Nebelgestalt, Schatteneffekte, Gespenstererscheinung, Spukgeschichte, Gewaltritt, Karl XII., 1714, Posthalter, Stralsund, Peter der Große, Friedrich der Große.

Eines Abends ging der Vater des K. mit seinem Bruder auf ein benachbartes Gut. Auf dem Rückwege gesellte sich zu ihrer Seite eine graue Nebelgestalt, Welche sie schwebend begleitete. Auf deren Haupt waren deutlich flatternde Bänder zu unterscheiden. Das Gespenst begleitete sie bis zur Nähe des Dorfes, dort stellte es sich ihnen quer in den Weg. Entsetzt rief K.: „Alle guten Geister loben Gott den Herren.“ Da verschwand es. — Der Bruder K'S. ging aber an den nächsten Teich und spülte umständlich seine Stiefel ab, eine Symbolik, die er mit einem frommen Spruch begleitete.

Dieses Erlebnis wurde in einer Weise geschildert, daß man den Eindruck empfing, alle Beteiligten hätten ernsthaft an die Uebernatürlichkeit der Erscheinung geglaubt.


Wer indessen aufmerksam schon darauf geachtet hat, daß unsere eigene Gestalt empfangene Lichtstrahlen reflektiert, welche bei geeigneter Beschaffenheit der Atmosphäre und bestimmtem Licht, also unter gewissen Voraussetzungen, als Licht- und Schatteneffekte neben uns in der Luft sichtbar werden, mag hierin für eine disponierte Phantasie den Anlaß zu einer Sinnestäuschung,- welche Gespenstererscheinungen erblickt, begründet finden.

Auf dem Gute K'S. wimmelte es überhaupt von Spukgeschichten, welche der alte Herr mit lebendiger, überzeugter Darstellung vorzutragen liebte. Sie mochten teilweise ihren Ursprung darin haben, daß die topographische Lage des Gutes es zu einem unter allen Umständen strategisch wichtigen Punkt in jedem Kampfe zwischen einer von Süden vorrückenden Truppe und einem im Nordosten Mecklenburgs stehenden Gegner macht. Demgemäß sollen dort zu älteren Kriegszeiten oft Truppendurchzüge und Gefechte stattgefunden haben. Von mancher blutigen Aktion mag nun das Einzelne, Kriegerische im Laufe der Zeiten verwischt sein, sich aber der allgemeine Eindruck des Grausigen davon im Volke erhalten haben, das diese Empfindung schließlich in Spukgeschichten umsetzte, wozu gelegentliche Naturerscheinungen Anlaß gaben.

Wie manche, noch zirkulierende Spukgeschichte mag überall auch auf eine längst vergessene Schauertat zurückzuführen sein.

Die Windmühle stand auf einem kleinen Hügel. Daß derselbe ein Massengrab, wohl im Gefecht Gefallener sei, entdeckte man bei der Fundamentierung eines Umbaues der Mühle. Alte Waffen, Kriegsgeräte und Gerippe kamen ans Tageslicht. Eines derselben trug ein Kugelloch mitten auf der Stirn.

Das älteste, historische Ereignis, an das mündliche Ueberlieferung und zwar einer sehr alten Dame bekannter, Mecklenburger Familie anknüpft, war der berühmte Gewaltritt Karl XII. von Bender nach Stralsund. Er passierte auf demselben auch Mecklenburg.

An einem Novemberabend des Jahres 1714 hielt vor der Posthalterei einer kleinen Stadt des nordöstlichen Mecklenburgs ein einsamer Reiter, um den Pferdewechsel vorzunehmen. An dessen Haltung und Gebahren muß dem Postmeister wohl etwas Absonderliches aufgefallen sein, denn er erkannte den König, obwohl derselbe inkognito ritt. Sein Gefolge war auf dem rasenden Ritt zurückgeblieben. Schließlich konnten auch die beiden Pagen nicht mehr folgen, die den König bis auf den letzten Teil der Reise noch begleitet hatten. In Stralsund langte aber abenbs im Schneegestöber ein einsamer Reiter, seltsamen Benehmens an, den der Posten nicht passieren lassen wollte, worauf der Fremde sofort von „Hängenlassenwollen“ und ähnlichem sprach. Wenn man ihn nicht sofort einließe. Das bewog den Posten ihn zum Kommandanten zu führen, der in der verwilderten Erscheinung den seit 5 Jahren in die Türkei entschwundenen, zurückersehnten König erkannte und ihm zu Füßen stürzte. Die berühmten Reiterstiefel mußte man ihm aber von den Füßen schneiden, so festgeschwollen waren sie durch den langen Ritt.

Die Russen, die unter Peter dem Großen im nordischen Krieg und den Wirren unter Carl Leopold nach Mecklenburg kamen, hatten sich in der Erinnerung des Volkes als Fabelwesen erhalten, als die „Muschwiter“, die, halb Mensch halb Fisch, die Menschen zu sich ins Wasser zögen und auffräßen.

Als am Ufer eines Mecklenburger Sees Mitte vorigen Jahrhunderts ein Massengrab gefunden wurde, erklärten die Tagelöhner die Gerippe als von den Opfern der „Muschwiter“ herrührend, und die Sage kam dabei zutage. Sie mag daher stammen, daß vermutlich vor 200 Jahren die Russen in Gebahren und Erscheinung so wenig den Eindruck des Menschlichen auf die hiesige Bevölkerung gemacht haben, daß man sie nicht für vollwertige Menschen hielt. Noch 50 Jahre später muß Friedrich der Große einen ähnlichen Eindruck davon empfangen haben. Als ihm vor der Schlacht bei Zorndorf gefangene Kosaken vorgeführt wurden, sagte er, der durch den Anblick der Kroaten und sonstigen Soldateska jener verwilderten Zeit nicht gerade verwöhnt war, zu einem seines Stabes: „Sehe Er hier, mit solchem Gesindel muß ich mich herumschlagen.“ (v. Carlyle, Geschichte, Friedrich II. von Preußen.)

Friedrich der Große füllte die Phantasie der Zeiten bis zu den Franzosenkriegen aus und viele Geschichten von ihm hatten sich in der mündlichen Ueberlieferung des Volkes erhalten, die ihn, im Gegensatz zu seinem historischen Bilde, oft als einen „gemütlichen, alten Herren“ darstellten. Es hatten sich eben die menschlichen Seiten seiner machtvollen Persönlichkeit dem Volke eingeprägt und waren von der Phantasie desselben mit Zügen und Anekdoten ausgestaltet, die der VoIksgewohnneit entsprechen, sich einen bewunderten Helden zu dem eigenen Ideal umgestalten, „zu dem Geiste, den man begreift.“