Einleitung.

Zwischen den romanischen und den slavischen Völkern lagern als der dritte grosse Stamm Europas die Germanen. Die Grundlinie des Raumes, in welchen wir sie schliessen, streckt sich am Nordpolarkreis hin; die südlichste Spitze liegt am mittäglichen Abhänge des Monte Rosa, die östlichste im Pregelgebiete, die westlichste am Straumsnes auf Island. Weit in den Osten hinaus sind überdies deutsche Pflanzungen verstreut.

Die kleinere Hälfte des germanischen Flächenraumes fällt auf das deutsche Festland; dasselbe überwigt jedoch mit der Zahl der Menschen, denn die rauhen Gebirgsmassen der skandinavischen Halbinsel geben nur einer geringen Volksmenge wirtliche Wohnung, und bleiben somit dem westlichen Theile des germanischen Nordens die nötige Beisteuer schuldig, um die südliche Landmasse auch an Bevölkerung zu überragen.


Nach den nordischen Meeren sind die Augen der Germanen von Natur gewant; hierhin strömen fast alle Flüsse des Festlandes. Nur die Donau geht nach Osten und gibt hierdurch dem südlichen Deutschland eine besondre Richtung, die noch schärfer sein würde, wenn nicht im Westen der Rhein die Abzugs- und Verbindungslinie zwischen Süd und Nord zöge. So sind die Nordsee, die auch das deutsche Meer heisst, und die fast binnenländische Ostsee die natürlichen Tummelplätze der germanischen Stämme, wenn sie hinausstreben in die Weite; hier gehen die nassen Strassen, welche ihre drei Hauptländer verbinden: die angelsächsische Insel, das vielgegliederte deutsche Land; den langen Gebirgsleib Schwedens und Norwegens.

Der ganz verschiedene Bau dieser drei Theile hat ihr abweichendes Geschick bestimmt. Am meisten den Strömungen der Geschichte ausgesetzt, am wenigsten ohne Wall und Damm gegen ihre Flut ist Deutschland; am entferntesten denselben liegt Skandinavien, und darum blieb das germanische Blut im Norden am reinsten, und das germanische Wesen konnte hier den Verlauf seiner Entwickelung ungestört nehmen.

So muss es eine Rückschau in unsre eigne deutsche Vorzeit gewären, wenn wir die reichen Quellen nordischer Vergangenheit anbrechend, darzustellen suchen, wie sich der skandinavische Stammvetter in Weide und Wald, auf Feld und Schiff bewegte, was er mit Hand und Mund that, wie er lebte und starb.

Derartige Betrachtungen nach rückwärts mögen in der jäh nach vorwärts geneigten Zeit nicht unnütz sein. Sie werden ein neues Zeugnis geben, dass in dem germanischen Stamme eine Lebensader schlägt und ein Kern keimt, die zuweilen stocken und ruhen können, die aber erst mit dem aufhören aller Geschichte nicht mehr schlagen und keimen werden.

Der Schauplatz der nordmännischen Geschichte besteht aus drei Bünen: der schwedisch-norwegischen Halbinsel, dem dänischen Lisellande und Island.

Wie ein riesiges Blatt streckt sich Skandinavien vom hohen Norden gegen das mitteleuropäische Festland herauf. Ein hoher Felsengrat läuft von Mitternacht her und theilt ungleiche Hälften ab: gen Westen das schmälere Norwegen, nach Osten Schweden. Norwegen ist ein Geflecht von Bergrippen und Felsenstöcken, mit tief eingeschnittenen Buchten, durch und durch Meergebiet; Schweden liegt breiter und in sanfter Abdachung zur See, gegen die Küste so reich an Flächen, wie Norwegen daran arm ist, durchbrochen von stillen Seen und von zahlreichen Flüssen durchädert, mit breiteren und behaglicheren Buchten umgrenzt.

Die Hauptgebirgstöcke liegen in Norwegen. Die nördlichsten zwar, die bis 5.500 Fuss hohen Kjölen, sind beiden Ländern gemein; aber schon die mittleren, das Dovregebirge, das über 7.000 Fuss aufsteigt, gehört Norwegen fast allein; und ganz fallen ihm die südlichen Langenberge zu, diese unendliche Felsenwelt mit Gipfeln von 8.000 Fuss, deren inneres von ewigem, nie berührtem Eise starrt, und deren äussere Thalgründe im Hochsommer den üppigsten Pflanzenwuchs treiben.

Das südliche Ende der skandinavischen Halbinsel bildet einen Gegensatz zu den übrigen Theilen. Das ebene wenig durchbrochene Land mit seinen Buchen- und Eichenwäldern und den Getreidefeldern weist auf mildere Striche, und zunächst auf die gegenüberliegenden dänischen Inseln. Eine alte Sage meldet, dass die Göttin Gefion mit ihren vier Söhnen, die sie in Rinder gewandelt, Seeland von Schonen lospflügte; den Beweis geben die seeländischen Vorgebirge, welche genau in die schonischen Buchten passen. So wie Seeland an Skandinavien, so schliesst sich die zweite grössere dänische Insel, Fünen, flach und niedrig gleich allen diesen kleinen Eilanden, an die grosse norddeutsche Halbinsel, die von der Elbe herab Nordsee von Ostsee scheidet, und Deutsche und Dänen vereinigt. Von den Verwüstungen, welche das Meer in diesem ganzen Raume gewirkt, und von denen dunkle Sagen und manch grauses Nachspiel zu uns herüberreichen, geben die zahlreichen Buchten und Inseln der Ostsee wie an Schleswigs und Jütlands Westküste Zeugnis. Ein weiches und feiges Volk konnte hier nicht gedeihen, wo Winter und Meer den Vernichtungskrieg gegen das Leben führen. Was hier ausharrte, war gestählt und empfing fortwärend von den Elementen die Weihe zum Leben als zur Vorschule des Todes.

Aber diese Länder und Inseln sind noch südliche Gefilde gegen jenes Eisland im höchsten Norden, das mehr wie ein neugierig losgelöstes Stück amerikanischer Polarerde, dem als Vorposten Europas aus der See steigt. Brauchte es eines besonderen Beweises für die Zähigkeit und Ausdauer germanischer Art, so wäre es der, dass sich auf Island ein Gesellschaftswesen entfaltete, das nicht bloss im steten Zusammenhange mit dem Mutterlande blieb, sondern bis zum östlichsten Süden Europas und bis nach Asien und Afrika kühne Züge entsandte, um sich zu holen, was die Heimat versagt hatte. Die zu Gletschern erstarrten Feuerspeier und die aus der Eisrinde brechenden heissen Quellen deuteten diesen Menschen an, wie man kämpfen müsse, um zu siegen.

Es gieng auf diesem Boden ein zweites Germanien auf, das in Reinheit Verhältnisse festhielt, welche im Mutterlande zu Grunde gegangen waren. Und die Ruhe des Winters und des Alters nach den Fahrten des Sommers und der Jugend gebar eine Lust am erzählen und hören, welche allgemach zur Aufzeichnung jener Geschichten führte, die uns eine unschätzbare Quelle für die Erkenntniss unsres gesamten Stammes sind.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Altnordisches Leben