Abschnitt 3. Grüner Kommißrock und die schwere Muskete statt der feineren Uniform, edle Rosse einer Schwadron.

Regiment Kolberg, Franzosenhass, die Mehrzahl der Freiwilligen aus dem Befreiungskriege waren als Offiziere in die Linie oder Landwehr eingetreten.

In diesem bunten Gemisch der neuen Freiwilligen konnte man leicht die, welche aus Staatsmitteln dazu gemacht wurden, heraus erkennen. Aber der grobe, grüne Kommißrock und die schwere Muskete statt der feineren Uniform und der zierlichern Büchse waren nur ein äußeres Unterscheidungszeichen, das nicht immer mit der moralischen Unterscheidung zusammentraf. Ich habe wackere, treffliche, auch gebildete Kameraden unter den ersteren kennen und schätzen gelernt. Die Sprache lehrt, auch unter gleichmäßig Uniformierten zuerst und bald den Menschen kennen. Zu kameradschaftlichem Zusammenleben war, solange wir in Berlin die ersten Übungen vornahmen, keine Gelegenheit; aber aus den ersten Unterhaltungen lernte ich viel, wovon ich keine Ahnung hatte. Wird man sich verwundern, daß ein sechzehnjähriger Neuling, der aus dem mütterlichen Hause nur in geistesverwandte Kreise gekommen war, über diese Sprache, Scherze, Lieder erschrak! Ich befand mich in einer neuen Welt, und die war höchst unbehaglich, zurückstoßend. Aber wie schnell übt die Gewohnheit ihre Macht. Das Pferd scheut vor den Eseln. Fouqué1) erzählte mir, wie vielen Verdruß seiner ritterlichen Natur die Erfahrung bereitet, daß die edlen Rosse seiner Schwadron, als er in einem Ort lag, wo die Esel zu Hause waren, sich schon in den ersten Wochen an die Kameradschaft gewöhnt hatten. Ja, sie wieherten sich an, wenn sie sich begegneten, die Rosse ohne Scheu vor ihren noch edlern Reitern.
Soldaten denken, sprechen, scherzen, und – phantasieren überall ähnlich und über dasselbe Thema. Nur unter den Berliner Freiwilligen war eine Ausnahme. Die Ausstrahlungen des vornehmen, gebildeten Lebens haben, wie bekannt genug ist, hier die Masse berührt und über die Roheit einen Firnis von Bildung gebreitet, den wenigstens Jünglinge wie ich nicht sogleich heraus erkennen konnten.
Aufgeschnappte Theaterphrasen, absprechende Urteile, vornehme Redensarten, Sentenzen in der sogenannten Sprache der Bildung hingeworfen, konnten mich über meine Umgebung täuschen. Doch nicht auf lange. Es waren viele gebildete junge Leute unter den pommerschen Jägern des berühmten "Regiments Kolberg", in das ich eingetreten war; aber als Neulinge traten sie schüchtern hinter den Veteranen zurück, man lernte sich erst später kennen. Die, welche den vorigen Feldzug mitgemacht hatten, führten, wie sich das von selbst versteht, das Wort; sie waren die Lauten, wir die Stillen. Wie schwanden meine Illusionen! Weshalb ging dieser mit, warum war jener nicht zurückgeblieben! Der aspirierte auf eine Schreiberstelle in einem Bureau, aber er mußte vorher gedient haben. Jener konnte es im elterlichen Hause nicht aushalten; oder er hatte überhaupt kein Haus und keinen Winkel, wo er hatte bleiben können. Ein andrer hoffte auf eine reiche Braut, wenn er als Sieger heimkehrte. Alle waren voll Franzosenhass, wie ich; aber ich leugne nicht, daß die Hoffnung auf gute Quartiere in Frankreich bei diesem Hasse mitspielte. Sie wollten dort, wie die Franzosen in ihrem Hause, wirtschaften.
Zeihe man mich keiner unpatriotischen Gesinnung, oder daß ich den deutschen Enthusiasmus, der die Freiwilligen hervorrief, verkleinern wolle. Ich schreibe nur Züge aus der allgemein menschlichen Natur, die, wenn große Aufregungen vorüber sind, ihren Bodensatz von Gemeinheit deutlicher zeigt. Die Mehrzahl der Freiwilligen aus dem Befreiungskriege waren als Offiziere in die Linie oder Landwehr eingetreten; nur ein geringer Rest derselben ergriff wieder die Jägerbüchse. Woher die andre Überzahl der Gedienten kam, habe ich bereits angegeben. Der jüngere, frischere Zuwuchs mußte sich erst entwickeln, und er tat es, oft im schönsten kameradschaftlichen Sinne. Ich ward Zeuge und beteiligt bei Zügen von Güte und Selbstvergessen, wie sie eben nur im Felde und unter Gefahren, wo die ursprüngliche Natur wieder siegreich über die angewöhnte heraustritt, zum Vorschein kommen werden. Nur geistige Erhebung, Begeisterung und Bewußtsein durfte man von unsern Freiwilligen im ganzen nicht erwarten. Die wir dieser Eigenschaften teilhaftig waren, wir waren noch halbe Knaben, und in welcher Art die Begeisterung sich äußerte, davon werde ich später ein Beispiel geben.
Endlich waren alle bekleidet, bewaffnet und notdürftig einexerziert; wobei ich bemerke, daß mir, der ich nicht musikalisch bin, die Signale der Blasinstrumente sehr schwer zu fassen wurden. Es ging mir indessen nicht allein so, und ich tröstete mich mit der Versicherung, die Veteranen mir gaben, daß im Gefecht nicht viel darauf ankäme; unter dem Donner der Kanonen und in der Hitze des Tirailleurgefechtes höre man nicht auf die Hornmusik. Jeder springe, schieße, laufe und wende sich, wie es ihm gut dünke, und wo er was zu treffen glaube. Eine treffliche Erklärung von einem Treffen, an die ich später recht lebhaft durch eine ähnliche erinnert wurde, die Immermann in seinem "Auge der Liebe"2) einen Feldherrn der Not seinen Hauptleuten geben läßt. Wir waren noch nicht Soldaten, als wir abgingen; wir dienten nur als Symbole des allgemeinen Willens: den Sturm und Drang von Dreizehn fortzusetzen. Um den leuchten zu lassen, beeilte man sich, uns, wie wir waren, an den Rhein zu schaffen.
Es war ein schöner, es ward ein heißer Maitag, als wir am frühen Morgen auf dem Lustgarten standen, um ins Feld zu ziehen. Soviel ich mich entsinne, sangen wir nicht: "Frisch auf Kameraden!" oder "Der Sturm bricht los!" Entweder drückte uns der Abschied von den Lieben im Hause oder der Anfang der militärischen Disziplin. Auch gab es auf dem Versammlungsplatze selbst noch mannigfache Abschiedsszenen. Die jüngeren Freunde und Schulkameraden, die nicht so glücklich waren, mit ziehen zu können fürs Vaterland, ließen es sich nicht nehmen, den glücklichen Freunden zum letztenmal die Hand zu schütteln, auf Sieg, frohes Wiedersehen und Treue in Leben und Tod uns den Bruderkuß zu geben, und wer irgend konnte, begleitete uns noch auf dem Marsche. Man leistete den Scheidenden alle möglichen Liebesdienste, holte ihnen zu trinken, besorgte Grüße, trug, wo es sich tun ließ, ihre Sachen.
Den freiwilligen Jägern war, in Rücksicht auf ihre Jugend und zartere Konstitution, der Vorzug schon im vorigen Kriege zugestanden worden, daß ihre Tornister ihnen nachgefahren würden. Ein Vorzug, der uns dem Neide und Spotte der nicht so begünstigten Landwehrmänner aussetzte und oft nichts half. Denn wo kein Vorspann zu erhalten war, mußten wir die ungewohnte Bürde auf die Schultern nehmen, und das gewöhnlich auf den beschwerlichsten, angreifendsten Märschen. Die humane Berücksichtigung war übrigens auch eine weise. Ein Teil der halben Knaben, die bis da nur leichte Schulmappen getragen, würde, wenn nicht unter der Last erlegen, doch schwerlich in gesundem Zustande bis Frankreich gekommen sein. Außer der schweren Armierung, den Mantel über die Schultern gehängt, noch den schweren Tornister, mit seinen die Schultern oder noch schlimmer die Brust pressenden Riemen auf langen Marschen im Sonnenbrand und Staub zu tragen, dazu gehört eine andre Schule, als aus der wir kamen. Wir gewöhnten uns in der Folge daran; aber ich, wie mehrere andre junge Leute, entgingen den Wirkungen nicht, welche eine zu schwere Belastung und Einschnürung auf den noch im Wachstum befindlichen Körper hervorbringt. Beschwerden aller Art lernt eine ursprünglich gesunde Natur ertragen; aber ein zurückgehaltener Wuchs, eine blaßgraue Gesichtsfarbe stellte sich bei vielen als Folge ein. Erst weit später verwand ich beide durch Fußreisen ohne Gepäck und mit Freiheit und durch die reine Bergluft, die ich durch Monate in den norwegischen Gebirgen einatmete.
Mein Tornister war unter allen, welche auf die Wagen geladen wurden, der schwerste. Mir selbst verbarg der junge Freund, welcher bei dem Geschäfte zusah, die Wahrnehmung, die für mich buchstäblich eine sehr drückende werden mußte. Wer da weiß, was ein Tornister fassen kann, und was er bei einem Soldaten, der in den Krieg geht, fassen muß, wird sich freilich darüber nicht verwundern, wenn er hört, daß die mütterliche und schwesterliche Fürsorge zu den Hemden, Jacken, Schuhen, Bürsten, Tüchern noch Schokolade, Tafelbouillon, nützliche Anweisungen und sonst viel Gutes und Wohlgemeintes hinzugefügt hatte; alles auf den Umstand berechnet, daß der Tornister immer gefahren werde. Ich selbst war der Meinung, daß im Kriege auch der geistige Mensch Nahrung haben müsse, und außer einer Karte und Schreibpapier hatte ich ein Buch mitgenommen. Über die Wahl eines solchen war großer Zweifel gewesen, da weder von meinen Lehrern noch Angehörigen jemand wußte, welche Lektüre zum Kriege am besten passe. Einige stimmten für das Neue Testament; aber das konnte man allenfalls an jedem Orte finden. Ein gelehrter Anverwandter für den Horaz, weil er so sehr dünn sei, und in dem rohen Leben die Neigung für klassische Studien erhalten dürfte. Aber ich war kein Klassiker, sondern ein Romantiker und wählte die Nibelungen, weil sie eine deutsche Nationallektüre waren, vom Kriege handelten, und in der Zeuneschen Ausgabe, die ich wählte, auch nur dünn waren. Sie haben mich durch Deutschland und Frankreich begleitet, und ich brachte sie wieder in die Heimat zurück; ehrlich gesagt ziemlich so, wie ich sie mitgenommen hatte. Der Krieg der Sachsen und Burgunder schien doch ebensowenig wie der der Burgunder und Hunnen zu unserm mit den Franzosen zu passen. Ein andrer Kamerad hatte Schlegels Epigramme gegen Kotzebue mit. Ob er sie mehr gelesen, als ich die Nibelungen, weiß ich nicht. Aber er war ein noch viel stärkerer Romantiker als ich, verwandt mit einem der Koryphäen der Schlegel-Tieckschen Periode und gab mir in der Romantik noch Unterricht. Daß ich Kotzebue gelesen und mir einiges von ihm gefallen hatte, hielt er für ein bedenkliches Zeichen, und ließ es an Anweisungen nicht fehlen, wie ich diesen schlechten Geschmacksrest von mir abschütteln könne. Der eifrige Kamerad weilt längst - nicht im Kriege gefallen - unter den Geistern der Seligen, die ihm sagen werden, worin Kotzebue fehlte, und ob die Romantiker auf dem rechten Wege nach dem Höchsten waren, das wir auf dieser Erde erreichen.
Ein großes Staubmeer hüllte uns ein, sobald wir aus dem Potsdamer Tore die Chaussee betreten hatten. Der Abschied sollte uns erleichtert werden, indem der Staub die Rückblicke auf Stadt und Gegend verbot. Die Ordnung, wenigstens Reih und Glied, hörten sogleich auf, die Bekannten suchten sich; ein freundliches Gespräch trat ein. Unsre Freunde aus der Stadt, die uns begleiteten, gingen bunt unter und mit uns. Diese Zwanglosigkeit beim Marsch, auf die ich nicht gerechnet, erschien mir als ein froher Anfang; es war aber nichts Besonderes, indem es bei allen Militärmärschen nicht anders hergeht. Reih und Glied sind bei einem langen Marsche auf der Landstraße, wo Wagen, Reiter, Fußgänger oft unterbrechen, dieser und jener verweilen muß, auch bei Preußischer Disziplin nicht innezuhalten. Um gute Sänger, einen beliebten Erzähler oder Lustigmacher drängt sich alles. Solche Lustigmacher sind unschätzbar in einer Kompagnie, sowohl für die Soldaten als für die Offiziere. Auch in den untersten Sphären der militärischen Disziplin gilt das "Meus agitat molem." Es bedarf moralischer Impulse, um einen Bajonettangriff zu wagen, und um einen Zug Soldaten auf dem Marsche in Ordnung zu halten. Sogenannte Marodeure (so wird jeder genannt, der zurückbleibt) wird es bei jedem Marsche geben, so oft auch der Kommandeur zurückreitet, anfeuert, droht und drängt; der eigene Vorteil rät aber schon, sich nicht gehen zu lassen, sondern womöglich bei den Vordersten zu bleiben; denn die Zurückbleibenden müssen sich doppelt anstrengen, und kommen oft erst an die Rastplätze, wenn die andern geruht haben und wieder aufbrechen. Daher oft ein Hasten und Drängen, zumal beim Anfang eines Marsches zu den Ersten zu gehören, was auch wieder sein Unangenehmes hat.
Ich bin ein tüchtiger Fußreisender geworden, und noch jetzt ist eine Fußreise meine Lust; aber als ich Soldat wurde, war es weder meine Lust, noch meine Stärke. Der Aufruf der Freiwilligen 1813, der möglicherweise auch mich dereinst treffen konnte, hatte mich zuerst angeregt, meine sehr geschonten Kräfte zu prüfen. Ich hatte es aber kaum weiter gebracht als bis zu Lustwanderungen nach Charlottenburg, Tegel und andern Vergnügungsorten um Berlin. Vielleicht hatte ich einmal das entfernte Potsdam erreicht. Ein entsetzlicher Gedanke heut: fünf bis acht Stunden sich in der Monotonie der Chaussee von Berlin bis Potsdam zu bewegen, während die Eisenbahn in drei viertel Stunden uns, noch zu langsam, dahin trägt. Was aber bedeutet eine Fußwanderung in leichter Kleidung, leicht geschuht und in frischer Luft, gegen einen Marsch dahin, mit Büchse und Patronentasche und unter dem Staube, den Hunderte vor und hinter uns aufregten!
Zweimal wurde gerastet, in Schöneberg und in Zehlenborf. Es war ein heißer Tag. Schon da wankten die Kräfte; man warf sich auf den bestäubten Rasen, zwischen Disteln und Nesseln in die Chausseegräben. Ein - zwei Meilen von Berlin, und wie schon so ganz anders war das; ich hatte etwas erlebt! Die Freunde, die zu den unsern zurückkehrten, baten wir, ihnen ja alles zu erzählen, was uns begegnet sei. Mit welcher Erquickung und mit welchem Gefühl setzte ich zum ersten Male die Feldflasche an den Mund, die hier noch mit altem Franz- Wein gefüllt war. Sie wanderte umher. Man letzte sich zum letzten Male an traulichen Gesprächen über die Heimat; die frohen Spiele, die Schelmereien und Schwänke der Schulzeit wurden noch einmal ins Gedächtnis gerufen.
Der Weg von Zehlenborf bis Potsdam wurde mir sehr schwer. In meinem Tagebuche steht: "Ich glaubte, ich würde nicht weiter fortkommen; aber es ging." So geht vieles, von dem wir glauben, daß es nicht gehen kann. Meine Feldflasche zerbrach, indem sie an den Hirschfänger schlug; der Verlust war zu verschmerzen, da ich mir in Potsdam eine andre kaufen konnte, aber der schöne, alte Wein tröpfelte auf die Straße. Das war Vergeudung; also trank ich schnell den Rest aus, um gleich nachher darüber besorgt zu werden, daß ich nach starker Erhitzung getrunken hatte. Um diese Versündigung gegen die diätetischen Regeln, welche in meinem Hause sehr streng beobachtet wurden, wieder gutzumachen, mußte ich einige Zuckerstücke schnell verschlucken und stark laufen. Oft dachte ich später mit Lächeln daran, wenn wir, durchglüht von heißem Tagesmarsch, mit lechzenden Zungen an einem Quell vorüberkamen, und die Jäger sich rottenweis hinwarfen, um frisches, oft auch nur sehr getrübtes Wasser zu schlürfen. "Dem Soldaten schadet das nichts," sagte mir lächelnd ein alter Landwehrunteroffizier, als er mich das erstemal zaudern sah. Zu Hause hatte ich nicht gelernt, daß die Soldaten andre Lungen haben als die übrigen Menschen, von denen der alte Heim mir gesagt, daß ein rascher, kalter Trunk nach großer Erhitzung tödlich werden könne. Vom Wassertrinken ist, soviel mir bekannt, keiner meiner Kameraden gestorben.
Vor der Stadt wurden meine Kräfte noch einmal hart geprüft. Es hieß, der Kronprinz - der nachmalige König Friedrich Wilhelm IV. - wolle die einziehenden Jäger mustern. Zwei Jägerdetachements klopften und bürsteten und rieben den Berliner Staub von ihren Kleidern und Schuhen vor der Glinickeschen Brücke. Während wir uns selbst kaum mehr fortschleppen konnten, mußten wir die Tornister von den Wagen holen und an die Schultern schnallen. Die neue Last wirkte homöopathisch; die neue Anspannung verscheuchte die vorige Abspannung. So ward es möglich, daß ich den weiten Weg von der Brücke bis in die Mitte der Stadt zurücklegte. Aus der Musterung ward nichts. Vermutlich war es nur ein Kunstgriff unserer Anführer gewesen, ihre Mannschaft in möglichstem Glanze in der zweiten Residenzstadt einzuführen.
Zum ersten Male, ein Quartierbillett in der Hand, mich in ein Quartier einweisen zu lassen, war auch eine neue Empfindung. Ein ermatteter Reisender freut sich schon auf das Wirtshaus, und seine Phantasie malt es sich so freundlich und bequem aus als möglich. Aber sein Wille und sein Geld können es sich wenigstens zur Hälfte schaffen, wie er Lust hat. Der Soldat greift in einen Lotterietopf und ist immer der süßen Hoffnung, einen großen Treffer zu ziehen. Wenn er sich auch in der Regel täuscht, hindert ihn das nicht, das nächste Mal wieder zu hoffen. Die Hoffnungen sind freilich verschiedener Art. Einer hofft auf gutes Fleisch und starke Kost, auf Bier und Wein, weshalb die Quartiere bei Brauern, Bäckern, Fleischern für die besten gelten; andre auf hübsche Gesichter und gefällige Gesinnungen. Meine Hoffnung ging in der Regel auf ein eigenes Zimmer, wo ich mich ausruhen und nachher schreiben könnte. Sie wurde fast immer getäuscht. Übrigens ging es bei diesem Glückstopf wie bei so manchen andern zu. Unsre Waisenknaben, die vorausgeschickten Kuriere, hatten über die Beschaffenheit der Quartiere vorher Erkundigungen eingezogen, und man mußte sich mit ihnen gut stellen, um aus ihrer Hand einen Treffer zu ziehen.
Unser vier, Befreundete vom Gymnasium, fanden in einem gebildeten Haushalt freundliche Aufnahme. Potsdam war noch halb Berlin; man betrachtete uns wie halbe Angehörige, wie Kinder von Freunden. Zum ersten Male lagerten wir auf einer Streu; und meine Besorgnis, daß ich, gewohnt in die Nacht hinein zu arbeiten, auf dem fremden Lager nicht früh, wie es bei den Märschen nötig ist, einschlafen würde, erwies sich, wie so manche andre, als unnütz. Es muß eine imposante Reihe schnarchender Schläfer gewesen sein.
Schon um drei Uhr am nächsten Morgen waren wir auf den Beinen und zogen, frisch und munter, um vier Uhr auf dem Wege nach Brandenburg. Auf dem anmutigen Punkte von Baumgartenbrück war noch eine Abschiedsszene. Der letzte Freund, der uns begleitet, trennte sich hier von uns. Mit schwerem Herzen; auch er fühlte sich gedrungen, mit ins Feld zu ziehen. Er war bereits als Volontär der Colombschen Husaren eingetreten, schon beritten und exerzierte mit, als man zu seinem Schmerze fand, daß seine Augen zum Kavalleriedienste zu schwach waren. Zwei nahe Verwandte und zwei Schriftsteller, deren Namen nach zehn bis zwanzig Jahren oft miteinander genannt wurden, nahmen damals auf der Brücke von Baumgartenbrück voneinander Abschied, ohne zu ahnen, daß sie auf andern Kriegslagern, als denen mit blanker Waffe, sich noch oft begegnen würden. Der Scheidende war Ludwig Rellstab.



1) Der Dichter, ein Enkel des berühmten Generals Friedrichs des Großen, war ursprünglich Berufssoldat, quittierte jedoch ziemlich früh schon den Dienst. Als Leutnant trat er dann 1813 wieder bei den freiwilligen Jägern ein - als solcher dichtete er das noch heute Vielgesungene "Kriegslied der freiwilligen Jäger" ("Frisch auf zum fröhlichen Jagen") - wurde bald Rittmeister, mußte aber dann aus Gesundheitsrücksichten seinen Abschied nehmen.

2) Im 4. Aufzug des erwähnten Immermannschen Lustspiels "Das Auge der Liebe" (1824) spricht der Jägermeister Claudius die Verse: "Halte jeder vor den Kopf seinen Schild, Stürze sich darunter, Ich voran! Jeder haut und sticht, so gut er kann; Mag er einen oder keinen treffen. Gibt's am Ende, was man nennt ein Treffen."
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Als Kriegsfreiwilliger nach Frankreich 1815