Newport, den 16. August 1893.

Unsere Zeit für Newport ist erschöpft, morgen Abends 11 Uhr fahren wir nach New-York und von dort den 18., Früh 9 Uhr, mit einem Fluss-Riesenschiff nach Albany und Saratoga, wo wir Abends eintreffen. Wir trennen uns recht schwer von hier, das Meer, die felsigen Ufer mit den vielen Buchten und darüber die grünen Rasen mit den Parkanlagen und zahllosen Villen, eine schöner als die andere — wir können uns nicht sattsehen! Bei den Villenbesitzern muss ein fabelhafter Reichtum vorhanden sein, in einer der Parkstraßen steht Schloss an Schloss, es wohnen dort zwei Vanderbilts und zwei Astors, jeder einige hundert Millionen Dollars schwer. Eine solche Verschiedenheit der Equipagen wie hier habe ich nur im Bois de Boulogne gesehen. Auch viele schöne Pferde kommen zum Vorschein, in Rhode Island werden aber keine Pferde gezogen, sie kommen meistens aus Ohio und Illinois oder weiter aus dem Westen von Farmern, die 10 bis 12 Stuten haben und die jungen Tiere mit fünf Jahren auf den Markt nach New-York bringen. Im Frühjahre sind die Pferde gewöhnlich bedeutend teuerer als im Herbste, ein Paar Carossiers kosten 1.000 bis 2.000 Dollars, ein guter Trotter zum Gebrauche 500 bis 1.500 Dollars, ein Paar starke, 16fäustige Arbeitspferde 600 Dollars, die Rennpferde natürlich bedeutend mehr, 5.000 bis 10.000 Dollars wie gar nichts. Die Polo-Ponies kommen per Schiff in Partien von 200 Stück von Mexico und werden mit 150 bis 200 Dollars bezahlt, sie haben ein ähnliches Exterieur wie unsere 14 Faust großen Araber, sind ungemein zähe und flink und nehmen selbst ein großes Interesse an dem Polospiele.

Sonntag waren wir auch in der Kirche, bequemer kann einem die Frömmigkeit schon nicht gemacht werden; sehr hübsche neue Kirche im englisch-gotischen Stile mit schönen Glasmalereien, Teppichen und Mahagonibänken, letztere sogar mit Samt gepolstert. Kanzel und Altar sind vereinigt, während der sehr schönen Gesänge sitzt der Geistliche in einem bequemen Sessel, die ganze Handlung war aber recht feierlich.


Montag den 14. fuhren wir in zwei Stunden mit Schnellzug nach Boston und Abends zurück, zum ersten Male auf einer amerikanischen Bahn. Die langen Salonwagen, mit 15 Bänken auf jeder Seite, für 60 Personen, sind ganz elegant, luftig und für kleinere Strecken recht angenehm, das an jeder Station wechselnde Publikum, die mitreisenden Zeitungs- und Eiswasserjungen bieten Abwechslung genügend. Die Personenzüge gehen so rasch wie bei uns und der Dienst ist stramm, die Conducteure sehr artig. Ist es überall so, dann hat man in Amerika kaum nötig, sein Leben auf Reisen zu versichern. Wir hielten uns so ziemlich an der Küste, die Landschaft bietet daher wenig Abwechslung: wellenförmiges, felsiges Terrain mit vielen sumpfigen Stellen, viel Erlenwaldungen, mit Mauern und leichten Zäunen eingefasste Weiden, kleine Kartoffel-, Mais- oder Gemüseäcker. Auf den abgebrannten Weiden ernähren sich dürftig ausschließlich Kühe, vorherrschend Jersey und Natives, d. h. die einheimische Rasse, der man die Abstammung von Shorthorn ansieht. Kleineren Ortschaften begegnen wir in reicher Anzahl, meist aus freundlichen, mit grauer oder gelber Ölfarbe angestrichenen Holzhäusern; von größeren Städten passierten wir Fall River, an einem Fluss, der beinahe die Breite der Donau hat und mit einer sehr bedeutenden Baumwoll-Industrie versehen ist. Wir kommen aus den Überraschungen nicht heraus. Boston ist eine wunderbare Stadt, die günstige Lage am Meer, das wellenförmige Terrain, die neuen schönen breiten Straßen, eine Menge monumentale Paläste, wie das State-House, die Post etc., sehr schöne Monumente und dann ein Leben wie in London gaben uns genug Veranlassung zur Bewunderung. Die elektrischen Bahnen durchlaufen alle größeren Straßen, oft treffen sich sechs und mehr Waggons an einem Kreuzungspunkte und weichen sich mit einer Geschwindigkeit aus, die zum Erstaunen ist. Dabei dieser kolossale Wagen- und Menschenverkehr, oft in den engsten Straßen und doch wickelt sich alles so glatt ab wie auf der Ringstraße in Wien. Einen schöneren Blumengarten als den Public-Garten in Boston, mit einer herrlichen Reiterstatue Washingtons, habe ich noch nicht gesehen. Außer der Stadt ist seit circa 15 Jahren der 350 Joch große Franklin-Park angelegt, der mit der Zeit ein Weltwunder werden kann, so geschickt sind die natürlichen Schönheiten des felsenreichen Terrains benützt. In Boston bekommt man alles, die Läden sind äußerst geschmackvoll, wenn auch vermutlich nicht billig. Ansichten von Boston kosteten 50 Cents = 1 fl. 25 kr. Im Adams-House, einem riesigen Hotel mit prachtvollem Restaurant, dinierten wir vorzüglich. Früher aufmerksam gemacht, bestellten wir nur zwei Portionen von Suppe, Fisch, Braten, Obstkuchen, aber wir hätten auch alle drei mit einer Portion reichlich genug gehabt; auf diese Weise kann man auch in Amerika billig und sehr gut dinieren. Boston ist die Hauptstadt des ältesten Staates der Union, Massachusetts, der nur 367 Quadratmeilen hat, also so groß wie Sachsen ist, aber mit der größten Gewerbetätigkeit in den Vereinigten Staaten. Für Ackerbaugeräte, Papier, Baumwollgespinnste, Uhren, Waffen, Nägel, Schuhwaren bestehen in der Umgebung von Boston zahlreiche und die großartigsten Fabriken. 150.000 Arbeiter sind mit der Anfertigung von Schuhwerk beschäftigt, und es soll Maschinen geben, mit denen ein Arbeiter täglich 300 Paar Schuhe machen kann.

Artig und gefällig sind die Amerikaner im Osten, dass es eine Freude ist. Ich machte hier die Bekanntschaft eines Herrn Roberts aus Philadelphia, am folgenden Tage lud er mich ein, in seiner Equipage den Ocean-Drive, eine schöne Straße am Rande des Meeres, zu besuchen; wir machten eine sehr hübsche Tour und fuhren schließlich zum Polo. Kaum möglich, im Seebade eine freie Kabine zu erwischen, ein Badegast sieht meine Verlegenheit, sofort bietet er mir die Mitbenützung seiner eroberten Kabine an. Reklame verstehen die Amerikaner zu machen; an der Bahn nach Boston war auf einer langen Strecke an jedem kleinen Hause, oft an eigens gebauten schwarzen Holzbuden mit großen goldenen Buchstaben:
                                Hoods Sarsaparilla
geschrieben, wohin unser Auge schaute, überall Sarsaparilla. Ihr könnt Euch die Neugierde meiner Damen denken, heute fanden sie dieselbe auch an dem Schaufenster eines Limonadenhändlers, der ihnen als Antwort auf ihre Frage ein Glas Limonade kredenzte. Die Sarsaparilla soll schauderhaft geschmeckt haben, als Blutreinigungsmittel aber sehr gut sein; eine Bezahlung nahm der gefällige Amerikaner nicht an.

Heute Morgens fuhren wir und Mr. Roberts in einer Stunde nach Narragansett, einem großen Seebade auf einer benachbarten Insel. Newport ist vornehmer, lustiger Narragansett; um 12 Uhr herrscht an dem sehr angenehmen Strande ein Leben wie in Ostende, Männer, Frauen und Kinder wimmeln bunt durcheinander in den Wellen des Oceans! In den feinsten Hotels zahlt man 30 Dollars oder 75 fl. Pension pro Woche samt Bedienung, Licht, Feuerung und allen geistigen Getränken. Der Staat Rhode Island, in dem der Badeort liegt, ist ein sogenannter Temperenz-Staat, in dem das Verschänken von Wein, Bier etc. strengstens verboten ist, aber nicht das Verschenken, so schenkt der mitleidige Wirt seinen Gästen was gut und teuer an Getränken ist. Wenn ihm dann bei wöchentlicher Abrechnung ein kleines Geldgeschenk gemacht wird, um sich doch anständig zu revanchieren, so erleidet dadurch das strenge Gesetz keinen Abbruch. Auch ein sehr schönes Clubhaus ist in Narragansett. Die Gesellschaft ist sehr elegant und vergnügt, und muss ich den Amerikanern das Zeugnis ausstellen, dass sie sich viel besser und geschmackvoller als unsere feine Welt zu kleiden wissen. Auf dem Heimwege fuhren wir Abends mit einem sehr eleganten Herrn, der auch deutsch sprach und sich mit Mimi und Miss P. auf das Liebenswürdigste unterhielt. Beim Abschiede wechselten wir unsere Karten: Schneider Winter aus Louisville — Ihr könnt Euch die Nasen meiner Ladies vorstellen! Ich benützte dagegen noch schnell die letzten Minuten, um ihn über die Schneiderei auszufragen; beinahe sämtliche Herren- und Damengarderobe wird hier gemacht, Stoffe kommen meistens aus England und Deutschland. Herr Winter behauptete kühn, so gute Schneider wie in New-York gebe es in der ganzen Welt nicht und ich habe mich später von der Richtigkeit seiner Behauptung überzeugt. Für Anzüge zahlt man in Dollars was bei uns in Gulden, nur Schuhwerk ist ebenso billig und schöner als in Wien, die Amerikanerinnen haben aber auch entzückende Füße!

In Narragansett war im Clubhause großartiger Tennis-Match, das war etwas für meine Damen, wir haben vier Stunden zugesehen, die jungen Amerikaner spielten wunderbar, Gabor würde seine Freude daran gehabt haben. Was doch die Reisenden und Journalisten über Amerika zusammenlügen, ich habe noch keinen spuckenden Amerikaner gesehen, Mimi behauptet zwar, auf der Bahn einige mal in Gefahr gekommen zu sein, aber der ist sie auch zuweilen in unserem gesegneten Vaterlande ausgesetzt. Am ersten Morgen in Amerika wollte ich meinen ledernen Schuhkasten aus dem Koffer hervorholen und als selbstverständlich meine Schuhe wichsen — bei der Hitze! Ganz unnötig, man setzt sich in dem Hausflur in einen bequemen Lehnsessel und für 5 Cents sind die Schuhe spiegelblank, besser kann man's ja nicht haben. Was ich noch über Boston sagen wollte! man hat dort vorzügliches Baumaterial: Granit, roten Sandstein, weißen Marmor und dunkelrote vorzügliche Ziegeln. Durch einen Wechsel dieses Materials erzielt man eine große Verschiedenheit der Gebäude, die sehr oft vollendet architektonisch schön sind. Der weiße Marmor ist nur zu Bauten, nicht zu Monumenten geeignet, für welche er aus Italien kommt.

Augenblicklich sind in Newport die schönsten Privatschiffe in dem herrlichen Hafen versammelt, aus ganz Amerika sandten die reichsten Leute ihre Privat-Yachten und Steamers (119 Yachten, 50 bis 60 Steamers), eines schöner als das andere, zu den Races (Rennen) nach Newport. Eine solche Yacht kostet Dollars 30.000 bis 60.000, ein Steamer Dollars 100.000 bis 300.000. Heute rannten vier Einmaster 40 englische Meilen weit. Mr. Roberts hatte ein sehr schnelles Segelboot bestellt und mit diesem fuhren wir in die hohe See, wo sämtliche fremde Schiffe, weit über 100, versammelt waren:

                  Pilgrim von Mr. Stewart
                  [b]Columbia von Mr. Rogers
                  [b]Jubilee von Mr. Prince
                  [b]Vigilent von Mr. Morgan


rannten, es war ein herrlicher Anblick, wir warteten aber das Ende nicht ab, da in einer Stunde nur gegen 10 englische Meilen zurückgelegt werden können. Mr. Roberts, der ebenso liebenswürdig als unschätzbar für uns war, meinte, wir hätten in Amerika hier die reichsten Leute, die elegantesten Damen und Equipagen, die schönsten Villen und Gartenanlagen, sowie die besten Schiffe in der Welt, wie der Amerikaner gerne zu sagen pflegt, gesehen, wir können daher von Newport befriedigt sein und sind es auch. Die liebe Mazie soll nicht unterlassen, ihren Eltern von unserer Zufriedenheit in Amerika Mitteilung zu machen. Max bitte ich dagegen, recht bald Mr. Roberts zu schreiben und ihm Photographien unserer Pferde zu schicken. Soeben sendet derselbe Mimi einen Band seiner Gedichte. Beim Photographen wünschte Mimi die Photographie einer sehr hübschen Lady, ich glaube von Mrs. Astor, zu kaufen; „das darf ich nicht tun", antwortete die Photographin, ,.aber ich schenke Ihnen ein Exemplar". Genau wie die freundlichen Wirte in Narragansett ihre Getränke verschenken.