Landwehren

In den Kriegen der alten Preußen mit dem deutschen Orden spielten die Landwehren, durch welche sie das Hinterland gegen die Angreifer abzusperren suchten, eine große Rolle; selten sind es aufgeworfene Wälle und Gräben, meist nur Verhaue, Gehäge, Hagen und Schläge, Ricken (Indagines), oder insbesondere Hackelwerke. Letztere bestanden aus einem tüchtigen Strauchzaun, zu dessen beiden Seiten starke Pfähle so eingeschlagen waren, dass sie sich über dem Zaun kreuzten und eine Gabel bildeten, in welche Strauch und Dorne gelegt und befestigt, das Übersteigen verwehrten. Jene Gehäge dienten als bleibende Umschließung der Landesgrenze, oder zur raschen Sperrung der Wege und Pässe, wenn eine Kriegsreise drohte; die Leitsleute des Ordens hatten sie auszukundschaften und anzugeben, wo man sie treffen und wegräumen müsse. Alepeck sagt in seiner Reimchronik von den Semgallen:

Sie verhageten die Wege
Groß und klein in steter Pflege.
Die Hagen machten sie so groß,
Dass manchen Christen sin verdroß.


In der für den Orden unglücklichen Schlacht bei Löbau 1264 hatten die Preußen unter ihrem Anführer Monte ihre Flanken durch Verhaue gesichert. Jeroschin reimt davon:

Und hatten sich behouwen
Dy Pruzin und verheynit.

Jeden plötzlichen gewaltsamen Burgenbau in Feindesland begann der Orden mit der verteidigungsfähigen Umzäunung des Bauplatzes.

Bei einem Einfall, den Anno von Sangerhausen, Meister von Lievland, im Jahr 1256 ins Samland machte, zog er auf der Nehrung, welche in 12 Meilen Länge und kaum einer Viertelmeile Breite das kurische Haff von der offenen See trennt, von Memel aus hinab. In der Gegend, wo die Erdzunge ins Festland übergeht, stieß er auf ein starkes Verhau, das vom Ufer des Haffs bis zum Meeresstrand lief und aus mächtigen Baumstämmen, die dort wuchsen, und aus Strauchwerk zusammengesetzt war. Der Meister durchbrach den Hagen, der nicht besetzt war, denn die Samländer ahneten keinen Feind, bis die Ritter das Land überzogen und verheerten. Da erst sammelten sich die samischen Kriegsleute, stellten den Hagen wieder her, und als der Meister auf der Rückkehr wieder hindurch wollte, erhob sich ein furchtbarer Kampf, aus dem es nur mit großer Not dem Meister gelang, sich durchzuschlagen, die ganze Beute aber musste er lassen.

Wenn auch nicht diesen, so können wir doch die Überreste eines ganz ähnlichen und benachbarten nachweisen, der sich auf der südlich vom Samland nach Pillau hinziehenden Landzunge noch großen Teils erhalten hat. Es ist ein bewaldeter Erdwall von 30 Schritt Breite und bis zu 6 Fuß ansteigender Höhe, welcher vom Haff zur Ostsee zwischen Lochstett und Fischhausen quer über die Saatfelder und Palven streicht, und dadurch jene Landzunge abtrennt. Er wird Gertin (Gertaun - Wehrzaun) genannt, ist ziemlich verflacht und ohne Graben, aber mit alten Eichen, prächtigen Linden und dichtem Unterholz bewachsen. Aus ihm lassen sich in kurzer Zeit ein starkes Verhau und sonstige Wehrbauten ausführen und wurden wirklich nach des Chronisten Hennebergers Bericht von den Samländern zu dem starken Hagen von großen Bäumen und Nicken, vom Seestrand an bis in das frische Haff ausgeführt, als der Landmeister Heinrich von Wida heranzog.

Wie dieser Gertin einst das Samland gegen Kriegsverwüstungen zu schuhen bereit war, so gibt er jetzt auf der Banngrenze den Feldern Schutz gegen die verheerenden Seestürme. Am westlichen Ende des Gertins liegen an einem kurzen Bächlein die letzten Spuren einer Kapelle, zum Gedächtnis; an den heiligen Adalbert, den Apostel der heidnischen Preußen, der 997 hier erschlagen worden. Ringsum finden sich in dem mit Bernstein gemischten Sande Bruchstücke von schwarzen Urnen und Gebeinen, die den Platz zugleich als einen schon in heidnischer Zeit heiligen oder als ein Gräberfeld erscheinen lassen. Fanatismus hat die St. Adalbert-Kapelle zerstört und hindert ihren Wiederaufbau, indessen die Gebeine des preußischen Glaubenshelden in S. Bartolomeo auf der Tiberinsel in Rom eine würdige Ruhestätte gefunden haben. Voigt in seiner Geschichte Preußens nimmt und gewiss mit Recht an, dass der heilige Adalbert erschlagen worden, weil er die Grenze des heiligen Hains, des Nomove, überschritten und wohl auch der heiligen Quelle jenes Baches sich genähert habe, so dass also der Ort, wo später (1422— 1424) die Kapelle erbaut worden, schon innerhalb jenes Haines, dessen Grenzen auch urkundlich durch jene Gegend zogen, lag. Obschon nun Voigt des Gertins nicht gedenkt, so glauben wir doch keiner seiner Angaben zu widersprechen, wenn wir die Vermutung hegen, jener Gertin sei der stehen gebliebene Rand und Grenzwall des heiligen Hains Nomowe.

Weiter hin gegen Lochstett und Pillau erheben sich aus der Grashaide (Palven genannt) zahlreiche Grabhügel (nach der Landessprache Kapurnen und Mogillen), bei deren Öffnung man Urnen mit Knochenasche, Schmucksachen von Gold und Erz, kugel- und mühlsteinförmige, oft 2 1/2 Zoll dicke Beinsteinperlen, römische Münzen und Gemmen findet; wir sahen ein kleines Erzbeil in Niello verziert, neben dem einheimischen Bernstein also die Kunst-Produkte der Mittelmeeresländer.

Wir haben noch ein Wort darüber zu sagen, dass sich unseres Wissens keine Steinwälle in Preußen erhalten haben, obschon das Material als erratische Blöcke reichlich vorhanden war. Die Befestigungsmauern vieler Städte (z. B. Heiligenbeil, Stuhm), der Unterbau von Ordensschlössern (Mewe, Thorn, German) und ihre Grabenbekleidungen (Balga) sind aus Granit gebaut, und noch liebt man dies Material (am Festungsbau zu Königsberg und an vielen Gehöften) als zyklopisches Werk zum Teil mit breiten verzierten Fugen anzuwenden, und sucht es als Wegebau-Material in jenem sonst steinfreien Lande eifrig auf; aber eben darin scheint uns der Grund für den Mangel an Steinwällen zu liegen, und wohl mögen die Granitblöcke, welche jetzt die stattliche Befestigungsmauer von Heiligenbeil zusammensetzen, einst um die heilige Feste (Pile) als Ringwall geordnet und statt mit Mörtel mit Holz geschichtet gewesen sein. Am Rhein haben sie sich besser erhalten, weil es hier an Steinen nicht fehlt.

Bei allen Befestigungsanlagen in Preußen fällt es auf, dass das Wasser keine oder nur eine unbedeutende Rolle spielt. Wo das Haff, Flüsse, Seen und Sümpfe in dieser Beziehung genannt werden, sind es eigentlich nicht sie selbst, sondern vielmehr ihre steilen und hohen Ufer, die man als Abschlüsse und Hindernisse verwertet hat. Die Unwegsamkeit des durch viele Flüsse, Seen und Sümpfe unterbrochenen Landes machte es nötig, zu den Kriegsreisen eine Jahreszeit zu wählen, in der jene Gewässer durch den Frost überbrückt waren, und so basierte man nicht auf den Sommer, sondern auf den langen und beständigen Winter, wie die Kriegszüge, auch die Verteidigungs-Anstalten.