Mensch und Staatsbürger in Amerika

Man muß bei dem Amerikaner den Menschen vom Staatsbürger, den politischen vom erwerbenden Menschen unterscheiden, wenn man ihn richtig beurtheilen will. In ersterer Hinsicht ist Alles groß an ihm, frei und erhaben in letzterer Hinsicht tritt die Schwäche, der Egoismus hervor, allein hauptsächlich dadurch, weil der Amerikaner natürlich ist und nichts verbirgt, sich giebt, wie er ist, während der Europäer polirter, geschminkter auftritt und auf Schein hält, der jenem ganz fremd und fern ist.

Dieses richtige Gefühl des Amerikaners entfernt von ihm den Vorwurf seines vorherrschenden Strebens und Mühens nach materiellen Vortheilen und Gelderwerb. Dieser Unterschied zwischen Menschen und Staatsbürger bewahrheitet sich bei allen politischen Vorkommnissen, besonders bei den Wahlen. Man muß die Richtigkeit der verschiedenen Parteien gegen einander bei einem solchen Wahlakte mit angesehen haben, der ohne Beispiel im Vergleich mit ähnlichen Vorgängen bei andern Völkern ist: Whigs und Demokraten stehen dem Anschein nach gleich geschworenen, unversöhnlichen Feinden einander gegenüber. Aber mit welcher Wichtigkeit und mit welchem Ungestüm sie sich auch in Reden und Blättern als Staatsbürger und Parteiglieder befeinden, so ist jeder Hader, sobald die Wahl beendet, auch vorüber.


Nie ruhende Arbeit, nie rastende Thätigkeit sind der gemeinsame charakteristische Zug der Bevölkerung. Dadurch ist das Volk geworden, was es ist; dadurch wird es werden, was noch kein Volk, der Erde vor ihm gewesen ist – eine Großmacht im umfassendsten Sinne des Wortes, eine Weltmacht, größer wie die Mächte der Vorzeit in Asien, gewaltiger wie Rom in der Zeit seiner höchsten Blüthe. Das ist das Horoskop, welches jeder vorurtheilsfreie Einsichtige dieser Macht stellen muß

Dieser allgemeine Arbeitstrieb und diese gesteigerte Thätigkeit finden ihren Hauptunterstützungspunkt in der Verfassung des Landes, welche Niemand besser, kürzer und allgemein verständlicher charakterisirt hat als der Amerikaner Henry Wikoff.

Als die britischen Colonien Nordamerika’s sich unabhängig vom Mutterlande England erlärten und es unternahmen, eine für sie passende Regierung zu gründen, ruhte die oberste Macht des Staates in den Händen eines Kongresses, der aus einer Kammer bestand.

Trotz der Gefahren jener Epoche, der Anarchie im Innern des Landes und der Invasion von Außen, herrschte bei dieser Organisation eine solche Uneinigkeit, daß die verbündeten Staaten ohne die außerordentlichen Geistesgaben des Generals Washington hatten unterliegen müssen.

Sobald der Krieg gegen England beendet und die Unabhängigkeit der siegreichen Staaten begründet war, ward zur Gründung einer neuen besseren Verfassung geschritten.

Die höchste gesetzgebende und vollziehende Gewalt blieb in den Händen einer einzigen Kammer, welche die drei Minister des Auswärtigen, des Krieges und der Finanzen zu ernennen hatte.

Dieser zweite Verfassungsversuch, nicht glücklicher als der erste, ward nach Ablauf einer sechsjährigen Probezeit für ungenügend erkannt. Die Stimme des Volks wie die Washington’s und anderer Staatsmänner erklärten sich dagegen. Es ward eine aus Abgeordneten der verschiedenen Staaten zusammenberufene Versammlung mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt.

Die gegenwärtige Verfassung der nordamerikanischen Vereinsstaaten ist das Resultat. Man theilte die höchste Gewalt in zwei. Die vollziehende Macht wurde einem Einzigen anvertraut, während zwei Kammern, der Senat und das Repräsentantenhaus, mit der gesetzgebenden Gewalt bekleidet wurden.

Diese Verfassung hat sich auf das vollständigste bewährt; sie besteht bereits über 60 Jahre, gewährt die größte Freiheit (nicht Freiheiten) und verbürgt die vollkommenste Sicherheit,

Die vollziehende Gewalt der anierikanischen Verfassung ist einer Person, dem Präsidenten, anvertraut. Der erste starke Zügel, der ihm angelegt worden, besteht in der Dauer seines Mandats, die auf 4 Jahre beschränkt ist. Ohne Zustimmung der anderen Gewalten kann er nichts thun , weder Krieg erklären, noch Frieden schließen; seine Amts-Ernennungen sind ohne Bestätigung durch den Senat ungültig. Aber die vollziehende Gewalt allein zur Sclavin der anderen machen, hieße, das Gleichgewicht der Verfassung verrücken; daher ist die Unabhängigkeit der vollziehenden Gewalt durch ihr Veto verbürgt.

Diese gefährliche Waffe ist aber ihrerseits begränzt; nach zweimaligem Gebrauch verliert sie ihre Kraft; sie hat ferner das Recht, die Minister nach Gefallen zu ernennen oder zu entlassen kein Hinderniß stellt sich ihr darin entgegen. Der Präsident ist das monarchische Prinzip der amerikanischen Verfassung, und besitzt eine wichtige Eigenschaft, die Einheit, ohne welche jede Verfassung den Todeskeim in sich trägt.

Die aristokratische Gewalt ist in der ersten Kammer, dem Senat, vertreten, welcher Körper aus den hervorragendsten Männern des Landen zusammengesetzt ist. Die Zahl der Senatoren ist auf zwei für jeden Staat der Union beschränkt, ohne Unterschied der Größe der Staaten, Auf diese Art sind die einzelnen Staaten, gleichviel ob groß oder klein, in ihren politischen Rechten gleichgestellt.

Das Mandat ihrer Mitglieder ist nur auf 6 Jahre anstatt auf Lebenszeit festgesetzt; sie theilt alle gesetzgebenden Functionen mit der zweiten Kammer und alle vollziehenden mit dem Präsidenten der Republik; er kann die Zustimmung den Beschlüssen der anderen Gewalten versagen.

Das demokratische Element herrscht in der zweiten Kammer, dem Hause der Repräsentanten. An den vollziehenden Gewalten hat es keinen Antheil; die gesetzgebenden übt es mit dem Senat aus. Seine Unabhängigkeit ist indeß dadurch gesichert, daß es allein das Recht hat, über finanzielle Maßregeln zu beschließen. Es hat auch das Recht, den Präsidenten anzuklagen; aber dem Senat ist vorbehalten, ihn zu richten.

Diese Musterverfassung der nordamerikanischen Union ist in allen einzelnen Staaten derselben nachgeahmt. Jeder Staat hat seinen Gouverneur und seine zwei Kammern; ebenso nahmen die Gemeinden sie sich zum Vorbilde: jede Stadt hat ihren Mayor und ihre zwei Gemeinderäthe, einen oberen und einen niederen.

Die drei Principien der Monarchie, Aristokratie und Demokratie finden in dem kleinsten Städtchen wie im Gesamtstaate ihren Ausdruck.

So lange man das dadurch gebildete Gleichgewicht gewissenhaft aufrecht erhält, wird die Verfassung der Vereinigten Staaten unerschüttert da stehen.

Sie ist bis jetzt die einzige unter allen geschriebenen Verfassungen der Welt, welche alle Stürme der Umwälzungen in Europa und Amerika überdauert hat. Sie ist auch das wahre Palladium der Union; durch die Union ist das Gedeihen und die Macht des ganzen Landes bedingt, und wer die Verfassung antastet, wird zugleich das Band zerreißen, welches die einzelnen Staaten auf’s engste mit einander verknüpft, ohne sie an der freiesten Bewegung zu hindern.

Die Präsidentenwahl ist das wichtigste Ereigniß im politischen Staatsleben der nordamerikanischen Union. Gleich den Staatsmännern und Feldherren des alten Rom werden auch hier der Präsident des republikanischen Vereinsstaates und, im Falle eines Krieges, der Oberbefehlshaber aus seinem Haus-, Privat- und Geschäftsleben, von Acker und Pflug, zu den höchsten Amtsstellen im Staate berufen, und ohne Widerrede folgen sie dem Rufe im Interesse und zum Wohle des Vaterlandes.

Der Parteikampf und der Streit der Interessen beginnt lange vor der Wahl, aber in größerem Maaßstabe als in den constitutionellen Staaten Europas, England nicht ausgenommen, obwohl man sich’s in Amerika nicht so viele Dollars ober Schillinge kosten läßt als in Albion Pfund Sterlinge. Man agitirt in anderer Weise, durch die Presse ganz besonders, und auf eine Tracht Schläge, auf einen Messerstich, eine Pistolenkugel kömmt’s zu Zeiten nicht an. Der sonst so ruhige, geschäftige Amerikaner wird leidenschaftlich bis zum Extrem, und die Wahl beschäftigt ihn in gewissen dringenden Perioden mit Hintansetzung seiner Geschäfte ausschließlich.

Früher galt bei den Wahlen, und insbesondere bei der Präsidentenwahl ausschließlich das politische Interesse, von Jahr zu Jahr aber mischt sich das confessionelle ober religiöse Element mehr und mehr hinein. Bei der letzten Präsidentenwahl trat Letzteres in vielen Staaten ganz besonders in den Vordergrund. Der Jesuitismus fing bedeutend an zu wühlen und zu heulen, und seine Gegner traten ihm mit Leidenschaft entgegen. Alles ward in Bewegung gesetzt – Federn wie Fäuste. Die Presse, besonders die deutsche, gerieth in die lebendigste Agitation für und wider die beiden Hauptcandidaten der Wahl, die demokratische für Pierce, die s. g. katholische für Scott.

Der Clerus war das Hauptstichblatt der Ersteren, besonders das Jesuitenthum. Nicht allein in Volksversammlungen rückte man ihm zu Leibe, sondern besonders die Presse ließ alle Zügel schießen. Zeitungsartikel in Prosa, Gedichte und Reime – die allerschlechtesten bildeten die größere Zahl – Illustrationen und Holzschnitte wurden losgelassen. Keinem deutschen Organ der Demokratie fehlte es daran.

In furchtbar-scheußlichen Carricaturen wurde die clericale Wahlarmee dargestellt; in langen Zügen, in Holzschnitten dargestellt, marschirte sie aus zum Wahlact, an der Spitze ein Fuchs, der den Zug eröffnete, hinter ihm Fahnenträger mit Kirchenfahnen, Bischöfe mit Stab und Mütze folgten in Pontificalibus, Mönche und Geistliche reihten sich an mit allen Arten von Waffen versehen vom Säbel bis zur Flinte; das schwere Geschütz folgte, dargestellt in der Gestalt von Jesuiten, welche Kanonen unter den Armen tragen; den Beschluß machte ein aufrecht gehender – Hase.

Eine andere Carricatur stellte eine Schaar Mönche und Ordensgeistliche, durch die Lust gleich dem Hexenritt nach dem Brocken fahrend, dar, statt auf Besen auf Bischofsstäben, Fahnenstöcken, Weihwedeln und dergleichen reitend; Ochsen und Schweine vertraten auf einem anderen Carricaturbilde die Stelle der Pferde; verkehrt „statt des Zaums den Schwanz in der Hand“ reitet im strengsten Galop die Wahlcavalcade daher u. s. w.

Und die Poesie! O Apollo, du wurdest ärger geschunden und maltraitirt als einst Marsias durch dich. Es war – Revauche, armer Musengott!

Druckzettel in der Form, wie man in Deutschland Mordgeschichten und „Neue Lieder, gedruckt in diesem Jahre“ ausstaffirt sieht, oben am Kopfe ein Holzschnitt, meist ein Jesuit mit einer Lärmtrommel, die Ränder ringsum mit Ochsen und anderem Gethier verbrämt, und andere ähnliche fliegende Blätter flogen zu Hunderttausenden durch’s Land. Und wie tönten die politischen Klänge?

Hier einen zur Probe!

Ausgetrommelt, ausgesungen
Hast du, saub’re Pfaffenrott’!
Hast ja neuen Sieg errungen;
Schrei’ Hurrah für Gen’ral Scott!
Und die Ochsen, die Euch folgten,
Wie das Vieh zur Schlächterbank,
Und am Wahltag Bürger dolchten
Ad majorem gloriam,

Glänzend werden sie geschlagen
Durch des Volkes Gott’sgericht.
Laßt sie ihre Hörner tragen
Und des Pfaffenjochs Gewicht.

Doch sie zwingen nicht die Freien,
Nicht des Demokraten Sinn;
Mögen sie sich benedeien
Und getrost zum Salzfluß zieh’n!

Gestern war der Tag der Seelen.
Mögen sie Scott in die Reih’n
Abgeschied’ner Größen zählen
Und ihm eine Messe weih’n.
Pfaffen! laßt zur Lehr’ Euch werden
Treibt in Kirchen euren Schnack;
Statt in Politik zu werben,
Bleib’ zu Haus, du Lumpenpack!
Demokraten, küßt die Flagge!
Freiheit und kein Pfaffenjoch!
Drei Hurrahs für unsre Flagge!
Und für Pierce ein Lebehoch!