Deutscher Durst in Amerika

Die Deutschen in Amerika verleugnen ihre Natur nicht, soweit sie den deutschen Durst betrifft. Für seine Befriedigung treten sie in die Schranken und tragen in dieser Hinsicht ihre Herkunft und Leidenschaft offen zur Schau. Der deutsche Seidel ist ihr Panier; mit ihm bilden sie eine geschlossene Phalanx, ein einiges Volk von Brüdern gegen die amerikanische Verbrüderung Wider den „König Alkohol“ und fechten öffentlich und männlich mit Zunge und Feder in Meetings und Zeitungen wider die Mäßigkeitsapostel unter den Yankees.

Der Liquor in allen Farben vom Wein bis zum Brandy, vom Rum bis zum Bier ist die Dame, wofür sie ihre Lanzen brechen, und die Macht der frommen Zopfträger des Herrn, welche sich für das Wassertrinken erhoben, ist der Drache, den sie auf Tod und Leben bekämpfen, und das mit um so kühnerer Verwegenheit, als sie bereits in einigen Staaten der Union eine Schlappe erlitten, weil dort Gesetze beschlossen und in Kraft getreten sind, welche den Genuß von Spirituosen und gebrannten Wassern mit dem Banne belegen, und jeden Nichtwassertrinker in die Acht gethan haben. Der deutsche Durst ist es, der sie zu diesem Kampfe begeistert und ihr Herz mit Muth erfüllt und stählt. Es ist der erste Kampf des Deutschthums gegen das Yankeethum, welcher auf den Schlachtfeldern der nordamerikanischen Union mit deutschem Heldenmuthe gefochten wird, die erste deutsche Revolution wider amerikanische Gesetzgebung und Gesetze, ein – wenn gleich unblutiger – aber dennoch bedeutender Kampf. Er dreht sich um die Weinflasche, den Bierseidel und das Branntweinglas wider den Wasserkrug und die Theetasse, um einen „Hieb und Schluck“, wie sie die deutsche Kehle und Zunge gewohnt sind. Und daß der Deutsche von seinen alten Gewohnheiten nur gezwungen abläßt, ist eine bekannte Thatsache der Erfahrung.


Ernst und Spott, Witz und Satyre, nüchterner Verstand und trunkene Begeisterung wechseln in diesem Kampfe, um das alte Gewohnheitsrecht des Trinkens des Deutschen gegenüber der positiven Gesetzgebung einzelner Staaten der nordamerikanischen Union. In deutschen Bier-, Wein- und Schnapsschenken werden kopf- und zungenreiche Meetings gehalten und die Vorbereitungen zum Kampfe getroffen; in den Volksvertreterkammern und den Zeitungen werden die Schlachten geschlagen und gewonnen. Die Berliner Lindenmüller und Louis Drucker haben in ihren Schenklocalen die Hauptquartiere des deutschen Revolutionsheeres Newyorks etablirt und bei Wein und Bier und Schnaps werden die Schlachtpläne berathen. Die deutschen Feldherrntalente entwickeln sich hier, die deutsche Tactik bildet sich. –

Der Deutsche verleugnet auch im „Welttheile jenseits des Oceans“ seine angeborene deutsche Natur nicht; er ist ein geborener Antitemperanzler, ein geschworener Feind und Widersacher des Mainegesetzes wider den Alkohol, und die frommen Zopfträger des Herrn und die Mäßigkeitsapostel sind ihm ein Greuel. Er liebt zu trinken, weil er seinen deutschen Durst aus der alten in die neue Welt mit hinüber genommen hat; er ist ihm gefolgt wie sein Schatten, und kann sich von Beiden nicht trennen. Ohne Flüssigkeit ans der Zunge kommt seine Zunge nicht in Fluß ohne Flüssigkeiten kann er nicht leben gleich dem Fisch ohne Wasser. Selbst der deutsche Demokrat vom reinsten Wasser, der alle „Zöpfe“ verbannt und abgehauen wissen will, liebt den „Haarbeutel“ die ehrlichste deutsche Haut, die nichts nimmt und Gold und Juwelen liegen läßt, „nimmt sich Einen“. Jeder „weiß, wie Einem ist, wenn Einer Einen nimmt.“ Hat Maucher auch das deutsche Herz verloren, die deutsche Leber, die durstige, ist ihm geblieben.

Der Durst ist ein stehender oder vielmehr fließender Artikel im Leben eines Deutschen in Amerika wie in der Heimath und die Ankündigungen, wo man diesen befriedigen kann, sind stehende Artikel in allen deutsch-amerikanischen Zeitungen und Blättern, woran alle deutschen Durstlöschungsanstalten von der comfortablesten bis zur gewöhnlichsten es nicht fehlen lassen. Sie Alle haben sich mit der großen Weltmacht, der „Macht der Annonce“ in Allianz gesetzt. Die deutschen Schenker von Wein, Brandy, Gin, Rum, Whisky bis zum „selbstgebrauten Biere“ hinunter sind unermüdliche Zeitschriftsteller und liefern Artikel in allen deutsch-amerikanischen Blättern.

Man nehme Beispielshalber ein deutsch-amerikanisches Blatt irgend einer Art zur Hand. Die neuesten Nummern einiger Newyorker Zeitungen liegen vor mir; ein Blick darin und – es wimmelt von Flüssigkeitsannoncen aller Art darin.

Lindenmüller und Louis Drucker cultiviren dieses Genre deutscher Schriftstellerthätigkeit vorzugsweise; sie repräsentiren Berlin, während Katzenmeyer und Wutschel mit ihrem „Tivoli“ Wien vertreten. In ihrem „Kaffee-, Wein- und Lagerbier-Salon in Nr. 141 Avenue A.“ giebts nicht allein „Wiener Küche“, sondern auch „deutsche, französische, italienische und ungarische Weine“, also Genüsse für alle Zungen. Zugleich steht „das im Hause befindliche größte Faß der Welt, welches sowohl an Umfang als künstlerischer Einrichtung das weltbekannte Heidelberger Faß noch übertrifft, den Besuchern zu jeder Zeit zur unentgeldlichen Besichtigung (aber nicht zur Anzapfung) offen.“ Ein anderer Wiener Flüssigkeitsrepräsentant ist eine Wirtschaft zum „Wiener Legionair“ Nr. 174 Grand-Street.

Nachdem also die beiden Hauptstädte im deutschen Vaterlande würdig im Reiche des angeborenen Durstes vertreten sind, fehlts nicht minder an Repräsentation anderer deutscher Städte und Länder. Kaspar Mein hat in seinem „Zum Zähringer Hofe“ als Repräsentant Badens gutes Lagerbier und selbst importirte Rhein- und französische Weine. Seine Collegen Joseph Richter, „früher Obergerichtsadvocat in Baden“ empfiehlt seine Wirtschaft und Georg Fansel seine Schenke „Zur Stadt Pforzheim“. Die Pfalz wird vertreten durch die Salons „Zum Zweibrücker Hof“ und „Schloß Hambach“ vergessenen Andenkens; Hessen-Darmstadt durch das „Odenwald-Hotel.“ Welle und Meyers Weinwirthschaft „Zum großen Schoppen“ bietet besonders Badische Oberländer Weine an; Hessen hat seinen „Zum Hanauer Hof“. Nicolaus Spieß, Bierbrauer aus Mannheim macht den Badenschen Flüchtlingen den vaterländischen Gerstensaft vergessen. Auch „Vater Rhein“ strahlt in riesigen Metallbuchstaben als Schenkschild und Lockvogel für durstige Kehlen des großen deutschen Vaterlandes, während die Weinwirthschaften „Zum Harzgebirge“, „Zur Stadt Kaiserslautern“ u. s. w. deutschprovincialisirte Trinkgelüste in ihre Schenkstuben hineinködern. Auch „Zum langen Vetter“ und „Zum deutschen Michel“ kann man seine Zuflucht nehmen, um einen Hieb zunehmen; im „Neuen Schoppen“ – ob nach altem bewährten oder neuem verkleinertem Maaßstabe, ist mir unbekannt, kann man „Einen hinter die Halsbinde stürzen“, und in der Wirthschaft „zur Festung Rastatt“ trinkt man „ausgezeichnetes Readinger Lagerbier“. Bierbrauer Kunz empfiehlt mit dem Motto:

Wer sich des Lebens wahrhaft freut,
Der suchet auch die Heiterkeit,

sein Selbstgebräu von Lagerbier, welches zu 4 Cents verzapft wird; Improvisation und Gesang werden als Gratisbeilagen zugegeben. Bei Valentin Benner singt zum Biergenuß der „Alpensänger Fritzel Tell in steyerischer Nationaltracht Alpenlieder und komische Wiener Lieder, Potpourris und Opernarien.“ O großer Freiheitskämpfer Wilhelm Tell, in der alten Welt mußt du zwar auch nach Rossini’s Anordnung und Befehl Arien singen; aber Namensvetter in der neuen Welt muß zu seinen obigen musikalischen Leistungen auch „jodeln“ in Bierdunst und Tabacksqualm! –

Im Bier- und Frühstücks-Local bei Carl Utz aus Hanau giebts neben Bier „extrafeine Leber- und Blutwurst, Hanauer Knoblauchswurst, Hanauer Hirnwurst, Frankfurter Bratwurst und frische warme Schweinsknöchel und Schwartenmagen“ welche Genüsse für einen Hessenmagen!

Im „Lagerbier-Depot von Kuhn und Runk“ kommt auch das echt deutsche Essen – Sauerkraut mit Wurst – zu Ehren, und entwickelt frank und frei seine „holdseligen“ Gerüche.

Nebenbei sind in mehreren dieser Durstlöschinstitute auch Seidel und Gläser aller Art, „Rheinweinbottels“ u. s. w. zu haben, damit man zu Hause nicht aus der Hand zu trinken braucht, nicht minder gute französische Korkpropfen, die „luftdicht“ schließen.

Man sieht, für den deutschen Durst ist vollkommen gesorgt, der Masse von Liqueur-, Rums, Gin-, Whisky-, Brandy-Annoncen nicht zu gedenken.

Und wie geht es in diesen Etablissements her? – Zur Ehre der Deutschen sei es mit einem Worte gesagt – Deutsch, und nicht wie in den amerikanischen Groceryen, die in ihren verschiedenen Abstufungen „lebende Bilder“ zur Schau bringen, welche in der untersten Gradation dem Pinsel Hogarths unendlichen Stoff bieten.

Daß sich aber auch deutsche Durstige schlechtester Qualität in den deutschen Boardings einfinden, ergiebt sich aus nachstehender Annonce:

Warnung an Boardinggeber.

Sämmtliche Unterzeichneten halten es für Pflicht, dem Publikum, hauptsächlich aber den Boardingswirthen mit einem Individuum bekannt zu machen, welches gegenwärtig in der Stadt New-York sich herumtreibt, sich gut bei Weibern einzuschmeicheln versteht und darum so viel gefährlicher, Thatsache ist, daß er schon zweimal wegen verbotenem Umgang mit Eheweibern aus dem Hause gejagt wurde. Er ist von Profession Posamentier, handelt auch mit heiligen Bildern, wovon er gegenwärtig noch eine Menge Figuren in seinem letzten Boardinghause hat, die er abholen mag, wenn er die enorme Summe, welche er für Boardinggeld schuldet, welchen Credit er sich durch seine Maske erschlichen, bezahlt hat. Sein Name ist Lorenz Naierhofer, und soll vier Kinder in Deutschland haben. Dieses zur Warnung! wenn möglich ihm zur Besserung.

D. Braun. P. Hohen. M. Herter.
C. H. Cellery. L. Heim. H. Pfaff.
F. Müller.

Fürwahr! ein deutlich abgefaßter Steckbrief mit sprechend ähnlichem Signalement und bezeichnenden „besonderen Kennzeichen“.

Den deutschen Zeitungen wird von den Schenklocalgästen besondere Aufmerksamkeit gewidmet; den Nachrichten aus dem alten guten, einigen deutschen Vaterlande ist man absonderlich hold, weshalb Jeder, der daheim in Deutschland kaum eine Zeitung in die Hand nahm, nur höchstens ein „Intelligenzblatt“ durchstöberte, nach seiner Auswanderung ein Zeitungsleser vom reinsten Wasser wird, und nicht allein über die Zustände des Mutterlandes schwatzt, wie ihm der Schnabel gewachsen, sondern auch die politischen und socialen Vorkommnisse im neuen Vaterlands bekrittelt, dem Schuster gleich, der nicht bei seinen Leisten blieb. Politisch gebildete Zeitungsleser interessiren sich für die Angelegenheiten beider Weltteile mit gesteigertem Interesse; sie erwarten nicht den Wiederabdruck der Nachrichten aus europäischen Zeitungen in den amerikanischen Blättern, sondern begeben sich nach Ankunft eines Dampfers aus Europa zu den Redactionslocalen, wo man bereitwillig ihnen die Durchsicht der neu angekommenen Depeschen aus der alten Welt gestattet.

Die deutsche Bewegung in der nordamerikanischen Union hat ihren Hauptheerd in deutschen Groceryen; hier wird das Feuer bei Wein, Bier und Schnaps geschürt, bis es hoch aufflackert, und man hyperpatriotisch gesinnt und begeistert, die Fäuste geballt in den Rock- und Hosentaschen, heimkehrt am späten Abend, und im Bette von dem vollen Siege des Deutschthums über das Yankeethum träumt und jubelnde Siegeshurrahs schnarcht.

Lindenmüller und Louis Drucker wissen geschickt diese deutsche Agitation als Melkkuh zu benutzen, die sie mit Butter versorgt; Ersterer ward auch zum Mitgliede der Commission in dem Grunzigschen Prozesse gewählt, die sich zum Gouverneur nach Albany begab, um Ausstand für Vollstreckung des Todesurtheils an dem deutschen Landsmann zu erwirken. Als er nach günstigem Resultate wiederum heimkehrt, ward er gefragt, was er von dem Gouverneur sage, und er erwiederte:

Ich habe an ihm gesehen, daß man Gonverneur des freien Staates Newyork und doch ein – Esel sein kann 1).

Stehen sich die deutschen Bewegungsmännervereine und die Yankeeunionsgesellschaften auch schroff einander gegenüber, so steht die Bundesregierung erhaben über den Parteien, und fürchtet nicht die Agitation des deutschen Michels. In Newyork liefert ihnen die Regierung sogar die Waffen in die Hände. Sie beabsichtigt sogar die Errichtung eines deutschen Jägerregiments und fördert durch öffentliche Aufrufe sogar die Bildung eines „National-Rifle-Regiments“ nach dem lautgewordenen Wunsche der waffenfähigen Bürger der Vereinigten Staaten, solche Regimenter, aus geborenen Deutschen bestehend, zu organisiren. Die besonderes Vortheile, welche sich außer den gewöhnlichen Rechten der Deutsche durch die Erfüllung der allgemeinen Wehrpflicht erfüllt, werden hervorgehoben und bestehen in folgenden:

Nach siebenjähriger Dienstzeit ist er weder länger militärpflichtig, noch verbunden, das „sehr lästige Amt eines Juryman“ (Geschworenen), noch den Dienst des Feuermanns zu erfüllen, und ist bis zu einem Eigenthum von 500 Dollars an Werth steuerfrei. Die Kosten, welche für den Uniformrock, Hosen, Tschacko, Hirschfänger, Lederzeug, Interims- (Exercier-) Jacke und Kappe und Büchse 25 Dollars betragen, werden vom Staate geliefert. Darüber lachen denn die deutschen Agitatitionsmänner in’s Fäustchen als Förderungsmittel ihrer Sache auf Staatsunkosten. Aber die Regierung ist ihrer Sache gewiß, und beutet alle im Lande befindlichen Kräfte für ihre’ Zwecke aus ohne Unterschied der Herkunft und Farbe, und laßt die Schreier in öffentlichen Meetings und Zeitungen schreien, bis sie heiser und müde geworden.

Es ist eine weise Regierung, die Regierung in der neuen Welt, und bietet der „Erbweisheit“ John Bulls, der nach dem Bruder Jonathan bereits scheelsüchtig hinüberblickt, die Spitze! –

Louis Drucker, der Berliner, thut’s aunch in Newyork noch immer stark in Annoncen in den Zeitungen. Wir geben zum Schluß noch eine seiner neuesten anködernden Kundgebungen. Sie lautet:

Louis Druckers

Trink.Heil.Anstalt, 118 Chatham-Str.

Um dem geehrten Publikum einen außerordentlichen Genuß darzubieten, heute zum erstenmale
Aegyptische Landplage.
Ich habe zu diesem Zwecke 22,000 Heuschrecken verschrieben, welche pünktlich aus Alexandria mit dem Schiffe Cleopatra hier eingetroffen sind. Im Hintergründe sehen Sie das rothe Meer, wo Israeliten, Quäker, Hühneraugenoperateure und Hebammen durchwaten. Am gegenseitigen Ufer Kleinasiens angelangt, richten sie eine telegraphische Depesche an meine Firma, welche jedoch noch nicht abgeliefert ist.

Meine verehrten Damen und Herren, Sie werden gütigst entschuldigen, wenn ich Ihnen den Inhalt noch vorenthalte.

Freundschaftlichen Gruß
Louis Drucker.

Die feierliche Eröffnung meiner neu eingerichteten Kegelbahn findet Sonnabend statt, und um derselben eine historische Bedeutung zu geben, werden Prozeßliebhaber ausgespielt. Spuren äußerer Gewalt sind nicht vorhanden. Kosten werden nicht veranlaßt. Unter persönlicher Leitung und Direction des Herrn Wm. Stavemann. Plan und Ausführung sind von Kaischines geheimen Baurath Hch. Baug.




1) Vgl, den Prozeß Grunzig in der ersten Lieferung der „Welt der Verbrechen“.