo aus, sitzt man 24 Stunden fest. Ich wäre mit Vergnügen in der fruchtbaren, schön bebauten Ebene von Sacramento geblieben, aber einen ganzen Tag wollte ich nicht verlieren und so musste ich schon wiederholt darauf verzichten, hier und dort eine Farm oder einen Ranch zu besuchen. Bleibt man aber ruhig im Waggon sitzen, so hat man fortwährend mit den Tickets zu tun. Wir haben zwar ein Rundreisebillet durch ganz Amerika, aber Karten für den Schlafwagen müssen wir uns jedes Mal extra, wo möglich telegraphisch bestellen, sonst bleibt man ohne Bett; von San Francisco zahlte ich schon 98 Dollars für diese Schlafstellen. Es gibt nun besondere Conducteurs für den Zug und für die Schlafwagen, beide wechseln ziemlich häufig und jeder neue kontrolliert die Reisenden, so dass die Kontrolle gar nicht aufhört. Auch die Train-Robbers machen den Reisenden öfters das Leben schwer. Die Plünderung der Züge nimmt, vermutlich in Folge der großen Arbeitseinstellungen, in erschreckender Weise zu. Vorige Woche soll wieder ein Zug bei Chicago ausgeraubt worden sein; 75.000 Dollars fielen in die Hände der Herren Räuber.