Waren, Erbpachthofbesitzer, Beutepferd, Schinner, Rosenburg, Koppenhagen, Christian IV., Pogge, Roggow, Spath, Ohrspeicheldrüse.
Ein gewisser S., Sohn eines Erbpachthofbesitzers aus der Warener Gegend, war einer der wenigen, die wieder zurückkehrten, nachdem er die Feldzüge des Königs mit durchgemacht hatte. Er erlebte den Rest seiner Tage in seiner Heimat und war wegen seiner Erlebnisse eine Persönlichkeit, deren Andenken sich erhielt. In einer Schlacht wäre es ihm aber beinahe schlecht ergangen. Er ritt ein österreichisches Beutepferd, das ein Durchgänger war. Die preußische und österreichische Armee hielt, wohl in Reserve gestellt, in einiger Entfernung einander gegenüber. Da erschallt ein dem Beutepferd bekanntes, österreichisches Signal. Ohne zu halten, setzt es sich mit S. in Bewegung und allmählich in Karriere zu den Oesterreichern hinüber. Die Preußen halten S. für einen Deserteur und schießen wütend hinter ihm her; der gleichen Auffassung sind die Oesterreicher und nehmen ihn freundlich auf. Da ertönt ein preußisches Signal, welches das Roß während seiner preußischen Dienstzeit gleichfalls kennen gelernt hatte, und sofort saust der rabiate Gaul mit S. von den Oesterreichern zu den Preußen zurück. Diesmal Schießen die Oesterreicher, die den Zusammenhang der Situation inzwischen richtig erkannt haben, auf S., der indessen unverletzt wieder zu den Preußen zurückgelangt. wütend springt er vom Gaul! „Herr Oberst, den Schinner ried ick nich wedder.“ –
Schlecht sah es damals mit der Hygiene aus: Aderlassen und Blutentziehen durch Schröpfköpfe spielten eine große Rolle. Alte Leute erzählen, daß noch bis Mitte vorigen Jahrhunderts das Aderlassen etwas Gewöhnliches, Uebliches war, das jedem im Frühling versetzt wurde; war er blutarm und schwächlich, um das sogenannte „schlechte Blut“ wegzuziehen, damit es sich durch besseres ersetze, bei Vollblütigkeit, um den Ueberfluß abzulassen. Manchmal trieben die Rinnsteine der Städte geradezu von derartig abgezapftem Menschenblute. Die modernen Begriffe der Hygiene in Bezug auf Reinlichkeit, Luft und Licht scheinen nicht existiert zu haben. Für Lüftung wurde wenig gesorgt; die verdorbene, mit Tabakrauch erfüllte Stubenlust galt, wenn sie nur warm war, für gesunder als die frische Luft der kalten Jahreszeit bei Wind und Wetter.
Die Waschgefäße unserer Vorfahren waren kleine Näpfe, wie man aus den erhaltenen Gebrauchsexemplaren historischer Persönlichkeiten noch ersehen kann. Ich erinnere z. B. an das Waschbecken Voltaire's in „Sans–Souci.“ Bei der Anlage von Wohnräumen aus der damaligen Zeit kann man heute noch ein völliges Unverständnis dem Bedürfnis gegenüber konstatieren, sie möglichst luftig und dem Sonnenlicht Zutritt lassend zu gestalten. Ein Beispiel aus noch älterer Zeit kann man in der Rosenburg bei Kopenhagen sehen, wo Christian IV., des nationalsten Dänenkönigs, Schlaf- und Sterbezimmer in einer Art Keller mit kleinen Kellerfenstern angelegt ist.
Wieviel härter jedoch jene Zeit war, ersieht man aus einer Erzählung K's.
Als Knabe lag er im Scharlachfieber allein, unbeachtet aus seinem Zimmer. Von Arzt usw. war keine Rede. Er pflegte zu sagen: „Drei Doktors würden heute in einem ähnlichen Falle geholt.“ Damals hatte sich keiner um solche Krankheit ernstlich beunruhigt, sie wurde als zum natürlichen Lauf der Dinge Gehöriges angesehen. Mitten im vollen Fieber hörte K., daß die Pferde zur Schwemme in den See geritten wurden. Er hinaus auf aus dem Fenster und mit den Pferden im vollen Scharlachfieber bis an den Hals in den See und darauf wieder zurück ins Bett. Vermutlich hat diese forzierte Wasserkur auf seinen kräftigen Körper ebenso günstig gewirkt, wie heute die ärztlich verordnete Wasserbehandlung bei allen in der Haut zur Erscheinung tretenden Krankheiten. Auf nasse Füße und dgl., heute bei Kindern ängstlich zu meiden Gesuchtem, wurde damals nicht geachtet. Die Nächte lag K. in seiner Jugend auf Anstand im Rohrgelege am See und Walde umher oder zum Marderfang auf dem Kirchhofe, wurde naß und trocken, ohne fiehl darum zu kümmern. So erzog er auch später seinen Sohn. Er duldete nicht, daß dieser sein Schuhzeug bei nassen Füßen wechselte; das sah er als eine moderne Verweichlichung an. Er erzog ihn zu einem ebenso abgehärteten Jäger, wie er selbst war, der auf nächtlichen Jagdzügen, drei Meilen von Hause, bis an den Hals in den zugefrorenen Wassergraben fiel und bei starker Kälte, ohne Kleiderwechsel, wieder nach Hause fuhr, ohne sich um solchen Vorfall weiter zu bekümmern. Derartige Erziehungsmethoden der alten Zeit wirkten bewußter Weise, wie die unbewußte, natürliche Zuchtwahl Darwins. Die schwächlichen Individuen unterlagen dabei in jungen Jahren und nur die härteren, lebenskräftigeren erhielten die Art. –
Wissenschaftlich gebildete Tierärzte gab es nicht; Bauern, Schmiede, Schäfer und Persönlichkeiten, die im Ruf der Tierheilkunde standen, besorgten die tierärztlichen Geschäfte. Was dabei herauskam, kann man sich vorstellen. Domänenrat Pogge–Roggow erzählt in den Annalen von 1831, daß in seiner Jugend, Ende des 18. Jahrhunderts, in der Umgegend seiner Heimat die erkrankten Pferde zu einem Bauern gebracht wurden, der alle innerlich, gleichviel woran erkrankten nach einem Universalverfahren behandelte, indem er die „Fiewel“ d. h. die Ohrspeicheldrüse oben an den Kinnbacken mit einer Fliete durchriß. P. fügt lakonisch hinzu: „Selten bekam man sie wieder zu sehen.“ Dieser als Autorität in der Pferdezucht seiner Zeit weit über die Grenzen des Landes hinaus bekannte Herr erzählt ferner, daß man in seiner Jugend den Spath der Pferde nicht einmal richtig kannte; der genannte Tierarzt erklärte: „Der Spath habe seinen Ursprung in der Lende des Pferdes und, daß er ein Oel besitze, denselben aus dem dicken Fleische zu vertreiben.“ Ein anderer Natur–Tierarzt behauptete beim Spath: „Daß er dem Pferde die Blase steche“ und machte demselben einen Schnitt in das Fesselgelenk dagegen.
Man behandelte bei Menschen und Tieren damals die Symtptone der Krankheit, nicht aber die Ursachen, über die man meist ebenso wenig im klaren war, wie über das Wesen der Krankheit selbst. –
Für landschaftliche Schönheit scheint man in jener Zeit wenig Sinn gehabt zu haben. Man kann noch heute auf Landgütern vielfach erkennen, daß damals auch wirklich schöne Aussichten auf Land und Wasser, ohne zwingende Notwendigkeit, trotz vorhandenem, reichlichen Platz, durch Viehställe, Dunghöfe und Wirtschaftsgebäude, zugebaut wurden. Auch das Bedürfnis nach Licht und Luft wurde bei diesen Bauten für die Tiere ebenso wenig berücksichtigt, wie für die Menschen. Der Sinn für Schönheit erscheint überhaupt, wie für Hygiene, wenn er auch im Menschen schlummert, wesentlich durch Kultur und Erziehung anerzogen zu werden. Der unkultivierte Naturtrieb geht im Kampf ums Dasein zunächst auf das „Erreichbare und Nützliche.“
„Nur aus vollendeter Kraft ringt sich die Anmut empor.“
(Goethe.)
So dämmerte Mecklenburg mit steigendem, materiellen Wohlstand, aber eingerostet in alten Zuständen und wenig berührt von den Ideen einer neuen Zeit, welche im Süden Europas durch die französische Revolution und die nachfolgenden Kriege das Oberste zu unterst kehrte, dem Augenblick entgegen, wo derjenige gewaltig umgestaltend auch in das erstarrte, politische und soziale Leben Norddeutschlands eingreifen sollte, der den ersten zwei Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts völlig den Stempel seines Wesens aufgedrückt hat, dessen Persönlichkeit der Ausgangs- und Endpunkt aller damaligen Verhältnisse wurde:
„Lui toujours
toujours lui“;
mit diesem Dichterwort Victor Hugo's schmücken heute die Franzosen sein Bild, rufen sie in ihrer Herzenssehnsucht nach einem großen Tatenmanne, der die kleinen Geister und ihr verrottetes Getriebe wieder einmal zu Paaren treibt und der Welt zeigt, daß es doch noch ein Höheres gibt, als Börsengeschäfte zu machen; wo f?r den Cäsar, dessen Persönlichkeit aber noch fehlt, die Verhältnisse wieder reif sind. Wenn man die Alten gehört hat, die noch seine Zeitgenossen waren, wie sie bewundernd von „Napoleon“ sprachen, wie das alte Auge erglänzte, wenn sein Name genannt wurde, trotzdem, daß er ihr Feind war, kann man einen Begriff des magischen Zaubers bekommen, durch den der große Korse 18 Jahre lang die damalige Welt beherrschte.
Er hat Deutschland seiner Zeit schwer bedrückt und mißhandelt, aber eins danken wir ihm: „Er hat uns die Revolution erspart, um die wir vermutlich ebensowenig hinweggekommen wären, wie Frankreich, wenn wir in dem alten, erstarrten Feudalismus weiter gewurzelt wären.“
Schlecht sah es damals mit der Hygiene aus: Aderlassen und Blutentziehen durch Schröpfköpfe spielten eine große Rolle. Alte Leute erzählen, daß noch bis Mitte vorigen Jahrhunderts das Aderlassen etwas Gewöhnliches, Uebliches war, das jedem im Frühling versetzt wurde; war er blutarm und schwächlich, um das sogenannte „schlechte Blut“ wegzuziehen, damit es sich durch besseres ersetze, bei Vollblütigkeit, um den Ueberfluß abzulassen. Manchmal trieben die Rinnsteine der Städte geradezu von derartig abgezapftem Menschenblute. Die modernen Begriffe der Hygiene in Bezug auf Reinlichkeit, Luft und Licht scheinen nicht existiert zu haben. Für Lüftung wurde wenig gesorgt; die verdorbene, mit Tabakrauch erfüllte Stubenlust galt, wenn sie nur warm war, für gesunder als die frische Luft der kalten Jahreszeit bei Wind und Wetter.
Die Waschgefäße unserer Vorfahren waren kleine Näpfe, wie man aus den erhaltenen Gebrauchsexemplaren historischer Persönlichkeiten noch ersehen kann. Ich erinnere z. B. an das Waschbecken Voltaire's in „Sans–Souci.“ Bei der Anlage von Wohnräumen aus der damaligen Zeit kann man heute noch ein völliges Unverständnis dem Bedürfnis gegenüber konstatieren, sie möglichst luftig und dem Sonnenlicht Zutritt lassend zu gestalten. Ein Beispiel aus noch älterer Zeit kann man in der Rosenburg bei Kopenhagen sehen, wo Christian IV., des nationalsten Dänenkönigs, Schlaf- und Sterbezimmer in einer Art Keller mit kleinen Kellerfenstern angelegt ist.
Wieviel härter jedoch jene Zeit war, ersieht man aus einer Erzählung K's.
Als Knabe lag er im Scharlachfieber allein, unbeachtet aus seinem Zimmer. Von Arzt usw. war keine Rede. Er pflegte zu sagen: „Drei Doktors würden heute in einem ähnlichen Falle geholt.“ Damals hatte sich keiner um solche Krankheit ernstlich beunruhigt, sie wurde als zum natürlichen Lauf der Dinge Gehöriges angesehen. Mitten im vollen Fieber hörte K., daß die Pferde zur Schwemme in den See geritten wurden. Er hinaus auf aus dem Fenster und mit den Pferden im vollen Scharlachfieber bis an den Hals in den See und darauf wieder zurück ins Bett. Vermutlich hat diese forzierte Wasserkur auf seinen kräftigen Körper ebenso günstig gewirkt, wie heute die ärztlich verordnete Wasserbehandlung bei allen in der Haut zur Erscheinung tretenden Krankheiten. Auf nasse Füße und dgl., heute bei Kindern ängstlich zu meiden Gesuchtem, wurde damals nicht geachtet. Die Nächte lag K. in seiner Jugend auf Anstand im Rohrgelege am See und Walde umher oder zum Marderfang auf dem Kirchhofe, wurde naß und trocken, ohne fiehl darum zu kümmern. So erzog er auch später seinen Sohn. Er duldete nicht, daß dieser sein Schuhzeug bei nassen Füßen wechselte; das sah er als eine moderne Verweichlichung an. Er erzog ihn zu einem ebenso abgehärteten Jäger, wie er selbst war, der auf nächtlichen Jagdzügen, drei Meilen von Hause, bis an den Hals in den zugefrorenen Wassergraben fiel und bei starker Kälte, ohne Kleiderwechsel, wieder nach Hause fuhr, ohne sich um solchen Vorfall weiter zu bekümmern. Derartige Erziehungsmethoden der alten Zeit wirkten bewußter Weise, wie die unbewußte, natürliche Zuchtwahl Darwins. Die schwächlichen Individuen unterlagen dabei in jungen Jahren und nur die härteren, lebenskräftigeren erhielten die Art. –
Wissenschaftlich gebildete Tierärzte gab es nicht; Bauern, Schmiede, Schäfer und Persönlichkeiten, die im Ruf der Tierheilkunde standen, besorgten die tierärztlichen Geschäfte. Was dabei herauskam, kann man sich vorstellen. Domänenrat Pogge–Roggow erzählt in den Annalen von 1831, daß in seiner Jugend, Ende des 18. Jahrhunderts, in der Umgegend seiner Heimat die erkrankten Pferde zu einem Bauern gebracht wurden, der alle innerlich, gleichviel woran erkrankten nach einem Universalverfahren behandelte, indem er die „Fiewel“ d. h. die Ohrspeicheldrüse oben an den Kinnbacken mit einer Fliete durchriß. P. fügt lakonisch hinzu: „Selten bekam man sie wieder zu sehen.“ Dieser als Autorität in der Pferdezucht seiner Zeit weit über die Grenzen des Landes hinaus bekannte Herr erzählt ferner, daß man in seiner Jugend den Spath der Pferde nicht einmal richtig kannte; der genannte Tierarzt erklärte: „Der Spath habe seinen Ursprung in der Lende des Pferdes und, daß er ein Oel besitze, denselben aus dem dicken Fleische zu vertreiben.“ Ein anderer Natur–Tierarzt behauptete beim Spath: „Daß er dem Pferde die Blase steche“ und machte demselben einen Schnitt in das Fesselgelenk dagegen.
Man behandelte bei Menschen und Tieren damals die Symtptone der Krankheit, nicht aber die Ursachen, über die man meist ebenso wenig im klaren war, wie über das Wesen der Krankheit selbst. –
Für landschaftliche Schönheit scheint man in jener Zeit wenig Sinn gehabt zu haben. Man kann noch heute auf Landgütern vielfach erkennen, daß damals auch wirklich schöne Aussichten auf Land und Wasser, ohne zwingende Notwendigkeit, trotz vorhandenem, reichlichen Platz, durch Viehställe, Dunghöfe und Wirtschaftsgebäude, zugebaut wurden. Auch das Bedürfnis nach Licht und Luft wurde bei diesen Bauten für die Tiere ebenso wenig berücksichtigt, wie für die Menschen. Der Sinn für Schönheit erscheint überhaupt, wie für Hygiene, wenn er auch im Menschen schlummert, wesentlich durch Kultur und Erziehung anerzogen zu werden. Der unkultivierte Naturtrieb geht im Kampf ums Dasein zunächst auf das „Erreichbare und Nützliche.“
„Nur aus vollendeter Kraft ringt sich die Anmut empor.“
(Goethe.)
So dämmerte Mecklenburg mit steigendem, materiellen Wohlstand, aber eingerostet in alten Zuständen und wenig berührt von den Ideen einer neuen Zeit, welche im Süden Europas durch die französische Revolution und die nachfolgenden Kriege das Oberste zu unterst kehrte, dem Augenblick entgegen, wo derjenige gewaltig umgestaltend auch in das erstarrte, politische und soziale Leben Norddeutschlands eingreifen sollte, der den ersten zwei Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts völlig den Stempel seines Wesens aufgedrückt hat, dessen Persönlichkeit der Ausgangs- und Endpunkt aller damaligen Verhältnisse wurde:
„Lui toujours
toujours lui“;
mit diesem Dichterwort Victor Hugo's schmücken heute die Franzosen sein Bild, rufen sie in ihrer Herzenssehnsucht nach einem großen Tatenmanne, der die kleinen Geister und ihr verrottetes Getriebe wieder einmal zu Paaren treibt und der Welt zeigt, daß es doch noch ein Höheres gibt, als Börsengeschäfte zu machen; wo f?r den Cäsar, dessen Persönlichkeit aber noch fehlt, die Verhältnisse wieder reif sind. Wenn man die Alten gehört hat, die noch seine Zeitgenossen waren, wie sie bewundernd von „Napoleon“ sprachen, wie das alte Auge erglänzte, wenn sein Name genannt wurde, trotzdem, daß er ihr Feind war, kann man einen Begriff des magischen Zaubers bekommen, durch den der große Korse 18 Jahre lang die damalige Welt beherrschte.
Er hat Deutschland seiner Zeit schwer bedrückt und mißhandelt, aber eins danken wir ihm: „Er hat uns die Revolution erspart, um die wir vermutlich ebensowenig hinweggekommen wären, wie Frankreich, wenn wir in dem alten, erstarrten Feudalismus weiter gewurzelt wären.“
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Alt-Mecklenburg, Erzählungen aus der sogenannten guten alten Zeit