Kulturfortschritt, Erntefest, Gutsbesitzer, Gutsherren, Rademacher, Fechtmeister, Cäsar, Hosenträger, Jagdfrühstück.
Jeder Kulturfortschritt ist in letzter Linie auf das Streben und die Bedeutung des Einzelnen zurückzuführen. Jene kräftigen Zeiten, zu denen wir jetzt zurückkehren, waren noch nicht von einer öden Gleichmacherei angekränkelt, die den Werth und die Tatkraft des Individiums untergräbt, womit ein falscher Humanismus heute die menschliche Gesellschaft und ihre Kultur zum Heerden–Begriff zurückschrauben will.
Desto weniger damals von allgemeinen Menschenrechten die Rede war, desto mehr galt der Mensch als Persönlichkeit. In den patriarchalischen Zeiten standen die Untergebenen, trotz ihrer größeren Abhängigkeit und des größeren Unterschiedes der Stände, in sozialer und rechtlicher Hinsicht ihrem Dienstherren menschlich näher, als heute unter dem Zeichen der Freizügigkeit, der politischen Gleichberechtigung und der polnischen Schnitter. Dem Dienenden war der Herr ein Teil seines Wesens und der Herr empfand als persönlichen Anteil, was seinen Untergeben betraf, er nahm teil an seinen Festen und seinem Leid. Z. B. strich ein Herr v. F., Besitzer eines großen Gutes, regelmäßig den Brummbaß eigenhändig auf den Ernte- und Tanzfesten. Das Erntefest mit dem Gutsherrn an der Spitze, hatte noch den Charakter einer gemeinsamen Feier für hoch und gering, den eines Volksfestes.
Ich entsinne mich vieler Erzählungen alter Gutsherren über ihre Untergebenen, deren Wert, Taten und Erlebnisse, welche ihre warme Anteilnahme bekundeten.
Mit Stolz erzählte mir ein alter Gutsbesitzer aus seiner Kinderzeit, Anfang vorigen Jahrhunderts, wie ein herumreisender Fechtmeister, der aus irgend welchen Gründen auf dem Gute gelandet war, um seine, für Mecklenburger Verhältnisse recht wenig verwertbare Kunst zu lehren, die Probe aufs Exempel machen mußte, indem er dem wegen seiner Riesenstärke bekannten Guts–Rademacher gegenübergestellt wurde. Letzterer erhielt ein Holzschwert und schlug damit sofort in jedem Waffengang, ohne sich auf Fechtkünste weiter einzulassen, dem Fechtmeister die Waffe aus der Hand.
Ich entsinne mich noch der Genugtuung, mit der diese Darstellung gegeben wurde, daß die Kunst der Leute, die in ihrer Art klüger sein wollten, als man selbst war, doch gegen den berühmten, eigenen Rademacher nicht aufkommen konnte.
Es war überhaupt ein Zug der Zeit und ihres Individualismus, sich gegen den aufzulehnen, der mehr und gescheiter sein wollte, als man selbst war. Jeder Mensch von einiger Begabung neigte dazu, sich in seinem Kreise als der Erste und Klügste zu fühlen. Bei der Stabilität der Verhältnisse, dem Mangel an Verkehr und Wandel der Ereignisse fehlte die Kritik der eigenen Bedeutung durch stärkere Menschen und Tatsachen.
Man fühlte sich zufrieden als Cäsar im Alpendorfe, ohne Anspruch auf den Cäsar in Rom zu erheben. Ein Gutsbesitzer, nennen wir ihn K., geboren in den neunziger Jahren des 18. Jahrhunderts, ein Herr von Intelligenz, gutem Gedächtnis und vorzüglicher Darstellungsgabe, erzählte viel aus seiner Kinderzeit auf dem väterlichen Gute; seinen Erinnerungen verdanke ich viel dieser Schilderungen.
Die Lebensführung in wohlhabenden Verhältnissen und den geschilderten, guten Zeiten vor 1806 war materiell reichlich, soweit das Gut in seiner Wirtschaft, seinen Jagdgründen und Fischerei alles selbst produzierte, jedoch ohne Komfort und Raffinement. Die Ansprüche hierin waren sehr gering.
Der Vater K'S. hatte einen wundervollen Zopf, der ihm bis über die Kniekehlen herab hing. Dieser Zopf war sein Stolz und Gegenstand besonderer Pflege. Seine Frau war täglich lange Zeit mit dem Auskämmen desselben beschäftigt, ihn zu flechten und kunstvoll zu frisieren. Allmählich drang die neue Zeit auch nach Mecklenburg und K. sah sich genötigt, wenn auch mit großem Widerstreben derselben Konzessionen zu machen und seinen Zopf zu opfern. Mit einem Male konnte er sich nicht davon trennen; so schnitt er von Zeit zu Zeit ein Stück davon ab. Als der letzte Rest gefallen war und mit ihm die umständliche Haarpflege aufhörte, spürte er doch eine große Erleichterung und seine eigene, frühere Befangenheit kritisierend äußerte er später oft: „Ne, wat sünd de Minschen doch früher dumm west!“ Zur gleichen Betrachtung gelangte er, als er die Wohltat der ersten Hosenträger verspürte, die, damals eine neue Errungenschaft, eine große Bequemlichkeit den Nesteln, Gürteln und sonstigen altmodischen Hosenbefestigungs–Apparaten gegenüber darstellten.
Wer sich von den Geschwistern des Hausherrn nicht verheiratete, blieb im Hause, als Inhaber der kleinen, für sie im Gute stehenden Kapitalien, die nicht ohne weiteres auszuzahlen möglich war. So waren denn mehrere Brüder von K'S. Vater vorhanden, alte Junggesellen, die Haus einlagen und ihre Tage so gut verbrachten, als es anging, gelegentlich auch damit, die Hausfrau durch ihre Wohl nicht immer angenehmen und rücksichtsvollen Lebensgewohnheiten zu ärgern.
Solche alte Onkels, deren Bildung nicht für eine mit geistiger Arbeit verbundene Laufbahn reichte, welche kein materieller Zwang zu anderer Arbeit in selbständiger Lebensstellung trieb, waren damals häufige Erfcheinungen und ein Zeichen ihrer Zeit, die für die oberen Stände den Kampf ums Dasein noch in behaglichen Formen hielt. Sie müssen oft eine wahre Plage für den Hausherrn und dessen Frau, die sich ihrer aus finanziellen und verwandtschaftlichen Gründen nicht entledigen konnten und mochten, gewesen sein. Im vorliegenden Falle gab es bei K'S. Eltern den „dünnen“ und den „dicken“ Onkel. Ersterer beschäftigte sich mit kleinen Nützlichkeiten; von letztrerem ist nicht viel bekannt geworden, außer, daß er eine unglaubliche Anzahl Eier, gemäß einer Wette, beim Jagdfrühstück vertilgte. Es gehörte zu dieser Leistung ein altmecklenburgischer Magen; ein moderner Kulturmensch vollbringt so etwas nicht.
Desto weniger damals von allgemeinen Menschenrechten die Rede war, desto mehr galt der Mensch als Persönlichkeit. In den patriarchalischen Zeiten standen die Untergebenen, trotz ihrer größeren Abhängigkeit und des größeren Unterschiedes der Stände, in sozialer und rechtlicher Hinsicht ihrem Dienstherren menschlich näher, als heute unter dem Zeichen der Freizügigkeit, der politischen Gleichberechtigung und der polnischen Schnitter. Dem Dienenden war der Herr ein Teil seines Wesens und der Herr empfand als persönlichen Anteil, was seinen Untergeben betraf, er nahm teil an seinen Festen und seinem Leid. Z. B. strich ein Herr v. F., Besitzer eines großen Gutes, regelmäßig den Brummbaß eigenhändig auf den Ernte- und Tanzfesten. Das Erntefest mit dem Gutsherrn an der Spitze, hatte noch den Charakter einer gemeinsamen Feier für hoch und gering, den eines Volksfestes.
Ich entsinne mich vieler Erzählungen alter Gutsherren über ihre Untergebenen, deren Wert, Taten und Erlebnisse, welche ihre warme Anteilnahme bekundeten.
Mit Stolz erzählte mir ein alter Gutsbesitzer aus seiner Kinderzeit, Anfang vorigen Jahrhunderts, wie ein herumreisender Fechtmeister, der aus irgend welchen Gründen auf dem Gute gelandet war, um seine, für Mecklenburger Verhältnisse recht wenig verwertbare Kunst zu lehren, die Probe aufs Exempel machen mußte, indem er dem wegen seiner Riesenstärke bekannten Guts–Rademacher gegenübergestellt wurde. Letzterer erhielt ein Holzschwert und schlug damit sofort in jedem Waffengang, ohne sich auf Fechtkünste weiter einzulassen, dem Fechtmeister die Waffe aus der Hand.
Ich entsinne mich noch der Genugtuung, mit der diese Darstellung gegeben wurde, daß die Kunst der Leute, die in ihrer Art klüger sein wollten, als man selbst war, doch gegen den berühmten, eigenen Rademacher nicht aufkommen konnte.
Es war überhaupt ein Zug der Zeit und ihres Individualismus, sich gegen den aufzulehnen, der mehr und gescheiter sein wollte, als man selbst war. Jeder Mensch von einiger Begabung neigte dazu, sich in seinem Kreise als der Erste und Klügste zu fühlen. Bei der Stabilität der Verhältnisse, dem Mangel an Verkehr und Wandel der Ereignisse fehlte die Kritik der eigenen Bedeutung durch stärkere Menschen und Tatsachen.
Man fühlte sich zufrieden als Cäsar im Alpendorfe, ohne Anspruch auf den Cäsar in Rom zu erheben. Ein Gutsbesitzer, nennen wir ihn K., geboren in den neunziger Jahren des 18. Jahrhunderts, ein Herr von Intelligenz, gutem Gedächtnis und vorzüglicher Darstellungsgabe, erzählte viel aus seiner Kinderzeit auf dem väterlichen Gute; seinen Erinnerungen verdanke ich viel dieser Schilderungen.
Die Lebensführung in wohlhabenden Verhältnissen und den geschilderten, guten Zeiten vor 1806 war materiell reichlich, soweit das Gut in seiner Wirtschaft, seinen Jagdgründen und Fischerei alles selbst produzierte, jedoch ohne Komfort und Raffinement. Die Ansprüche hierin waren sehr gering.
Der Vater K'S. hatte einen wundervollen Zopf, der ihm bis über die Kniekehlen herab hing. Dieser Zopf war sein Stolz und Gegenstand besonderer Pflege. Seine Frau war täglich lange Zeit mit dem Auskämmen desselben beschäftigt, ihn zu flechten und kunstvoll zu frisieren. Allmählich drang die neue Zeit auch nach Mecklenburg und K. sah sich genötigt, wenn auch mit großem Widerstreben derselben Konzessionen zu machen und seinen Zopf zu opfern. Mit einem Male konnte er sich nicht davon trennen; so schnitt er von Zeit zu Zeit ein Stück davon ab. Als der letzte Rest gefallen war und mit ihm die umständliche Haarpflege aufhörte, spürte er doch eine große Erleichterung und seine eigene, frühere Befangenheit kritisierend äußerte er später oft: „Ne, wat sünd de Minschen doch früher dumm west!“ Zur gleichen Betrachtung gelangte er, als er die Wohltat der ersten Hosenträger verspürte, die, damals eine neue Errungenschaft, eine große Bequemlichkeit den Nesteln, Gürteln und sonstigen altmodischen Hosenbefestigungs–Apparaten gegenüber darstellten.
Wer sich von den Geschwistern des Hausherrn nicht verheiratete, blieb im Hause, als Inhaber der kleinen, für sie im Gute stehenden Kapitalien, die nicht ohne weiteres auszuzahlen möglich war. So waren denn mehrere Brüder von K'S. Vater vorhanden, alte Junggesellen, die Haus einlagen und ihre Tage so gut verbrachten, als es anging, gelegentlich auch damit, die Hausfrau durch ihre Wohl nicht immer angenehmen und rücksichtsvollen Lebensgewohnheiten zu ärgern.
Solche alte Onkels, deren Bildung nicht für eine mit geistiger Arbeit verbundene Laufbahn reichte, welche kein materieller Zwang zu anderer Arbeit in selbständiger Lebensstellung trieb, waren damals häufige Erfcheinungen und ein Zeichen ihrer Zeit, die für die oberen Stände den Kampf ums Dasein noch in behaglichen Formen hielt. Sie müssen oft eine wahre Plage für den Hausherrn und dessen Frau, die sich ihrer aus finanziellen und verwandtschaftlichen Gründen nicht entledigen konnten und mochten, gewesen sein. Im vorliegenden Falle gab es bei K'S. Eltern den „dünnen“ und den „dicken“ Onkel. Ersterer beschäftigte sich mit kleinen Nützlichkeiten; von letztrerem ist nicht viel bekannt geworden, außer, daß er eine unglaubliche Anzahl Eier, gemäß einer Wette, beim Jagdfrühstück vertilgte. Es gehörte zu dieser Leistung ein altmecklenburgischer Magen; ein moderner Kulturmensch vollbringt so etwas nicht.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Alt-Mecklenburg, Erzählungen aus der sogenannten guten alten Zeit