Spießrutenlauf, Alter Fritz, 1806, "Butterrevolution", Rostock, Güstrow.

Um die Wende des 18. und 19. Jahrhunderte gab es ein Zeitungswesen im modernen Sinne nicht, der Einzelne war nicht durch die täglichen Berichte und Kritik der Tagesereignisse beansprucht und blasiert, dafür spielten die mündliche Tradition in der Familie und die Geschichten der alten Leute eine viel größere Rolle. Die unbeschäftigte Phantasie bemächtigte sich des Stoffes und setzte ihm zu, was an Tatsachen fehlte, um ihn für die mündliche Darstellung schmackhaft und geeignet zu machen.

Wer etwas zu erzählen hatte, tat es gern, das machte interessant, wo anderer Stoff mangelte.


Die Begebnisse des täglichen Lebens, die Feste und was sich sonst aus der Alltäglichkeit erhob, hatte für die Gemüter eine größere Eindrucksfähigkeit, haftete mehr in der Erinnerung, als dies heute der Fall ist.

Es war mehr Beschaulichkeit und Hang zur Betrachtung vorhanden. Ueber dem Familienleben, dessen Zusammenschluß nicht durch die nervöse Hast der Jetztzeit gestört wurde, lag mehr Ruhe und Behaglichkeit als die Jetztzeit es zu ermöglichen pflegt. Das menschliche Empfinden war allerdings ein härteres, weniger von sensitiven und humanistischen Gefühlen beeinflußtes.

Wenn auch die Literatur jener Zeiten uns einen Zug der Sentimentalität übermittelt hat, die uns Realisten fremd, manchmal komisch anmutet, so muß man bedenken, daß die Literatur aller Zeiten nur das Empfinden der Gebildeteren, Höherstehenden, nicht der breiten Masse des VoIkes zu überliefern pflegt. Nur die Gipfel der Berge leuchten, weithin jedem sichtbar; die große Ebene aus der die Alltagsmenschen wohnen, schaut nur der, der daraus lebt.

Aber auch das Spiel der geistig Gebildeten mit Gefühlen und Empfindungen, wofür uns heute das Verständnis fehlt, gab nicht immer den Maßstab ihrer Handlungen und praktischen Anschauungen. Dazwischen ist überall und allezeit noch ein großer Unterschied gewesen. Fontane erzählt in den „Wanderungen durch die Mark“, daß dort Ende des 18. Jahrhunderts Reden über Freiheit und Menschenrechte sehr pathetischer Art an der Tagesordnung waren, während das Spießrutenlaufen der Soldaten und ihr Werbe–Zwang als etwas Selbstverständliches, Natürliches angesehen wurde. Wir beginnen mit der mündlichen Ueberlieferung von Persönlichkeiten aller Stände, die Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts geboren waren. Sie besaßen noch eine persönliche, deutliche Erinnerung an die Ereignisse der Franzosenzeit, sowie der nachfolgenden Freiheitskriege und verfügten ihrerseits über eine, von ihren Eltern, Vorfahren und Bekannten empfangene Tradition, die bis in die Zeiten des 7 jährigen Krieges, des alten Fritz und noch weiter zurückging.

Das von ihnen Erfahrene soll hier aufgezeichnet werden, bevor es mit den legten lebenden Empfängern des Gehörten für immer in Grab und Vergessenheit versinkt.

Es sind keine Darstellungen bekannter, historischer Ereignisse, keine neuen Gesichtspunkte dazu, auch keine Wiederholung bekannter Legenden und Traditionen daraus, lediglich Episoden, die sich auf dem historischen Hintergrunde oder im Privatleben jener Zeiten abgespielt haben. Sie werfen vielleicht Streiflichter darauf, wie der Eindruck geschichtlicher Begebenheiten unter Lebenden und im Volke war.

Nachdem die verheerenden Folgen des 7 jährigen Krieges überwunden waren, breitete sich in den neunziger Jahren des 18. Jahrhunderts bis ca. 1806 in Mecklenburg ein materieller Wohlstand in einem Umfange aus, wie nicht allgemein bekannt sein dürfte. Die französische Revolution und die unaufhörlichen Kriege im Süden Europas, während derselben, hatten die Getreideproduktion in jenen Ländern lahm gelegt. Getreide–Import aus überseeischen Ländern gab es noch nicht. So fielen dem Norden Deutschlands, der nach dem 7 jährigen Kriege 43 Jahre in tiefstem Frieden lag, die Versorgung jener Länder zu. Es blühte damals ein lebhafter Exporthandel mit Getreide durch die Verbindung über Rostock und die Ostseehäfen nach dem Süden Europas, speziell nach Frankreich, gelegentlich auch nach Schweden. Es kamen glänzende Zeiten für Rostock, seine Handelsherren und Schiffahrt, ebenso für den mecklenburgischen Landwirt. Die Getreide- und Lebensmittelpreise stiegen enorm, und entsprechend die Preise der Güter und Pachtungen.

Es entstand zeitweise eine Teuerung, welche zu der sogenannten „Butterrevolution“ in Rostock und ähnlichen Tumulten in Güstrow und anderen Städten führte. Es muß sich nach manchen Schilderungen eine gewisse materielle Reichlichkeit des Lebens entfaltet haben und für die Landwirtschaft wurden vermehrte Aufwendungen gemacht, namentlich für die damals aufblühende Zucht des „edlen Pferdes“. Man begann rationeller zu wirtschaften, was abgesehen von der Besserung der Preise, die Rentabilität steigerte und die vorhergehenden, schlechten Zeiten vergessen ließ.