Manhattan-Kas, 13. Oktober 1893.

Was ich hier in Manhattan suchte, werdet Ihr fragen? Die landwirtschaftliche Lehranstalt des Staates Kansas. Ich werde bei dieser Gelegenheit etwas über das Erziehungswesen in Amerika mitteilen. Das Schulwesen ist selbstverständlich in den nordöstlichen und mittleren Staaten am meisten entwickelt, hier werden noch heute die Lehrer und Lehrerinnen für den Westen ausgebildet und verpflanzen dorthin englisches Wesen. Die Vereinigten Staaten haben gegen 12 Millionen Schulkinder, 220.000 öffentliche Schulen und 350.000 angestellte Lehrer, von denen zwei Drittel weiblichen Geschlechtes sind. Zur Erziehung der Lehrkräfte bestehen 134 Seminare mit 1200 Professoren und 24.000 Lehramts-Kandidaten. Lässt man wie gewöhnlich die sechs Millionen Schwarzen außer Rechnung, so sollen nur zwei Millionen Amerikaner nicht schreiben und lesen können. Außer den Volksschulen gibt es auch Abendschulen verschiedener Art, und werden keine Kosten gescheut, um die Bildungsstufe der ganzen Bevölkerung zu heben.

Eine einheitliche zentrale Leitung des Unterrichtes gibt es aber in der Union nicht, nicht einmal in jedem Staate, und eigentlich tun auch die Schulverwaltungen der einzelnen Grafschaften, was sie für ihren Kreis für gut halten. Nur sind gewisse Prinzipien nach und nach mehr oder weniger allgemein zur Herrschaft gelangt: Schulzwang bis zum vierzehnten Jahre, ohne Trennung der Geschlechter, freie Schule, Unterricht in der englischen Sprache, Ausschluss des Religions-Unterrichtes. Das letztere hatte naturgemäß zur Folge, dass eine Menge Kinder ohne allen Glauben großgezogen wurden und haben zuerst die Katholiken sich auf einem Kongress in Baltimore 1884 gegen diese Art der Erziehung gewehrt und angefangen, konfessionelle Privatschulen zu errichten. Heute sollen in denselben bereits 700.000 Kinder unterrichtet werden. Aber auch viele Protestanten wünschen zu den konfessionellen Schulen zurückzukehren und errichten Privatschulen. In allen diesen Privatschulen ist die Trennung der Geschlechter durchgeführt, da viele Schulmänner behaupten, dass der gemeinschaftliche Unterricht in manchen Schulen haarsträubende Geschichten zu Tage förderte.


In den einzelnen Staaten gibt es Mittel- und Hochschulen, die auf Kosten der Staaten errichtet wurden ; und hat die Union 1880 jedem Staate über drei deutsche Quadratmeilen Land zur Gründung einer Universität geschenkt. Die Mehrzahl dieser höheren Schulen ist jedoch der Großmut reicher Privatleute zu verdanken und ihre Verwaltung ist daher auch eine sehr unabhängige. Sie heißen Schule, College, Universität, ohne dass man diese Bezeichnungen streng wörtlich nach unseren Begriffen nehmen darf, sämtliche stehen kaum viel höher als unsere Oberreal-Schulen und Gymnasien. Durch die sogenannte Morell Land Grant-Bill wurden allen Unterrichtsanstalten zusammen noch weitere 1.200 deutsche Quadratmeilen geschenkt, wenn sie landwirtschaftlichen oder gewerblichen Unterricht in ihren Lehrplan aufnehmen würden. Die Cornell-Universität im Staate New-York erhielt allein für 6 Millionen Dollars Wert Ländereien und Mr. Cornell gab noch eine halbe Million Dollars dazu.

Die landwirtschaftliche Schule in Manhattan ist gleich nach Erlass der Morell-Bili 1863 gegründet, welcher in den ganzen United States die eigentliche Entstehung und Entwickelung des landwirtschaftlichen Unterrichtes zu verdanken ist, obgleich P. Norton
bereits 1846 am Yalecollege landwirtschaftlichen Unterricht erteilte. Seit jener Bill sind 64 landwirtschaftliche Colleges mit 530 Professoren und 5000 Schülern entstanden, aber dieselben beschäftigen sich nicht allein mit Landwirtschaft, wie dies in Manhattan der Fall ist, sondern verfolgen auch andere Lehrzwecke. So gibt es 357 Hochschulen und Universitäten, nur fehlen denselben genügend Schüler. Der Amerikaner, wenn er den Knabenschuhen kaum entwachsen ist, will verdienen, so verlässt er seine Studien meist zu früh und wendet sich der praktischen Industrie, der Landwirtschaft und dem Handel zu. Andererseits soll auch der Unterricht in Jus und Medizin lange nicht so vorgeschritten sein als in Europa, und so kann man, glaube ich, mit Recht behaupten, dass die Durchschnittsbildung in Amerika wohl größer ist wie bei uns ist, dass aber Amerika weniger große Gelehrte als Europa erzieht. Die Unions-Regierung beschäftigt sich übrigens mit dem Plane, in Washington eine wirkliche Universität nach europäischem Muster und auf der Höhe unserer Hochschulen zu errichten, das würde allerdings einen ungeahnten Fortschritt in der Erziehung zur Folge haben.

In allen öffentlichen Lehranstalten des Staates Kansas, von der Dorfschule bis zur Universität, wird absolut kein Unterschied gemacht, ob der Schüler ein Bube oder ein Mädel ist, und soll diese Einrichtung hier von den wohltätigsten Folgen begleitet sein, so verschieden sind die Ansichten! Der Staat ist verpflichtet, für die freie Erziehung aller Kinder vom 6. bis 21. Jahre Sorge zu tragen, die Schulpflicht besteht aber nur vom 6. bis 14. Jahre. Der Staat Kansas hat seine Gründe, die er zu Schulzwecken bekam, mit 3.500.000 Dollars verkauft, und fällt gegenwärtig von dem Zinsenertrage auf jedes Kind 2 Gulden 30 Kreuzer. Kansas ist in 100 Counties eingeteilt. Jedes County hat 100 Schulbezirke und jeder Bezirk muss mindestens eine Schule mit acht Classen haben, in denen meistens Lehrerinnen angestellt sind. Die Kosten trägt der Staat von dem erwähnten Grundverkauf und durch einen Teil der Vermögenssteuer, die in Kansas 2 Prozent beträgt; die Einwohner mit einem Vermögen unter 200 Dollars zahlen keine Steuer.

Es besteht die Absicht, für jedes County eine höhere Bürgerschule zu errichten, aber diese Maßregel ist noch weit von der Durchführung entfernt. In diesen Schulen würde englische Sprache, Geschichte, Geographie, Mathematik und nur wenig Naturwissenschaften gelehrt. Die Universität von Kansas ist in Lawrence mit 375 Schülern. Die Grundschenkung zur Errichtung einer landwirtschaftlichen Akademie verkaufte Kansas für 500.000 Dollars, die Akademie ist hier in Manhattan errichtet und hat 500 Schüler und Schülerinnen; die Erhaltungskosten betragen 156.000 Gulden pro anno. Die Anstaltsgebäude liegen in einem großen Parke und sind ebenso schön und großartig, als zweckmäßig hergestellt. Sie enthalten eine große Aula, prächtige Lehrsäle und Professoren-Zimmer, Laboratorium, eine Musterfarm, botanischen Garten, Tischlerei, Gießerei, Schmiede und Schlosserei, Bibliothek und Sammlungen aller Art, die aber erst im Entstehen begriffen sind; eine Lesehalle wird gebaut. Für elektrische Beleuchtung, Wasserhaltung, die verschiedenen Werkstätten, Futterbereitung etc. ist ein einziger Dampfmotor von 50 Pferdekräften mit elektrischer Kraftübertragung aufgestellt. Die Schüler müssen zwar eine Aufnahmeprüfung ablegen, aber die Ansprüche bei derselben sind massige. Die Unterrichts-Gegenstände sind Naturwissenschaften, Ackerbau, Tierzucht, praktische Arbeiten in den Werkstätten, für die Ladies auch Kochen, Haushalt und Handarbeiten. Die Schüler werden von 14 bis 20 Jahre aufgenommen, ich habe aber auch solche über 30 Jahre gesehen; die Studienzeit beträgt 5 Jahre. Sämtliche Professoren haben einen sehr günstigen Eindruck auf mich gemacht; ich wohnte einer Vorlesung über Tierzucht bei, die mir sehr gefiel. In derselben wurden die Schüler auch ausgefragt und war es ihnen gestattet, Fragen zu stellen, wenn sie den Vortrag nicht verstanden hatten. Morgens 8 Uhr versammelten sich sämtliche Professoren und Schüler in der Aula und sangen einen sehr schönen Choral mit Musikbegleitung; bei dieser Gelegenheit wurde meine Wenigkeit auch der versammelten Menge vorgestellt und von derselben lebhaft beklatscht, was „Willkommen" bedeutet.

Im Winter halten die Professoren einen kurzen Kursus für ältere Farmer und zwei Professoren fungieren an 15 Plätzen, durch drei Tage als Wanderlehrer, wobei sie 50 bis 300 Zuhörer haben. Die jährlichen Ferien in der Akademie betragen drei Monate, Kansas hat auch noch ein Seminar mit 1.200 Schülern.

Professor Walther hatte die Güte, mich Nachmittags aufs Land zu begleiten; leider war die Zeit zu kurz, um mehrere Farmen zu besuchen. Wir trafen einen deutschen Farmer, Mr. Spohn aus Hessen, der seit 30 Jahren in Amerika ist. Er besitzt eine halbe Sektion von 210 Joch, größtenteils Wiese und Bergweide, nur 35 Joch Ackerfeld, die er ohne Dünger fortwährend mit Mais bestellt. Herr Spohn schätzte den Wert seines Gutes
auf 8.000 Dollars. Sein Hauptgeschäft besteht darin, 30 Stück einjähriges Jungvieh zu kaufen, bis zum Alter von drei Jahren sechs Monaten mit Kolbenmais zu füttern und nach Kansas-City zu verkaufen. Mit den 30 Mastochsen werden 30 Schweine gehalten, die von dem Ochsendünger fett werden. Die Ochsen bekommen ein Gewicht von 6 ½ Meterzentner und werden mit 21 fl. pro Meterzentner verkauft. Die Schweine wiegen 125 Kilogramm und kostet das Kilogramm 30 kr. Ähnliche Mastochsen und Schweine würden wir in Ungarn mit 34 und 35 fl. pro 100 Kilogramm verkaufen können.

Die Ackerfelder im östlichen Kansas sollen vorzüglich sein, der Regen beträgt jährlich 880 Millimeter, kommt aber gewöhnlich zu sehr ungelegener Zeit im Mai bis Juli in großen Mengen. Arm ist der Boden im Westen des Landes und die Witterung viel zu trocken, man plant daher auch im Staate Kansas große Bewässerungsanlagen, aber es fehlt an Wasser. Professor Walther meinte, dass außer Texas und North-Dakota nicht mehr viel gutes Land in Amerika zu vergeben sei und ohne einen Fruchtwechsel die Erträge sich bald vermindern würden. Jetzt baut man im Nordwesten von Kansas noch fortwährend Weizen auf Weizen, ohne jeden Dünger.

Ich verließ Manhattan am 14. Oktober, Morgens 5 Uhr, war um 9 Uhr in Kansas und blieb dort bis 10 Uhr. Eine nette, funkelnagelneue Stadt mit 130.000 Einwohnern am hügeligen linken Ufer des Missouri-Flusses. Ein Kern von hohen, massiven, roten Geschäftshäusern und nach der Peripherie viele Meilen lange Villenviertel oder kleinere nette Arbeiterwohnungen, oder endlich noch leere Hausplätze, aber alles mit dem Centrum durch Cable und elektrische Bahnen mit riesigen Steigungen und Gefällen verbunden. Und so sind die meisten amerikanischen Städte, die allerneuesten, wie Kansas, nur etwas eleganter als die älteren angelegt.

Ich wollte in Kansas-City das große Schlachthaus von Armour und den Viehmarkt kennen lernen, denn nach Chicago nimmt jener den ersten Rang im Westen ein. Es kommen hier täglich, Sonntag ausgenommen:
6.000 bis 13.000 Stück Rindvieh
4.000 bis 12.000 Stück Schweine
1.000 bis 3.000 Stück Schafe
auf den Markt. Früher war der Haupt-Schweinemarkt in Cincinnati, aber Kansas-City hat denselben vollkommen an sich gerissen. Es gibt dort mehrere große Schlachthäuser, die selbstverständlich auch sehr viel Schlachtvieh außerhalb des Marktes beziehen. Das meiste Vieh kommt aus dem Westen und Süden, aus Kansas, Colorado, New-Mexico, Arizona, Texas und Nebraska, während der Norden und die Staaten am Missouri und Mississippi mehr nach Chicago gravitieren. Die Fracht-Entfernungen betragen nach Kansas-City bis 2.000, nach Chicago 2.800 Kilometer. Die Fracht nach letzterem Punkte ist aber im Verhältnis zur Transportlänge meistens billiger. Der Frachtsatz wird entweder pro 100 Meterzentner oder pro Waggon bestimmt. Von Flagstaff in Arizona nach Kansas-City auf 2.000 Kilometer kostet der Waggon für 110 Meterzentner netto Belastung 360 Gulden, mithin 330 Kreuzer pro 100 Kilogramm. Von Fort-Wörth in Texas nach Chicago auf 1.300 Kilometer 160 Kreuzer pro 100 Kilogramm, von Newton bis Kansas City bei 700 Kilometer Frachtlänge 200 Kreuzer pro 100 Kilogramm. Rechnet man zur Fracht noch die Kommissionsgebühr, so hat der Züchter von seinem Erlöse 2 bis 4 Gulden pro Meterzentner Spesen in Abzug zu bringen. Die Verkaufspreise betrugen
pro 100 Kilogramm: in Kansas-City in Chicago
Ochsen erster Qualität . . . . . . . . . . . . . . 20 bis 27 fl. . . . . . 25 fl.
Colorado-Ochsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .17 ½ bis 19 fl. — fl.
Texas-Ochseu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 ½ bis 14 fl. — fl.
Schweine (circa 110 bis 120 Kilo) . . . 30 bis 33 ½ fl. 31 bis 32 ½ fl.
Schafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 bis 20 fl. — fl.

Mastochsen, die so gut wie die unseren gewesen wären, habe ich auf dem Markt gar nicht angetroffen, die besten dreijährigen Ochsen waren nur Weidetiere oder halb fett gefüttert, Texasvieh, kleine, magere, elende Tiere, sämtliche Shorthorn- und Durham-Kreuzung, auch schottische hornlose Aberdeen-Angus kamen vor. Die Schweine schön, aber für uns zu leicht, ausschließlich Berkshire-Race. Die Schweinepreise sind augenblicklich sehr hoch, aber die Farmer fürchten, dass sich nun Alle auf die Schweinemast werfen und dadurch die Preise bald verderben werden.

Ich besuchte in Kansas-City das Armour'sche Schlachthaus, eine Filiale von Chicago, ich werde aber auch die Mutteranstalt sehen und erst dann Näheres über das hiesige Schlachtwesen berichten. Es ist ganz unglaublich, mit welcher Virtuosität Mr. Armour das Töten der Tiere eingerichtet und welche Ausdehnung sein Geschäft hat. Sein Grundbesitz in Kansas-City hat eine Ausdehnung von 20 Joch, die verschiedenen Etagen der Gebäude nehmen eine Fläche von 60 Joch ein, hiervon allein die Kühlräume 20 Joch, in denen 100.000 Meterzentner Fleisch untergebracht werden können. 14 Eismaschinen produzieren täglich 13.500 Meterzentner Eis, die übrigen Dampfmaschinen haben 500 Pferdekraft, 3.000 bis 4.000 Menschen sind in dem Schlachthause beschäftigt, obgleich alle Fortbewegung der Schlachttiere oder ihrer Teile durch Maschinen erfolgt. Die Einrichtungen sind derartig, dass täglich 4.000 Ochsen, 12.000 Schweine und 5.000 Schafe geschlachtet werden können. Alle weiteren Daten werde ich mitteilen, wenn ich auch die Chicagoer Anstalt gesehen habe.

Ich benützte den Nachmittag zum Besuche mehrerer Farmer im Missouri-Tale. Im Staate Missouri mit 3-500 deutschen Quadratmeilen hat nur der mittlere Teil, wenn auch in gebirgiger Lage, recht guten Boden, der Süden ist dagegen steinig, nur für Viehzucht geeignet, der Norden mehr sandig. Es wird im Allgemeinen mehr Mais als Weizen gebaut, so dass ganz Missouri jährlich nur 6 Millionen Meterzentner Weizen produziert. Die Farmer rechnen mit einer Ernte von 8 Meterzentner Weizen pro Joch, während sie 20 Meterzentner Mais und auch mehr zu ernten behaupten. Sie haben gewöhnlich ein Viertel oder eine halbe Sektion, d. i. 102 oder 205 Joch, hiervon ist ein Teil Wiese, ein anderer Teil wird mit Thimoteus und Rotklee für Futter und Weide angebaut und der Rest mit Mais, etwas Weizen und Hafer. Es werden wohl einige Kühe gehalten, aber doch mehr junge Ochsen, die wie bei Mr. Spohn in Kansas mit Schweinen gemeinschaftlich fett gemacht werden. Pferde-Liebhaber besitzen auch einige Stuten, ziehen öfters Maultiere, die Arbeit wird jedoch mit zwei Pferden besorgt. Ein Farmer in Missouri schätzte seine halbe Sektion auf 38.000 Gulden oder 190 Gulden pro Joch, meinte aber, sie bringe ihm jährlich nicht mehr als 2.500 Gulden. Wir fuhren mit zwei tüchtigen jungen Farmern aus dem Staate Illinois nach Chicago, die mir manche interessante Mitteilungen machten. Illinois ist 2.800 deutsche Quadratmeilen groß und produziert so viel Weizen als Missouri: 6 Millionen Meterzentner; es hat ähnliche Verhältnisse und Betriebsweisen wie jenes, ist in der Mitte am fruchtbarsten, südlich und nördlich nicht so gut. Der eine Farmer hatte seine halbe Sektion von 205 Joch, allerdings ganz in der Nähe von St. Louis, gerade jetzt für 90.000 Dollars verkauft, der zweite schätzte seine halbe Sektion in der Mitte des Staates auf 29.000 Dollars oder 70.000 Gulden und bezifferte seinen Reinertrag auf 3600 bis 4000 Gulden, die er entweder an Bekannte zu 6 Prozent verborgt oder in die Bank legt, bis er einen Grund kaufen kann. Kein einziger Farmer im Westen von Amerika düngt wegen der teueren Arbeitskraft, obgleich sie sämtlich die Raubwirtschaft und deren Folgen zugestehen. Ich bin auch überzeugt, dass wenige Farmer überhaupt eine Hacke besitzen, was nicht mit dem Pfluge gemacht werden kann, geschieht nicht, und das Unkraut wuchert in nie gesehener Weise. Einer der Farmer erwähnte: „Ich habe schon 30 Jahre hintereinander Weizen oder Mais auf demselben Felde gesehen."

„Und wie sind jetzt die Ernten?" fragte ich. „Nun, sie werden immer schlechter", lautete die Antwort. Diese Gentlemen meinten auch, Amerika habe das Maximum seiner Weizenproduktion erreicht, da alle weizenfälligen Böden besetzt wären, die jetzigen Preise dürften sogar eine Verminderung des Anbaues zur Folge haben. Nun meine Ansicht ist, dass North-Dakota, Manitoba, Washington und Oregon ihre Weizenproduktion wohl noch zu vermehren in der Lage sind, dass aber diese Vermehrung doch nicht so groß sein wird, um auf den Weltmarkt einen Einfluss nehmen zu können. Auf eine Reduktion der amerikanischen Ernten rechne ich nicht, da die niedrigen Preise vermutlich eine bessere Kultur und dadurch bessere Ernten zur Folge haben werden.

In der Nacht fuhr ich nach St. Louis, von meinen Damen sehnsüchtig erwartet, aber in einem anderen Hotel als verabredet, da das von Bädeker empfohlene inzwischen niedergerissen war. Mein Telegramm von dem 340 Kilometer entfernten Manhattan war erst am zweiten Tage in Mimis Hände gelangt, so dass sie mich schon für verloren hielt. St. Louis ist eine Riesenstadt mit 450.000 Einwohnern, von denen 150.000 Deutsche sind, an den erhöhten Ufern des Mississippi recht hübsch gelegen und solid gebaut, ohne sonst etwas Besonderes zu bieten, höchstens das großartige, ausgezeichnete Southern-Hotel, in dem sich meine Ladies durch drei Tage vorzüglich befunden hatten. St. Louis hat einige sehr schöne und gut gehaltene Parks, die zu den schönsten in Amerika gerechnet werden. Ich muss aber gestehen, der Mississippi hat mich in meinen Erwartungen arg getäuscht; ich glaubte, er sei schon bei St. Louis einer der mächtigsten Ströme der Welt, ist aber nicht viel größer als die Donau bei Pest, das hat mir nicht imponiert. Auch die Tiefe von 7 Fuß ist nicht bedeutend. Imposant dagegen ist James-Eads' Stahlbrücke über den Fluss mit drei Bögen zu je 158 Meter Spannung und zwei Etagen, die untere für Eisenbahnen, die obere für elektrische Bahn, Fuhrwerke und Fußgänger. Die Brücke kostete 10 Millionen Dollars. Neben dem Ufer sind 10 große Elevatoren mit einem Fassungsraume von 1 Million bushels Getreide, denn hier ist der Umschlagplatz vom Wasser auf die Bahnen gegen Osten und für Europa. Die Fruchtsätze pro bushel Weizen betragen nach New-York 15, nach Liverpool 24 Cents, mithin fl. 1-25 und fl. 2. — pro Meterzentner. Es soll hier jedoch mehr Getreide von dem oberen als von dem unteren Mississippi verladen werden. Den Fluss hinauf kommt mehr Baumwolle, auch Rohrzucker, da in St. Louis eine große Raffinerie besteht. In St. Louis ist auch die größte Brauerei in Amerika, die 2.000 Menschen beschäftigt und vorzügliches Bier braut. Leider war es Sonntag, so konnte ich die Zeit wenig benützen, wir brachten dieselbe aber sehr angenehm in der liebenswürdigen Familie des Capitains Harris, des Vaters der Mrs. Scanavi zu und trafen dort auch die jungen Scanavis und den Bildhauer Kautsch, mit denen wir im Yellowstone-Parke bekannt wurden. Die Familie Harris wohnt in einer sehr netten Villenstraße, wie es in St. Louis so viele gibt. Nachmittags kam noch ein Herr zu Besuch, der sich schließlich als Vetter der Familie Preetorius in Mainz entpuppte und Emil P. heißt. Mein Freund Preetorius jun., den ich herzlich grüßen soll, wird sich über dieses zufällige Zusammentreffen recht amüsieren.

Wir hatten auch gehofft, in St. Louis einen der großen Circus zu sehen, die es nur in Amerika gibt, aber da der große Jahrmarkt und die landwirtschaftliche Ausstellung schon vor einigen Tagen geschlossen waren und der Circus überhaupt nur 14 Tage in einem Orte Vorstellungen geben darf, so war derselbe schon verschwunden. So ein Circus soll großartig sein: dressierte Pferde, Elefanten, Affen, Hunde, eine Unzahl Clowns, europäische, chinesische und andere Gymnastiker, große Ausstattungsstücke, dazu Menagerien, Schwertfresser, Kraftmenschen, Wahrsagerinnen und so fort, alles von einer Truppe dem staunenden Publikum vorgeführt, das oft aus 30.000 Menschen besteht und ½ Dollar pro Kopf zahlt. „Ja, Amerika trieft von Unerhörtheiten", wie Jak Allysz sagt, „in einem armseligen europäischen Gehirn schießen die Gedanken bei allem Gesehenen Purzelbäume, hier ist alles das Größte, Unmöglichste, Riesenhafteste in the world."

Die Fahrt einer Nacht brachte uns von St. Louis nach Chicago. Im Auditorium-Hotel kein Platz, nicht einmal im zehnten Stocke, sämtliche 2.500 Zimmer sind für Wochen bestellt. Wir telefonierten in alle Himmelsrichtungen, in sämtliche Hotels ersten Ranges. Endlich überließ uns das Imperial-Hotel drei Zimmer für 10 Dollars oder 25 Gulden ohne Verpflegung. Gott sei dank, wir sind untergebracht und können mit aller Ruhe an alle Leiden eines Ausstellungs-Besuches gehen. Der Fremdenzufluss ist außerordentlich, täglich 300.000 Fremde, Chicago lacht sich ins Fäustchen und verdient ein Heidengeld.