Fresno, den 26. September 1893.

Heute haben wir hier wirklich einen höchst angenehmen Tag erlebt. Wir sind in der großen kalifornischen Ebene des Joaquin-Tales, das westlich von dem Küstengebirge, östlich von der Sierra Nevada begrenzt wird. Ziemlich in der Mitte des Tales liegt Fresno, bis vor sieben Jahren noch ein kleines Nest mit 3000 Einwohnern, heute ein sehr freundliches Städtchen von 15.000 Seelen, mit schönen Häusern aus Rohbau, allerliebstem Theater, großem Gerichtsgebäude und Gefängnisse, Asphaltpflaster, Tramway, natürlich elektrischer Beleuchtung, Rennplatz, Ausstellungs-Gebäuden und anderen öffentlichen Anstalten. Vor sieben Jahren war die 200 Kilometer lange und 100 Kilometer breite sandige Ebene von Fresno noch ein einziges Weizenfeld, da kam ein unternehmender Mann auf den Gedanken, die kleinen Gebirgswässer zu sammeln und in Kanälen in die Ebene zu leiten. Heute sind 55.000 Joch zur Bewässerung eingerichtet und in einen blühenden Garten mit Wein, Rosinen, Feigen, Oliven, Südfrüchten, Obstbäumen und Palmen verwandelt, aus denen freundliche Villen, Arbeiter- und Parkhäuser, Weinkeller und Brennereien hervorsehen. Ein West-Preusse, der seit 30 Jahren in Fresno lebt und einen Mietstall mit 60 Pferden hat, ließ es sich nicht nehmen, uns persönlich in diesem Paradiese herumzufahren und alles zu zeigen. Überall waren die Gartenbesitzer mit der Ernte beschäftigt, es war ein wundervoller Tag, wie es in dem gesegneten Kalifornien alle Tage zu sein scheint, wir konnten uns an dem Segen der gütigen Natur nicht satt genug sehen.

Die Bewässerung ist sehr einfach. Sie wird als Fresno-Kanal-Compagnie von einer englischen Gesellschaft, die kürzlich die ganze Anlage mit 440 Joch Weingarten für 1 Million Dollars kaufte, ausgebeutet. Ein Hauptkanal bringt das Wasser in die Ebene, Gräben zweiten und dritten Ganges in die verschiedenen Besitzungen und Gärten. Bewässert werden nur die Wein- und Obstgärten, für Weizen soll es nicht sehr lohnend sein. Die Bewässerung erfolgt im ersten Jahre dreimal durch drei bis vier Tage im Herbst, im Frühjahr und im Juli oder August. Später genügt es, wenn die Gärten jährlich zweimal bewässert werden, denn das Grundwasser hat sich in der Ebene von 30 auf 3 bis 4 Fuß gehoben, so dass die Pflanzen in dem sandigen Boden immer Feuchtigkeit genug erhalten. Die Kanalgesellschaft erhält nur die Hauptgräben und bekommt für die Bewässerung jährlich 1 fl. 14 kr. pro Joch. In ganz Kalifornien sollen bereits über 400 deutsche Quadratmeilen mit Bewässerungen versehen sein, durch Flüsse oder artesische Brunnen.


Die Größe der Besitzungen ist sehr verschieden und wechselt zwischen 10 und 350 Joch. Der Werth der Felder soll 100 bis 500 fl. pro Joch betragen.

Die Weingärten sind entweder für Rosinen, frische Trauben oder zur Weinerzeugung angelegt. Die Stöcke stehen in einer Entfernung von 6, 8 oder 10 Fuß im Quadrat, meistens hat das Joch circa 1.600 Stöcke. Der Wein wird im Frühjahre total zurückgeschnitten und dann bilden sechs bis acht Reben einen dichten Busch, die für Trauben und Wein über 3 Fuß hohe Pfähle gezogen werden. Die Rosinengärten erhalten dagegen gar keine Pfähle und breiten sich die Reben auf dem Sande nach Belieben aus, so dass fast der ganze Boden bedeckt ist.

Die gerade im Zuge befindliche Rosinen-Ernte nahm unsere Aufmerksamkeit am meisten in Anspruch. Mr. Butler, der uns aufs freundlichste aufnahm, hat einen Rosinengarten von 350 Joch. 400 Arbeiter, meist Chinesen, besorgen in einem Monate für 1 bis 1 ¼ Dollar pro Tag ohne Kost, was für sehr billig angesehen wird, die Ernte. Die Trauben werden gepflückt und bleiben in flachen Kästen oder auf Papier bei einmaligem Wenden vier bis fünf Tage in den Gärten liegen. Ein Stock liefert 10 bis 20 Kilogramm frische und 3 bis 6 Kilogramm getrocknete Rosinen, das Joch daher circa 50 bis 100 Meterzentner. Die Verpackung erfolgt in kleinen flachen Holzkistchen zu 10 Kilogramm Füllung und wird das Kilogramm gegenwärtig mit 20 Kreuzer bezahlt, jedoch wurde auch der doppelte Preis erzielt. Die Traubenrosinen sind wunderbar und gehen in die ganze Welt. Mr. Butler versendet auch frische Weintrauben in den Osten von Amerika. Kleine Kästchen werden mit je 2 ½ Kilogramm frischer Trauben gefüllt, vier Kästchen kommen in eine größere, halb offene Kiste und von diesen werden 10.000 Stück zu 100 Meterzentner mit vier Meterzentner Eis in einem Waggon verladen. Der Transport kostet bis in jede beliebige östliche Stadt auf 3.000 Meilen Entfernung 1.100 Gulden, das macht 11 Kreuzer pro Kilogramm.

Wir waren auch in dem Weingarten eines Herrn Malter, der vor 20 Jahren aus Breslau eingewandert ist. Derselbe beschäftigt sich mehr mit der Erzeugung von Wein, Portwein und Cognac und löst für
einmal abgezogenen Rotwein . . . . fl. 13 pro Hektoliter
einmal abgezogenen Weißwein . . fl. 13 pro Hektoliter
Portwein . . . . fl. 40 pro Hektoliter
Cognac . . . . . . fl. 70 pro Hektoliter

Krankheiten an den Weinstöcken sind in dem Sandboden von Fresno noch nicht vorgekommen, aber in anderen Lagen hört man schon viel über die Reblaus klagen, die Tausende Joch Weingärten zerstörte. Unser Konsul Herr Körbel in San Francisco erwähnte, dass nach seinen Erfahrungen die Benützung wilder amerikanischer Pflanzen als Unterlage kein genügender Schutz gegen die Reblaus sei. In Annaheim, Süd-Kalifornien, hat eine noch unerforschte Krankheit an den Weinstöcken schon über 12.000 Joch total zerstört. Ganz Kalifornien erzeugt übrigens circa 300.000 Hektoliter Wein, von dem zwei Drittel vom Osten in Anspruch genommen werden. Der hiesige Wein ist etwas schwer, aber gut behandelt vorzüglich. Ich habe, wie ich bereits erwähnte, bei unserem Konsul, der 200 Joch eigene Weingärten besitzt, einen sieben Jahre alten Wein getrunken, der ausgezeichnet war. Im Allgemeinen wird noch viel über die schlechte Wein-Manipulation geklagt, aber der kalifornische Wein hat jedenfalls eine große Zukunft, während in Rosinen, die allein in Fresno circa 40.000 Joch okkupieren, bereits eine Überproduktion stattfindet.

Nachmittags war großes Kennen in Fresno, bei dem wir natürlich nicht fehlen durften: Trab-, Pace- und Flach-Rennen, aber keine Pferde ersten Ranges, 2 Minuten 36 bis 44 Sekunden die Meile. Der freundliche West-Preuße holte uns mit zwei ausgezeichneten Trottern aus dem Hotel ab und wir rasten nur so durch eine Palmen-Allee zum Rennplatze, welcher in jeder Beziehung sehr nett eingerichtet ist und auch ein schönes Clubhaus besitzt. Der Besuch war in Folge der Weinernte schwach. Unser Kutscher machte den liebenswürdigen Hausherrn und stellte uns den anwesenden Sports-Damen und -Herren vor. Neben dem Rennplatze befand sich eine Ausstellung von Obst, die weit schöner als in Chicago war, ich habe so prachtvolles Obst und von solcher Größe überhaupt noch nicht gesehen. Die Fresnoer, auch unser West-Preuße, sind sehr stolz auf ihr neues Gefängnis. Letzterer ließ meinen Ladies keine Ruhe und führte sie in dasselbe. Die Gefangenen befinden sich dort in Zellen, die ein Gitter nach den Gängen haben, und können so nach Belieben von den Besuchern angesprochen und bewundert werden. Unser freundlicher Führer stellte die Damen einem Mr. Evans vor, der sich seit 20 Jahren mit Überfällen auf Eisenbahnzüge und Postwagen beschäftigt hatte. „Die Ladies", sagte unser West-Preuße zu Mr. Evans, „sind aus Europa hierher gekommen, um Sie kennen zu lernen."

„Das glaube ich wohl nicht", erwiderte Mr. Evans, „aber wie gefällt Ihnen unser Klima?" Auf Mimis naive Frage, wie viel Menschen er schon umgebracht habe, wurde er anfänglich etwas verlegen, sagte aber dann: „Ich will es Ihnen sagen, das letzte Mal sind drei auf dem Platze geblieben." Übrigens war er im Gefängnis recht zufrieden, er bekomme gute Kost und habe viel Gesellschaft, auch lese er fleißig die Zeitungen. Auf Mimis Wunsch, einmal ausgeraubt zu werden, erwiderte er höflich: „Das Vergnügen kann ich Ihnen schon machen, wenn ich einmal wieder frei bin." Beim Abschiede bat er die Damen artig, ihn doch wieder einmal zu besuchen. Hoffentlich erneuern wir diese Bekanntschaft nicht auf einem Eisenbahnzuge!

Auf das Gefängnis folgte das Theater ohne Vorstellung. Unser Führer stellte uns dem Sekretär oder Direktor vor, der uns mit großer Bereitwilligkeit in allen Teilen des recht nett eingerichteten, funkelnagelneuen Hauses herumführte und dasselbe zur Feier unseres Besuches von oben bis unten elektrisch beleuchten ließ.