Erste Sage (Kreuzbaum und Wein)
Der Aufschwung des russischen volkstümlichen Religionismus im XVII. Jahrhunderte, der im Sektiererwesen seinen lebendigen Ausdruck fand, musste auf literarischem Gebiete die alte Vorliebe Tür die Legenden, apokryphen Erzählungen und apokalyptischen Visionen beleben und zu neuer geistigen Produktion in dieser Richtung anspornen.
Die hiermit erwachte Produktivität war in verschiedener Weise durch das bereits vorhandene Material bestimmt: es entstanden einerseits neue Erzählungen legendarisch-didaktischen Inhalts, die, den Stil und die Tendenz der alten religiösen und apokryphen Dichtung nachahmend, übrigens auf selbstständiges Schaffen hinzuweisen scheinen (so namentlich die Legende von der Herkunft des Tabaks); oder es wurden auch alte apokryphe Stoffe weiter entwickelt und das selbstständige Schaffen auf eine, bestimmten Zwecken angepasste Umwandlung von bekannten christlichen Fabeln und Vorstellungen reduziert. Zu dieser letzten Kategorie gehört die altrussische Legende vom Ursprung des Weines.
Ihre Richtung ist eine didaktische, ihr praktischer Zweck — vom übermäßigen Trinken abzumahnen. Dass die alten Russen starke Zecher waren, ist durch die bekannte Stelle der Chronik verbürgt, wo Fürst Wladimir seinen Landsleuten „die Freude an Trinkgelagen“ nachrühmt; sie erklingt noch in deren epischen Liedern, die häufig mit der Beschreibung eines Gastmahls anheben, wo die Recken sich satt trinken und dann die üblichen Prahlereien unter sich beginnen. Dies führte zu Exzessen und zu wiederholten Ermahnungen Seitens der Kirche und der kirchlich gesinnten Männer. Wie der heil. Theodosius und der Mönch Jakob im XI. Jahrhundert, so eifert noch im XVI. die russische Haushaltungsregel gegen die Trinksucht, gegen das „sich zu Tode trinken“, was der Kroate Krizanic an den Russen des XVII. Jahrh. beklagt. In altrussischen Handschriften findet man hin und wieder eine „Rede des heiligen Basilius, wie man sich der Trunksucht enthalten solle“ — augenscheinlich das Erzeugnis eines kirchlichen Eiferers, der unter dem Namen des bekannten Heiligen eine größere Wirkung zu erstreben suchte. Und er hat das zum Teil erreicht, denn die religiösen Lieder des russischen Volkes wissen von einem Trunkenbolde zu singen, der durch Fürbitte der heil. Jungfrau die Kraft gewinnt, seinem losen Treiben zu entsagen — und dieser bekehrte Sünder heißt noch — Basilius.
Die Legende vom Ursprung des Weins gehört in die Reihe solcher schulmäßig-populären Erzeugnisse, und es ist nun unsere Aufgabe deren Quellen, so weit es sich tun lässt, nachzuforschen.
Der Baum „der Erkenntnis des Guten und Bösen“, von dessen Frucht Adam genossen, war, nach der Lehre einiger Talmudisten, der Weinstock. Es ist hier nicht der Ort zu untersuchen, in wie weit diese Identifizierung in die christliche Symbolik eingedrungen ist; um nur bei einem russischen Belege stehen zu bleiben, verweise ich auf das Miniaturbild einer Übersetzung des Cosmas Indikopleustes (Hs. vom J. 1542), wo Adam und Eva an den Seiten eines Rebenstocks dargestellt sind, während eine Schlange sich um denselben windet. Bei den Bogomilen wird diese Vorstellung um so eher Fuß gefasst haben, als ja nach ihrer Meinung der Ursprung des Weins ein dämonischer war. „Sie lehren“, heißt es in einer Handschrift, die dem verstorbenen Prof. Grigorovic angehört hatte, „sie lehren, dass man weder Fleisch essen, noch Wein trinken solle .... weil der Wein und das Weib vom Teufel seien“. Wirklich erscheint in einem, von bogomilischen Legenden überfüllten Schriftstück, der sogenannten „Rolle der heiligen Bücher“ (oder Schriften), der Baum der Erkenntnis — als Weinstock: und Er (der Herr) verbot ihnen (Adam und Eva) von der Frucht des Weinstockes zu kosten; auch die „Epistel des Mönches Athanasius, zu Jerusalem an Panko: vom Baume der Erkenntnis des Guten und Bösen“ zeigt diese Vorstellung als eine unter den Bogomilen verbreitete. Athanasius wirft dem Panko seine Vorliebe für die bogomilischen Legenden vor: „Man berichtet uns von dir, dass du Viele über den Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen belehrst, von dem zu kosten Gott Adam verboten hatte, und dass du sagst, es sei jener Baum der Weinstock gewesen. Höre was die Schrift von Eva sagt: Und das Weib schaute an, dass von dem Baum gut zu essen wäre und lieblich anzusehen. Was ist aber des Weinstocks Lieblichkeit?“ Dieser falschen Auslegung setzt Athanasius eine andere, aber auch nur als eine plausiblere, entgegen, die des heiligen Athanasius: dass nämlich der Baum der Erkenntnis ein Feigenbaum gewesen, weswegen er auch von Christus verflucht ward. Also wieder eine Meinung, die in jener einiger Talmudisten ihr Gegenstück findet, welche in dem Baum der Erkenntnis den Feigenbaum sahen, weil ja die Erzeitern, nachdem sie von der verbotenen Frucht genossen, aus Feigenblättern sich ihre Kleider zusammengeflochten haben.
Die bogomilische Auffassung der Rebe, als einer dem Teufel gehörigen Pflanze, findet sich in einer kleinen apokryphen Schrift, welche in einer slavischen Handschrift den Titel: „Vision des Baruch“ führt und deren, Schluss (göttliche Segnung der Rebe) eine spätere Milderung erfahren zu haben scheint. Sie erzählt folgendes: Als der Herr seinen Engeln anbefahl, den Garten in Eden zu pflanzen, pflanzte auch Satanael die Rebe. Von ihrer Frucht hat nun Adam (gegen Gottes Verbot) gekostet und wurde mit ihr zusammen verurteilt. Während der Sündflut ward sie von den Fluten aus dem Paradies getragen und von Noah mit Gottes Segen von neuem gepflanzt. So ist der Fluch von ihr genommen worden, aber das alte Übel haftet noch daran, weil Jeder, der ohne Maß vom Weine trinkt, in mannigfache Sünde gerät. Es erscheint demnach die Rebe als eine Pflanzung Satanaëls und zugleich als der Baum der Erkenntnis; es wäre interessant, in Hinsicht auf die später mitzuteilenden Kreuzlegenden, dieselbe als Kreuzbaum figurieren zu sehen. Nun erzählt der russische Erzbischof Antonius (XII. Jahrh.) in seinem Reiseberichte, dass er in Konstantinopel, in der Kirche des heil. Michael, ein Kruzifix gesehen habe, welches aus dem von Noah gepflanzten Weinstock gefertigt war. Ob dies, freilich ungenügende Kunde auf eine mutmaßliche Rezension der Kreuzlegende führen kann, die wir die bogomilische nennen dürften (Rebe: satanische Pflanzung; Baum der Erkenntnis: Kreuzbaum) — das ist eine Frage, die aus dem vergleichenden Studium der slawischen Kreuzsagen zu beantworten ist, welche bekanntlich einige bogomilische Episoden aufgenommen haben.
Die slawischen Apokryphen vom Kreuzbaume erzählen dessen Geschichte in folgenden allgemeinen Umrissen: Als Gott der Herr den Paradiesgarten pflanzte, war kein Engel dabei außer Satanaël, der von allen Bäumen, die der Herr pflanzen hieß, Samen entwendete und dieselben in der Mitte des Gartens ausstreute. „Da sprach der Herr: Hier werde Ich sein und Mein Leib, und dies wird dir zum Banne sein. Da ging Satanaël hinaus und sagte dem Herrn: Segne, was wir gepflanzt haben. Und es sprach der Herr: Hier bin Ich in der Mitte des Paradieses. Als dann Satanaël wieder hineingingen, um sich den von ihm gepflanzten Baum anzusehen, wurde er schwarz und der Baum bannte ihn aus dem Garten. — Der Paradiesbaum wächst in drei Stämmen empor: der eine Stamm ist der des Herrn, der zweite Adams, der dritte Evas. Nachdem die Erzeitern sich versündigt hatten, Wieb der erstere Stamm im Paradiesgarten, der Teil Adams fiel in den Tigris, den Stamm Evas schwemmten aus Eden die Wässer der Sündflut — wie in der Vision Baruchs ein Gleiches von Satanaëls Weinstock erzählt wird. Ist vielleicht der Weinstock der Stamm Evas, die von dessen verbotener Frucht gekostet hatte, und hätten wir diese Fassung auf die, dem Popen Jeremias zugeschriebene Rezension der Kreuzlegende zurückzuführen, im Einklänge mit der bogomilischen Lehre: dass Weib und Wein vom Teufel seien?
Die weitere Vergleichung der slawischen und europäischen Kreuzlegenden in ihren verschiedenen Redaktionen dürfte auf diese Frage einiges Licht werfen. Hier nur einige Andeutungen. Die slawischen apokryphen Kreuzsagen schließen an jeden der drei Stämme oder Teile des Paradiesbaumes eine eigene Geschichte an. Die Stämme Adams und Evas wachsen zu Bäumen empor, die später zur Kreuzigung des frommen und des ungetreuen Räubers dienen; nur der Stamm des Herrn erscheint im eigentlichen Sinne als Erlösungs- und Kreuzbaum, auf dem Christus gekreuzigt ward: ein Zweig davon wird vom Erzengel dem Seth eingehändigt und daraus dem todkranken Adam ein Kranz ums Haupt gewunden, mit dem er auch begraben wird. Daraus wuchs ein hoher, stattlicher Baum empor, dreifach (in drei Stämme gespalten) und zugleich eins: ein durchsichtiges Symbol der einen und ungeteilten Dreieinigkeit: die Dreiheit war durch die drei Arten Bäume versinnlicht, in denen occidentalische und einige slawische Kreuzsagen die Zypresse, die Zeder und die Fichte (oder auch die Olive, die Palme u. s. w.) erblicken; die Einheit durch das wunderbare Zusammenwachsen der Bäume, von dem europäische sowohl, wie slawische Legenden zu erzählen wissen. So z. B. eine slawische, wo Fichte, Zeder und Zypresse, in der Entfernung einer Elle von einander gepflanzt, sich wunderbar vereinigen.
Eine andere Fassung der Sage lässt wieder den Erlösungs- und Kreuzbaum aus dem Adamsteile des Paradiesbaumes emporwachsen. Die oben angeführten slawischen Apokryphen erzählen von dem Stamme Adams Folgendes: Seth will seines Vaters Andenken feierlich begehen; ein Engel zeigt ihm den, in den Tigris geratenen Teil des Paradiesbaumes (d. h. den Anteil Adams), und Seth verbrennt ihn bei der Totenfeier. Später, als Loth sich vergangen hatte und nun Abraham aufsucht mit der Bitte, er möge ihm eine Busse auferlegen, ist Abraham ob seiner Sünde ganz entsetzt und legt ihm eine schwere Aufgabe auf: er solle zum Tigris gehen und einen Feuerbrand (von Seths Feuerstätte) holen. Es war aber ein lebensgefährlicher Gang, weil wilde Tiere die Feuerstätte hüteten. Loth findet dieselben jedoch eingeschlafen und bringt den Feuerbrand. Da wunderte sich Abraham und gab Loth eine andere schwierige Aufgabe: er soll jenen Feuerbrand auf einem Berge pflanzen und regelmäßig mit Wasser, welches sehr weit entfernt war, begießen. Wird der Feuerbrand sprossen, so wird die Sünde dir vergeben, sagt er zu ihat; und das Wunder geschieht wirklich, der Feuerbrand aber ward zu einem stattlichen Baume. — Diese Erzählung wird in einer Legende vom Erlösungsbaume, die in altrussischen Handschriften unter dem Namen des Severianus von Gabala vorkommt, an den Erlösungsbaum angeknüpft und mit einigen Varianten wiedergegeben, die ich hier anmerke: Abraham heißt drei Feuerbrande holen, die er in einem Dreieck pflanzt, so dass der eine vom andern eine Klafter entfernt ist. Sie keimen und wachsen in der Mitte zusammen, und es war ein Wunder anzusehen, dass Wurzel und Wipfel dreifach, der mittlere Teil aber eins war. Am Holze dieses Baumes wurde in der Folgezeit Christus gekreuzigt'.
Endlich war noch eine Rezension der Sage verbreitet, die den Kreuzbaum als aus jenem Stamme des Paradiesbaumes entsprossen darstellte, der sonst den slawischen Apokryphen als Evas Teil bekannt ist. So war vielleicht die bogomilische Rezension gestaltet. In den mehrfach genannten slawischen Apokryphen wird von Evas Teil erzählt, dass er von der Sündflut fortgeschwemmt wurde, bis er bei Maras bitteren Gewässern stehen blieb. Als Moses mit seinem Volke gen Mara kam, fand er den Baumstamm, den Gipfel nach unten gekehrt, liegen, und pflanzte ihn nach des Engels Geheiß „kreuzweise“ in die bitteren Gewässer, die sogleich süß wurden. Der Stamm aber wurde zu einem hohen Baume. — Diese Erzählung von dem, Eva vorstellenden Teile des Paradiesbaumes bildet den Eingang zu einer Kompilation von bogomilischen Apokryphen, welche nach meiner Meinung, von einer orthodoxen Hand zusammengestellt und redigiert worden ist. „Da führte Moses die Söhne Israels vom Roten Meer, und als sie gen Mara kamen, da konnten sie von dessen Wasser nicht trinken, weil es sehr bitter war“. Da zeigte ihm der Engel Zweige (oder Stämme?) von den drei Bäumen, der Zeder, der Zypresse und der Fichte. Und es tat Moses, wie ihm der Engel anbefohlen, und nahm die drei Bäume und wand sie zusammen und pflanzte sie an der Quelle jener Gewässer, und sprach: Dies ist das Bild der heiligen Dreieinigkeit, dies wird der Erlösungsbaum, der Lebensbaum sein, auf diesen Baum wird der Heilige, Wahrhaftige von der Hand der, ihrer Erlösung Harrenden emporgehoben werden, und die jüdischen Ältesten, die Priester und die Vorsteher des Volkes werden Ihn verurteilen. Der die ganze Welt, Tote und Lebende richten wird. Diese Worte hat Moses von Christo prophezeit“.
Diese Zusammenstellungen legen mir die Vermutung nahe, dass in der bogomilischen Rezension der Kreuzlegende der Kreuzbaum als derjenige erschien, an dem sich Eva versündigt hatte, als der „Teil Evas“ der bekannten slawischen Kreuzsagen, welche manchen bogomilischen Zug bewahrt haben, freilich gemildert, aber dennoch mit der christlichen Auffassung der Bibel schwer vereinbar. So stimmt z. B. die Sage von der Pflanzung des Paradiesbaumes durch Satanaël zu dem Hass, den die Bogomilen gegen das Kruzifix, den Kreuzbaum, nährten, der nach ihrer Lehre von den Dämonen ersonnen worden sei, um dem Tode des Erlösers zu dienen. Dieser Baum sei der Weinstock gewesen: vom Teufel sind der Wein (d. h. die Weinrebe, der Weinstock) und das Weib, lehrten die Bogomilen; in Übereinstimmung damit wird in der Vision des Baruch erzählt, dass Satanaël den Rebstock im Paradiesgarten gepflanzt, welcher später von der Sündflut weggeschwemmt wird, wie solches andere Legenden vom „Teil Evas“ behaupten, d. h. wohl von dem Kreuzbaum nach der Vorstellung der Bogomilen. Wenn letztere zu ihren Zwecken ältere christliche Apokryphen ausgebeutet haben mögen, so weist andererseits die oben angeführte Kompilation aus bogomilischen Sagen — Spuren einer orthodoxen Überlieferung oder Überarbeitung auf. Das Trinitätsymbol, wie es in der Sage von den drei Bäumen ausgeführt ist, die entweder zusammenwachsen, oder aus dem Kranze Adams (oder, wie in einigen occidentalischen Legenden, aus dessen Schädel, aus den Samen des Paradiesbaumes, die Seth geholt haben soll) entsprießen, dürfte wohl kaum ein bogomilisches sein. Ob wir noch der bogomilischen Auffassung des Symbols auf die Spur kommen können?
Erinnern wir uns an jene Episode der slawischen Apokryphen, wo Satanaël dargestellt wird, wie er von allen Samen des Herrn stiehlt und dieselben in Edens Mitte säet, wie er dann später hineingeht, um den Baum zu sehen, den er gesät hatte. Dieser Baum, den wir bereits als den Erlösungs- und Kreuzbaum kennen, entsprießt also aus vielerlei Samen, wie es noch in einer, in Alt-Russland populären Streitschrift gegen die Lateinische Kirche, „der Unterredung des Panagioten mit dem Azymiten“, von dem Paradiesbaum heißt, dass er von allen Bäumen und Früchten in sich aufgenommen habe. Ob die bogomilische Rezension der Kreuzlegende diese Symbolik ausgebeutet hatte, ist schwer zu sagen und können darüber nur Vermutungen aufgestellt werden. Wie die bogomilische Vorstellung vom Paradiesbaume als Weinstock sich im Talmud wiederfindet, so bietet die Symbolik einer anderen talmudischen Erzählung eine Parallele zum Bilde eines, aus vielerlei Samen entsprossenen Paradiesbaumes, wiederum in Verbindung mit Satan und dem Weinstock. Als Noah die Rebe pflanzte, gesellte sich Satan zu ihm, indem er bei der Rebe ein Schaf, einen Löwen, einen Aflfen und ein Schwein schlachtete. Daher die verschiedenen Wirkungen des Weins: trinkt einer davon ein wenig, so wird er wie ein Schaf; trinkt er mehr, so wird er zu einem Löwen und bei weiterem Trinken zu einem hüpfenden Affen und einem schmutzigen Schwein. Diese Erzählung, die in die Gesta Romanorum (c. 159) und in andere mittelalterliche Sammelwerke überging, ist, vielleicht durch Vermittlung einer muhammedanischen Quelle, zu den Tataren von Nishnij-Nowgorod gedrungen, wo sie in veränderter Gestalt erscheint, da der Wein augenscheinlich dem Branntwein gewichen ist. Als der Teufel mit der Zubereitung des Weins beschäftigt war, mischte er Anfangs Fuchsblut, dann Wolfs- und endlich Schweinsblut hinein. Trinkt davon Jemand, so wird seine Stimme eine sanfte, seine Augen ölig und schmeichlerisch, wie die des Fuchses; ein wiederholter Trunk bekehrt ihn zu grausamen Wolfssitten, weiter aber wälzt er sich im Kot, wie ein Eber. Am schönsten ist diese Sage in einem böotischen Märchen verarbeitet, wo die talmudische Fabel um den jugendlichen Dionysos spielt. Als Dionysos noch klein war, machte er eine Reise durch Hellas, um nach Naxia zu gehen; da aber der Weg sehr lang war, ermüdete er und setzte sich auf einen Stein, um auszuruhen. Da sah er zu seinen Füssen ein Pflänzchen aus dem Boden sprießen, welches er so schön fand, dass er sogleich den Entschluss fasste, es mitzunehmen und zu pflanzen. Er hob das Pflänzchen auf und trug es mit sich fort; da aber die Sonne eben sehr heiß schien, fürchtete er, dass es verdorren werde, bevor er nach Naxia komme. Da fand er ein Vogelbein, steckte das Pflänzchen in dasselbe und ging weiter. Allein in seiner gesegneten Hand wuchs das Pflänzchen so rasch, dass es bald unten und oben aus dem Knochen herausragte. Da fürchtete er wieder, dass es verdorren werde und dachte auf Abhilfe. Da fand er ein Löwenbein, das war dicker als das Vogelbein, und er steckte das Vogelbein mit dem Pflänzchen in das Löwenbein. Aber bald wuchs das Pflänzchen auch aus dem Löwenbein. Da fand er ein Eselsbein; das war noch dicker, als das Löwenbein, und er steckte das Pflänzchen mit dem Vogel- und Löwenbein in das Eselsbein, und so kam er auf Naxia an. Als er nun das Pflänzchen pflanzen wollte, fand er, dass sich die Wurzeln um das Vogelbein, um das Löwenbein und um das Eselsbein fest geschlungen halten; da er es also nicht herausnehmen konnte, ohne die Wurzeln zu beschädigen, pflanzte er es ein, wie es eben war, und schnell wuchs die Pflanze empor, und trug zu seiner Freude die schönsten Trauben, aus welchen er sogleich den ersten Wein bereitete und den Menschen zu trinken gab. Aber welch' Wunder sah er nun! Als die Menschen davon tranken, sangen sie anfangs wie die Vögelchen; wenn sie mehr davon tranken, wurden sie stark wie Löwen, und wenn sie noch mehr tranken, wurden sie wie die Esel.
Die hiermit erwachte Produktivität war in verschiedener Weise durch das bereits vorhandene Material bestimmt: es entstanden einerseits neue Erzählungen legendarisch-didaktischen Inhalts, die, den Stil und die Tendenz der alten religiösen und apokryphen Dichtung nachahmend, übrigens auf selbstständiges Schaffen hinzuweisen scheinen (so namentlich die Legende von der Herkunft des Tabaks); oder es wurden auch alte apokryphe Stoffe weiter entwickelt und das selbstständige Schaffen auf eine, bestimmten Zwecken angepasste Umwandlung von bekannten christlichen Fabeln und Vorstellungen reduziert. Zu dieser letzten Kategorie gehört die altrussische Legende vom Ursprung des Weines.
Ihre Richtung ist eine didaktische, ihr praktischer Zweck — vom übermäßigen Trinken abzumahnen. Dass die alten Russen starke Zecher waren, ist durch die bekannte Stelle der Chronik verbürgt, wo Fürst Wladimir seinen Landsleuten „die Freude an Trinkgelagen“ nachrühmt; sie erklingt noch in deren epischen Liedern, die häufig mit der Beschreibung eines Gastmahls anheben, wo die Recken sich satt trinken und dann die üblichen Prahlereien unter sich beginnen. Dies führte zu Exzessen und zu wiederholten Ermahnungen Seitens der Kirche und der kirchlich gesinnten Männer. Wie der heil. Theodosius und der Mönch Jakob im XI. Jahrhundert, so eifert noch im XVI. die russische Haushaltungsregel gegen die Trinksucht, gegen das „sich zu Tode trinken“, was der Kroate Krizanic an den Russen des XVII. Jahrh. beklagt. In altrussischen Handschriften findet man hin und wieder eine „Rede des heiligen Basilius, wie man sich der Trunksucht enthalten solle“ — augenscheinlich das Erzeugnis eines kirchlichen Eiferers, der unter dem Namen des bekannten Heiligen eine größere Wirkung zu erstreben suchte. Und er hat das zum Teil erreicht, denn die religiösen Lieder des russischen Volkes wissen von einem Trunkenbolde zu singen, der durch Fürbitte der heil. Jungfrau die Kraft gewinnt, seinem losen Treiben zu entsagen — und dieser bekehrte Sünder heißt noch — Basilius.
Die Legende vom Ursprung des Weins gehört in die Reihe solcher schulmäßig-populären Erzeugnisse, und es ist nun unsere Aufgabe deren Quellen, so weit es sich tun lässt, nachzuforschen.
Der Baum „der Erkenntnis des Guten und Bösen“, von dessen Frucht Adam genossen, war, nach der Lehre einiger Talmudisten, der Weinstock. Es ist hier nicht der Ort zu untersuchen, in wie weit diese Identifizierung in die christliche Symbolik eingedrungen ist; um nur bei einem russischen Belege stehen zu bleiben, verweise ich auf das Miniaturbild einer Übersetzung des Cosmas Indikopleustes (Hs. vom J. 1542), wo Adam und Eva an den Seiten eines Rebenstocks dargestellt sind, während eine Schlange sich um denselben windet. Bei den Bogomilen wird diese Vorstellung um so eher Fuß gefasst haben, als ja nach ihrer Meinung der Ursprung des Weins ein dämonischer war. „Sie lehren“, heißt es in einer Handschrift, die dem verstorbenen Prof. Grigorovic angehört hatte, „sie lehren, dass man weder Fleisch essen, noch Wein trinken solle .... weil der Wein und das Weib vom Teufel seien“. Wirklich erscheint in einem, von bogomilischen Legenden überfüllten Schriftstück, der sogenannten „Rolle der heiligen Bücher“ (oder Schriften), der Baum der Erkenntnis — als Weinstock: und Er (der Herr) verbot ihnen (Adam und Eva) von der Frucht des Weinstockes zu kosten; auch die „Epistel des Mönches Athanasius, zu Jerusalem an Panko: vom Baume der Erkenntnis des Guten und Bösen“ zeigt diese Vorstellung als eine unter den Bogomilen verbreitete. Athanasius wirft dem Panko seine Vorliebe für die bogomilischen Legenden vor: „Man berichtet uns von dir, dass du Viele über den Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen belehrst, von dem zu kosten Gott Adam verboten hatte, und dass du sagst, es sei jener Baum der Weinstock gewesen. Höre was die Schrift von Eva sagt: Und das Weib schaute an, dass von dem Baum gut zu essen wäre und lieblich anzusehen. Was ist aber des Weinstocks Lieblichkeit?“ Dieser falschen Auslegung setzt Athanasius eine andere, aber auch nur als eine plausiblere, entgegen, die des heiligen Athanasius: dass nämlich der Baum der Erkenntnis ein Feigenbaum gewesen, weswegen er auch von Christus verflucht ward. Also wieder eine Meinung, die in jener einiger Talmudisten ihr Gegenstück findet, welche in dem Baum der Erkenntnis den Feigenbaum sahen, weil ja die Erzeitern, nachdem sie von der verbotenen Frucht genossen, aus Feigenblättern sich ihre Kleider zusammengeflochten haben.
Die bogomilische Auffassung der Rebe, als einer dem Teufel gehörigen Pflanze, findet sich in einer kleinen apokryphen Schrift, welche in einer slavischen Handschrift den Titel: „Vision des Baruch“ führt und deren, Schluss (göttliche Segnung der Rebe) eine spätere Milderung erfahren zu haben scheint. Sie erzählt folgendes: Als der Herr seinen Engeln anbefahl, den Garten in Eden zu pflanzen, pflanzte auch Satanael die Rebe. Von ihrer Frucht hat nun Adam (gegen Gottes Verbot) gekostet und wurde mit ihr zusammen verurteilt. Während der Sündflut ward sie von den Fluten aus dem Paradies getragen und von Noah mit Gottes Segen von neuem gepflanzt. So ist der Fluch von ihr genommen worden, aber das alte Übel haftet noch daran, weil Jeder, der ohne Maß vom Weine trinkt, in mannigfache Sünde gerät. Es erscheint demnach die Rebe als eine Pflanzung Satanaëls und zugleich als der Baum der Erkenntnis; es wäre interessant, in Hinsicht auf die später mitzuteilenden Kreuzlegenden, dieselbe als Kreuzbaum figurieren zu sehen. Nun erzählt der russische Erzbischof Antonius (XII. Jahrh.) in seinem Reiseberichte, dass er in Konstantinopel, in der Kirche des heil. Michael, ein Kruzifix gesehen habe, welches aus dem von Noah gepflanzten Weinstock gefertigt war. Ob dies, freilich ungenügende Kunde auf eine mutmaßliche Rezension der Kreuzlegende führen kann, die wir die bogomilische nennen dürften (Rebe: satanische Pflanzung; Baum der Erkenntnis: Kreuzbaum) — das ist eine Frage, die aus dem vergleichenden Studium der slawischen Kreuzsagen zu beantworten ist, welche bekanntlich einige bogomilische Episoden aufgenommen haben.
Die slawischen Apokryphen vom Kreuzbaume erzählen dessen Geschichte in folgenden allgemeinen Umrissen: Als Gott der Herr den Paradiesgarten pflanzte, war kein Engel dabei außer Satanaël, der von allen Bäumen, die der Herr pflanzen hieß, Samen entwendete und dieselben in der Mitte des Gartens ausstreute. „Da sprach der Herr: Hier werde Ich sein und Mein Leib, und dies wird dir zum Banne sein. Da ging Satanaël hinaus und sagte dem Herrn: Segne, was wir gepflanzt haben. Und es sprach der Herr: Hier bin Ich in der Mitte des Paradieses. Als dann Satanaël wieder hineingingen, um sich den von ihm gepflanzten Baum anzusehen, wurde er schwarz und der Baum bannte ihn aus dem Garten. — Der Paradiesbaum wächst in drei Stämmen empor: der eine Stamm ist der des Herrn, der zweite Adams, der dritte Evas. Nachdem die Erzeitern sich versündigt hatten, Wieb der erstere Stamm im Paradiesgarten, der Teil Adams fiel in den Tigris, den Stamm Evas schwemmten aus Eden die Wässer der Sündflut — wie in der Vision Baruchs ein Gleiches von Satanaëls Weinstock erzählt wird. Ist vielleicht der Weinstock der Stamm Evas, die von dessen verbotener Frucht gekostet hatte, und hätten wir diese Fassung auf die, dem Popen Jeremias zugeschriebene Rezension der Kreuzlegende zurückzuführen, im Einklänge mit der bogomilischen Lehre: dass Weib und Wein vom Teufel seien?
Die weitere Vergleichung der slawischen und europäischen Kreuzlegenden in ihren verschiedenen Redaktionen dürfte auf diese Frage einiges Licht werfen. Hier nur einige Andeutungen. Die slawischen apokryphen Kreuzsagen schließen an jeden der drei Stämme oder Teile des Paradiesbaumes eine eigene Geschichte an. Die Stämme Adams und Evas wachsen zu Bäumen empor, die später zur Kreuzigung des frommen und des ungetreuen Räubers dienen; nur der Stamm des Herrn erscheint im eigentlichen Sinne als Erlösungs- und Kreuzbaum, auf dem Christus gekreuzigt ward: ein Zweig davon wird vom Erzengel dem Seth eingehändigt und daraus dem todkranken Adam ein Kranz ums Haupt gewunden, mit dem er auch begraben wird. Daraus wuchs ein hoher, stattlicher Baum empor, dreifach (in drei Stämme gespalten) und zugleich eins: ein durchsichtiges Symbol der einen und ungeteilten Dreieinigkeit: die Dreiheit war durch die drei Arten Bäume versinnlicht, in denen occidentalische und einige slawische Kreuzsagen die Zypresse, die Zeder und die Fichte (oder auch die Olive, die Palme u. s. w.) erblicken; die Einheit durch das wunderbare Zusammenwachsen der Bäume, von dem europäische sowohl, wie slawische Legenden zu erzählen wissen. So z. B. eine slawische, wo Fichte, Zeder und Zypresse, in der Entfernung einer Elle von einander gepflanzt, sich wunderbar vereinigen.
Eine andere Fassung der Sage lässt wieder den Erlösungs- und Kreuzbaum aus dem Adamsteile des Paradiesbaumes emporwachsen. Die oben angeführten slawischen Apokryphen erzählen von dem Stamme Adams Folgendes: Seth will seines Vaters Andenken feierlich begehen; ein Engel zeigt ihm den, in den Tigris geratenen Teil des Paradiesbaumes (d. h. den Anteil Adams), und Seth verbrennt ihn bei der Totenfeier. Später, als Loth sich vergangen hatte und nun Abraham aufsucht mit der Bitte, er möge ihm eine Busse auferlegen, ist Abraham ob seiner Sünde ganz entsetzt und legt ihm eine schwere Aufgabe auf: er solle zum Tigris gehen und einen Feuerbrand (von Seths Feuerstätte) holen. Es war aber ein lebensgefährlicher Gang, weil wilde Tiere die Feuerstätte hüteten. Loth findet dieselben jedoch eingeschlafen und bringt den Feuerbrand. Da wunderte sich Abraham und gab Loth eine andere schwierige Aufgabe: er soll jenen Feuerbrand auf einem Berge pflanzen und regelmäßig mit Wasser, welches sehr weit entfernt war, begießen. Wird der Feuerbrand sprossen, so wird die Sünde dir vergeben, sagt er zu ihat; und das Wunder geschieht wirklich, der Feuerbrand aber ward zu einem stattlichen Baume. — Diese Erzählung wird in einer Legende vom Erlösungsbaume, die in altrussischen Handschriften unter dem Namen des Severianus von Gabala vorkommt, an den Erlösungsbaum angeknüpft und mit einigen Varianten wiedergegeben, die ich hier anmerke: Abraham heißt drei Feuerbrande holen, die er in einem Dreieck pflanzt, so dass der eine vom andern eine Klafter entfernt ist. Sie keimen und wachsen in der Mitte zusammen, und es war ein Wunder anzusehen, dass Wurzel und Wipfel dreifach, der mittlere Teil aber eins war. Am Holze dieses Baumes wurde in der Folgezeit Christus gekreuzigt'.
Endlich war noch eine Rezension der Sage verbreitet, die den Kreuzbaum als aus jenem Stamme des Paradiesbaumes entsprossen darstellte, der sonst den slawischen Apokryphen als Evas Teil bekannt ist. So war vielleicht die bogomilische Rezension gestaltet. In den mehrfach genannten slawischen Apokryphen wird von Evas Teil erzählt, dass er von der Sündflut fortgeschwemmt wurde, bis er bei Maras bitteren Gewässern stehen blieb. Als Moses mit seinem Volke gen Mara kam, fand er den Baumstamm, den Gipfel nach unten gekehrt, liegen, und pflanzte ihn nach des Engels Geheiß „kreuzweise“ in die bitteren Gewässer, die sogleich süß wurden. Der Stamm aber wurde zu einem hohen Baume. — Diese Erzählung von dem, Eva vorstellenden Teile des Paradiesbaumes bildet den Eingang zu einer Kompilation von bogomilischen Apokryphen, welche nach meiner Meinung, von einer orthodoxen Hand zusammengestellt und redigiert worden ist. „Da führte Moses die Söhne Israels vom Roten Meer, und als sie gen Mara kamen, da konnten sie von dessen Wasser nicht trinken, weil es sehr bitter war“. Da zeigte ihm der Engel Zweige (oder Stämme?) von den drei Bäumen, der Zeder, der Zypresse und der Fichte. Und es tat Moses, wie ihm der Engel anbefohlen, und nahm die drei Bäume und wand sie zusammen und pflanzte sie an der Quelle jener Gewässer, und sprach: Dies ist das Bild der heiligen Dreieinigkeit, dies wird der Erlösungsbaum, der Lebensbaum sein, auf diesen Baum wird der Heilige, Wahrhaftige von der Hand der, ihrer Erlösung Harrenden emporgehoben werden, und die jüdischen Ältesten, die Priester und die Vorsteher des Volkes werden Ihn verurteilen. Der die ganze Welt, Tote und Lebende richten wird. Diese Worte hat Moses von Christo prophezeit“.
Diese Zusammenstellungen legen mir die Vermutung nahe, dass in der bogomilischen Rezension der Kreuzlegende der Kreuzbaum als derjenige erschien, an dem sich Eva versündigt hatte, als der „Teil Evas“ der bekannten slawischen Kreuzsagen, welche manchen bogomilischen Zug bewahrt haben, freilich gemildert, aber dennoch mit der christlichen Auffassung der Bibel schwer vereinbar. So stimmt z. B. die Sage von der Pflanzung des Paradiesbaumes durch Satanaël zu dem Hass, den die Bogomilen gegen das Kruzifix, den Kreuzbaum, nährten, der nach ihrer Lehre von den Dämonen ersonnen worden sei, um dem Tode des Erlösers zu dienen. Dieser Baum sei der Weinstock gewesen: vom Teufel sind der Wein (d. h. die Weinrebe, der Weinstock) und das Weib, lehrten die Bogomilen; in Übereinstimmung damit wird in der Vision des Baruch erzählt, dass Satanaël den Rebstock im Paradiesgarten gepflanzt, welcher später von der Sündflut weggeschwemmt wird, wie solches andere Legenden vom „Teil Evas“ behaupten, d. h. wohl von dem Kreuzbaum nach der Vorstellung der Bogomilen. Wenn letztere zu ihren Zwecken ältere christliche Apokryphen ausgebeutet haben mögen, so weist andererseits die oben angeführte Kompilation aus bogomilischen Sagen — Spuren einer orthodoxen Überlieferung oder Überarbeitung auf. Das Trinitätsymbol, wie es in der Sage von den drei Bäumen ausgeführt ist, die entweder zusammenwachsen, oder aus dem Kranze Adams (oder, wie in einigen occidentalischen Legenden, aus dessen Schädel, aus den Samen des Paradiesbaumes, die Seth geholt haben soll) entsprießen, dürfte wohl kaum ein bogomilisches sein. Ob wir noch der bogomilischen Auffassung des Symbols auf die Spur kommen können?
Erinnern wir uns an jene Episode der slawischen Apokryphen, wo Satanaël dargestellt wird, wie er von allen Samen des Herrn stiehlt und dieselben in Edens Mitte säet, wie er dann später hineingeht, um den Baum zu sehen, den er gesät hatte. Dieser Baum, den wir bereits als den Erlösungs- und Kreuzbaum kennen, entsprießt also aus vielerlei Samen, wie es noch in einer, in Alt-Russland populären Streitschrift gegen die Lateinische Kirche, „der Unterredung des Panagioten mit dem Azymiten“, von dem Paradiesbaum heißt, dass er von allen Bäumen und Früchten in sich aufgenommen habe. Ob die bogomilische Rezension der Kreuzlegende diese Symbolik ausgebeutet hatte, ist schwer zu sagen und können darüber nur Vermutungen aufgestellt werden. Wie die bogomilische Vorstellung vom Paradiesbaume als Weinstock sich im Talmud wiederfindet, so bietet die Symbolik einer anderen talmudischen Erzählung eine Parallele zum Bilde eines, aus vielerlei Samen entsprossenen Paradiesbaumes, wiederum in Verbindung mit Satan und dem Weinstock. Als Noah die Rebe pflanzte, gesellte sich Satan zu ihm, indem er bei der Rebe ein Schaf, einen Löwen, einen Aflfen und ein Schwein schlachtete. Daher die verschiedenen Wirkungen des Weins: trinkt einer davon ein wenig, so wird er wie ein Schaf; trinkt er mehr, so wird er zu einem Löwen und bei weiterem Trinken zu einem hüpfenden Affen und einem schmutzigen Schwein. Diese Erzählung, die in die Gesta Romanorum (c. 159) und in andere mittelalterliche Sammelwerke überging, ist, vielleicht durch Vermittlung einer muhammedanischen Quelle, zu den Tataren von Nishnij-Nowgorod gedrungen, wo sie in veränderter Gestalt erscheint, da der Wein augenscheinlich dem Branntwein gewichen ist. Als der Teufel mit der Zubereitung des Weins beschäftigt war, mischte er Anfangs Fuchsblut, dann Wolfs- und endlich Schweinsblut hinein. Trinkt davon Jemand, so wird seine Stimme eine sanfte, seine Augen ölig und schmeichlerisch, wie die des Fuchses; ein wiederholter Trunk bekehrt ihn zu grausamen Wolfssitten, weiter aber wälzt er sich im Kot, wie ein Eber. Am schönsten ist diese Sage in einem böotischen Märchen verarbeitet, wo die talmudische Fabel um den jugendlichen Dionysos spielt. Als Dionysos noch klein war, machte er eine Reise durch Hellas, um nach Naxia zu gehen; da aber der Weg sehr lang war, ermüdete er und setzte sich auf einen Stein, um auszuruhen. Da sah er zu seinen Füssen ein Pflänzchen aus dem Boden sprießen, welches er so schön fand, dass er sogleich den Entschluss fasste, es mitzunehmen und zu pflanzen. Er hob das Pflänzchen auf und trug es mit sich fort; da aber die Sonne eben sehr heiß schien, fürchtete er, dass es verdorren werde, bevor er nach Naxia komme. Da fand er ein Vogelbein, steckte das Pflänzchen in dasselbe und ging weiter. Allein in seiner gesegneten Hand wuchs das Pflänzchen so rasch, dass es bald unten und oben aus dem Knochen herausragte. Da fürchtete er wieder, dass es verdorren werde und dachte auf Abhilfe. Da fand er ein Löwenbein, das war dicker als das Vogelbein, und er steckte das Vogelbein mit dem Pflänzchen in das Löwenbein. Aber bald wuchs das Pflänzchen auch aus dem Löwenbein. Da fand er ein Eselsbein; das war noch dicker, als das Löwenbein, und er steckte das Pflänzchen mit dem Vogel- und Löwenbein in das Eselsbein, und so kam er auf Naxia an. Als er nun das Pflänzchen pflanzen wollte, fand er, dass sich die Wurzeln um das Vogelbein, um das Löwenbein und um das Eselsbein fest geschlungen halten; da er es also nicht herausnehmen konnte, ohne die Wurzeln zu beschädigen, pflanzte er es ein, wie es eben war, und schnell wuchs die Pflanze empor, und trug zu seiner Freude die schönsten Trauben, aus welchen er sogleich den ersten Wein bereitete und den Menschen zu trinken gab. Aber welch' Wunder sah er nun! Als die Menschen davon tranken, sangen sie anfangs wie die Vögelchen; wenn sie mehr davon tranken, wurden sie stark wie Löwen, und wenn sie noch mehr tranken, wurden sie wie die Esel.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Altslawische Kreuz- und Rebensagen.