Die privilegirten Mäkler-Spitzbuben

Zur Warnung für Auswanderer nach Newyork,

Die Völkerwanderung nach Amerika dauert fort. Wann wird der Auszug aus Egypten aufhören? Die Antwort auf diese Frage ist: er hat erst begonnen. Seit den Tagen Mosis hatte keine solche Flucht aus der Heimath in der Geschichte irgend eines Volkes stattgefunden, – In Newyork allein landete in den letzten 4 Jahren – 1848 bis 1851 – fast eine Million Einwanderer aus Europa, viele Mittel- und hülflos unter ihnen, und ganz unbekannt mit den hiesigen Verhältnissen und Betrügereien, die sich in neuester Zeit erst durch den Einfluß der Vereine und Gesellschaften zum Schutz der Einwanderer etwas verringert haben. Man läßt es an Veröffentlichungen von Warnungen Seitens der Commissionäre jener heilbringenden Vereine nicht fehlen; die „deutsche Gesellschaft“ namentlich erfreut sich der segensvollsten Resultate trotz vielfacher Anfeindungen: die öffentlichen Bekanntmachungen sind Jedermann verständlich.


Einwanderer, welche hier landen – lautet ihre „Warnung an Reisende, welche im Hafen von Newyork landen,“ – um nach dem Innern zu gehen, sollten, um Geld zu sparen, stets so kurz als möglich hier verweilen. Es ist überhaupt gar nicht nöthig, in ein Gasthaus zu gehen, indem Passagebillets augenblicklich genommen werden und die Effekten unmittelbar vom Schiff an die Dampf- und Schleppboote oder Eisenbahnen gebracht werden können. Auf diese Weise wird nicht allein viel Geld für Kost, Logis und Gepäckförderung erspart, sondern auch mauche Gelegenheit zu Betrügereien vermieden, denen man hier von allen Seiten ausgesetzt ist.

Wenn Reisende in eine Schenke oder ein Gasthaus kommen, sollten sie alsbald nach der Preisliste für Zimmer, Speisen und Getränke sehen, welche dem Gesetze gemäß daselbst angeheftet sein muß.

Nie sollte man einen Gepäckkarren miethen, der nicht nummerirt ist, und diese Nummer soll man sich genau merken. Vor Aufladung des Gepäcks möge man sich genau über den Preis verständigen. Kein Kärrner darf gesetzlich für eine Ladung mehr nehmen als 33 Cents für eine Entfernung, die nicht über eine halbe Meile beträgt, und für jede weitere halbe Meile ein Drittel mehr.

Unter den Erpressungen, welchen Einwanderer unterworfen sind, steht die Uebervortheilung beim Bezahlen der Passagepreise nach dem Innern oben an, der man nur dadurch vorbeugt, daß man fest auf die vom Mayor der Stadt und den Einwanderungskommissarien festgestellte Preisliste besteht.

Von Newyork aus giebt es zwei Hauptrouten nach dem Innern.

Die Eine geht über Albany und Buffalo oder auf der Newyork- und Erie-Eisenbahn; die Andere nach dem Westen und Süden führt über Philadelphia und Pittsburg.

Auf beiden Routen haben die Reisenden selbst für ihre Beköstigung zu sorgen, und es ist die Beförderung auf der Eisenbahn deshalb vorzuziehen, weil die langen Kanalfahrten weit höher zu stehen kommen, abgesehen von Zeitverlust und Gelegenheiten zum Betrug.

Liegt der endliche Bestimmungsort der Reisenden nicht an der Linie, so mögen sie jedenfalls nur einen Accord bis nach der ihnen zunächst gelegenen Station abschließen und nie bis nach dem abgelegenen Orte selbst contrahiren.

Ohne Anweisung von Einwanderungs-Gesellschaften mögen die Reisenden sich wohl hüten, ein Passagebillet für eine weitere Fahrt als bis Buffalo oder Pittsburg zu nehmen, indem dann meist alles übrige Geld verloren ist und das Billet nichts mehr taugt.

Auf sein Gepäck möge Jeder ein sorgsames Auge richten, da sehr häufig Gepäckdiebstähle vorkommen. Auch vertraue man es nicht unverantwortlichen Leuten an, und lasse sich auch nicht zum Absteigen in unbekannte Gasthäuser und Beförderungsbureaus verleiten.

Bei Ankunft in Newyork sollte Niemand, der keine Bekannten hat, ein Engagement irgend einer Art annehmen, ohne sich zuvor Rath erholt zu haben, entweder bei den „Commissioners of Emigration“ (New-City-Hall Chamberstraße), oder bei den Einwanderungs-Gesellschaften der betreffenden Nation – die deutsche Gesellschaft hat ihr Bureau in der Greenwichstraße Nr. 95 – oder bei den betreffenden Konsuln. Auch sei man bei Aufsuchung dieser Adressen vorsichtig, um nicht an einen unrichtigen Ort geführt und betrogen zu werden. Man sehe genau nach den Aushängeschildern, welche alle Consuln, Einwanderungs-Gesellschaften und Commissioners of Emigration über ihren Thüren haben.

Nachstehende Tabelle enthält die Preise der Eisenbahnen nach mehreren der bekanntesten Orte, sowie sie von dem Stadt-Mayor festgesetzt sind:

Eisenbahnpreise von Newyork nach
Albany 150 Meilen – Dollars 50 Cents
Buffalo 514 ? 4 ? 37 ?
Cleveland 704 ? 5 ? 31 ?
Cincinnati 1060 ? 8 ? 69 ?
Detroit 850 ? 6 ? 19 ?
Erie 604 ? 5 ? 31 ?
St. Louis 1606 ? 10 ? 38 ?
Louisville 1836 ? 9 ? 38 ?
Milwaukie 1145 ? 7 ? – ?
Philadelphia 90 ? 1 ? 50 ?

Höre doch Jeder auf diese Warnungsstimme, damit er nicht zu Grunde gehe und statt des ersehnten Glücks dem bodenlosesten Unglück unmittelbar in die Arme stürze!

Schildern wir das Getriebe dieser s. g. privilegirtcn Mäkler für Einwanderer in Newyort, denen der Fluch so vieler Betrogener nachfolgt.

Vor Allem gilt es auf den Theil der Stadt aufmerksam zu machen, wo diese Gauner ihre Quartiere aufgeschlagen haben und ihr sündhaftes Unwesen treiben. Es ist vorzüglich der untere Theil der Washington- und Greenwichstraße nebst den sie durchschneidenden Querstraßen, Große Schilder über den Hausthüren mit den in’s Auge fallenden Aufschriften: Einwanderungs-Gesellschaft, Gesellschaft zum Schutze deutscher Einwanderer u. s w. machen die unbewanderten und mit den dortigen Verhältnissen unbekannten Einwanderer glauben, daß hier kein Lug und Trug obwalte. Abbildungen von Eisenbahnwagen und Dampfern locken sie hinein im Glauben schneller und leichter Beförderung, während sie höchstens unter maaßlosen Erpressungen auf einem langsamen Canalboot langsam und beschwerlich fortgeschafft werden. Seit Jahren wird dieses scheußliche Handwerk hier ungestraft getrieben und währt noch immer fort.

Ein beobachtender Augenzeuge giebt von dem Treiben dieser Gauner nachfolgende Schilderung:

Kaum wird ein Einwandererschiff in der Ferne sichtbar und nähert sich Sandy Hook, um in die Bai von Newyork einzufahren, so rüsten sich die Gauner zu ihrem Fange. Am Bord des heranschwimmenden Schiffes befinden sich mehrere Hunderte von Einwanderern, von Bremen, oder Antwerpen, Havre oder Liverpool kommend. Ihre Hoffnungen sind durch die mehrwöchentliche Seereise noch mehr gehoben, ihre Erwartungen gespannt. In ihrem stillen heimathlichen Dörfchen haben sie von Amerika gehört, von dem guten fruchtbaren Land, und daß dasselbe um geringen Preis käuflich sei, nicht minder von der Verfassung des Landes, der Freiheit seiner Bürger u. s. w. Sie freuen sich, dem engen Schiffsraum zu entrinnen und das Land ihrer Sehnsucht zu betreten.

Indem das Schiff die Bai hinauffährt, sehen sie die schönen Landhäuser mit den herrlichen Anlagen umher, das rege Treiben mit allen Zeichen des Wohlstandes, sehen aus der Ferne die zahlreichen Kirchthürme Newyorks emporragen, und finden ihre Erwartung bestätigt, daß sie nach einem herrlichen blühenden Lande, dem Ziele ihrer Wünsche, gekommen.

Da fährt im schnellen Fluge ein Dampfer an das Einwandererschiff heran. Männer steigen aus und kommen an Bord, die ihre Sprache reden. In den wohlbekannten Lauten der deutschen Muttersprache begrüßen sie ihre ankommenden Landsleute, und verheißen ihnen, aufs Beste für sie zu sorgen, ihnen eine schnelle, bequeme und wohlfeile Reise nach dem Westen zu verschaffen.

Die Ankömmlinge, arglos und mit den Künsten des Betrugs unbekannt, schenken ihnen Glauben und schließen, meist noch ehe sie landen, den Reisescontract ab. Mauche weigern sich, darauf einzugehen; aber indem sie im Begriff sind, zu landen, springen wiederum Männer auf das Schiff und reden ihnen zu, doch mitzukommen auf ein Passagebureau, um sich Reisebillets zu kaufen. Weigern sich die Einwanderer noch immer, so nimmt der Eine dies Kind, der Andere ein anderes an den Arm; damit gehen sie voraus, und die erschrockenen und verwirrten Eltern folgen ihnen nach, wie ein Schaaf dem Schlächter.

Sind die Einwanderer diesen Gaunern glücklich entronnen und in ein Gasthaus gelangt, ohne bereits verkauft zu sein, so räth hier der Wirth, nachdem sie sich kaum ein wenig erholt und erquickt haben, ihnen an, sich ja alsbald eine gute Reisegelegenheit zu sichern. Unter dem Schein der Gefälligkeit und wirthlichen Dienstbeflissenheit führt er sie zu einem Bureau, mit dem er in Verbindung steht, und wo ihm ein bedeutender Antheil an dem Gewinn bereits zugesichert ist.

Das Scheußlichste bei dieser Gaunerei ist die Betrügerei der Mäkler, (Runners), die also gegen die Einwanderer verfahren, indem sie im Namen der Obrigkeit zu ihnen kommen. Sie haben einen Erlaubnißschein für 20 Dollars gelöst, und tragen die Inschrift an sich: „Priviligirter Mäkler für Einwanderer“ (Licensed emigrant runner).

Wie können da die Einwanderer anders denken als: daß sie Demjenigen vertrauen schenken dürfen, den die Obrigkeit zu diesem Geschäft ermächtigt?– Nicht selten geben sich diese Mäkler für die dazu bestellten Beamten aus, denen der Einwanderer Gehorsam schulde.

Und wer sind diese Mäkler, die unter dem Schilde des Gesetzes die Einwanderer plündern und berauben? Die Wahrheit gesagt – Menschen, wie man in Sing-Sing, dem Newyorker Staatsgefängnisse, sie nicht schlechter finden kann. Kämen alle ihre Schandthaten an den Tag, so säße die Mehrzahl von ihnen morgen am Tage in Sing-Sing; denn die Gräuel werden von Tag zu Tag ärger.

Die sogenannten Passagebureaur besolden diese Mäkler, deren Sold bis zu 200 Dollars monatlich steigt; außer dieser Monatsgage erhalten sie noch für jeden Einwanderer, den sie dem Bureau zuführen , l bis 1½ Dollars Kopfgeld. Die Summe, welche auf diese Weise von den mehr als 200,000 Einwanderern, die im Laufe des Jahres in Newyork landen, betrügerisch erpreßt wird, beläuft sich auf mindestens eine Million Dollars.

Was wird aus dem also betrogenen Einwanderer, wenn er Newyork hinner sich hat? –

Begleiten wir ihn auf seinem Wege über Buffalo nach dem Westen! –

Er setzt sich auf den Dampfer und fährt den Hudsonstrom hinauf. In Newyork hat er klar zugesehen, welche böse Suppe man ihm einbrockte; das Schlimmste hat er noch vor sich: Wochen voll Schmerz, Reue und Klage folgen. Am nächsten Morgen landet der Dampfer in Albany. Der Einwanderer hofft jetzt auf die Eisenbahn zu kommen und in 24 Stunden nach Buffalo zu gelangen. Aber – indem er in Albany ankommt, hört er: sein Billet sei für die Canalfahrt. Zwar ist darauf das Bild eines Dampfbootes und eines Eisenbahnwagens gemalt, und der arme Einwanderer verließ sich darauf. Aber geschrieben steht nichts darauf von einer Fahrt auf der Eisenbahn.

Er kann also nichts machen. Mauche haben in Newyork selbst darin gewilligt, auf dem Canal zu reisen. Aber wie erlangte man ihre Einwilligung? Man sagte ihnen, das koste nur 2 Dollars, vielleicht gar nur 1 bis 1½ Dollars, und mehr als 5 bis 6 Tage dauere die Fahrt nicht.

Aber wie ganz anders finden sie es! Zunächst wird ihr Gepäck gewogen; nur 50 Pfund sind frei, und die Ueberfracht kostet bis Buffalo 1 bis 3 Dollars für 100 Pfund. Maucher Einwanderer mit vielem Gepäck muß auf diese Weise in Albany den ganzen Rest seiner Baarschaft lassen , zumal die Waage meist so eingerichtet ist, daß das, was sonst 50 Pfund schwer, hier 100 Pfund wiegt.

Jetzt folgt die langwierige Canalfahrt, die zwar auf einem Packetboote nur 5 – 6 Tage währt, aber mit einem gewöhnlichen Einwandererboote 8 bis 14 Tasse. Ist am Canal eine Beschädigung, die reparirt wird, so muß das Boot warten, so daß die Reise mehrere Wochen dauert. Und in welcher Lage bringt der arme Einwanderer diese lange Zeit bin? Kann er sich auf dem Boote ein Nachtlager machen? Dazu ist kein Platz. Wie Häringe werden ihrer Hundert und noch Mehrere in den engen Raum des mit zwei Pferden gezogenen Canalbootes zusammengedrängt. Stundenlang gehen die Einwanderer neben dem Canal zu Fuße, weil die Fahrt so langsam geht. Auch Lebensmittel erhalten sie nicht, nicht einmal Feuer zum Kochen! Einkehr in den Wirthshäusern am Canal würde zu viel kosten, so muß dann die Mehrzahl während der ganzen Fahrt von Wasser und Brod leben. Ob sie niedergeschlagen, krank, verzagt und fast verzweifelt in dumpfem Brüten da sitzen, wer fragt darnach? –

Endlich fährt das Dampfboot in Buffalo an’s Land, und für die meisten Einwanderer schlägt hier die Stunde der Erlösung von ihren Leiden. Nur die trübe Erinnerung bleibt, verbunden mit einer empfindlichen Leere im Beutel und geschwächter Gesundheit durch erlittenen Hungcr und Kummer.

Für Manche reichen die Nachwirkungen des in Newyork geschlossenen Fahrcontracts noch über Buffalo hinaus, und man packt sie wiederum in ein Canalboot, wo der frühere Jammer auf’s Neue beginnt.

Und was erpressen die s. g, Passagebureaur durch die Beförderung der Einwanderer nach den Canälen? Bei Beförderung auf den Canälen haben sie dem Eigenthümer des Bootes nur 50 Cents für den Kopf zu zahlen, während sie sich 100 – 300 Cents von jedem Einwanderer zahlen lassen. Dieses Judasgeld ist es, wofür sie ihre Mitmenschen in Noth und Jammer verkaufen.

Was ist geschehen Seitens der Regierung zur Abhülfe dieser Scheußlichkeiten? Der Staat Newyork erließ bereits 1848 ein Gesetz, das eine durchgreifende Abhülfe bewirken sollte. Aber der Betrug wird seitdem in noch größerem Maaßstabe und in noch weit schlimmerer Weise getrieben – weil die Bestimmungen des Gesetzes nicht ausgeführt worden. Das Gesetz verordnet: nur Männer von anerkannt sittlichem und rechtlichem Charakter sollen einen Erlaubnißschein als Mäkler erhalten. Warum wird er so Vielen ertheilt, die ein Schandfleck der menschlichen Gesellschaft sind?

Das Gesetz ermächtigt ferner die Einwanderungs-Commissare, einen Dock eigends für das Landen der Einwandererschiffe zu bestimmen und Niemanden hinzu zu lassen, als wer im Auftrage der Commissare ohne eigenes Interesse den Einwanderern Rath und Anleitung giebt. Laßt die Schiffe landen, ohne daß irgend ein Mäkler an Bord kommen darf. Laßt, sobald sie landen, wirkliche Beamten zu ihnen treten, die in der That von anerkannter Rechtlichkeit sind und ihnen jede nöthige Auskunft ertheilen. Würden diese Vorkehrungen mit Sorgfalt und Strenge ausgeführt, so würde dem schreienden Unrecht, das an den Gestaden des freien Landes gegen diese Fremdlinge begangen wird, endlich ein Ende gemacht werden.

Unumwunden sprechen sich die amerikanischen Blätter gegen diese Mäkler gräuel aus; besonders machen sich’s die deutschen Blätter im Interesse ihrer Landsleute zur Pflicht, fortgesetzt darauf aufmerksam zu machen; aber auch die englisch-amerikanische periodische Presse tritt offen und rückhaltlos in die Schranken für die an den Einwanderern verübten Gräuel; aber Alles umsonst. In dem Lande, wo noch die Sklaverei gesetzlich ist, finden auch diese Prellereien ungestörten Fortgang; keine civilisirte Regierung würde sie dulden; nur die Regierungen des „freien Amerika“ dulden sie! –