Abschnitt 2. Christlich-romantisch, Gottes Gerichte, Napoleons Rückkehr von Elba, die Zersprengung des Wiener Kongresses.

Elsaß und Lothringen, Untergang von Paris, deutsche Volkstümlichkeit, Vaterlandsverteidiger, poetische Abdrücke von Theodor Körner, große Hetärien, Getös der Waffen, Zelt- und Feldleben, Soldateska, Wallensteins Lager, Uniformen, Preußen.

Wir waren christlich romantisch, aber auf diesem Wege schon etwas fatalistisch gestimmt. Gottes Gerichte wirkten immer unmittelbar ein. Napoleons Rückkehr von Elba, die Zersprengung des Wiener Kongresses war ein sichtlicher Fingerzeig, daß Gott mit diesem Frieden in französischer Sprache nicht zufrieden war. Es mußte aufs neue losgehen, ein letzter Akt, eine letzte Schlacht geschlagen werden, um einen andern Frieden in anderer Sprache, mit anderem Geiste und anderen Bedingungen zu schließen. Elsaß und Lothringen mußten wenigstens wieder deutsch werden; vielen aber mochte die dunkle Idee von der Zerstörung des neuen Babels, von dem Untergange von Paris vor Augen schweben. Ein guter, glorreicher Ausgang war uns sicher; der Zauber war ja längst gebrochen, es kam nur darauf an, den Zauberer zu zermalmen, damit er nicht noch einmal spuke. So, voll sicheren Vertrauens auf den Ausgang, voll Überzeugung von der erneuten Notwendigkeit des Volksaufstandes, von der göttlichen Mission, der wir folgten, schwuren wir Jüngeren zu den Fahnen.


Die Wirklichkeit forderte rasch genug nach solchen Träumen ihr Recht. Aus Büchern und Knabenspielen, aus der Mutter Obhut und den gebildeten Kreisen des bürgerlichen Lebens plötzlich mit sechzehn Jahren in das Treiben und unter die Gesänge und Scherze einer ausgelassenen Soldateska versetzt zu sein, ist eine eigene Sache. Ich hatte mir eingebildet, die Freiwilligen wären im allgemeinen wie ich. Da glühte in allen derselbe heilige Franzosenhass; dieselbe Entrüstung über den verpfuschten, halben Frieden und eine wenigstens ähnliche Begeisterung für deutsche Volkstümlichkeit. Wenn ich auch zweifelte, daß alle Fouqué gelesen hätten, so mußten sie doch Goethe und Schiller und den Straßburger Münster und die deutsche Geschichte kennen. Sie alle konnte nur Hass und Liebe in die Reihen der Vaterlandsverteidiger geführt haben. Im Jahre 1813 hätte ich mich nicht getäuscht. Die freiwilligen Jäger waren damals die Elite der preußischen Jugend, alle mehr oder minder poetische Abdrücke von Theodor Körner. Die Studierenden, Künstler, jüngeren Beamten, Ökonomen bildeten in ihren Kompagnien große Hetärien, 4) wo unter den Beschwerden der Märsche, im Getös der Waffen, Gesang, Scherz, geistige Erregung, gesellige Erinnerungen das Zelt- und Feldleben angenehm machten. Alle verstanden sich; aus der Heimat, der Schule hatten sie hundert Anknüpfungspunkte, und Poesie und Kunst warfen mannigfache Lichtstrahlen in die beschwerdevolle Wirklichkeit. Die Kameradschaften hatten die edelsten Züge aufopfernder Liebe hervorgebracht. Die Todmüden, vor Erschöpfung Taumelnden, in dunkeln morastigen Hohlwegen, auf dem Rückzug, Feindesstimmen hinter ihnen, vor ihnen, im Augenblick, wo sie sich in der Verzweiflung hinstrecken wollen, geschehe was da sei; in dem Augenblick stimmt ein Kamerad eine Melodie aus einer bekannten Oper an, eine Parodie auf ihre Zustände, und der grelle Gegensatz des Damals und Jetzt wirkt so erschütternd auf das Zwerchfell und den Mut anregend, daß die Lebenskräfte zurückkehren, die andern in den Gesang einstimmen und die Kameraden sich wieder zum Marsche zusammenscharen. So half damals die Poesie der Wirklichkeit. Es war ein poetisches Leben dieses erste Jägerleben; in Körners Liedern haben wir das beste Symbol der damaligen Stimmung.

Anders war es 1815. Ich sprach von einer Soldateska, in die ich trat. Allerdings hatten die Freiwilligen, welche sich beim Morgengrauen zu den ersten Exerzierübungen auf dem Dönhoffsplatze 5) stellten, Elemente in sich, welche an "Wallensteins Lager" erinnerten. Die Freiwilligkeit hatte schon den Preußischen Normalleisten angezogen. Es war nicht gerade eine gezwungene Freiwilligkeit, aber ein moralischer Zwang war eingetreten. Bekanntlich hatten die Freiwilligen des Jahres Dreizehn, fast allein aus den gebildeten, wohlhabenden Ständen, sich alle selbst equipiert. Aus eignen Mitteln wurden Jägeruniform, Lederzeug, Tornister, Mantel, Hirschfänger und Büchse angeschafft. Auf die Uniformität sah man nicht mit zu großer Ängstlichkeit. Die reitenden Jäger hatten sich ihre Pferde selbst gekauft. Die Einzelnen, die Familien, hatten große Opfer gebracht. Ähnliches ist nie in der neuern Geschichte vorgekommen; wenn auch die Eitelkeit bei den »Opfern am Altar des Vaterlandes« mit ihr Spiel trieb, so waren diese Opfer doch allgemein, durch alle Stände, Provinzen, gleichmäßig verbreitet; und wenn man Preußens erschöpften Zustand, die Verarmung durch den Krieg, das Aussaugesystem der Franzosen, die gebotenen Abgaben zur Führung des Krieges in Anschlag bringt, außerordentlich. Reiche Familien rüsteten außer ihren eigenen Söhnen noch die ärmeren Bekannten aus. Bemittelte und Unbemittelte steuerten zusammen, um dürftigen Jünglingen Waffen und Kleidung zu verschaffen. Die Universitäten, Gymnasien sammelten unter sich, um ihre ärmeren Kommilitonen auszurüsten. Unerschöpflich war namentlich der Eifer der Frauen. Auch der Zug darf nicht der Vergessenheit übergeben werden, als ein junges Mädchen, die nichts geben konnte, ihr langes, schönes Haar abschnitt, und den Erlös dafür beim Friseur zur Bewaffnung der Freiwilligen darbrachte.

Auch im Jahre 1815 rüsteten die Freiwilligen, welche die Mittel dazu hatten, sich selbst aus; auch da wurden von Einzelnen und Familien Opfer gebracht. Wir erhielten dafür nie einen andern Ersatz, als den das eigene Gefühl uns gewährte. Aber, fürchtete man, daß die Opferlust geringer sein, und die Zahl derer, welche sich unter die freiwilligen Jäger stellten, unbedeutender ausfallen würde, als man des moralischen Eindrucks wegen wünschte? Genug, der Staat versprach alle die als Jäger auf seine Kosten auszurüsten, welche in den Jahren 1813 und 1814 in irgendeiner Truppe gedient und sich jetzt wieder unaufgefordert zum Dienst stellen würden. Die Lust an dem gerühmten, freieren Leben der Jäger lockte viele an, die im früheren Sinne nicht dahin gehörten. Die Arbeit in der Werkstatt, die Monotonie hinter dem Ladentische und an dem Schreibtische war von vielen schwer ertragen worden, welche in einem zweijährigen Kriegsleben zwar an Beschwerden, aber auch an Müßiggang und beständigen Wechsel sich gewöhnt hatten. Der Aufruf konnte ihnen nicht erwünschter kommen. Mehrere hörte ich hoch und teuer schwören, daß sie nie wieder in den armseligen frühern Zustand zurückkehren wollten. Kriege mußte es ja doch immer geben. Wie mancher wartete noch immer, daß Napoleon auch von Helena losbrechen werde, und griff auf die falsche Nachricht nach der alten Jägerbüchse, die ihm als trostreiche Erinnerung an der Wand hing.

Andre lockte das Versprechen, daß nach dem hergestellten Frieden jeder Freiwillige vorzugsweise bei der Anstellung in Zivilämtern bedacht werden solle. Welches Mißvergnügen, wie viel Lebensverstimmungen und moralische Zerrissenheiten hat dies gewiß aufrichtig gemeinte Versprechen später hervorgerufen! Es war unmöglich, allen Erwartungen zu genügen. Das Bürgertum wäre verzehrt worden, wenn der Staat für alle, welche gedient hatten, Ämter schaffen sollte. Ich weiß nur zu viel traurige Beispiele, wohin die erweckte Arbeitsscheu, die Lust am Herumtreiben und die gespannten Erwartungen, die nie befriedigt werden konnten, viele geführt haben. Ein lieber Schulkamerad, der sich nicht wieder an die zu früh verlassenen Studien gewöhnen konnte, verdumpfte gänzlich. Mutlosigkeit und Trunk richteten andre zugrunde, nicht die Schlechtesten. Noch steht mir lebhaft ein Austritt aus meiner spätern juristischen Laufbahn vor Augen. Im Kriminalgericht beschäftigt, ziehe ich an der Klingel, um in einer Untersuchung wegen Diebstahls, die ich von einem Kollegen geerbt, den Verhafteten vortreten zu lassen. Der Name in den Akten war mir schon auffällig; als der Unglückliche eintrat, sah ich einen mir wohlbekannten Kriegskameraden, mit dem ich oft in stürmischen Nächten auf Vorposten stand, mit dem ich oft am selben Feuer gekocht und mich gewärmt hatte. Er gehörte damals nicht zu den schlechtesten Kameraden. Ich eilte, die peinliche Untersuchung los zu werden. Zum Glück hatte er in seinem Inquirenten nicht seinen Zeitgenossen erkannt.



4) Hetärien - bei den Griechen eine politische Verbindung, hier im Sinne geselliger Vereinigung gebraucht.

5) Nach dem preußischen Kriegsminister D.(1786-91) benannter großer Platz an der Leipziger Straße zu Berlin.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Als Kriegsfreiwilliger nach Frankreich 1815
Landwehrkavallerie 1813-1815

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Preußisches Heer 1813

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Preußische Landwehr 1813

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