Altmeister deutscher Malerei

Autor: Brieger, Lothar (1879-1949) Kunstkritiker, Kunstschriftsteller und Journalist, Erscheinungsjahr: 1913

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Kunst, Malerei, Altmeister, Mittelalter, Gemälde, Kirchenbilder, Altarwerk, Lebenslust, Wirklichkeitsdarstellung, Sittenbild, Baumeister, Künstler, Natur, Harmonie, Albrecht Dürer, Hans Holbein
Es konnte nicht in der Absicht des vorliegenden kleinen Werkchens begründet sein, eine konzentrierte historische Darstellung der altdeutschen Malerei zu geben. Nirgends wäre eine derartige Methode zweckloser für einen möglichst weit gedachten Leserkreis als auf dem fraglichen Gebiete. Nichts wird dadurch gewonnen, dass man mit einer Fülle unbekannter Namen und belangloser Zahlen von vornherein kopfscheu macht. So ist auch keine Rechtfertigung dafür nötig, dass der Fachmann manche Namen vermissen, andere wieder überflüssig finden, mit der einen oder anderen Zuschreibung und Gruppierung nicht einverstanden sein mag. Ich brauche dies um so weniger rechtfertigen, als gerade der Fachmann das die scheinbar leichtere Darstellung stützende Knochengerüst langjähriger selbständiger Arbeit unmöglich übersehen kann.

Die Aufgabe war also vielmehr, gewisse Grundlagen erst zu schaffen, von denen aus dem Laien eine verstehende Beschäftigung mit der altdeutschen Malerei möglich werden kann. Es fehlt uns hieran durchaus. Eine Anleitung zur Einfühlung in das Wesen unserer nationalen Kunst ist notwendig und soll hier in bescheidenen Grenzen gegeben werden, der Verfasser glaubt nicht zu irren in der Annahme, dass er hiermit dem erwachenden deutschen Selbstgefühle der Nation nach seinen Kräften etwas Entbehrtes und Erwünschtes darbietet.

Nur selbstverständlich ist es, dass hiermit weder ein törichter Chauvinismus noch gewisse archaistische Neigungen in der Kunst gefördert werden sollen, sondern ausschließlich die Sache selbst: unsere Selbsterkenntnis und unser Selbstbewusstsein, die Wiedergewinnung des Zusammenhanggefühls mit einer künstlerischen Vergangenheit, deren einzigartige Größe wir allzu lange verkannten.

Berlin, im Februar 1913. Lothar Brieger

Das vorliegende Buch dient nicht der Kunstwissenschaft sondern dem Kunstgenuss. Unter diesem Gesichtspunkt sind Zusammenfassung und Anordnung der Bildtafeln zu verstehen, bei welchen nicht immer die streng historische Folge innegehalten ist. Der Verlag

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Während sich vor der Sixtina in Dresden Deutsche und Fremde drängen, steht das ihr in jeder Beziehung unendliche überlegene Hauptwerk deutscher Kunst, Grünewalds Isenheimer Altar im Colmarer Museum fast unbekannt, vereinsamt und wenig besucht. Basel, wo sich eine Anzahl der wunderbarsten und wichtigsten Werke unserer nationalen Kunst befinden, ist dem Deutschen fast nur als Zollstation seiner Schweizer Reise bekannt. Ja, wir brauchen nur ein reichsdeutsches Museum zu durchschreiten, um uns, mit wenigen Ausnahmen, über die unlustige und unübersichtliche Anordnung seiner altdeutschen Abteilung zu ärgern und über das mangelnde Interesse der Besucher für sie. Es steht außer Frage: wir sind unserer Vergangenheit entfremdet, haben gelernt sie lediglich als ein überwundenes Kuriosum zu betrachten. Sogar ihre uns noch vertrautesten Künstler, Dürer und Holbein, sprechen nicht im gleichen Maße zu uns wie die großen Meister der italienischen Renaissance.

Zur Erklärung dieser Fremdheit bringen wir leider bereits von der Schule eine Anzahl Phrasen mit, die viel schlimmer sind als die Fremdheit selber, wir arbeiten mit Begriffen wie Befangenheit, Enge, technische Beschränktheit und Trockenheit der altdeutschen Malerei, ohne uns doch darunter eigentlich etwas Rechtes vorstellen zu können. Denn sie rechtfertigen zwar vor uns unsere Fremdheit, aber sie erklären uns dieselbe nicht, machen sie nicht verständlich. Von der italienischen Renaissance nehmen wir eine Anzahl überaus farbiger, festumrissener Vorstellungen mit ins Leben hinaus, vom deutschen Mittelalter nur eine Menge Zahlen und ein dunkles Gefühl abergläubischer Roheit. Dort soll alles großartig und prächtig, hier soll alles eng und finster sein. Im Alter, wo wir die Reife haben, den künstlerischen Werken unserer Vergangenheit forschend und genießend gegenüberzutreten, sind dieselben eigentlich innerlich schon von uns gerichtet.

Wahr ist freilich eines: Die Italiener besitzen in Vasari und Anderen lebensvolle zeitgenössische Schilderungen ihrer größten Epoche, die Niederländer ihren Karel van Mander, wir hingegen haben nur die trockene und zusammengestoppelte Arbeit eines Epigonen, Sandrarts deutsche Akademie, die gar keine deutsche Akademie ist, und in dem ganz wenigen, was sie über deutsche Kunst bringt, nüchtern, zusammenhanglos und unverlässlich. Die Werke der altdeutschen Malerei treten wie ebenso viele einzelne Personen überraschend, unvermittelt, anspruchsvoll vor uns hin und reden uns in lauten verschiedenen Mundarten an, die wir heute nicht mehr sprechen. Während alle Werke der italienischen Kunst sich einer, der gleichen Sprache bedienen, die uns noch heute geläufig ist. Liegt aber nicht vielleicht wenigstens ein Teil der Schuld außer an der nach einem Jahrhundert beispiellosen Aufschwungs jäh abgerissenen Tradition auch an uns, sollten wir nicht am Ende die griechische und die italienische Sprache vor unserer eigenen alten bevorzugen? Vielleicht, wenn es uns gelingt, alle diese Mundarten als solche der uns eigentümlichen, der deutschen Kunstsprache zu erkennen und dieser selbst zu ihren Wurzeln nachzugehen, dass dann gerade aus diesen uns scheinbar entfremdeten Werken etwas zu uns redet, das uns verwandter, eigentümlicher, in seiner Art zum mindesten nicht weniger bedeutend und vollendet ist als die Antike und die italienische Renaissance.

Es wird also darauf ankommen den Faden zu linden, der uns klassizistisch Gebildete durch das zunächst chaotisch auf uns einstürmende Labyrinth sich erdrückender, pathetisch rücksichtslos bewegter, im Sinne unseres Schönheitsideals zweifellos meist hässlicher Gestaltungen geleitet. Möglich, dass wir so in die Lage kommen, an unserer jetzigen auf die Schönheit gerichteten allgemeinen Kunstanschauung selbst Kritik zu üben. Diesen Faden kann nur die historische Betrachtung liefern oder vielmehr die aus ihn abgeleitete psychologische Erkenntnis.

Wir erinnern uns noch aus der Schulzeit, dass sich uns das deutsche Mittelalter als die Geschichte des gewaltigen Ringens zwischen Papst und Kaiser darstellte, setzen wir statt Formen das Formende selbst, also als der Kampf zwischen dem südeuropäischen und dem nordeuropäischen Menschen. Mit dem Augenblicke, wo die Römerflut in die germanischen Wälder einbricht, um schließlich in der Völkerwanderung zurückgeworfen und gebrochen zu werden, berühren sich zum erstenmal zwei einander durchaus fremde, durchaus feindliche Prinzipien, deren Verhältnis zu einander von jetzt ab die menschliche Kultur bestimmt. Als die Völkerwanderung verebbt, stehen sich die beiden Prinzipien nunmehr deutlich geschieden, jedes für sich scharf umrissen, gegenüber im Ringen um die Herrschaft. Auf der einen Seite die Völker germanischen Blutes, als deren Vormacht die Deutschen in die Geschichte treten, auf der anderen Seite die Südeuropäer, Italien an der Spitze. In den geschichtlichen Formen ist ihre grundsätzliche Verschiedenheit ohne weiteres klar, schwieriger wird es sein, sie auch in den künstlerischen ex fundamentis nachzuweisen.

Die Italiener repräsentieren hier den klassischen, die Deutschen den gotischen Menschen, In Nordeuropa hat sich das menschliche Geschlecht in einem viel härteren Kampfe gegen die Natur entwickeln müssen als im Süden, kein Wunder daher, dass sich von vornherein eine Tendenz zur Überwindung der Natur in leidenschaftlichster Form bildete, während der Süden die Eintracht mit der Natur, die Harmonie. die Idealisierung will. Der Italiener hat vom Griechentum her eine seinem eigenen Wesen gemäße Tradition, die er nur fortzuführen, zu entwickeln, umzubilden braucht, der aus der Barbarei herkommende Nordländer ist gänzlich traditionslos, er soll vielmehr eine Tradition erst schaffen. Die griechischen Götter sind überlebensgroße Menschen, der nordische Gott kennt in den düster brausenden Eichenwäldern das Lachen und die Freude kaum. Man kann ihm nicht recht wie einem Freunde vertrauen. Im Süden ist das Leben ein lachendes Fest, im Norden ein Kampf mit zusammengebissenen Zähnen. Darum wirft der Italiener alle seine Wünsche auf dieses irdische Leben, er abstrahiert alle seine Ideale aus ihm und sieht so seine höchste Leistung in der harmonischen Schönheit, der Deutsche kennt den Begriff der Schönheit überhaupt nicht — nur eine Verwirrung aller Begriffe vermag von einer Schönheit der Gotik oder der altdeutschen Malerei reden —, sondern er sucht in der Kunst etwas Unsinnliches, etwas obersinnliches, etwas gegen die Natur und über die Natur, Erhabenheit. Die klassische Kunst — Hellas und Italien — will mit dem Leben einen, die gotische will über das Leben erheben. Die südliche Kunst findet ihre Wünsche im Leben selbst erfüllt, der nördlichen ist das Leben hässlich, gemein und schwer, sie wirft ihre Ziele ganz jenseits des Lebens. Italien will die Erscheinung, Deutschland will die Idee. Das sind die grundverschiedenen Ausgangspunkte der Kunst in den beiden Ländern.

Beide Gefühle, das des Einssein mit der ganzen Natur ebenso wie das des dualistischen mit ihr im Kampfe Liegens, verlangen nach Ausdruck, wollen Form gewinnen, Erscheinung werden. Der südeuropäische Mensch schafft sich in dieser Erscheinung das verbindende Band zwischen sich und der umgebenden Well. Die Wünsche des nordischen Menschen sind ganz andere. Er wird von einem dumpfen Angstgefühl vor der Vielfältigkeit des allgemeinen Seins beherrscht, in dem eine feste harmonische Ordnung zu sehen seine ganze Anlage nicht erlaubt Es steht auf der einen Seite, dann ein Abgrund, von dessen anderem Rande er erregt und abgeneigt herübersieht. Für ihn handelt es sich darum, vor ihm Schutz zu suchen, ein Formenprinzip zu finden, das ihm nicht eigentümlich ist, aus dem er gewissermaßen eine neue Welt, eine Gegenwelt aufbauen kann, welche der Ausdruck der unsinnlichen Richtung seiner eigenen Seele ist, und vermittels deren er möglichst die umgebende Welt nicht etwa erklären, sondern entsinnlichen, sich unterwerfen kann. Dieses Formprinzip ist die abstrakte Linie, und wir finden den grundsätzlichen Unterschied zwischen den beiden verschiedenen Menschenarten Europas, dem klassischen und dem nordischen, bereits schon in ihren frühesten Kunstleistungen ausgeprägt, im Ornament. Es muss hier über diese Dinge so ausführlich abgehandelt werden, weil ohne weiteste Einsicht in sie die rechte Würdigung der altdeutschen Malerei überhaupt nicht möglich, jedenfalls nur unvollkommen möglich ist.

039 Meister Wilhelm (Schulbild?). Madonna mit der Bohnenblüte. Köln, Wallraf Richartz-Museum.

039 Meister Wilhelm (Schulbild?). Madonna mit der Bohnenblüte. Köln, Wallraf Richartz-Museum.

052 Bartholomäus Bruyn. Der Kölner Bürgermeister A. v. Brauzeller. Köln. Wallraf-Richartz-Museum.

052 Bartholomäus Bruyn. Der Kölner Bürgermeister A. v. Brauzeller. Köln. Wallraf-Richartz-Museum.

083 Hans Baldung Grien. Greisenkopf. Berlin. Kaiser Friedrich-Museum.

083 Hans Baldung Grien. Greisenkopf. Berlin. Kaiser Friedrich-Museum.

088 Albrecht Dürer. Selbstbildnis von 1498. Madrid, Prado.

088 Albrecht Dürer. Selbstbildnis von 1498. Madrid, Prado.

089 Albrecht Dürer. Bildnis einer Frau (1505). Berlin, Kaiser Friedrich-Museum.

089 Albrecht Dürer. Bildnis einer Frau (1505). Berlin, Kaiser Friedrich-Museum.

098 Albrecht Dürer. Selbstbildnis (1506). München. Alte Pinakothek.

098 Albrecht Dürer. Selbstbildnis (1506). München. Alte Pinakothek.

099 Albrecht Dürer. Bildnis des Hieronymus Holzschuher. Berlin, Kaiser Friedrich-Museum.

099 Albrecht Dürer. Bildnis des Hieronymus Holzschuher. Berlin, Kaiser Friedrich-Museum.

106 Albrecht Dürer. Brustbild der Elisabeth Tucher. Kassel. Königl. Gemälde-Galerie.

106 Albrecht Dürer. Brustbild der Elisabeth Tucher. Kassel. Königl. Gemälde-Galerie.

107 Hans Burgkmair. Der Künstler und seine Gattin. Wien. Kaiserl. Gemälde-Galerie.

107 Hans Burgkmair. Der Künstler und seine Gattin. Wien. Kaiserl. Gemälde-Galerie.

124 Hans Holbein d. J. Bildnis des Kaufmanns Georg Gysze. Berlin, Kaiser Friedrich-Museum

124 Hans Holbein d. J. Bildnis des Kaufmanns Georg Gysze. Berlin, Kaiser Friedrich-Museum

125 Hans Holbein d. J. Bildnis des Erasmus von Rotterdam. Paris. Louvre.

125 Hans Holbein d. J. Bildnis des Erasmus von Rotterdam. Paris. Louvre.

126 Hans Holbein d. J. Robert Chesemann. Falkner Heinrich VIII.

126 Hans Holbein d. J. Robert Chesemann. Falkner Heinrich VIII.

127 Hans Holbein der J. Bildnis des B. Amerbach. Basel. Museum.

127 Hans Holbein der J. Bildnis des B. Amerbach. Basel. Museum.

128 Hans Holbein d. J. Bildnis des Sir Henry Guildford. Windsor. Königl. Galerie.

128 Hans Holbein d. J. Bildnis des Sir Henry Guildford. Windsor. Königl. Galerie.