An Bord der "Spree", den 9. August 1893.

Der letzte Tag an Bord! Wie die Zeit so schnell vergangen ist! Freilich an Unterhaltung fehlte es auch auf dem Atlantischen Ozean nicht. Das Meer war gestern Abend wie ein Spiegel, die Bewegungen des Schiffes kaum zu spüren. Das windfreie Deck wurde mit Flaggen, Decken etc. zu einem kleinen Theater hergerichtet, elektrische Beleuchtung, Miss Füller führte ihre phänomenalen graziösen Serpentintänze zu Gunsten der Seemannskasse auf. Ihre Kunst besteht darin, die weiten phantastischen Gewänder mit den ausgestreckten Händen so schnell und vielfältig zu bewegen, dass dieselben in den verschiedensten Formen wie ein Wolkenmeer um die Tanzende auf und nieder wallen. Riesenapplaus und nachher bis Mitternacht getanzt! Wie klein doch die Welt ist, der Schiffs-Oberingenieur Baum, der mich gestern in dem Maschinenräume herumführte, hat mit Onkel Günther, den er bestens grüßen lässt, 1862 in Karlsruhe studiert, und Mimis Tänzer, Hauptmann Wundt, wohnt in Mainz in einem Hause mit Herrn Preetorius sen. zusammen. Überall findet man Berührungspunkte, selbst mitten auf dem Meere, 6.000 Kilometer von der Heimat!

Heute ist auch der Lotse an Bord gekommen, wir sind etwas südlich von Halifax, da gibt es schon Bänke und Untiefen. Der Lotse bekommt für seine Bemühung 250 Dollars, muss aber das Schiff auch wieder aus dem Hafen begleiten. Es gibt einzelne Lotsen-Gesellschaften von sechs bis acht Personen in New-York, die sich mit ihren kleinen Segelbooten weit ins Meer hinein wagen, um die großen Dampfer zuerst zu erreichen und die Lotsengebühr einzuheimsen. Wir hatten gehofft, das Lotsenboot würde uns die neuesten Zeitungen aus New-York mitbringen, sie waren vom 28. Juli!


Das erste Stückchen Erde, das wir erblickten, war Sandy Hook Bar mit einem Leuchtturme. Wir fuhren durch den mit weißen und roten Lichtern versehenen Gedney Channel, dann durch die Narrows, rechts die Forts Wadsworth und Tompkins, links Fort Hamilton und das großartigste Hafenbild der Welt lag vor unseren überraschten und erstaunten Blicken. In der Mitte, vis-à-vis von uns, New-York, ein langgezogenes Häusermeer, umgeben von einem Kranze von Hafenplätzen, Piers, die stark an die Urwälder des Hinterlandes erinnern, alles ist von Holz, noch provisorisch, nicht wie die quadersteinbekleideten Donauufer in Budapest; riesige Aufschriften bezeichnen die zahllosen Dampferrouten, Eisenbahnlinien und andere Dinge. Rechts liegt Brooklyn, eine Vorstadt von New-York mit 800.000 Einwohnern, und das verbindende Glied zwischen beiden die Brooklynbrücke, die größte Hängebrücke der Welt, 2000 Meter lang, ein Wunder menschlichen Scharfsinnes. Links auf Bedloes Island empfängt uns die Statue der Freiheit von August Bartholdi, die größte Statue der Welt; Frankreich schenkte sie 1886 den Vereinigten Staaten. Und blicken wir rückwärts, ein liebliches Bild von Long Island, New-Jersey, mit ihren bewaldeten Höhen,, kleinen Städten, Dörfern, prachtvollen und freundlichen Villen liegt hinter uns, vor uns ein großer Wasserspiegel mit Schiffen aller Länder, den größten Passagierdampfern, Dreimastern, Frachtdampfern, Yachts, Briggs, Fähren mit ganzen Eisenbahnzügen oder Omnibus. Fähren für Personen und Fuhrwerk, groß wie ein Stadtzinshaus für 1000 Personen und 20 Lastwagen mit Motoren, deren Balanciers über Deck reichen und ihnen einen eigentümlichen Ausdruck verleihen. Und dazu das Läuten der Schiffe, ihre Nebelhörner, ein Heidenlärm. Wir fliegen staunend bei allem vorüber, bis in den Hudson, der New-York von Hoboken mit 43.000 Einwohner trennt, dort landet unser Dampfer, wir sind in Amerika!