Lindenmüller's Erdenwallen in Newyork

Wer kennt ihn nicht, den Präsidenten des „souverainen Lindenklubbs“ in Berlin, den Lindenmüller? Und wer ihn vergessen und sich seiner nicht mehr erinnert aus der Zeit seiner Präsidentschaft, der nehme Piersig’s Mysterien der Berliner Demokratie und schlage darin nach, was von ihm geschrieben steht und seinem „Rechtsboden an der Ecke von Krantzlers Conditorei.“ Gegenwärtig hat er diesen Rechtsbodcn und den Sandboden der Mark unter den Füßen verloren und Posto gefaßt auf dem Boden Newyork’s, North-Willamstraße Nr, 10. Hier ist „Lindenmüller’s Lokal“, wo zwar nicht Freiheitslieder der Lindenklubbisten, aber Gesänge amerikanischer Bürger aus deutschen Kehlen erschallen und Bier und andere Flüssigkeiten von deutschen Kehlen vertilgt werden. Daß Lindenmüller ein geschworener Feind des Maine- und jedes anderen Liquorgesetzes ist, versteht sich ohne weiteren Beweis von selbst, und er hat dagegen in seinem Lokale die stärkste Stimme erhoben, Die Bewegung der Berliner Märztage ist ihm zur anderen Gewohnheit geworden, und so ist er bei allen Bewegungen und Agitationen im Yankeelande pure Bewegung und Agitation. Am Neujahrstage bringt er regelmäßig seinen, „herzlichsten Glückwunsch an jede ehrliche deutsche Seele diesseits wie jenseits des Oceans,“ Er veranstaltet Neujahrs- und Weihnachts- Ausstellungen in letzteren reproducirt er den Weihnachtsmarkt unter den Berliner Linden, das Brandenburger Thor, 25 Fuß breit, die Verkaufsbuden zu beiden Seiten der Linden mit Waldteufelhändlern, Cigarren- und Wurstverkäufern, Würfeltischen und fliegenden Buchhändlern, Sauergurkenmännern und Guckkastenfrauen. Zahlreicher Besuch wird ihn aufmuntern, ein den Deutschen Newyorks würdiges Lokal á la, Kroll zu schaffen. „Sonntags veranstaltet er Concerte, nicht von etwa 3 oder 4 Personen, sondern von 9 Musikanten, natürlich ebenfalls wie früher ohne Entrée, und Liebhabern und Kennern eines guten Glases Bockbier verspricht er guten Bock und keinen Hum-Bock.“ –

In seinem Locale fanden die Versammlungen im Interesse Grunzig’s statt. Der Kinkelschen Revolutions-Anleihe ist er nicht hold, und Niemand wird beweisen können, daß dieselbe um einen Heller oder Cent größer aus Lindenmüllers Tasche geworden ist. In den kalten Tagen des letzten Januar schlug sein Herz warm für das Elend. Unentgeldlich gab er täglich an Bedürftige 50 Portionen warmer Suppe; „die thut“ – besagte sein Proclama – „augenblicklich mehr noth als Gelder zur Revolution; denn große Noth erfordert große Anstrengungen, und mit schönen Worten wird nichts gethan. Da sammeln sie Gelder, um später Revolutionen zu machen, während in diesem Augenblick Tausende dem Erfrierungs- und Hungertode ausgesetzt sind. Jeder nach seinen Kräften und in seinem Kreise, das ist der beste, schönste und wahrste Socialismus. Also nochmals! der Hungertod hier ist näher wie drüben die Revolution; darum seid ober werdet practisch; denn, es ist jedenfalls maucher kreuzbrave Kerl in der obigen Lage, der drüben sein Leben und Vermögen der Sache wegen in die Schanze schlug. Uebrigens fordere ich die deutsche Presse auf, mich zu überwachen, ob ich auch so handle, wie es hier ausgedrückt.“ Also Lindenmüller! –


Indem er ein neues Sonntags-Concert ankündigt, tritt er zugleich gegen die Temperanzbill auf, indem er fortfährt: „Außerdem liegt ein Circular zur Unterzeichnung gegen die Temperanzler aus, zu welchem Act ich jede durstige Kehle dringend einlade. Sodann wird zur Wahl geistig begabter Männer geschritten; sollte es daran fehlen, so biete ich meine Dienste in geistigen Getränken jeder Art zur besseren Begeisterung ergebenst an.“

Es sind nicht die schlechtesten Früchte, woran die Wespen nagen – denkt auch Lindenmüller, und läßt sich hier und da einen Wespenstich gefallen, der ihn in Gestalt eines Epigrammes in den Zeitungen wohl trifft wegen seiner Wortseligkeit und seines Zeilenreichthums in seinen Ankündigungen. Das sonntägliche Unterhaltungsblatt, ein Beiblatt zur Newyorker Staatszeitung, versetzt ihm von Zeit zu Zeit einen kleinen Wespenstich, z. B.:

So schlau ist Barnum nicht,
Wie man seither gedacht,
Sonst hätt’ er dich schon lang’
Zum Associé gemacht.

Und Lindenmüller ist ein – kluger Mann und – schweigt.

Die Launen des Schicksals sind seltsam. An einem Sonntage, wo Lindenmüllers Local stark besucht war, und außer den Stammgästen und häufigeren regelmäßigeren Besuchern viele fremde Gesichter zu sehen waren, hieß es urplötzlich und lief wie en Lauffeuer um: Piersig, der „Enthüller“ und Mysterienfabrikant der Berliner Demokratie, sei anwesend, davon in Kenntniß gesetzt, sah sich seine Gäste Mann für Mann an, fand aber den Berliner Landsmann nicht, wohl aber, daß das Lauffeuergerücht ein – Humbug sei. – Trotz der gänzlichen Gensdarmerielosigkeit in Newyork geht’s bei Lindemnüller ruhig her, und ohne Berliner Constabler-Pickelhauben „herrschen Ordnung und Gesetz“; denn Lindenmüllers Wahlspruch heißt: Ruhe ist des Bürgers erste Pflicht bei – Lindenmüller! – Und darauf hält er selbst ein großes Stück, Niemand wird bei ihm vorlaut als seine „neun Musikanten“; aber er liebt es sehr, wenn seine Gäste laut werden, und das werden sie, wenn sie wacker getrunken haben, Bummler, fliegende Buchhändler und sonstige Mitglieder des souveränen Liederklubbs duldet er hier nicht, aber gute Getränke.

Von einem seiner Collegen pflegt er zu Zeiten ein Anekdötchen zum Besten zu geben. Ein Rheinländer forderte bei demselben eine Flasche Rüdesheimer. Der Wirth brachte sie und lobte den Wein, der bereits 8 Jahre auf Flaschen liege. Der Gast schenkt ein, ruft aber gleich den Wirth zurück und fragt: Ist der Cockroach, der lebendig drin herumschwimmt, auch ein geborener Rüdesheimer? – Nicht minder entwickelt sich seine bekannte Redseligkeit, wenn er an die Tage des Lindenklubbs erinnert wird; da ist er klassisch; aber nur die Newyorker, nicht die kölnische Presse kann aus seinen „Enthüllungen“ Mitteilungen bringen. Wie er in Berlin den Kühlwetter und seine Erfindung, das Constablerthum, nicht geliebt hat, so ist er auch in Newyork ein Feind des kühlen Wetters; wie jene den Lindenklubb in seiner Souveränetät störten, so scheucht dieser hier seine Gäste. Den Heine hat er noch nicht vergessen und einige Fragmente von ihm glücklich über’s Weltmeer herüber gebracht, Besonders ist es sein Gewährsmann, wenn’s gegen die Mäßigkeitsapostel losgeht da recitirt er den Heine’schen Vers:

Ich kenne die Weise, ich kenne das Lied,
Ich kenn’ auch die Herren Verfasser,
Die frommen; sie saufen heimlich den Wein
Und predigen öffentlich Wasser.

Deutsch spricht er wie in Berlin und Englisch wie Wasser, Also gestaltet ist Lindenmüller’s Erdenwallen in Newyork! Ein sprechend ähnliches Daguerreotypbild seines Lokals und seiner Gastgesellschaft führe ich in einem folgenden Artikel, der sich mit den öffentlichen Vergnügungsorten Newyorks beschäftigt, dem Leser vor.

Die Leser werden zum Schluß die Mittheilung seiner stehenden Anonce in den deutschen Blättern Newyorks nicht verschmähen. Wir geben sie mit diplomatischer Genauigkeit und gewissenhafter Treue hier wieder

Lindenmüllers

Restauration,

Bier- und Wein-Lokal.

No. 10 North William Str. No. 10.
und
No. 213 William Str. No. 213,

New York.


Dem deutschen Publikum empfehle ich hiermit mein geräumiges, und anständig eingerichtetes Lokal auf’s Angelegenste. In Verbindung mit einem geschickten Koch kann ich dreist behaupten, daß meine Küche jeder Concurrenz die Spitze bietet; wer eine kräftige deutsche Mittagskost liebt, wo des Donnerstags die dicken Erbsen und der Sauerkohl nicht fehlen, und wo man an Table d’hóte sich halb todt essen kann, den lade ich freundlich ein. Feinschmecker und Gourmands werden sich aber auch nicht täuschen und meine Speisekarte hoffentlich Jedermann genügen. Ich trinke selbst gern gutes Bier und schon deßhalb ist es schon glaubwürdig, wenn ich hiermit feierlichst gelobe, stets das beste Bier zu führen. Außerdem empfehle ich: Berliner Weißbier, engl. Ale, Porter, selbst importirte Weine; überhaupt alle Getränke und Speisen, wie man sie in Geschäften ähnlicher Art hier findet. Wenn ich nun noch hinzufüge, daß sowohl ich, wie auch mein Personal, die aufmerksamen Wirthe der das Lokal besuchenden Gäste sein werden, so kann ich auch schließlich die Hoffnung hegen, daß mir ebenfalls für die Folge die Gunst des Publikums bleiben wird.

Zur Unterhaltung der Gäste, jeden Sonntag Conzert, natürlich ohne Entrée.

Hochachtungsvoll und ergebenst

Gustav Lindenmüller aus Berlin.