Med. Pfuschereien/ärztlicher Charlatanisums

In keinem civilisirten Lande ist es mit der medicinischen Praxis, mit der Ausübung der Heilkunde so schlecht bestellt, als in Nordamerika. Das heilungsbedürftige Publikum ist einer Masse von wahren Kirchhofsbevölkern, statt tüchtig gebildeter Aerzte im buchstäblichen Sinne des Wortes überantwortet. Die Regierung schützt den Staatsbürger in dieser Beziehung ganz und gar nicht; jeder Barbierjunge kann ohne Weiteres sich ärztlicher Kuren unterziehn nur bei unglücklich ausgefallenen Heilexperimenten schreitet das Gericht ein, und, wenn selbe erwiesen werden, tritt harte Strafe wider die Quaksalber ein. Zur Vorbeugung derartiger Angriffe auf Leben und Gesundheit geschieht gar nichts; Bestrafung aber erfolgt im Wege des Strafprozesses.

Wie in politischer, so in industrieller Hinsicht ist hier das Land der Freiheit; keine Schranke, keine Polizeiförmlichkeit hindert den Reisenden, keine Zollstätte nöthigt zum Vorzeigen der Legitimation oder der Effecten. Unbedeutende Ausnahmen abgerechnet, stehen alle Gewerbe Allen offen; keine Prüfung, keine Concession wird gefordert, keine Classe der Bevölkerung ist bevorzugt. Auch hinsichtlich der gelehrten Beschäftigungen bedarf es keines Beweises der Erwerbe der Befähigung dazu auf eine vorgeschriebene Weise. Das erscheint hier vollkommen vernünftig, denn was kümmert das Publicum die Mittel, welche zum Erwerb irgend einer Fähigkeit angewandt sind , wenn sie erworben ist. Der Satz ist in der Theorie zwar richtig, in der Praxis aber von größtem Nachtheile. Ich beweise dies durch eine kurze Schilderung der hiesigen Zustände rücksichtlich der Heilkunde.


Das Medicinalwesen bildet eine der schwärzesten Schattenseiten der Vereinigten Staaten; in keinem Lande der Welt ist es mit der Arzneikunde und ihrer Ausübung so schlecht bestellt als hier. Ein Jeder, der will, pfuscht ohne Controle und Ueberwachung Seitens des Staats dem Aeskulap in’s Handwerk, und diese Pfuscherei treibt ihr Unwesen in’s Großartigste. Die Gesetze sehen die Ausübung der Heilkunst als ein Gewerbe an, wie der Schuster und Schneider Stiefel und Hosen macht, ohne Meisterprüfung bestanden zu haben, so der Arzt, der Wundarzt, der Apotheker. – Das Heilgewerbe und der Arzneiverkauf sind völlig unbeschränkt wie der Wurst- und Käsehandel. Obwohl in neuerer Zeit medicinische Lehranstalten in mehreren der Vereinigten Staaten gegründet worden und besucht werden, so ist eine Prüfung oder ein Doctortitel zur ärztlichen Praxis nicht erforderlich. Dem Publikum ist es allein überlassen, über die Fähigkeit eines die Heilkunst ausübenden Individuums zu urtheilen und zu richten, sich seinen Händen anzuvertrauen oder nicht; von dem Ausspruche der Menge hängt die Existenz der Aerzte ab, und den Titel „Arzt“ maßt sich Jeder an, der sich mit Receptschreiben oder Operationen beschäftigt. Dam kommt, daß mit Ausnahme der größeren Städte der Arzt zugleich die von ihm verordneten Arzneien verkauft und sich der Staat auch hier keine Controle irgend einer Art über die gegebenen Medicamente anmaßt. Ich kenne einen Arzt mit bedeutender Praxis, der, in Deutschland stutiosus theologiane, sich äußerer und innerer Kuren unterzieht und in seinem Garten die officinellen Gewächse, soweit als möglich, für seine Apotheke zieht.

Daher sind denn medicinische Marktschreierei, Geheimmittelkrämerei, Charlatanerie und Quaksalberei überall an der Tagesordnung; das medicinische Handwerk hat hier den goldensten, wahrhaft californischen Boden. Barbiere, Hühneraugenschneider, Frostballenvertreiber, verunglückte Subjecte aus dem deutschen Studentenstande, Ladenschwengel und dergl. preisen in den Zeitungen in stereotypen Ankündigungen ihre glücklichen Kuren und Operationen, ihre wunderthätigen Geheimmittel, ihre trefflichen Universal- und „Familienmittel“ und lassen dutzendweise Atteste mit unbekannten Unterschriften über die unvergleichlichen, Alles übertreffenden Erfolge ihrer Kunst abdrucken. Selbst wirkliche Aerzte schämen sich nicht, zu solchen Mitteln zu greifen, eingedenk des Sprüchwortes: „Mit den Wölfen muß man Heulen“ und „Klappern gehört zum Handwerk“. Da preist Einer seine „höhere Methode in der Heilung einer gewissen Krankheit“, indem er die größte Verschwiegenheit verspricht; aber uneingedenk der eben gerühmten Fischstummheit schließt er seine Annonce mit den Worten: Beglaubigte Zeugnisse über viele meiner gelungenen Kuren liegen mit Namensunterschrift in meiner Wohnung Nr. u. s. w. zur Einsicht offen. Ein Anderer spricht von sich selbst in der dritten Person und sagt: „seine Erfahrung ist ohne Gleichen und seine Erfolge erstaunlich“. – „Keine Uebertreibung“ – „keine Quaksalberei“ – „salus publica“ – „suprema, lex“ – Also lauten die Ueberschriften solcher medicinischer Marktschreiereien, denen gewöhnlich zur Seite der Abdruck eines abgenutzten Holzschnittportraits des Aeskulap, Galen oder Hypokrates steht.

Besonders werden viele Panaceen und Arcana gegen alle nur erdenklichen Krankheiten ausgeboten, und Niemanden muß es Wunder nehmen, dieselben Tropfen als probates Universalmittel gegen Magenkrampf und Zahnweh, Wechselfieber und Lungensucht, Fußschweiß und Migraine gepriesen zu finden. Auch die electro-galvanischen Ketten á la Goldberger haben den Ocean überschritten und thun heilende Wundcr über Wunder. Ein Dr. Cooper zeigt an , daß er bereits 14 Jahre moderne Krankheiten ohne Merkurius radical heile, Dr. Andaton freut sich des Gelingens dieser Kuren schon 11 Jahre länger, nämlich ein Vierteljahrhundert und kündigt posaunend dieses Jubiläum an. Einige Arzneipfuschcr nennen sich „indianische Aerzte“, und versichern Stein und Bein, ihre Weisheit aus Geheimbüchern Indiens geschöpft zu haben. Dr. Lafonts „berühmte Pillen“ spielen eine Hauptrolle in den Zeitungsspalten und thun Wunder bei Obstructionen und anderen Irregularitäten. Dr. Johnston, Mitglied des königl. medicinischen Collegiums zu London und graduirt auf einer der ersten Universitäten der Vereinigten Staaten bietet ergebenst seine Dienste als Arzt bei allen Krankheiten an. Er schildert kurz und bündig, aber mit haarsträubender Beredtsamkeit einen seiner Patienten im äußersten Stadium eines „gewissen Uebels“, den seine Kunst geheilt hat, und empfiehlt sich allen seiner Hülfe „Gleichbedürftigen“.

„Dr. Swayne’s berühmte Familienarzneien“ sind ein stahender Artikel in den Zeitungen gegen alle nur möglichen Leiden – von Kinderkrankheiten bis zur Altersschwäche. „Charles Reinhardt’s Bruchbandagen sind in ihrer Reputation so gestiegen, daß sein Vorrath auf dem Lager groß genug war zur Begegnung aller Nachfragen“. Der glückliche Erfinder hat eine „große Dampfmaschine“ – von wie viel Pferdekraft wird nicht bemerkt – aufgestellt, um stets ein wohlassortirtes Lager von Bruchbändern zu haben. Hilft der Gebrauch des Bandes nicht, so wird das Geld zurückerstattet. Was will man mehr? Den Zeitungseigenthümern – die bekanntlich keine Inserationsgebühren zurückerstatten’ – haben diese Bruchbänder viel Geld eingebracht, und sind für sie fortwährend eine californische Goldquelle. Eine „deutsche Apotheke“ nebst vielen Colleginnen kündigt sich regelmäßig gleich einem Eisenbahnplane an; sie gastirt auch im Verkauf von ächten (!!) Selterser-Wasser, Haaröl, Seifen, Parfümerien, Universalbalsam, Eichelkaffee, Pomade u. s. w. und „fertigt Recepte und Verordnungen auf das Genaueste an. Zur Anlegung einer Apotheke bedarf’s keines Nachweises der Befähigung ein pharmaceutischer Examen ist hier ein böhmisches Dorf.

Der „Pferdearzt Dr. Bern“ heilt lahme und kranke Pferde auf’s Gründlichste, Dr. Townsend’s Sarsaparille, „die ausgezeichnetste Medicin der Welt in Quartflaschen heilt ohne Brechen und Purgiren, ohne den Patienten .zu schwächen und krank zu machen sie stärkt den Körper, während sie die Krankheit ausrottet“. Sie hat ??im letzten Jahre – die Annonce ist ewig jung wie in Deutschland die Neuen Lieder, gedruckt in diesem Jahr“ – mehr als 15,000 Kuren bewirkt, nämlich 1000 Heilungen des Rheumatismus, 1000 mangelhafte Verdauungen, 1500 Nerven- und allgemeine Schwächen, 3000 weibliche Beschwerden und 7000 Krankheiten des Blutes,“ Und nun folgen als Arrieregarde ein Dutzend bcglaubter Zeugnisse und am Schlusse liest man: „Einwanderer, die nach Westen gehen, sollten nicht verfehlen vor ihrer Abreise diese Medicin zu kaufen, denn sie heilt alle möglichen Krankheitsfälle.“ Die Marktschreierei läuft übrigens durch 180 Zeilen und stärkt den Geldbeutel derZeitungsbesitzer radical. Eine andere „deutsche Apotheke“ verspricht accurateste Bedienung und – Verschwiegenheit. Eine andere stereotype Annonce trägt den dreifachen Ausruf: Würmer! Würmer! Würmer! an der Stirn; das Mittel vertreibt „Alles, was in den Gedärmen kriecht“. Dr. Landis ist jederzeit zu „professionellen Diensten anzutreffen“ Dr. Kammel, graduirter Arzt der Medicin, Chirurgie und Geburtshülfe, auch Besitzer einer „Kräuter-Warm-Heil-Bade-Anstalt,“ annoncirt stereotyp seine Wohnung und seine Ehehälfte, die „Doctreß Kammel, graduirte Geburtshelferin“ (in Deutschland vulgo Hebamme läßt bis 9 Uhr Morgens zur Ader und – schröpft.

Nebenbei wimmelt’s in allen Zeitungen von Anzeigen und Belobräucherungen medicinischer Bücher, Sammlungen von Recepten und Mitteln gegen dieses und jenes Uebel. Dr. Nourbeth bietet für 25 Cents die dreißigste Auflage seines „Taschen-Aesculaps“ aus. „Jedermann, der zur See geht, muß dieses Wunderbuch besitzen.“ Homer Booshwyck empfiehlt sein neues Medicinbuch und theilt eine vortheilhafte Recension aus einem (nicht existirenden) medicinischen Journal mit. In Europa kennt man ein: „Die Schwindsucht heilbar!“ ein „Die Wassersucht heilbar!“ Amerika übertrifft die alte Welt selbstredend; es hat sein: „Alles heilbar!“ für den Spottpreis von 25 Cents. Deutschland hat sein: „Keine Zahnschmerzen mehr!“ Vielleicht bringt der nordamerikanische Charlatanismus noch sein: „Kein Tod mehr“ für 25 Cents; dann ist uns geholfen.