Die Romantiker und Nazarener (Schwind, Führich, Steinle)

Als Richard Muther vor mehreren Jahren zum hundertsten Gedenktage von Schwinds Geburt in Wien einen Vortrag hielt, da schilderte er in nachdrücklicher und für uns Heimatsgenossen des großen Künstlers erhebender Weise, wie gerade drei Österreicher es waren, welche der Sehnsucht nach der Größe und Reinheit altdeutscher Kunst am innigsten und wirkungsvollsten zum Ausdruck verhalfen, das ,,Rheingold“ der deutschen Kunstempfindung hoben: ,,Josef Führichs Blätter zur heiligen Genovefa und zum heiligen Wendelin sind zarte bukolische Idyllen, aus deutschem Landleben, deutschen Tieren und deutschem Hausrat zusammengewebt. In Eduard Steinles Aquarellen ist der Zauber der deutschen Sagenwelt duftig, ohne Süßigkeiten festgehalten. Schwind sprach es selber aus: Die Nachahmung der Welschen ist die gefährliche Sackgasse, in die unsere Kunst geriet.

Es schwankt jeder, der seine Muttersprache verlernt hat. Die Malerei, der ich folge, ist die deutsche und als Grund derselben die Glasmalerei anzunehmen.“


Nie ist Wien eine deutschere Stadt gewesen, als in jenen Tagen, da der habsburgische Regent die Herrschaft über das Deutsche Reich zurücklegte, als Napoleon sich in Schönbrunn eine Filialresidenz einzurichten gedachte. Man hat die Bevölkerung Wiens und ihre Lebensweise in so vielen Schriften, in Dramen und Gedichten so falsch geschildert, dass es heute schon schwer ist, diese alteingewurzelten Vorurteile zu widerlegen. Die Schwärmerei für deutsche Kunst war nicht etwa eine zufällige Marotte dieser vereinzelten Künstler; diese waren vielmehr von der allgemein herrschenden Auffassung inspiriert, von der begeisterten Stimmung aller gebildeten Kreise getragen. Es sei mir gestattet, über dieses Thema, über Charakter und Gesinnung der Wiener in vergangener Zeit, an dieser Stelle ausführlicher zu sprechen, da es zum Verständnis ihrer Kunst erforderlich ist.

Seit fast 150 Jahren hat sich in der Literatur die unrichtige Auffassung festgesetzt, die Wiener seien ein leichtsinniges, leichtlebiges Völkchen, nur auf materiellen Genuss gierig, in den Tag hinein und für den Tag lebend, dabei wohl erträglich begabt, für Musik, speziell für Walzer und Couplets, auch für sinnliche Malerei und pikante Literatur. Das Verslein aus den Xenien, das von Schiller herrührt: ,,Immer ists Sonntag, es dreht Immer am Herd sich der Spieß“ ist gedankenlos zur Charakteristik der Wiener gestempelt worden, und die Worte ,,g'mütlich“, ,,fesch“, ,,Fiaker“, ,,drah'n“, ,,Heuriger“, ,,Wäschermadl“, ,,Wurstelprater“ umgrenzen so ungefähr die Vorstellung, die man noch immer im Auslande von der ,,alten Kaiserstadt“ hegt. Dieses einseitige Urteil ist in den glücklichen Tagen des 18. Jahrhunderts entstanden, als während des schwer erkämpften Friedens Geld und Macht von allen Seiten in Wien zusammenströmten. Aber vorher war, durch lange Jahrhunderte, diese Stadt ein festes Bollwerk der deutschen Kultur gegen den Osten. Wien war eine Festung, immer in Kriegsbereitschaft, immer ,,auf Tod und Leben“. In engen Gassen hinter Mauern und Wällen verschanzt, musste man sein Leben einrichten; was man vor den Toren anbaute, musste immer wieder zerstört und niedergebrannt werden, um dem Feinde keine Stütze zu geben. In solchem aufreibenden Kampf härten sich die Naturen! — Wenn von den Vorbedingungen der heutigen Größe Preußens die Rede ist, so wird gewöhnlich der schwierigen Kämpfe dieser östlichen Mark gedacht, welche das Volk zur Tapferkeit und Selbstzucht führten. Die Aufgabe des Wieners und Österreichers war nicht minder schwierig, und er hat stets in schweren Tagen Humor und Heldenmut gezeigt. Als dann in der Residenz der allmächtigen Habsburger viel Geld zusammenfloss, als man mit der Macht Frankreichs rivalisierte, als immerfort hohe Gäste kamen, vor denen man repräsentieren musste, da freilich gab es auch Luxus, Lebenslust, Genüsse. Und die Berichte über derartige Festlichkeiten wurden in dem damals ärmeren Norden, wo man noch die Erschöpfung nach dem 30 jährigen Kriege in allen Knochen spürte, entstellt, übertrieben und in solcher Form ,,literarisch verewigt“.

Gerade der vielgerühmte Prater wurde ja von dem ernstgesinnten Wohltäter Josef II. dem Volke erschlossen; und die Gründe, die ihn bewogen, waren sehr dringliche: durch die Einsperrung der Volksmassen in finstere enge Wohnungen waren verheerende Seuchen entstanden, und es musste Luft und Sonne gespendet werden. Sollte sich der Bürger dieser Errungenschaften nicht freuen?

Der Ernst der Lebensführung ist dem Wiener über diesen Eroberungen nicht verloren gegangen. Ich habe schon in früheren Kapiteln auf die Energie in manchen Lebensläufen hingewiesen. Und es ist gewiss kein Zufall, dass gerade die berühmtesten Vertreter der Kunst im Vormärz ernste, ja schwermütige Züge aufweisen. Ich erinnere an den ,,ewigen Raunzer“ Grillparzer, dessen seelensgute Mutter in einem Anfall von Schwermut sich erhängte, an den im Irrenhaus endenden Lenau, an den verfolgungswahnsinnigen Raimund, an die Helden des Kriegsund Freiheitsliedes, an den kraftvoll ernsten Anzengruber. Und ist nicht der geschilderte Entwicklungsgang Waldmüllers ein steter harter Kampf um ernste Ideale gewesen? Deutsche Bauern waren es, die er in seinen ehrlichen Bildern zeigte, deutsch ist sein Name, so wie der von Danhauser, Daffinger, Amerling, Kriehuber, Führich, Steinle, Schwind, wie die Namen der Musiker Mozart, Schubert, Strauß und Lanner, Brückner, Wolf, und der Dichter Grillparzer, Bauernfeld, Anzengruber, bis herauf zu Rosegger und Schönherr — !

Als im ganzen Deutschen Reich die Reaktion gegen Franzosentum und Klassizismus einsetzte, als die von Herder und Goethe begonnenen Ausgrabungen deutscher Volkslieder, Sagen und Gestalten, des Götz und Faust, des Erwin von Steinbach und Hans Sachs von einer ganzen Generation begeisterter Denker, Dichter und Künstler zum Programm erhoben wurde, fanden diese Stimmen in Wien ein hallendes Echo. In der Stadt des Stephansdomes und der Babenberger, an den von alten Burgen überragten Ufern des Donaustromes und seiner Nebentäler lebten noch so viele gotische Züge, wirkten und woben so viele altdeutsche Sitten und Sagen, dass die Wiener Romantiker aus eigenen Quellen schöpfen konnten. Zudem waren Gäste aus Deutschland häufig, die Brüder Schlegel, Clemens Brentano, Werner lasen hier ihre Dichtungen vor, deutsche Ritter- und Räuberdramen wurden aufgeführt. Webers ,,Freischütz“ war hier populär, und einer der größten Genien deutschen Empfindens, Ludwig van Beethoven, lebte ja ständig in Wien. Dazu kam der Groll über die ungünstige Wendung der politischen Verhältnisse, über das Vordringen der französischen Armee.

Es sei mir an dieser Stelle ein kleiner geschichtlicher Exkurs verstattet, der die Stimmung in der Bevölkerung beleuchtet und manche künstlerischen Erscheinungen erklärt. ,,Schon im Jahre 1793,“ erzählt Guglia in der „Geschichte der Stadt Wien“, hatten Fürst Karl Liechtenstein, der niederösterreichische Appellationsrat von Fillenbaum und die drei Wiener Bürger Ignaz Biedermann, Tuchhändler, Josef Gerl, Baumeister, und J. Würth, Hofsilber-Juwelier, größtenteils auf ihre Kosten ein Freikorps errichtet, das sich unter dem Namen des Graf Wurmserisch-österreichisch-steirischen Freikorps in den folgenden Jahren tapfer schlug. 1795, im Spätherbst, nahm das Korps an dem Siege des Feldmarschalls von Clerfait, bei Mainz über die Franzosen erfochten, teil. Die Bürgerschaft richtete hierauf am 10. November eine Adresse an den Kommandierenden, die das Bewusstsein der Bedeutung des Krieges wie die Freude, dass Wiens Söhne ihn miterkämpft, würdig ausdrückte: ,,Auch in weiter Ferne,“ heißt es darin, „empfanden die Wiener Bürger die Gefahr, welche das deutsche Vaterland bedrohte.“ Anno 1796, da des jungen Napoleon Fortschritte in Italien Österreich im Süden gefährdeten, ward von der Wiener Bürgerschaft selbst die Bildung eines Freikorps beschlossen. Nachdem der Kaiser den Plan genehmigt hatte, flossen reichliche Spenden. Der bürgerliche Handelsstand, die sog. ,,Niederlagsverwandten“, ja selbst die Handlungsdiener gaben bedeutende Summen, die Schneider und Schuster erboten sich zur unentgeltlichen Bekleidung und Beschuhung von tausend Mann. Die kriegerische Begeisterung wuchs, als im September Nachricht von den Siegen, die Erzherzog Karl in Deutschland gegen die Franzosen erfochten, nach Wien kam. Als die französische Armee dennoch weiter vordrang, wurde ein Aufruf erlassen; er erinnerte die ,,biederen Einwohner Wiens an ihre ruhmvollen Voreltern, welche unter Ferdinand und Leopold auf den Wällen von Wien für Religion, Fürst, Vaterland und Ehre siegreich gefochten haben“. Schon die folgenden Tage meldeten sich Freiwillige; im Rathaus und bei den Grundgerichten wurden sie eingezeichnet. Das bürgerliche Handelsgremium ließ verkünden: Alle Gehilfen und Lehrjungen, die sich zum Waffendienst anböten, erhielten nicht nur ihren Gehalt weiter bezahlt, sondern auch Uniform, Waffen und Löhnung. Da drängten sich denn bald viele junge Leute in die Wohnung des Vorstehers, nicht nur von patriotischem Eifer getrieben, auch angelockt von der Aussicht auf ein bunteres Leben, wies die Jugend gerne träumt, wenn sie eingeschlossen in die Gleichförmigkeit von Schreibstuben oder Warenhäusern ihre Tage abspinnen muss. Auch in den Werkstätten regte sichs voll Lust und Mut. Besonders genannt werden uns die Seifensieder, die sich in Mariahilf, die Drahtzieher, die sich auf dem Spittelberg eintragen ließen. Die Studenten, die Schüler der Kunstakademie bildeten besondere Korps. — Die ausrückenden Scharen kamen nur bis Kritzendorf; da ereilte sie die Nachricht von dem ungünstigen Frieden, der am 18. April abgeschlossen war. —

,,Die Abneigung gegen Revolution und Franzosentum, die in diesen Tagen so energisch aufgelodert, schwand in Wien auch nach diesem Frieden nicht. Die aufgepflanzte Trikolore am Hause des französischen Gesandten Bernadotte wurde vom Balkon herabgerissen und zerfetzt. In den Salons der Wiener Vornehmen wurde Napoleon am kräftigsten gehasst, fielen nach langer Zeit wieder Worte von den gemeinsamen Interessen aller Deutschen, besonders Österreichs und Preußens, von der Verpflichtung, ,,gemeinsam den gemeinsamen Feind zu bestehen“. Deutsche Schriftsteller, wie Johannes von Müller oder Friedrich Gentz (ein Preuße, der 1802 in österreichische Dienste trat), schürten diesen Hass, diese Begeisterung. Der letztere schrieb in Wien die ,,Fragmente zur Geschichte des europäischen Gleichgewichts,“ eine der gewaltigsten Anklageschriften gegen Napoleon und sein System. Zwei Jahre später erfolgte, was viele schon längst befürchtet: die Auflösung des Deutschen Reiches (1805). Zwei Monate, vom 13. November bis 13. Januar, lagen französische Truppen in der Stadt; Napoleon wohnte in Schönbrunn, in der Hofburg zu Wien sein Minister Talleyrand. Die Kontribution war drückend, dazu Einquartierung und Verpflegung der fremden Truppen, Teuerung, Hungersnot, Krankheiten. Viele friedliche Bürger verdarben da in Elend und Not. Der Friede auch war hart genug.

Die Erhebung ging wieder von den geistigen Kreisen aus. ,,Im März 1808 erging eine Verordnung, die die Hebung des Buchhandels zur Absicht hatte: „weil er auf Nationalbildung, auf Künste und Wissenschaften einen so mächtigen Einfluss habe“. Von Österreichs Vergangenheit und seinen großen Männern erzählte der junge Hormayr, aus einer alten Tiroler Familie. — Zu Anfang 1809 war neuer Krieg mit Napoleon entschieden. Was in früheren Jahren immer nur vereinzelt und verspätet geschehen war, wurde jetzt im großen Maßstab wieder aufgenommen: die Bewaffnung des Volkes selbst durch Errichtung der sog. Landwehr; Erzherzog Johann und zwei Brüder der Kaiserin erhielten den Auftrag, sie zu organisieren. Österreich bot niemals einen so kriegerischen Anblick, wie jetzt. Fremde Reisende, die nach Wien kamen, staunten; etwas Ähnliches hatten sie nie gesehen. ,,Ist dies die berüchtigte Phäakenstadt?“ Der Kapellmeister Reichardt aus Weimar findet, „man müsse sich freuen, eben jetzt mitten unter einer Nation zu sein, die durch ein höheres Interesse aus einer Ruhe und Behaglichkeit geweckt wird, die man ihr so oft zum Nachteil angerechnet hat“. Trat man jetzt in die Salons der vornehmen Damen, so sah man sie Charpie zupfen, jede Frau, die hinzukam, musste sich sofort an die gleiche Arbeit machen. Bei den Diners und Soupers sprachen sie nur von Politik, und zugleich mit den Männern erhoben sie ihr Glas ,,auf die Befreiung Deutschlands durch die Armee“. Den Kavalieren, die sich nicht zum Kriegsdienst meldeten, drohten sie ihr Haus zu verbieten, Mädchen trieben ihre Verlobten, junge Frauen ihre Männer in die Armee, Knaben selbst litt es nicht zu Hause, sie verließen ihre Eltern, um dem Rufe des angebeteten Helden (Erzherzogs Karl) zu folgen. — Der Krieg nahm schnell eine unglückliche Wendung. Tiefe Trauer verbreitete sich in Wien bei dieser Kunde. Die französische Armee rückte wieder gegen Wien vor, sie drang in die Vorstädte ein. ,,Der Landsturm,“ schrieb ein Wiener damals in sein Tagebuch, ,,zeigt sich in voller Größe; alles ist bewaffnet, selbst Weiber und Mädchen haben Spieße und Hellebarden, und Buben laufen mit Gewehren herum.

Es kam der Tag von Aspern. ,,Die Erde bebte,“ berichtet ein Augenzeuge, ,,man sah den Rauch und Feuer von angezündeten Ortschaften. Ein Offizier rief aus, niemals habe er ein solches Morden gesehen; die Österreicher standen wie die Mauern und fochten wie die Löwen. Am 25. Mai kam die Nachricht von dem Siege. Hoffnung lebte wieder auf. Nach der Schlacht bei Wagram aber, da alles verloren schien, war auch die Kraft des Volkes gebrochen; man lebte dumpf die traurigen Tage dahin. Karoline Pichler (die bekannte Romanschriftstellerin) erzählt, ihr sei damals der Gedanke gekommen: hätten doch alle Franzosen nur einen Kopf! und wie sie Napoleon einmal in der Nähe sieht, denkt sie daran, wie leicht ein wohlgezielter Schuß alles Leid des Vaterlandesund der Welt enden, alle Schmach rächen könnte. Dem alten Vater des Dichters Grillparzer war jeder ihm begegnender Franzose ein Dolchstich. Auf der Straße nahm er bei jedem Zwist zwischen Franzosen und Bürgern unerschrocken die Partei des Landsmannes, ein sehr gefährlicher Mut. Die Schlacht von Wagram warf ihn aufs Krankenlager. Der Wiener Friede (14. Oktober) tötete ihn. Einen Tag, nachdem er von dessen Abmachungen erfahren, ist er gestorben.“

Die erhebenden und die traurigen Erlebnisse dieser Zeit ergaben die Grundstimmung für die folgenden Jahrzehnte, bis zur Revolution 1848. Die finanziellen Verluste hatten jene Vereinfachung der Lebensweise, des Stiles von Häusern, Möbeln, Geräten und Kleidung zur Folge, welche das äußere Kennzeichen der Epoche bildet. Aber die geistige Vertiefung und der Kampf um politische und nationale Güter führten zu einer starken, eigenartigen Äußerung in den verschiedenen Künsten. Der Charakter aller dieser Kunstprodukte ist deutsch, mit einer liebenswürdigen Wiener Note.

Am stärksten treffen all diese Kennzeichen in den früheren Werken Schwinds zusammen. Er ist am Fleischmarkt, in einem wunderhübschen Barockhaus, das noch heute steht und eine Gedenktafel trägt, 1804 geboren; später kauften seine Eltern das Haus ,,Zum goldenen Mondschein“ hinter der Karlskirche, in damals noch ländlicher Gegend. Dort hat er eine glückliche, poesievolle Jugend verlebt, hat mit seinen Freunden, unter denen sich Schubert, Danhauser, Bauernfeld, der Sänger Vogl befanden, viel musiziert und phantasiert, auch viel getollt und getrunken. Seine Skizzen und Federzeichnungen aus dieser Zeit, deren viele auf der Schubert-Ausstellung 1897 neben einer stattlichen Kollektion seiner späteren Hauptwerke zu sehen waren, geben die ganze übermütig-geniale Stimmung jener Jugendtage wieder. Bald beginnt auch die schöne Weiblichkeit ihren Zauber auf sein empfängliches Gemüt auszuüben; er ist lebenslänglich ein Verkünder von Schönheit, Liebe und Treue geblieben. In den ,,Gesellschaftsspielen“, den Schubert-Abenden, dem ,,Spaziergang“, in vielen flotten Federskizzen und aquarellierten Blättern sind Wiener Lokalitäten und Personen festgehalten. Damals hatte Schwind noch eine mehr malerische, von der Wiener Farbenfreudigkeit beeinflusste Manier. Erst später gewöhnte er sich, zeichnend die Märchen und Sagenthemen vorzutragen und die Farbe nur zur Hebung der Wirkung in zarten Abstufungen — die freilich meist nur die Lokaltöne andeuten und sich wenig an die Natur halten — aufzusetzen.

Das Lebenswerk Schwinds gehört heute der ganzen Welt an; seit Jahren sind in Deutschland ausführliche Monographien erschienen, auf die ich hinweisen muss; nur sein Ursprung, sein Zusammenhang mit der Alt-Wiener Schule war zu betonen, zu erklären. Seine „Sieben Raben“, ,,Ritter Kurts Brautfahrt“, ,,Melusine“ (im Wiener Hofmuseum), ,,Aschenbrödel,“ die Fresken in der Loggia der Wiener Hofoper, usw. sind in hunderten von Nachbildungen allbekannt geworden.

Eduard von Steinle (geb. zu Wien 1810, gest. zu Frankfurt 1886) studierte 1823—26 hier an der Akademie, heiratete 1834, verließ aber schon 37 die Vaterstadt, um in Deutschland eine zweite Heimat und einen weiten Wirkungskreis zu finden. Außer einigen Glasfenstern besitzen wir hier wenig von seiner Kunst. Dagegen hat Josef von Führich (geb. 1800 in Kratzau, Böhmen) hier bis zu seinem Tode 1876 gewirkt, von 1852 an als Professor an der Akademie. Er begann als Klassizist in Rom, wendete sich dann aber unter dem Einfluss Overbecks dem Studium der Frührenaissance zu und gilt neben Leopold Kupelwieser (1796—1862) als Haupt der Nazarener in Wien. Seine Fresken, u. a. in der Alt-Lerchenfelder Kirche, seine schönen edlen Zeichnungen, Holzschnitte und Radierungen werden heute von neuem hochgeschätzt. Mit vollem Recht. Seine Schöpfungen haben eine Innigkeit, Feierlichkeit, stilistische Größe, wie sie nur bei den größten Meistern aller Zeiten anzutreffen ist. In dem hier abgebildeten Gemälde z. B., der ,,Begegnung Jakobs mit Rahel“ ist die Verteilung der Gruppen mit so feinem Gefühl durchgeführt, wie es in neuerer Zeit sonst nur Feuerbach, von den Franzosen etwa Puvis de Chavannes vermochten. Von der steifen Kartonmanier des Cornelius weiß er sich ebenso fern zu halten, wie von den Kraftposen Rahls oder von der Süßlichkeit beliebter französischer Madonnenmaler, Bouguereaus etwa. — Ich glaube, dass ein tiefergehendes Studium von Führichs Vermächtnis eine dankbare Aufgabe wäre und auch für die künstlerischen Bestrebungen der neuesten Zeit starke Anregungen ergeben würde.

Noch wäre Scheffer von Leonhartshoff, von dem ein gutes Bild, ,,Die heilige Anna“ auf der Berliner Jahrhundert-Ausstellung auffiel, zu nennen. Auch Johann Ender und Franz Dobyaschofski gehörten eine Zeitlang dieser Künstlergruppe an.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Alt-Wien
Moriz v. Schwind, Ein Schubert Abend

Moriz v. Schwind, Ein Schubert Abend

Georg Decker, Porträt der Fanni Elssler

Georg Decker, Porträt der Fanni Elssler

alle Kapitel sehen