Inserate und Zeitungs-Annoncen

Man hat Zeitungen und Journale vielfach Straßen, Canäle, Chausseen des literarischen, politischen und sonstigen Verkehrs genannt; ich stelle ihre Bedeutung höher; mir gelten sie als sichere, untrügliche Wettergläser der Kulturzustände überhaupt, und namentlich der Theil einer Zeitung, den das Publikum selbst, schreibt, d, h. das sogenannte Intelligenz- und Ankündigungsblatt, die Zeitungsspalten , worin seine Inserate, welche es nebenbei theuer bezahlt, ist für mich der bereiteste Handthermometer zur genauern Kenntniß eines Volks. Ich nehme daher einen Stoß Zeitungen der nordamerikanischen Vereinsstaaten zur Hand, in deutscher wie englischer Sprache, aus den Sclaven- und Nichtsclaven-Staaten. Schon ein flüchtiger Blick in die Insertionsspalten derselben ergiebt eine auffallende Verschiedenheit mit denen des europäischen Continents; mit geringen Ausnahmen beziehen sich die Bekanntmachungen ausschließlich auf geschäftlichen Verkehr und geben somit eine sichere Scala der Grade der Thätigkeit und des praktischen Sinnes ,und Lebens, des Fleißes und der Arbeit hier zu Lande. Vergleicht man eine New- Yorker Zeitung mit den Berliner Blättern, z. B. den Newyorker Herald oder die Newyorker Staatszeitung mit Onkel Spener und Tante Voß , so tritt die Verschiedenheit in’s hellste Licht. Dort überall Thätigkeit, hier Müßiggang, dort nur Ankündigungen des Verkehrs, hier Annoncen anderer Art in Massen. Auf diesen beiden Preußischen papiernen Chausseen gelangen wir, nachdem wir die politischen Frachtwagen passirt sind, an deren Hintertheilen als Schmiertopf etwas über Kunst, Literatur, Gewerbe, Erfindungen und dergleichen hängt, zu den residenzstädtischen Assichen und Annoncen, Steckbriefen entwischter Spitzbuben und entlaufener Hunde, Anerbieten weiblicher dienender Wesen „für Alles“, Einladungen zu Picknicks und Wurst, Annoncen von Beglückungen durch Vogel Storch und Visiten Freund Hains, Traueranzeigen von entflogenen Papagaien, Kanarienvögeln und Gimpeln, Nichts von allen diesen in den Newyorler Blättern. Man hat hier keine Zeit, derartige Ankündigungen und Nachfragen zu Papier zu bringen; Alles ist hier Geschäft, Arbeit und Verkehr. Das Schlaraffenleben ist hier ganz und gar unbekannt – eine Mythe des europäischen Continents, eine für den amerikanischen Boden exotische Pflanze; denn hier kennt man keine Hofdamen, pensionirte Militärs und Civilisten, keine Rentiers und Wartegeldempfänger; denn Alles arbeitet hier im Schweiße des Angesichts. Nur hier und da taucht in den Zeitungsspalten eine Geburts- oder Todesanzeige auf; die übrigen stereotypen Anzeigen Berlins sind hier in Newyork böhmische Dörfer. Und so ist’s in allen Blättern der Vereinigten Staaten.

Ich gebe eine kleine Blumenlese daraus in den nachfolgenden Blättern. Neu und eigenthümlich sind zunächst die häufig vorkommenden Nachfragen nach entlaufenen Frauen; besonders sind es deutsche Ehemänner, welche ihren Ehehälften einen solchen Steckbrief nachsenden; sie haben in der Hast und Eile, womit eheliche Verbindungen unter den Eingewanderten zu Stande kommen, ihren Grund; die „goldne Zeit der ersten Liebe“ verrauscht locomotivengleich, und der „Himmel, den das Auge offen sieht,“ verschließt sich gar bald. Diese ehelichen Steckbriefe in den nicht sclavenstaatlichen Zeitungen laufen mit den Anzeigen von entflohenen Sclaven in den Blättern der Sclavenstaaten parallel. „Fünf und zwanzig Dollars Belohnung für meinen Sclaven Isaac! Er hat eine Wunde auf der Stirn, durch einen Schlag veranlaßt, und eine auf dem Rücken in Folge eines Pistolenschusses; trägt auch viele Spuren der Peitsche.“ Oder: „Davon gelaufen ein Negermädchen, Namens Mary. Hat eine kleine Narbe auf dem rechten Auge, vermißt viele Zähne (ausgeschlagene) und ist mit dem eingebrannten Buchstaben A. auf Wange und Stirn gezeichnet.“ Oder: „Aus der Pflanzung des James Surgate sind folgende Sclaven entlaufen: Rendal, dem ein Ohr abgeschnitten; Bob, der das Auge verloren“ u. s. w. Ich glaube genug oder schon zu viel aus diesem Annoncengenre mitgetheilt zu haben. Die Freiheit in Amerika – sagt schon Boz-Dickens – zerfleischt ihre Sclaven mit stechendem, brennenden und schneidenden Werkzeugen. Die Zeitungen in den Sclaven-Districten wimmeln von derartigen Anzeigen und enthalten fortwährend Register von zergeißelten Rücken, ausgerissenen Zähnen, zerbrochenen Gliedmaaßen, Hundebissen und Brandmalen. Der Amerikaner liest diese Ankündigungen kaltblütig als Dinge, die sich von selbst verstehen. „Prämie für Wiederbabhaftwerden eines Negers!“ ist eine stehende Titelüberschrift an der Spitze solcher Menschenblut-Annoncen, die durch die langen Spalten der riesigen Tagesblätter laufen. Holzschnitte, darstellend einen entlaufenen Sclaven mit gefesselten, Händen, kriechend vor einem stämmigen Verfolger in großen Stulpstiefeln, der ihn an der Kehle gefaßt hält, geben dem angenehmen Text eine liebenswürdige Illustration. Und die zart fühlende Mama, welche jene „Sclaven- Neuigkeiten“ in ihrer kühlen Piazza liest, beschwichtigt ihr weinendes Kind, indem sie ihm „eine Peitsche verspricht, um die kleinen Neger damit zu züchtigen.“ Solche Blumen stehen im Zeitungsgarten der Sclavenstaaten in fortwährender Blüthe! –


Den großartigen Quacksalber-Anzeigen widme ich einen besonderen Artikel; sie nehmen fortwährend einen stereotypen Spaltenraum ein, Empfehlungen von Restaurationen, Hotels, Boardings sind nicht minder zahlreich. Wie in Deutschland auf die Nichtwirkung von Haarwuchs-Beförderungsmittel Prämien versprochen weiden, annonciren die Besitzer der Kossuthhalle in Newyork eine Belohnung von 500 Dollars für jeden, der sie mit ihrem Besuche beehrt und sich nicht zufrieden und behaglich darin findet. – „Im großen Schoppen“ findet man die reinsten Rheinweine von Anno 1848. – Der bekannte ci-devant Präsident des Berliner Lindenklubbs ex eodem anno, Lindenmüller, ist ein angenehmer Kunde für die Zeitungen; er ist unerschöpflich im Ankündigen seines Lokals und der darin stattfindenden Vergnügungen aller Art, so daß ich mich gemüßigt sehe, ihm und seiner thätigen Wirksamkeit hier im Lande diesseits des Oceans später einen besondern Artikel zu widmen. „Wo kann ich einen guten Kossuthhut kaufen? – Ich will es Dir sagen: Gehe nach Nr. 90 Feltonsstraße; das ist der beste Platz in der Stadt für diesen Gegenstand. Der Hutmacher, der diesen Laden hält, heißt Frumon. Spreche bei ihm vor: Du findest daselbst Hüte zu 1 Dollar, 1 Dollar 50 Cents, 2 und 3 Dollars.“ – „Fräulein Decker, Kleidermacherin aus Berlin, wohnt Williamsstraße Nr. 258 bei W. Keudel.“ – „Es diene hiermit zur besonderen Kenntniß, daß Madame Rüdes die einzige Person ist, welche die wahre Auskunft über alle Lebensverhältnisse geben kann. Wir haben sie consultirt; ihre Kenntnisse stützen sich auf die Planeten, Sterne und Wissenschaften überhaupt, und sie ist nicht mit den gewöhnlichen Wahrsagerinnen zu vergleichen. Ihr Name ist in den ganzen Vereinigten Staaten bekannt, ist von sehr achtbaren Personen besucht, und, in Bezug auf Gesundheit, Vermögen, Heirath, Liebes-Angelegenheiten, Reisen, Processe, abwesende Freunde, Krankheit und Tod um Auskunft befragt worden, hat sie diese Fragen zur größten Zufriedenheit beantwortet. Sie wohnt u. s. w.“ – Neben dieser „einzigen“ Person kündigt sich indeß noch ein Halbdutzend anderer Seherinnen der Zukunft sans gêne an und bittet um Besuch. – „Die erste deutsche Kaffeebrennerei von A. Klin bietet ihren kräftigen, nach deutscher Art täglich frisch gebrannten Ja vakaffee in Bohnen p. Pfund, 44, 16 und 18 Cents an; alle Bestellungen werden frei in’s Hans gesandt.“ – „Gut eingerichtete Barbicrbuden stehen zu Kauf.“ – „Das Gedränge, welches letzten Sonntag Abend in der Douanestraße durch den Zusammenlauf so vielen Volks entstanden, war nicht die Ursache einer stattgefundenen Schlägerei; es waren alle friedliebende Bürger, die sich einen Kossuthhut von der großen Auswahl aussuchten, die der Hutmacher Shlop beständig an der Hand hat. Nr. 60 ist bisher der billigste Platz in Newyork für Hüte.“ – Eine andere Künstelerin im weiten Gebiete der Zukunft ist Madame Merk; sie ist bewandert in der Wahrsagekunst oder der Wissenschaft der Chiromantie, Physiognomie, Astrologie, Geomanie , der 7 Hauptplaneten, der Sterne und Wissenschaften überhaupt, und daher gleichfalls „besonders zu beachten,“

Stehende Artikel bringen neben dem englisch-amerikanischen Theater auch die deutschen Bühnen: das deutsche Theater im Astor-Place-Opernhause und Hugo’s deutsches Volkstheater. Deutschlands Theater-Repertoir von der Jungfrau von Orleans, dargestellt durch „Fräulein Klaus aus Berlin,“ bis zu Angely’s Sieben Mädchen in Uniform wird in Newyork reproducirt, und an Originalpossen: „Windischgrätz in Saratoga“, „Cor und Plor“ u. s. w., fehlt’s gleichfalls nicht. Der Preis im ersten Theater ist für Logen und Parquet 50 Cents; für den Genuß, die klatschenden Beifallsspenden und den „Segen von Oben“ zahlt man 25 Cents. Das Volkstheater kennt keinen Unterschied der Stände und Plätze, sondern öffnet einem Jeden seine Thore für 25 Cents. – Karl Heinzen ladet zur Subscription auf eine Auswahl seiner Schriften, 30 Bogen stark, für 1 Dollar ein. – Ein Czeche, Vojta Nápstuk, hat in Milwaukee eine Buch-, Kunst-, Landkarten-, Musikalien-, Musik-Instrumenten-, Schreibmaterialien- und Galanteriewaaren-Handlung nebst Leihbibliothek etablirt, und hat Kalender in czechischer Sprache vorräthig, – Den großen Schoppen guten Weins kauft man in Newyork bei Berington um 6 Cents. – „Fürchterlich billig“ sind Hemde zu haben von 3 – 8 Schillinge. – Der Dichter des Amaranth, in München hat in Newyork einen Namensvetter, der direkt von China über Californien seidene Crepe-Shawls bezieht. Da der Name in gewissen deutschen Kreisen Namen hat, so wäre demselben eine Uebersiedelung nach Deutschland auzurathen von Wegen guten Absatzes seiner chinesischen Artikel. – Die deutschen Buchhandlungen Newyorks annoncircn flott, und Max Cohnheim kündigt eine Wochenschrift: „Bumsvallera,“ im Genre des Berliner Kladderadatsch gehalten, an. – Gottfried Kinkel ladet seine deutschen Landsleute zu einer Versammlung „in Sachen der Revolutions-Anleihe“ ein, – Madame Meyer giebt sichere Auskunft über Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft, Sieg oder Tod.“ – Auch Berliner Pfannkuchen sind täglich frisch zu haben neben gutem Weiß- und Schwarzbrod mit Kümmel, und Pumpernickel bei F, Pohl & Sohn, – Nieben „medicinischen Blutegeln“ werden auch viele juristische Blutegel, d. h. Advocaten, annoncirt; sie saugen bis auf den letzten Tropfen. – „Vortreffliches Sauerkraut“ kauft man die Quart für 5 Cents bei Oberle, – „Auf vieles Verlangen“ sind bei Ch, Borchers alle Dienstag und Freitag Abend Braunschweiger Puffer und Rheinische Reibekuchen zu haben, – An Hotels - Empfehlungen fehlt’s nicht, unter andern empfehle auch ich rheinisch-westfälischen Landsleuten das Hotel von „James Pehl,“ früher in Münster als Jacob Pehl bekannt, woselbst „respectable Herren Logis erhalten mit oder ohne Board; die Zimmer sind neu und schön eingerichtet, Nr. 22 Douanestraße,“ – Ich schließe für heute meine Blumenlese aus den Ankündigungen der Zeitungen in den Vereinigten Staaten, indem ich aus einem amtlichen Bericht der deutschen Newyorker Staatszeitung die Nachricht mittheile, daß die Bevölkerung der Stadt am, 1. Mai sich bereits auf 535,544 Köpfe belief.