Heer und Heerwesen der nordam. Union

Während in der alten Welt große stehende Heere Jahr ans Jahr ein unter Waffen sind, haben die Vereinigten Staaten kaum eine bewaffnete Macht; denn was sind noch nicht 10,000 Mann Truppen auf einem Länderumfange von fast viertehalb Millionen Quadratmetern? – „Bewaffneter Frieden“, Belagerungszustände und dergleichen neuere europäische Erfindungen sind dem Hirne der amerikanischen Staatsbeamten und Generäle fern geblieben, und „Ruhe ist des Bürgers erste Pflicht“, diesem alten Normalsatz wird nirgends besser nachgelebt, als im Lande der Yankees, etwelche improvisirte Faustkämpfe und „Keile“, oft in gar großartigem Maßstabe, d. h. auf Leben und Tod, abgerechnet, neben dem Federgemetzel der journalistischen Streithähne und Rowdies in den Zeitungsspalten.

Die Vereinigten Staaten bedürfen keines großen stehenden Heeres, weil sie weder von mächtigen Nachbarn bedroht sind, noch innere Feinde zu bekämpfen haben, auch von Erhaltung; eines f, g. politischen Gleichgewichts wie in Europa nicht die Rede ist. Die Einrichtung einer großen Heeresmacht würde daher nutzlos bedeutende Summen verschlingen, und außerdem der Arbeit, dem Ackerbau und der Industrie Kräfte entziehen und den Nationalreichthum beeinträchtigen.


Die Verteidigung des Vaterlandes gegenüber äußeren Feinden im Falle eines Krieges ruht einzig und allein aus den waffenfähigen Bürgern der Union. In Friedenszeiten versieht das stehende Heer, aus geworbener Mannschaft bestehend, den Dienst zur erforderlichen Aufrechthaltung der Ruhe und ihrer Wiederherstellung im Falle irgend einer Störniß bei Volksaufläufen u. s. w., sowie zur Sicherung und Vertheidigung der westlichen Grenzen gegen etwaige Einfälle der Urbewohner, die immer mehr und mehr zurückgedrängten und von Jahrzehend zu lahrzehend sich an Zahl noch mindernden Indianer. Die neben dem stehenden Heere vorhandene Kriegsmacht beruht auf dem System einer reinen Volkswehr und führt den Namen Miliz. Dazu gehört jeder Bürger vom 16 bis 60 Lebensjahre, der sich an den in allen Unionsstaaten angeordneten regelmäßigen Uebungen im Exercitium, besonders aber im Gebräuche der Schußwaffen betheiligen muß. Man verwendet auf diese Uebungen indeß im Jahre nur 5 bis 6 Tage. Da indeß eine große Anzahl von Bürgern in jeder Stadt Mitglied eines Büchsens und Schützenvereins ist und hier fleißig die Waffe geübt wird, und sich diese Vereine durch die größte Schußfertigkeit auszeichnen, so ist die Miliz in dieser Hinsicht eine äußerst geübte, waffenkundige Schaar, wie man sie ihres Gleichen, mit Ausnahme der Schweiz, schwerlich in irgend einem Lande der Welt findet.

Das stehende Heer besteht mit Einschluß des Generalstabes, des Ingenieurcorps, der Medizinalpersonen und Rechnungsbeamten aus ungefähr 8 – lo,ooo Mann in 4 Reiterregimentern (2 Dragonern und 2 reitenden Jägerregimentern), in 8 Infanterie- und 4 Artillerieregimentern. An der Spitze des stehenden Heeres steht nächst dem Präsidenten , der verfassungsmäßig den Oberbefehl über die ganze Kriegsmacht der Union führt, ein Generalmajor als Höchstcommandirender, mit einem Gehalte von 4464 Dollars; er hat sein Standquartier iu der Stadt Washington. Der Generalstab wird gebildet durch 4 Brigadiers, jeder mit 2958 Dollars, einen Generaladjutanten, einen Generalquartiermeister, einen Generalcommissar , zwei Generalinspectoren , einen Generalarzt und einen Kriegszahlmeister. Der Sold wird theils in baarem Gelde, theils in Rationen entrichtet; eine Ration besteht aus ¾Pfund Rindfleisch oder 2/4 Pfund Schweinefleisch, achtzehn Unzen Brod oder Mehl, einem Nösel Rum, Whisky oder Branntwein; auf 100 Rationen kommen 2 Quart Salz, 4 Quart Essig, 4 Pfund Seife und ½Pfund Lichte. Ein Offizier bekommt seine Ration mit 20 Cents vergütet, außerdem erhält er monatlich 10 Dollars zur Equipirung an Waffen und Bekleidung, 8 Dollars für Fourage eines jeden Pferdes. Ein Oberst erhält monatlich an Sold 75 Dollars und 6 Rationen, ein Major 50 und 4 Rationen, ein Hauptmann 40 und 4 Rationen, der erste Lieutenant 30 und 4 Rationen, der zweite Lieutenant 25 und 4 Rationen, der Feldwebel 13 – 16 Dollars, der Unteroffizier 9, der Gemeine 7 und Alle eine Ration.

Beim Ausbruche des Krieges mit Mexiko befahl eine Acte der legislativen Gewalt die Bildung von 10 Regimentern Freiwilliger, und es bestand darnach die Armee mit Einschluß der Marinesoldaten aus 1104 Officieren (sonst 716) und 26,362 Soldaten. Die übrige aufgebotene Heeresmacht zählte 252 Stabs-, 3087 Officiere und 68,322 Soldaten, somit die ganze Kriegsmacht fast 100,000 Mann. Jedes Regiment hat 9 Compagnien. Organisation und Disciplin sind der brittischen ähnlich; die Strafen sind hart; die Peitsche ist zwar abgeschafft, indeß sind die Strafen raffinirt, z. B. mit 36 Pfund Schrot und Pulver im Tornister 6 Tage und Nächte ohne Unterbrechung von 4 Stunden jedesmal 3 zu marschiren.

Die numerische Schwäche des stehenden Heeres legt allen Bürgern der Union die Verpflichtung auf, die Waffen zu ergreifen, wenn das Vaterland bedroht ist, Diese Miliz besteht aus 778 Generälen, 2493 Officieren vom Generalstabe, 15,465 Stabsofficieren, 54,259 Officieren und 1,815,881 Unterofficieren und Soldaten, zusammen 2,888,438 Mann. Dieser Bestand des Jahres 1849 hatte sich Ende 1849 noch fast bis zu 3 Millionen gemehrt.

Die Miliz der Stadt Newyork zählt allem 100,000 Mann; tapfer und brav, aber ohne sonderliche Haltung; in den Bewegungen herrscht nicht durchaus Ordnung, Das Dragonerregiment ist schön, aus kräftigen Farmern (Pflanzern) der nächsten Umgegend gebildet; die Uniform und Fahnen sind verschieden; aber zugestehen muß man, daß diese Truppen, wie unregelmäßig auch ihre Haltung erscheint, eine außerordentliche Gewandtheit und vielen Tact bei allen Manövern entfalten. Die Miliz beschafft ihre Bekleidung aus eigenen, empfängt aber die Waffen aus Staatsmitteln. Die Wahl der Officiere geschieht durch die Miliz selbst; im Heere durch eine Commission von Officieren unter Genehmigung des Präsidenten. Außerdem existiren Volontaircompagnien, die zwar in die allgemeine Musterrolle eingetragen sind und zu gewissen Bataillonen gehören, aber sonst getrennt von ihnen dastehen. Sie haben sich meist phantastische Namen gegeben, z. B, Washington-Garde, die Rothen, die Blauen, Nenuros-Garde, Napoleons-Cadetten, Lafayettes-Garde, und sind unter sich gleichmäßig uniformirt.

Die geringe Zahl des stehenden Heeres wird in kleineren Haufen in den einzelnen Theilen der Union verwendet; in der Regel befinden sie sich an den westlichen Grenzen in den Forts, So ein Grenzfort ist ein Stück Civilisation in das Herz der Wildniß versetzt und sieht aus wie ein ländlicher Ort; ungefähr ein Dutzend weißangestrichener wie Hütten aussehender Gebäude bildet die Baracken der Soldaten und die Wohnungen der Officiere, Sie sind so gestellt, daß sie drei Seiten eines offenen Vierecks bilden; die vierte Seite ist frei und eröffnet eine Aussicht auf die weite Prairie. Man vernimmt kein Wort von Krieg reden, und ständen nicht die einzelnen Wachen auf ihren Posten, und sähe man nicht die Soldaten herumschlottern, die ihrer einzigen Beschäftigung, die Zeit zu tödten, nachgehen, oder würde nicht von Zeit zu Zeit die Trommel gerührt, zum Zeichen irgend einer militairischen Verrichtung, so würde Niemand ahnen, daß er sich in einem Grenzfort befände. Die Forts sind blos für den Augenblick berechnet, das Leben darin eintönig, abgeschnitten von der übrigen Welt, fern von Stadt, Dorf und Farm, voll Entbehrungen und einsam. Seit 1822 werden auf den einzelnen Militärposten regelmäßig meteorologische Beobachtungen angestellt; der Bericht des Präsidenten an die beiden Häuser enthält alljährlich die Ergebnisse derselben. Die Mannschaft in diesen Forts ist gering, von 1 bis 3 Compagnien, je zu 20 – 40 Mann; die Verpflegung ist sehr gut, Gamaschendienst und Exercieren gar nicht bekannt; trotz des reichlichsten Proviants haben alle Forts Gärten, um die Truppen einigermaßen zu beschäftigen; gewöhnlich liegen in den Forts Fußvolk und Reiterei, letztere um die Indianer, wenn sie unwirsch werden, kleine Razzius in ihrem Gebiete zur Ordnung zu bringen. Auch an Eiskellern und Kühen fehlt es nicht; jede Compagnie hält ihre Zeitungen, hat auch ihre Bibliothek; die Gebäude sind Blockhäuser.

Die Disciplin ist nicht die europäische; in offener Schlacht haben die amerikanischen Truppen, Europäern gegenüber, bis jetzt mit Ausnahme einiger Fälle weniger geleistet; aus Hinterhalt und Versteck und durch ihre Vertrautheit mit den Feuerwaffen erfochten sie ihre Siege; aber Beschwerden ertragen, Hindernisse überwinden können sie wie kein Kriegscorps Europa’s, das haben die Gefahren und Beschwerden im Kriege mit Mexico bewiesen. In Westpoint im Staate Newyork besteht eine Militärschule, worin Diejenigen, welche auf Stellen im Heere Anspruch machen, gebildet werden; die Zahl der Studirenden beträgt gegen 300.