An Bord der "Spree", den 6. August 1893.
Es ist Sonntag, ein Choral der Schiffsmusik weckte uns aus dem Schlummer; übrigens bin ich immer schon um 6 Uhr auf und der erste, der ein Seebad nimmt. Nun sind wir schon sechs Tage auf hoher See, seit gestern stürmt es so, dass es schon nicht mehr schön ist. Null bezeichnet bei den Seeleuten windlos, 12 den größten Sturm, besonders in den chinesischen Wässern gefürchtet, unsere Windstärke betrug 6 bis 7, die Enden unserer 470 Fuß langen „Spree" hoben und senkten sich auf 20 bis 25 Meter. Die schäumenden Wellen vertrieben uns vom Decke und die Schwankungen wurden so stark, dass wir uns nur schwer und unsicher auf den Beinen erhalten konnten. Diese armen Seekranken! Wenige blieben verschont, Mimi befand sich nicht unter diesen. Herr von Bodner aus Pest, Miss P. und ich erscheinen regelmäßig bei Tische, an dem 80 Prozent der Reisenden fehlen. Ich schließe die Tischordnung bei, wir sechs Ungarn sitzen in unmittelbarer Nähe des Kapitäns Meißel, eines sehr liebenswürdigen unterhaltenden Mannes. Außerdem haben wir noch Mr. Bonnynge aus London neben uns, der die Reise schon dreiundsiebzigmal gemacht hat und mir manche gute Winke für Amerika gab, dann einen Regierungsrat Haagen aus Stuttgart, der sich auf einen wütenden Seemann ausspielt, fortwährend im Regenmantel und wasserdichter Mütze herumläuft und den Kapitän auf die Kommandobrücke begleitet, während er zu Hause im Gestütswesen wirkt; schließlich ein liebenswürdiges Ehepaar aus Osnabrück, das fast immer seekrank ist. An Unterhaltung fehlt es überhaupt nicht, es gibt eine Menge interessante Menschen an Bord, das Deck ist wie der Meeresstrand in einem Seebade, da wird den ganzen Tag gesessen, gelaufen, geplauscht, der eine liest, der andere isst oder schläft, ich glaube, niemand ist gelangweilt, die gewaltige See mit dem Steigen und Fallen der berggroßen Wogen zu bewundern, bietet eine unerschöpfliche Unterhaltung. Ich stehe, wenn das Wasser es erlaubt, mit Vorliebe neben dem Steuermanne oder ersten Offizier, habe eine herrliche Rundsicht und lasse mich über das Seewesen belehren. Freilich gestern war es dort nicht auszuhalten, die Schwankungen waren so heftig, dass man schon Wasser in den vorderen Teil des Schiffes pumpen musste. Wir benötigen für unsere Reise 240 Waggon Kohle, unsere Maschinen haben 12.500 Pferdekräfte und, da wir schon sechs Tage gereist, muss das verbrauchte Gewicht der Kohlen durch Wasser ersetzt werden, um das Gleichgewicht herzustellen. Die größte Erschütterung findet statt, wenn die Schraube bei heftigen Schwankungen aus dem Wasser kommt und sich in freier Luft bewegt, das ganze Schiff zitterte und in der II. Klasse wird kaum jemand geschlafen haben. Manche der Schnelldampfer haben auch zwei Schrauben, das soll aber für die Reisenden noch weniger angenehm sein.
Am Freitag begegnete uns ein Dampfer, der lebendes Vieh an Bord hatte, von der Kapitänsbrücke beobachtete ich ihn schon eine Stunde lang, bevor er mit uns kreuzte, durch eine einzige Flagge fragten wir ihn, ob er Eisbergen begegnet sei? Er antwortete wieder mit einer Flagge: „Keinen Eisbergen, aber starkem Nebel begegnet". Oft vergehen Tage, ohne ein Schiff zu sehen; wo bleiben denn die zahllosen Dampfer, welche über den Ozean segeln, von den Segelschiffen gar nicht zu reden? Es fahren elf verschiedene Dampferlinien auf dem Atlantischen Meere und machen 900 Fahrten im Jahre mit 60.000 Reisenden I. und II. Klasse, nebst 380.000 Zwischendeckpassagieren, meist Auswanderer, mit der Mannschaft gerade eine halbe Million, von denen 90 Prozent in New-York landen, und doch begegnet man so wenig Schiffen! Die Sache ist aber ganz einfach, jeder Dampfer hat seinen bestimmten eigenen Kurs in dem unendlichen Meere, wie verschiedene Eisenbahnlinien mit dem gleichen Ziele auf dem Festlande, so begegnen sich jene nur, wenn Stürme oder andere Umstände sie aus ihrer Route vertrieben haben. Von der halben Million Menschen geht höchst selten ein Menschenleben verloren, man lebt nirgends sicherer als auf einem großen Dampfer im Atlantischen Ozean. Wir befinden uns heute auf dem 50. Grad nördlicher Breite und dem 40. Längengrade und haben 8.000 Meter Wassertiefe. Die bisher herrliche Luft kühlt sich bereits merklich ab, wir nähern uns nämlich den Polarströmungen, wo dieselben mit dem warmen Golfstrom zusammen kommen. Dort begegnet man meistens den so sehr gefürchteten Eisbergen und Nebeln, von denen die einen so gefährlich wie die anderen sind. Auch Walfische sieht man hier häufig, während wir bis jetzt von lebenden Wesen nur Delphine, Möwen und Wildgänse bemerkten. Auf der letzten Reise begegnete die „Spree" einem Eisberge, der 80 Fuß aus dem Meere herausragte und länger als das Schiff war. Glücklicherweise absorbieren die Eisberge bei Tage sehr viel Licht, welches sie bei Nacht wieder ausstrahlen, so können die Schiffe ihnen leichter ausweichen und großen Gefahren entgehen.
Vorgestern Abends waren wir auch in einem Konzerte der II. Klasse, unsere Kapelle ist wirklich sehr brav und hat ein Repertoir, um das sie unsere sämtlichen Zigeuner beneiden könnten. Vielleicht steht uns noch ein anderer Genuss bevor, Miss Füller, die berühmteste Tänzerin in Amerika, natürlich phänomenal, reist mit uns, sie wollte eigentlich in Petersburg tanzen, überlegte es sich aber anders, zahlte 50.000 Rubel (!) Abstandsgeld und kam mit uns, um in New-York aufzutreten, so erzählte die gut unterrichtete Fama der „Spree". Mimi und Miss P. hatten ihre Bekanntschaft gemacht, sie zeigte ihnen Photographien ihrer sämtlichen Glanzrollen und versprach eine außerordentliche Vorstellung auf der „Spree". Wenn es nur keine Stürme und Seekrankheit auf dem Meere geben wollte, sie stören alle projektierten Unterhaltungen, wie Tanz, Tennis etc., worauf sich Mimi so gefreut. Sie ist übrigens sehr tapfer und der heilige Ulrich hat weder ihre gute Laune noch Reiselust vermindert. Die Damen scheinen von der tückischen Krankheit am meisten heimgesucht zu werden, Miss Füller, zwei schöne Misses aus Baltimore, unsere Osnabrückerin, alle sind mehr tot als lebendig, weniger die Herren, Tekintetes Hollós aus Budapest ausgenommen, er ist ein Bild des Jammers und schwört, nie mehr aufs Meer zu gehen, wenn er nur erst zu Hause sei.
Am Freitag begegnete uns ein Dampfer, der lebendes Vieh an Bord hatte, von der Kapitänsbrücke beobachtete ich ihn schon eine Stunde lang, bevor er mit uns kreuzte, durch eine einzige Flagge fragten wir ihn, ob er Eisbergen begegnet sei? Er antwortete wieder mit einer Flagge: „Keinen Eisbergen, aber starkem Nebel begegnet". Oft vergehen Tage, ohne ein Schiff zu sehen; wo bleiben denn die zahllosen Dampfer, welche über den Ozean segeln, von den Segelschiffen gar nicht zu reden? Es fahren elf verschiedene Dampferlinien auf dem Atlantischen Meere und machen 900 Fahrten im Jahre mit 60.000 Reisenden I. und II. Klasse, nebst 380.000 Zwischendeckpassagieren, meist Auswanderer, mit der Mannschaft gerade eine halbe Million, von denen 90 Prozent in New-York landen, und doch begegnet man so wenig Schiffen! Die Sache ist aber ganz einfach, jeder Dampfer hat seinen bestimmten eigenen Kurs in dem unendlichen Meere, wie verschiedene Eisenbahnlinien mit dem gleichen Ziele auf dem Festlande, so begegnen sich jene nur, wenn Stürme oder andere Umstände sie aus ihrer Route vertrieben haben. Von der halben Million Menschen geht höchst selten ein Menschenleben verloren, man lebt nirgends sicherer als auf einem großen Dampfer im Atlantischen Ozean. Wir befinden uns heute auf dem 50. Grad nördlicher Breite und dem 40. Längengrade und haben 8.000 Meter Wassertiefe. Die bisher herrliche Luft kühlt sich bereits merklich ab, wir nähern uns nämlich den Polarströmungen, wo dieselben mit dem warmen Golfstrom zusammen kommen. Dort begegnet man meistens den so sehr gefürchteten Eisbergen und Nebeln, von denen die einen so gefährlich wie die anderen sind. Auch Walfische sieht man hier häufig, während wir bis jetzt von lebenden Wesen nur Delphine, Möwen und Wildgänse bemerkten. Auf der letzten Reise begegnete die „Spree" einem Eisberge, der 80 Fuß aus dem Meere herausragte und länger als das Schiff war. Glücklicherweise absorbieren die Eisberge bei Tage sehr viel Licht, welches sie bei Nacht wieder ausstrahlen, so können die Schiffe ihnen leichter ausweichen und großen Gefahren entgehen.
Vorgestern Abends waren wir auch in einem Konzerte der II. Klasse, unsere Kapelle ist wirklich sehr brav und hat ein Repertoir, um das sie unsere sämtlichen Zigeuner beneiden könnten. Vielleicht steht uns noch ein anderer Genuss bevor, Miss Füller, die berühmteste Tänzerin in Amerika, natürlich phänomenal, reist mit uns, sie wollte eigentlich in Petersburg tanzen, überlegte es sich aber anders, zahlte 50.000 Rubel (!) Abstandsgeld und kam mit uns, um in New-York aufzutreten, so erzählte die gut unterrichtete Fama der „Spree". Mimi und Miss P. hatten ihre Bekanntschaft gemacht, sie zeigte ihnen Photographien ihrer sämtlichen Glanzrollen und versprach eine außerordentliche Vorstellung auf der „Spree". Wenn es nur keine Stürme und Seekrankheit auf dem Meere geben wollte, sie stören alle projektierten Unterhaltungen, wie Tanz, Tennis etc., worauf sich Mimi so gefreut. Sie ist übrigens sehr tapfer und der heilige Ulrich hat weder ihre gute Laune noch Reiselust vermindert. Die Damen scheinen von der tückischen Krankheit am meisten heimgesucht zu werden, Miss Füller, zwei schöne Misses aus Baltimore, unsere Osnabrückerin, alle sind mehr tot als lebendig, weniger die Herren, Tekintetes Hollós aus Budapest ausgenommen, er ist ein Bild des Jammers und schwört, nie mehr aufs Meer zu gehen, wenn er nur erst zu Hause sei.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches An Meine Lieben in der Heimat. Aus Nord-Amerika 1893.