Los Angeles, Cal., 1. Oktober 1893.

Es war irgendwo in Arizona ein Wolkenbruch, aber so ein echt amerikanischer, der Berge davonträgt, Täler verschlämmt und Eisenbahnen zerstört, die Santa Fé-Bahn hat den Betrieb eingestellt, so können wir Los Angeles erst Dienstag verlassen. Das macht aber nichts, meine Ladies sind glücklich, einmal zwei Tage für sich haben zu können, um sich auszuruhen und ihre Röcke zu flicken, und ich habe noch genug zu sehen, Süd-Kalifornien ist ein gar so interessantes Land.

Heute zum Sonntage fuhren wir mit unserem Wirt, Herrn Bilicke und dessen Frau, die aus Gotha ist, nach Rodondo, einem neu entstandenen Seebad. Herrlicher Strand, die schönsten Blumen bis an die Meereswellen, auf denen sich die Pelikane schaukelten, vorzügliches Hotel, aber keine Gäste, die erst Mitte Oktober einrücken und dann bis April bleiben. Ein höchst interessanter Mann, Herr F. W. Ludowici, war in Rodondo und da Herr Bilicke ihn kannte, machten auch wir seine Bekanntschaft. Er führt den großen Kapitalisten in England Unternehmungen in Amerika zu. Es ist unglaublich, wie viel englisches Capital, sei es in Grundbesitz oder Industrie und Eisenbahn-Unternehmungen, in Amerika engagiert ist, wie oft vernimmt man: „Dieses und jenes gehört den Engländern." Namentlich sollen sie kolossale Strecken Land in New-Mexico und Texas besitzen. Auch die Königin von England und Fürst Bismarck, sagt man, haben einen großen Besitz in Amerika erworben, ich glaube es aber nicht. Wäre ich 30 Jahre jünger, würde ich mich nicht einen Augenblick besinnen, hier gibt es noch etwas zu schaffen, zu verdienen und oft — auch zu verlieren. Unser Wirt ist ein merkwürdiger Beleg dafür. Er kam 1858 als Tischler nach New-York, errichtete ein Geschäft und verdiente viel Geld, da er für einen einfachen Stuhl 8 Dollars bekam. Mit dem Verdienst kaufte er sich einen Grundbesitz in Oregon, aber eine Überschwemmung nahm ihm Haus, Vieh und zerstörte sämtliche Gründe. Nur sein Hund Bando war geblieben und den warf er auch ins Wasser. Seine Frau und drei kleine Kinder blieben in Oregon; Bilicke wanderte zu Fuß, von Indianern verfolgt, 800 Meilen bis Montana, wo er total herabgekommen in einem der Minen-Districte eintraf. Eine Tischlerei war sofort im Gange, zugleich wurde Herr Bilicke Doktor und hatte bald einen solchen Erfolg, dass die Goldgräber ihn mit Haufen Gold bezahlten, täglich 500 Dollars Verdienst war nichts und im Umsehen hatte er 200.000 Dollars zusammen. Mit diesen zog er nach San Francisco, spekulierte in Gründen und über Nacht war er sein Geld wieder los. Nun zog er nach Arizona und eröffnete eine Silber-Mine, bei 200 Fuß Tiefe erreichte er einen reichen Gang, aber eine Verwerfung brachte denselben in ein fremdes Grubenfeld und Mr. Bilicke hatte wieder nichts! Das Wenige, was ihm geblieben, wurde von Frau Bilicke in ein Brot gebacken, um es gegen Räuber zu schützen und mit dem kostbaren Gebäck kam er glücklich wieder nach Kalifornien. Jetzt ist er Hotel-Besitzer, hat ein Einkommen von 20.000 Dollars, seine Tochter an einen Millionär verheiratet und ist ein sehr vergnügter alter Herr, dabei für uns von einer riesigen Liebenswürdigkeit. Mimi hatte ihm gesprächsweise erwähnt, dass wir, um die Räuber zu ärgern, etwas zu wenig Geld in San Francisco behoben hätten und bis Denver sehr sparsam sein müssten, sofort kam er zu mir und offerierte mir jede beliebige Summe, ich könne sie ja, meinte er, von Ungarn zurückschicken. Mrs. Bilicke verehrte meiner Tochter beim Abschiede ein sehr schönes kalifornisches Tuch zum Geschenke, ich habe auch sofort Herrn Bädeker in Leipzig ersucht, dem Hotel Hollenbeck einen Stern zu geben, denn so gefällige Hotelbesitzer hatten wir noch nicht gefunden. Wie viel Menschen ist es hier nicht ähnlich ergangen, aber viele haben auch kolossale Vermögen erworben und wieder dem öffentlichen Wohle geopfert. Amerika ist überhaupt ein Land, in dem man aus den Überraschungen nicht herauskommt. Soeben hält die Heils -Armee mit uniformierter Musikbande, Lampions und einer Menge alter und junger Frauen, auch Männern ihren Umzug. Vielleicht waren es auch keine Mitglieder der Heils-Armee, sondern Baptisten oder Methodisten, die ebenfalls Umzüge veranstalten. An den Straßenecken wurden von beiden Geschlechtern Reden gehalten und Lieder gesungen. Religions-Sekten gibt es hier in Menge, da haben Baptisten, Christians, Congregationale, Neu-Jerusalemer, Unitarier ; Episcopale, Lutheraner, Methodisten, Presbyterianer, Vereinigte Presbyterianer etc. eigene Kirchen, und wenn man wen immer nach dem Unterschiede dieser Religionen fragt, so weiß es niemand zu sagen. Die Religionen in Amerika haben so ihre eigene Geschichte, seit 100 Jahren hat eine tiefgehende Umwandlung in religiöser Beziehung platzgegriffen. Zu Washingtons Zeiten genoss die protestantische Geistlichkeit das größte Ansehen, heute werden zu derselben nur noch Söhne erzogen, die sonst wenig Anlagen zeigen. Vor 100 Jahren war die religiöse Bildung mehr theologisch, heute weist man mehr dem Gefühle einen herrschenden Einfluss zu und dieses äußert sich in einer Neigung zu religiösen Zeremonien und durch große schöne, prachtvoll eingerichtete Kirchen. Luxus ist aber kostspielig, so sind die Kirchenstühle in jenen sehr teuer, und es gehen meistens die Reichen in die stets gefüllten schönen Kirchen.


Die Katholiken wurden in Amerika früher grausam verfolgt, erst als Louis XVI. den Amerikanern im Unabhängigkeitskriege zu Hilfe kam, verschwand die Unduldsamkeit, und seit 1850 erhielt die katholische Religion volle Freiheit, heute zählt dieselbe bereits 8 Millionen Gläubige, 13 Erzbistümer, 66 Bistümer, zahlreiche Orden und verfügt über ein Vermögen von 1.000 Millionen Dollars.

Die Protestanten zerfallen in drei Hauptsekten:

1. In die Anglikaner, Congregationalisten, Presbyterianer und Episcopalen, das sind die Kirchen der guten Gesellschaft;

2. in die Methodisten und Baptisten, welche reich und gut organisiert sind und selbst auf der Straße auf die großen Massen zu wirken suchen, zu ihnen gehören 6 bis 7 Millionen Seelen;

3. in die Deutsch-Reformierten, die in die verschiedensten kleinen Sekten zerfallen, aber nur 700.000 Gläubige zählen.

Im Ganzen gibt es 42 christliche Sekten, die Mormonen haben nun circa 50.000 Mitglieder, Juden gibt es höchstens 20.000. Alle haben ihre eigenen Kirchen und deshalb findet man selbst in den kleinsten Städten meistens mehrere Kirchen. Die Baptisten haben 26.000, die Methodisten 19.000, die Katholiken 7.000, alle übrigen Sekten von wenigen hundert bis 5.000 Kirchen. Die Regierung der Vereinigten Staaten kümmert sich absolut nicht um die religiösen Angelegenheiten ihrer Bürger. Kehren wir aber zu unserer Reise zurück.

Süd-Kalifornien hat eine Länge von circa 60 deutschen Meilen, ist 2.000 deutsche Quadratmeilen groß, ein Drittel so groß als Ungarn und besitzt nur 200.000 Einwohner, ja es hatte 1880 erst 64.000 Einwohner. Und was haben dieselben seit 1846 alles geschaffen! Diese zahlreichen Städte, Kirchen, öffentlichen Gebäude, Eisenbahnen, Bewässerungen, Obst- und Weingärten, industrielle Anlagen, Bergwerke, Straßen, dabei hört man über keinen Arbeitermangel klagen und die Chinesen haben hier keinen rechten Fuß fassen können! Die Grundstücke, die in den Getreide-Staaten „mager" genannt werden, kosten hier 700 bis 1.400 Gulden pro Joch, Weideland in den Gebirgen hat allerdings nur einen Werth von 30 Gulden pro Joch, in den Ebenen werden die mit reichlicher Bewässerung auch über 2.000 Gulden pro Joch bezahlt. Aber die Erträge entsprechen auch diesem hohen Wert der Grundstücke, Aprikosen liefern 1.200 Gulden, Oliven bis 6.000 Gulden, Orangen 1.000 Gulden, Erdbeeren 500 Gulden pro Joch Brutto-Ertrag und so fort, dabei sind die Kosten unbedeutend und werden oft von der dazwischen gebauten Gerste reichlich gedeckt. 1892 wurden aus Süd-Kalifornien 300.000 Meterzentner Orangen und 225.000 Meterzentner andere Früchte in den Osten versendet. An Körnerfrüchten werden in den beiden größeren Getreide-Provinzen von Süd-Kalifornien nur circa 250.000 Meterzentner Weizen und 1.100.000 Meterzentner Gerste produziert und wohl im Lande selbst verbraucht. Große Flächen von Weizen und Gerste werden, wenn sie in die Halme geschossen, grün abgemäht und als Futter für Pferde und Milchkühe mit 2 fl. 40 kr. pro Meterzentner verwendet. Zu gleichem Zwecke wird auch viel Luzerne angebaut. In Süd-Kalifornien sah ich zuerst größere Flächen mit Mais bebaut, er soll ausgezeichnet gedeihen und bei riesiger Höhe oft bis 40 Meterzentner pro Joch liefern.

Die Überschwemmung der Santa Fé-Eisenbahn machte es mir möglich, noch einige der verschiedenen Frucht-Konserven-Fabriken in Los Angeles zu besuchen. Die südkalifornische Packing-Gesellschaft beschäftigt je nach der Jahreszeit 150 bis 400 Personen, meist Arbeiterinnen mit einem Wochenlohne von 6 bis 7 Dollars oder 15 bis 20 fl., die alle möglichen Früchte im Ganzen oder als Muss und Gelee zubereiten und in Blech- oder Glasbüchsen verpacken. Sehr viele Arbeiten werden außerdem mit Maschinen ausgeführt. Augenblicklich ist gerade nur die Zeit der Pfirsiche und so waren mit diesen 150 Mädchen beschäftigt. Die von den Gartenbesitzern eingelieferten Früchte werden in drei Sorten geteilt, die beste wird mit der Hand geschält, durchschnitten, entkernt, in Blechbüchsen gefüllt, mit 30 Prozent Zuckerlösung geschlossen, mit Wasser und Dampf gekocht, verlötet, mit Etiketten versehen und zu zwei Dutzend in hölzerne Kisten verpackt. Die zweite Sorte wird nicht geschält, sondern die Schalen in heißem Wasser erweicht, durch Kneten mit der Hand verlieren die Früchte ihre Kerne, der weitere Prozess ist wie bei der ersten Sorte. Die dritte Qualität wird zu Gelee verwendet. 1 Meterzentner rohe Frucht liefert 100 Büchsen à 1,25 Kilogramm. Die Fabrik kauft pro Meterzentner:

Äpfel und Birnen mit 3 fl. 60 kr.
Pfirsiche mit 5 bis 6 fl. — kr.
Pflaumen mit 3 fl. 60 kr. bis 5 fl.
Weintrauben mit 3 fl. 60 fl. bis 5 fl.

Die Verkaufspreise im Detail pro Dutzend Büchsen à 1,25 Kilogramm sind:
Die erste Sorte, Tafelfrüchte genannt, 4 bis 5 fl.;
die zweite Sorte Frucht-Muß 3 fl. pro Dutzend Büchsen;
Gelées in kleinen Fässern zu 15 Kilogramm pro Fass 3 fl. 60 kr.;
Jams pro Dutzend Gläser 4 fl.

En gros wird ein Nachlass von 25 Prozent bewilligt. Die Fabrik erzeugt bei vollem Betriebe täglich 1.200 Kisten zu zwei Dutzend Büchsen und versendet ihre Ware hauptsächlich in den Osten, aber auch viel nach Australien. In diesem Jahre sind die Preise stark gefallen.

Die geringeren Frucht-Qualitäten werden von kleineren Unternehmern, die sich provisorisch in der Nähe der Obstgärten festsetzen, zu 1 fl. 80 kr. pro Meterzentner gekauft, durchgeschnitten, entkernt, auf kleinen Hürden durch 5 Stunden über brennenden Schwefel gestellt, um alle Pilze zu töten, 4 bis 5 Tage an der Sonne getrocknet und in weißen Säcken in den Handel gebracht. 6 Meterzentner grüne Pfirsiche, die ich zufällig trocknen sah, geben 1 Meterzentner Dörrobst, die Kosten betragen samt Rohmaterial 20 fl. Der Verkaufspreis etwas über 30 fl. Im vorigen Jahre waren die Preise für grünes und getrocknetes Obst bedeutend höher.

Am 1. Oktober bekamen wir endlich die Nachricht, dass die Schäden an der Santa Fé-Bahn notdürftig ausgebessert wären, aber wir konnten erst am 2. Oktober abends Los Angeles verlassen. In der Nacht erreichten wir die San Bernadino-Gebirgskette bei 3.300 Fuß Höhe, fuhren dieselbe hinab, vorbei am merkwürdigen Porphyr- und Granitfelsen, die Needles genannt, überschritten bei Tagesanbruch auf einer schönen eisernen Brücke den breiten Coloradostrom, das schöne Kalifornien lag hinter uns, wir waren in Arizona.