Topeka, den 12. Oktober 1893.
Das geht mir denn doch über den Spaß, kommt ein allerliebstes kleines blondes Mädel von höchstens 2 ½ Jahren, viel kleiner als unsere Reta, ganz allein aus dem benachbarten Waggon in unseren Pullman, klettert auf den Sitz an meine Seite und fängt an zu plaudern von ihrer verlorenen Mama, vom Frühstück, ihrem netten roten Anzug u. s. w. Erst nach sehr langer Zeit suchte die Mutter meinen kleinen Findling, sie hatte in der Station gefrühstückt und ihr Töchterchen ganz allein im Waggon gelassen, ob das wohl Martha mit ihrer kleinen Reta auch versucht hätte? In Amerika huldigt man dem Grundsatze, die Kinder von frühester Jugend selbstständig zu machen, um sich dann später über die zu große Selbstständigkeit der eigenen Kinder zu beklagen. Der Waggon übrigens gewöhnlich die reine Kinderstube, eine amerikanische Mutter findet gar nichts dabei, mit vier kleinen Kindern in 4 ½ Tagen ganz allein von Kalifornien nach Chicago zu fahren, wie wir es selbst erlebt haben. Dabei führen alle Familien Riesenkörbe voll Lebensmittel mit sich, um das Essen in den Stationen zu vermeiden. Ich habe gesehen, dass eine Frau eine Untertasse auf den Boden unseres Waggons stellte, voll Spiritus füllte und denselben anzündete, um die Milch für ihre Kinder zu erwärmen, und das fand der Conducteur ganz natürlich. Auch will ich's nur verraten, meine Ladies führen ebenfalls einen Esskorb mit sich und befinden sich ganz wohl dabei.
Seit 36 Stunden, mehr als 130 deutsche Meilen, fahren wir wieder gegen Osten in der großen amerikanischen Ebene, wir haben das Felsengebirge verlassen, die Grenze der bekannten trockenen Region überschritten und befinden uns bereits in der feuchten Region im östlichen Teile des Staates Kansas. Das Land ist keineswegs so eben, als wir das im Alföld gewohnt sind, kleinere Erhebungen bieten fortwährend Abwechslung in der recht gefälligen Landschaft. Größere Besitzungen sind nur selten zu finden, die vielen kleinen Farmer haben ihren Besitz oder wenigstens ihr Home durch Baumanlagen und lebende Hecken verschönert. Die Wohngebäude sind allerdings meistens recht bescheiden, klein und aus Holz, doch gibt es auch viele größere villenartige Farmer-Häuser, Stallungen dagegen so gut wie keine. Der Boden war zum großen Teile ein schwarzer, humusreicher, sandiger Lehmboden, er wurde um so besser, je weiter wir nach Osten kamen, jedoch gab es auch viel Sandboden mit elenden Maispflanzen. Weizen, Luzerne und Weideflächen wechselten, die ersteren waren vorwiegend und meistens stark verunkrautet. Zahlreiches schönes Rindvieh, weniger Pferde auf den abgeernteten Feldern und Weiden erfreuten das Auge des Landwirtes. Die einzelnen Herden bestanden aus 50 bis 80 Köpfen, beinahe ausschließlich Shorthorn-Halbblut, zuweilen auch Holländer. Dörfer gibt es ja in Amerika nicht, aber wir berührten eine Menge kleinere und größere Städte, die oft ein recht freundliches Aussehen und meistens elektrische Bahnen hatten. Als wir uns dem Kansas-Flusse näherten, wurden neben der Bahn zahlreiche Halden von Steinkohlengruben sichtbar. Die primitiven Förderungs-Vorrichtungen Hessen geringe Teufen, die gefüllten Waggons auf ein schönes mächtiges Kohlenflötz schließen. Glückliches Amerika, hätten wir doch auch in unserer Ebene einen solchen Kohlen-Reichtum! Die beste Stückkohle kostet hier 70 Kreuzer, Kesselkohle 40 Kreuzer pro Meterzentner, soll jedoch viel Schwefelkies führen.
Topeka, die Hauptstadt von Kansas, ist eine nette, blühende Fabrikstadt mit 30.000 Einwohner am Kansas-Flusse, der fast so groß ist wie die Elbe bei Dresden, nur weniger Wasser hat. Ich bleibe in Topeka, habe meine Ladies nach St. Louis vorausgeschickt, in 16 Stunden, so weit wie Wien von Berlin, können sie dort sein. Die amerikanischen Eisenbahnen haben eine Länge von 300.000 Kilometer, größer als die der ganzen übrigen Welt, wer sie aber benützen will, darf nicht nervös sein; seit 1. September geht auf den meisten Strecken im Westen nur ein Zug, dabei wird die Abfahrt fortwährend geändert und die Ankunft ist stets verspätet. So muss ich hier in Topeka fünf Stunden auf den nächsten Zug nach Manhattan warten; das wäre noch zu ertragen, wenn nur die Waggons und Wartezimmer nicht so barbarisch geheizt würden, wie bei uns mitten im strengsten Winter, und jetzt ist es mir begreiflich, warum es bei Mrs. Price immer so warm ist. Die Amerikaner geniert das nicht, mit „All right" oder „the best in the world"(„ganz recht" oder „das Beste in der Welt") ist alles in Ordnung.
Was sollte ich fünf Stunden in Topeka machen? Im Wartesaale nicht zum aushalten, in ein Bierhaus zu gehen, unmöglich, im Staate Kansas ist es bei strengster Strafe verboten, Wein, Bier oder Branntwein zu schenken. Wer Durst hat, muss über den Missouri oder in die Apotheke gehen, als Medizin oder zu wissenschaftlichen Zwecken dürfen geistige Getränke verkauft werden, und „das Trinken" hat die Gesetzgebung nicht verboten. Zuerst fuhr ich auf der elektrischen Bahn durch alle Straßen, eiserne Säulen zwischen den beiden Geleisen in der Mitte der Ringstraße tragen die Leitungsdrähte und sind kaum zu bemerken, für Wien wie geschaffen, aber weiß Gott, wenn wir dort elektrisch durch die Straßen fahren werden! Ich gestehe, wenn ich in Amerika in einem eleganten Elektric-Car saß und an die blöde Einrichtung unserer Wiener Tramways mit ihrem Schmutz, der Unordnung und gelegentlichen Rohheiten dachte, habe ich mich in meinem Inneren oft geschämt. Ich besuchte auch eine Dampfmühle, eine elende hölzerne Bude, sie hat 24 Paar Steine, vermahlt täglich mit einer 300pferdigen Maschine und 70 Meterzentner Kohle sechs Waggon Weizen, den sie mit 4 Gulden pro 100 Kilogramm einkauft und zu folgenden Preisen verkauft:
I. Klasse pro Meterzentner Mehl mit 8 Gulden 65 Kreuzer,
II. Klasse pro Meterzentner Mehl mit 7 Gulden 50 Kreuzer,
III. Klasse pro Meterzentner Mehl mit 7 Gulden 50 Kreuzer,
Klasse pro Meterzentner Kleie mit 4 Gulden 50 Kreuzer,
Schließlich bummelte ich in den Straßen herum und besah neugierig die verschiedenen Kaufläden. Nichts komischer als diese, ein Uhrmacher verkaufte gleichzeitig silberne Löffel, Hemdknöpfe und Damenhüte, die Buchhandlung führt Arbeitskörbe, Goldleisten und Scheren, der Fleischer Weintrauben und Zwiebeln. Während ich so im Anschauen versunken, kamen Equipagen mit einem oder zwei Pferden, mit zwei oder vier Rädern, mit alten und jungen Damen, auch mit Herren, sämtlich ohne Kutscher, angefahren, hielten, wo es sie freute, banden ihr Ross an den ersten besten Pfahl und gingen davon. Mantel, Plaid etc. blieben auf dem Wagen; nun rede noch Einer über amerikanische Räuber-Geschichten! Teuer ist es in Topeka auch nicht:
1 Kilogramm Rindfleisch kostet 25 bis 50 kr.
1 Kilogramm Schweinefleisch kostet 40 bis 60 kr.
1 Kilogramm Kalbfleisch kostet 40 bis 60 kr.
1 Kilogramm Hammelfleisch kostet 40 bis 60 kr.
1 Kilogramm Speck kostet - bis 60 kr.
1 Kilogramm Butter kostet 1 fl. - kr.
1 Kilogramm Zwiebeln kosten - fl. 25 kr.
1 Dutzend Eier kosten – fl. bis 36 kr.
1 großer Indian kostet 1 fl. 20 kr. bis 2 fl. 40 kr
1 Paar Hühner kosten 1 fl. - kr.
Seit 36 Stunden, mehr als 130 deutsche Meilen, fahren wir wieder gegen Osten in der großen amerikanischen Ebene, wir haben das Felsengebirge verlassen, die Grenze der bekannten trockenen Region überschritten und befinden uns bereits in der feuchten Region im östlichen Teile des Staates Kansas. Das Land ist keineswegs so eben, als wir das im Alföld gewohnt sind, kleinere Erhebungen bieten fortwährend Abwechslung in der recht gefälligen Landschaft. Größere Besitzungen sind nur selten zu finden, die vielen kleinen Farmer haben ihren Besitz oder wenigstens ihr Home durch Baumanlagen und lebende Hecken verschönert. Die Wohngebäude sind allerdings meistens recht bescheiden, klein und aus Holz, doch gibt es auch viele größere villenartige Farmer-Häuser, Stallungen dagegen so gut wie keine. Der Boden war zum großen Teile ein schwarzer, humusreicher, sandiger Lehmboden, er wurde um so besser, je weiter wir nach Osten kamen, jedoch gab es auch viel Sandboden mit elenden Maispflanzen. Weizen, Luzerne und Weideflächen wechselten, die ersteren waren vorwiegend und meistens stark verunkrautet. Zahlreiches schönes Rindvieh, weniger Pferde auf den abgeernteten Feldern und Weiden erfreuten das Auge des Landwirtes. Die einzelnen Herden bestanden aus 50 bis 80 Köpfen, beinahe ausschließlich Shorthorn-Halbblut, zuweilen auch Holländer. Dörfer gibt es ja in Amerika nicht, aber wir berührten eine Menge kleinere und größere Städte, die oft ein recht freundliches Aussehen und meistens elektrische Bahnen hatten. Als wir uns dem Kansas-Flusse näherten, wurden neben der Bahn zahlreiche Halden von Steinkohlengruben sichtbar. Die primitiven Förderungs-Vorrichtungen Hessen geringe Teufen, die gefüllten Waggons auf ein schönes mächtiges Kohlenflötz schließen. Glückliches Amerika, hätten wir doch auch in unserer Ebene einen solchen Kohlen-Reichtum! Die beste Stückkohle kostet hier 70 Kreuzer, Kesselkohle 40 Kreuzer pro Meterzentner, soll jedoch viel Schwefelkies führen.
Topeka, die Hauptstadt von Kansas, ist eine nette, blühende Fabrikstadt mit 30.000 Einwohner am Kansas-Flusse, der fast so groß ist wie die Elbe bei Dresden, nur weniger Wasser hat. Ich bleibe in Topeka, habe meine Ladies nach St. Louis vorausgeschickt, in 16 Stunden, so weit wie Wien von Berlin, können sie dort sein. Die amerikanischen Eisenbahnen haben eine Länge von 300.000 Kilometer, größer als die der ganzen übrigen Welt, wer sie aber benützen will, darf nicht nervös sein; seit 1. September geht auf den meisten Strecken im Westen nur ein Zug, dabei wird die Abfahrt fortwährend geändert und die Ankunft ist stets verspätet. So muss ich hier in Topeka fünf Stunden auf den nächsten Zug nach Manhattan warten; das wäre noch zu ertragen, wenn nur die Waggons und Wartezimmer nicht so barbarisch geheizt würden, wie bei uns mitten im strengsten Winter, und jetzt ist es mir begreiflich, warum es bei Mrs. Price immer so warm ist. Die Amerikaner geniert das nicht, mit „All right" oder „the best in the world"(„ganz recht" oder „das Beste in der Welt") ist alles in Ordnung.
Was sollte ich fünf Stunden in Topeka machen? Im Wartesaale nicht zum aushalten, in ein Bierhaus zu gehen, unmöglich, im Staate Kansas ist es bei strengster Strafe verboten, Wein, Bier oder Branntwein zu schenken. Wer Durst hat, muss über den Missouri oder in die Apotheke gehen, als Medizin oder zu wissenschaftlichen Zwecken dürfen geistige Getränke verkauft werden, und „das Trinken" hat die Gesetzgebung nicht verboten. Zuerst fuhr ich auf der elektrischen Bahn durch alle Straßen, eiserne Säulen zwischen den beiden Geleisen in der Mitte der Ringstraße tragen die Leitungsdrähte und sind kaum zu bemerken, für Wien wie geschaffen, aber weiß Gott, wenn wir dort elektrisch durch die Straßen fahren werden! Ich gestehe, wenn ich in Amerika in einem eleganten Elektric-Car saß und an die blöde Einrichtung unserer Wiener Tramways mit ihrem Schmutz, der Unordnung und gelegentlichen Rohheiten dachte, habe ich mich in meinem Inneren oft geschämt. Ich besuchte auch eine Dampfmühle, eine elende hölzerne Bude, sie hat 24 Paar Steine, vermahlt täglich mit einer 300pferdigen Maschine und 70 Meterzentner Kohle sechs Waggon Weizen, den sie mit 4 Gulden pro 100 Kilogramm einkauft und zu folgenden Preisen verkauft:
I. Klasse pro Meterzentner Mehl mit 8 Gulden 65 Kreuzer,
II. Klasse pro Meterzentner Mehl mit 7 Gulden 50 Kreuzer,
III. Klasse pro Meterzentner Mehl mit 7 Gulden 50 Kreuzer,
Klasse pro Meterzentner Kleie mit 4 Gulden 50 Kreuzer,
Schließlich bummelte ich in den Straßen herum und besah neugierig die verschiedenen Kaufläden. Nichts komischer als diese, ein Uhrmacher verkaufte gleichzeitig silberne Löffel, Hemdknöpfe und Damenhüte, die Buchhandlung führt Arbeitskörbe, Goldleisten und Scheren, der Fleischer Weintrauben und Zwiebeln. Während ich so im Anschauen versunken, kamen Equipagen mit einem oder zwei Pferden, mit zwei oder vier Rädern, mit alten und jungen Damen, auch mit Herren, sämtlich ohne Kutscher, angefahren, hielten, wo es sie freute, banden ihr Ross an den ersten besten Pfahl und gingen davon. Mantel, Plaid etc. blieben auf dem Wagen; nun rede noch Einer über amerikanische Räuber-Geschichten! Teuer ist es in Topeka auch nicht:
1 Kilogramm Rindfleisch kostet 25 bis 50 kr.
1 Kilogramm Schweinefleisch kostet 40 bis 60 kr.
1 Kilogramm Kalbfleisch kostet 40 bis 60 kr.
1 Kilogramm Hammelfleisch kostet 40 bis 60 kr.
1 Kilogramm Speck kostet - bis 60 kr.
1 Kilogramm Butter kostet 1 fl. - kr.
1 Kilogramm Zwiebeln kosten - fl. 25 kr.
1 Dutzend Eier kosten – fl. bis 36 kr.
1 großer Indian kostet 1 fl. 20 kr. bis 2 fl. 40 kr
1 Paar Hühner kosten 1 fl. - kr.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches An Meine Lieben in der Heimat. Aus Nord-Amerika 1893.