New-York, den 10. August.

Mit der Pünktlichkeit eines Schnellzuges landet unsere „Spree" Morgens 8 Uhr an dem Pier des Bremer Lloyds Hoboken am linken Hudsonufer.

Neun Tage zusammen auf dem Ozean bringen so manche angenehme Bekanntschaft; da gab es beim Verlassen der uns so lieb gewordenen „Spree" ein Abschiednehmen, Händeschütteln, Glückauf, „Good-bye" in Menge, dann hastig über den schmalen Steg vom Dampfer in die Halle — die ganze Schiffsgesellschaft war in dem New-Yorker Strudel verschwunden, wie ein Sandkorn in der Wüste! Viele wurden von Freunden und Verwandten mit wehenden Tüchern und Blumensträußen in Empfang genommen, ich hoffte Jancsis Schwester, Frau Tuller, dort zu sehen, aber vergebens suchte ich sie in dem Menschenmeere.


Natürlich dauerte es eine Weile, bis unsere Koffer ausgeladen waren, endlich hatten wir unsere sieben Sachen in einer Ecke der Halle, es kam der gefürchtete Zollrevisor und war viel liebenswürdiger als in Bodenbach — nicht einmal meine vollen Zigarrenkistchen wurden beanstandet. Die Expresscompagnie übernahm unser Gepäck, für 2 Dollars finden wir es auf dem Schiffe nach Newport wieder; wir ließen uns für 10 Cent (25 kr.) von Hoboken auf einer der großen Fähren übersetzen und waren um 10 Uhr in New-York. Ich habe Berlin, Paris, London gesehen, aber an die Möglichkeit eines solchen Verkehres hatte ich nicht gedacht, und doch geht alles ganz glatt ab. In zwei Stunden waren auch wir au fait und saßen bald auf der Hochbahn oder in der elektrischen, in der Tramway und im Einspänner, so dass wir uns bis 6 Uhr Abends in New-York ganz zu Hause fühlten. Zuerst besuchten wir den Bankier Seligmann, um 1.000 Dollars zu erheben; er jammerte über die Börse; Gold und Papier sei nur mit 4 Prozent Agio zu bekommen und eine Bank falle nach der anderen. Er führte uns, bis die 1.000 Dollars beschafft waren, auf die Börse, wo es toll genug herging, für Mimi und Miss P. ein ganz neuer Anblick. Dann erkundigten wir uns im Hotel Walldorf nach Mr. Dietrich, leider hatte er nichts von sich hören lassen. Ist das ein Hotel! Wunderbar, ein Riese gegen die größten Hotels in Wien, hochelegant, aber auch unmenschlich teuer! sagt man. Kommen wir nach New-York zurück, so werden wir wohl im Windsor-Hötel bleiben, es wurde uns von so vielen Reisenden bestens empfohlen. Von hier gingen wir in ein großes Ticket-Office welches Eisenbahnkarten für ganz Amerika besorgt. Man will uns ein billiges Ticket für unsere ganze Reise zusammenstellen, und je nachdem der Preis, werden wir uns entscheiden; da unser Reiseplan schon definitiv feststeht, können wir es auch mit dem weit billigeren und ganz bequemen Rundreisebillet riskieren. Nach des Tages Mühen das Vergnügen, erstes Frühstück in einem amerikanischen Restaurant, sehr gut und nicht übermäßig teuer, was wir in Wien für einen Gulden bekommen, kostet hier einen Dollar, das ist eine einfache Rechnung. Die Luft in dem Lokale war trotz Hitze wunderbar; durch eine zierliche Transmissionswelle wurden in Abständen von circa 4 Meter Ventilatoren mit zwei schmalen Flügeln von 1 Meter Länge an der Decke in Bewegung gesetzt, die sämtliche Gäste mit einem kühlenden Luftstrom versieht. Überhaupt alles ist hier praktisch eingerichtet. Wenn man mit der Seil- oder elektrischen Bahn fährt, kommt einem die Wiener Tramway wie eine ekelhafte, schmutzige alte Postkutsche aus dem vorigen Jahrhundert und die Wiener Stadtväter nicht sehr weise vor.

Nachmittags machten wir noch eine kurze Fahrt durch den weltberühmten Nationalpark in der Mitte der Stadt, ich muss gestehen, dass er uns weniger entzückte, als ich nach der Beschreibung vermutet hatte. Der Park ist erst 1853 auf einem felsigen sumpfigen Terrain entstanden, es fehlen daher die alten Bäume und durch die große Hitze war der Rasen trotz aller Bewässerung gelb, die Blätter der Bäume abgebrannt, im Frühjahre mag es ja schöner sein. Eigentümlich nehmen sich die 8- bis 13stöckigen Häuser aus, sie berühren das Auge aber nicht unangenehm; mehr fällt uns die viele rote Farbe an den Häusern auf, offenbar die Lieblingsfarbe der Amerikaner, wie wir uns später überall überzeugen konnten. Die meisten Häuser sind aus dunkelroten Ziegeln und rotem Sandstein, dem Freestone, gebaut, der aber bei dem wechselnden Klima leicht verwittert. In längeren geraden Straßen ist ein Haus wie das andere: eine Freitreppe bis ins Parterre, eine Haustüre, daneben zwei oder drei Fenster und zwei oder drei Stock hoch, lauter Familienhäuser.

Um 6 Uhr dampften wir nach Newport ab. Bevor wir aber unsere große Reise durch die Vereinigten Staaten antreten, wird es angezeigt sein, uns die allgemeine Geographie des amerikanischen Wunderlandes, wie es die Amerikaner mit Vorliebe nennen, etwas ins Gedächtnis zurückzurufen, es erleichtert das Reisen und erhöht die Freude an demselben. Manche meiner wissensreichen Leserinnen werden das vielleicht für überflüssig halten, aber ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schwer man sich beim Lesen einer Reisebeschreibung entschließt, Atlas und Geographie zur Hand zu nehmen und dadurch oft das Interesse an dem Erzählten verliert.

Die Vereinigten Staaten von Nordamerika liegen auf der westlichen Halbkugel unserer Erde zwischen dem 25. und 49. Breitegrade und dem 67. und 124. Längengrade. Sehen wir von Alaska ab, so liegen die nördlichsten Staaten Montana und Washington ebenso nördlich wie Paris oder Wien, die Südstaaten Texas und Florida bedeutend südlicher als die Nordküste von Afrika, New-Orleans so südlich wie Kairo.

Die Union hat eine Ausdehnung von 3-6 Millionen englischen Quadratmeilen (170.000 deutsche Quadratmeilen). Hiervon muss aber Alaska, die nordwestliche Ecke des amerikanischen Festlandes, welche 1867 für 7 Millionen Dollars den Russen abgekauft wurde und gegenwärtig noch ohne Bedeutung ist, mit 580.000 englischen Quadratmeilen in Abzug gebracht werden, so dass die Vereinigten Staaten circa 3 Millionen englische Quadratmeilen (140.000 deutsche Quadratmeilen) groß sind, während ganz Europa 200.000 deutsche Quadratmeilen hat. Die größte Entfernung von Osten nach Westen, z. B. von Boston bis San Francisco beträgt 2.800 englische Meilen (4.500 Kilometer), die man in sechs Tagen und sechs Nächten zurücklegen kann. Die mittlere Breite z. B. von St. Paul bis New-Orleans beträgt 1.100 englische Meilen (1771 Kilometer), in zweieinhalb Tagen zu erreichen.

Die Vereinigten Staaten werden östlich von dem Atlantischen, westlich von dem Stillen Ozean begrenzt, nördlich liegt Kanada mit seinen Seen, die einen Küstenumfang von 3.000 englischen Meilen (4.830 Kilometer) haben, im Süden der Golf von Mexico und die Republik Mexico.

Nordamerika ist vom Dualismus beherrscht. Die Bodenbildung, das Klima, die Bewässerungsverhältnisse, selbst die pflanzlichen und tierischen Verhältnisse sind im Osten andere als im Westen, man unterscheidet daher auch eine atlantische und eine pazifische oder die appalachische und cordillerische Hälfte. Die Bildung der ersteren mit dem Alleghany oder Appalachischen Gebirge gehört der paläozoischen Zeit an, da der größte Teil von silurischen r devonischen und carbonischen Gesteinen eingenommen wird. Ursprünglich mag das Alleghany-Gebirge, das sich von Norden bis zum Süden zieht, wohl bedeutende Höhen besessen haben, aber Regengüsse, Wechsel von Hitze und Frost, Winde haben die Berge bis auf höchstens 2.000 Meter erniedrigt, Täler geschaffen, Gesteine verwittert und die der Tertiärzeit folgende Vergletscherung im Norden trug dazu bei, dem Boden seine heutige Gestalt zu geben. In der cordillerischen Hälfte richteten sich in der Tertiärzeit ungeheure Hochgebirgsketten bis zu 7.000 Meter Höhe auf, oder andere Teile senkten sich in ein tieferes Niveau, und aus den entstandenen Spalten drangen vulkanische Massen an die Oberfläche empor. So entstanden das Felsengebirge mit seinen Biesen-Canons, das Kaskadengebirge und die Sierra Nevada im Westen des Landes, welche von Kanada bis Mexico reichen. Die ideale Grenze zwischen beiden Hälften zieht Prof. Dr. Sievers von der Ostküste von Mexico, dem Missouri und Red River entlang bis zum Winnipegsee und endlich bis zum Eismeere.

So verschieden wie die geologischen Verhältnisse beider Hälften, so abweichend sind auch ihre klimatischen: Temperatur und Niederschlag; die appalachische Hälfte gehört in dieser Beziehung zu den am reichsten, die cordillerische, mit Ausnahme eines schmalen Streifens an der Westküste, zu den am ärmsten ausgestatteten Erdräumen. Das Klima eines Landes nach Mittelwerten zu charakterisieren ist immer schwer, aber in Amerika, wo so häufige Schwankungen zwischen den Extremen stattfinden, unmöglich. Es gehört nach Sievers zu den heißesten und kältesten, zu den windstillsten und stürmischsten, zu den trockensten und feuchtesten Erdräumen. Und will man es mit den übrigen Ländern vergleichen, so entsprechen Michigan, Nebraska, Süd-Dakota dem italienischen Klima, Mexico ist ein Seitenstück von Arabien, die Union von China und Kanada von Sibirien.

Die jährlichen Regenmengen sind:

An der Missisippimündung 1.270 Millimeter
in St Louis 1.016 Millimeter
an der Atlantischen Küste 849 Millimeter
nördlich vom Missouri 635 Millimeter
im nördlichen Kalifornien 1.016 Millimeter
im südlichen Kalifornien 228 Millimeter
Utah 127 Millimeter
Süddeutschland 635 Millimeter
Norddeutschland 508 Millimeter
Kapuvár, Ungarn 500 Millimeter

Das große amerikanische Stromgebiet hat im Nordosten den Lawrence-Strom, der seinen Zufluss aus den kanadischen Seen nimmt und in den St. Lawrence-Golf führt; im Ostenden Connecticut, Hudson, Delaware und Potomac, von denen der Hudson bei Albany, der Hauptstadt des Staates New-York durch den Erie-Kanal mit den canadischen Seen verbunden ist; im Zentrum der Vereinigten Staaten den Vater der Ströme, den Missisippi mit dem Missouri (dem eigentlichen Hauptstrome), die auf eine Länge von 3.200 englische Meilen (630 deutsche Meilen) von der nördlichen Grenze bis in den Golf von Mexico bei New-Orleans fließen und in ihrem Laufe östlich den Ohio und westlich den White, Platte, Arkansas und Red River aufnehmen; im Westen den Colorado River und Rio Grande und im Nordwesten den Columbia-Fluss. Die Union besteht aus 44 Staaten und vier Territorien, d. h. solchen Staaten, die noch nicht genug bevölkert sind, um sich selbst verwalten zu können. Der größte Staat ist Texas mit 280.000 englischen Quadratmeilen (13.000 deutsche Quadratmeilen), also etwas größer als Österreich und Ungarn; Kalifornien, Nevada, Colorado, Nord- und Süd-Dakota, Arizona, Montana haben über 100.000 englische Quadratmeilen (5.000 deutsche Quadratmeilen), sind daher etwas kleiner als Ungarn allein, sechs Staaten haben 80.000 bis 90.000 englische Quadratmeilen, 24 Staaten 40.000 bis 80.000 englische Quadratmeilen und der kleinste Staat ist Rhode Island mit 1790 englischen Quadratmeilen (60 deutsche Quadratmeilen). Die Einwohnerzahl der Union beträgt 62 Millionen. Die Staaten New-York und das benachbarte Pennsylvanien haben jeder über fünf Millionen Einwohner, Ohio, Illinois, jeder über drei Millionen, Massachusetts, Texas, Indiana, Michigan, Missouri über zwei Millionen, 17 Staaten über eine Million und 22 Staaten unter einer Million bis herab zu Arizona mit nur 60.000 Einwohnern. Die östlichen Staaten sind fast so bevölkert wie die europäischen, je weiter gegen Westen, desto dünner die Zahl der Bewohner pro Quadratmeile. Die meisten Menschen leben in den Städten, von denen New-York dreieinhalb Millionen, Chicago und Philadelphia über eine Million, Boston, Buffalo, Baltimore, Pittsburg, St. Louis und San Francisco über 300.000, New-Orleans, Milwaukee, St. Paul, Minneapolis, Denver gegen 200.000 Einwohner besitzen.

Um uns mit dem Riesenreiche, in dem wir zu reisen beabsichtigen, möglichst vertraut zu machen, lassen wir noch einige statistische Daten folgen. Die Vereinigten Staaten haben gegen vier Millionen Farmer, die 300 Millionen englische acres (23.000 deutsche Quadratmeilen) bebauen, so dass bis jetzt nur 16 Prozent der Landesfläche benutzt werden. Die Farmer und Andere besitzen 14 Millionen Pferde, zwei Millionen Maulesel, 37 Millionen Ochsen, 16 Millionen Milchkühe, 44 Millionen Schafe und 51 Millionen Schweine.

Die jährliche Körnerproduktion beträgt circa
2100 Millionen Bushels (600 Millionen Doppelzentner) Mais
490 Millionen Bushels 160 Millionen Doppelzentner Waizen
28 Millionen Bushels 9 Millionen Hektoliter Roggen
63 Millionen Bushels 21 Millionen Hektoliter Gerste
751 Millionen Bushels 250 Millionen Hektoliter Hafer.

Sämtliche landwirtschaftliche Produkte haben einen Wert von 650 Millionen Dollars.

Unermesslich ist der Reichtum an mineralischen Schätzen. Der Osten mit seinem Alleghany-Gebirge besitzt die größten Kohlen- und Magneteisensteine der Welt, am oberen See bestehen große Eisen- und Kupferminen, die Gold- und Silberschätze im Westen in den Felsengebirgen und der Sierra Nevada in Colorado, Montana und Kalifornien sind bekannt. In Massachusetts, Pennsylvanien, Ohio, Virginien, Kentucky, Tennessee, Georgia, Alabama, Michigan, Illinois bedecken die Kohlenlager eine Fläche von 115.000 englischen Quadratmeilen (5.500 deutschen Quadratmeilen) und außerdem ist noch im Missouribecken bis Texas ein Kohlenlager von 24.000 englische Quadratmeilen (1.100 deutsche Quadratmeilen) bekannt. Der Westen ist leider kohlenarm. Die Union produziert jährlich:

10 Millionen tons Roheisen
100 Millionen tons Kohle
40 Millionen tons Anthracit

für 32 Millionen Dollars Gold und 64 Millionen Dollars Silber.

„Providence" hieß das Mammothschiff, welches wir Abends in New-York bestiegen; vielleicht war es so groß wie unsere „Spree", jedenfalls hatte es in zwei Etagen 300 kleine Kabinen, große Salons, Speiseräume, eigene Musik, kurz alles, um die Reise nach Newport in 12 Stunden angenehm zurücklegen zu können. Da saßen wir behaglich auf dem obersten Deck und genossen nochmals die feenhafte Aussicht im Hafen von New-York. Wir bogen in den East-River zwischen New-York und Brooklyn ein, fuhren unter die Brooklyn-Riesenbrücke, dann in den Long Island-Sound, links noch immer New-York, rechts die Vallabout Bay mit der größten Haupt-Marinestation der Union. Leider wurde es dunkel, so dinierten wir für 2 Dollars pro Kopf recht gut auf der „Providence" und suchten dann zu schlafen, was uns wegen der großen Hitze weniger gut gelang.