Von den Schafalpen Oberinntals

Wie beinahe überall, so hat auch Oberinntal seine eigenen Alpen für die Schafe. Durchschnittlich bleiben diese bis zur Herbsteszeit in den hohen Bergregionen, während in tiefer gelegenen Alpentälern die Sennerhütten schon verödet dastehen. Die grasreichen Böden und Pleißen in den Kuhalpen stehen bereits verlassen, das Jauchzen und Jodeln der Viehhirten auf den luftigen Höhen und Felsspitzen ist verhallt, und einsam trauert die Taie in der weithin herrschenden Stille; da schicken sich auch die Schafhirten mit ihren Horden zur Heimkehr an. Diese haben ein ganz eigentümliches Alpenleben und sind völlig abgeschlossen von den übrigen Hirtenleuten. Die rauen schroffen Gebirge, welche nur hie und da mit saftreichen Matten besäet und daher dem Hornviehe unzugänglich sind, bilden die Schafalpen, und gewöhnlich thront auch auf den nackten Bergesspitzen ein majestätischer Gletscher, der mit kaltem Odem die beißen Sommertage erfrischt. Auf einer solchen Alpe lagert dann die Herde zur brennenden Mittagszeit hart an dem unvergänglichen Eise, gedeihet am besten und trägt treffliche Wolle. Die Schäfer haben kleine, größtenteils in die Erde gegrabene Hütten, mit einem Dache aus Baumrinden, welche inwendig mit Fichtenzweigen ausgeflochten sind; sie enthält eine niedrige Lagerstätte aus weichem Moos, ein selbst geschnitztes Kreuz, einen Rosenkranz, ein Perspektiv, die unentbehrlichsten Kochgeschirre und gewöhnlich eine Flinte, womit der Hirte in freier Stunde an den Steingeröllen die Murmeltiere ablauert, und sich manches Mal einen recht saftigen Braten bereitet. Sonst ist ihre Kost sehr mager und ihre Kleidung ärmlich, und nur von Schafen, welche durch herabrollende Steine oder eine Lawine umkommen, dürfen sie das Fleisch nehmen; aber ein Braten von ihren lieben Schafen schmeckt den Hirten nicht.

Zwischen dem Schäfer und der Herde herrscht das zutraulichste Zusammenleben; er kennt alle seine Schafe und diese seine Stimme und folgen ihr. Sobald der Hirte beim Tagesgrauen aus seiner Hütte geht und ruft, so erhebt sich sogleich die ganze Herde, die jeden Abend zur Hütte getrieben wird und vor derselben lagert — man heißt es im Oberinntal „aufs Lieger treiben“ — und zieht auf die Weide fort; lockt er die Schafe zu dem Salze, welches er gewöhnlich alle 14 Tage auf große glatte Felsen hinstreut, so läuft die ganze Herde der bekannten Stimme, den Steinplatten zu. Doch das Salzgeben (Salznen) ist eine gefährliche Sache und erfordert große Vorsicht; denn es hat schon Fälle gegeben; dass ein unbehutsamer Hirt, ehe er das Salz vollends ausgestreut hatte, der Herde lockte, und diese dann im vollen Galopp herbeirannte, den Hirten zertrat, und ihn noch solange beleckte, bis nur die nackten Gebeine mehr übrig waren. Er darf daher nur, wenn er mit dem Ausstreuen fertig ist, die Herde locken, und muss sich also gleich aus dem Staube machen.


Wie innig Schäfer und Herde einander kennen, zeigte sich vor einigen Jahren in einer Schafalpe in dem Alpentale Verwall, Diese liegt 10 Stunden von Landeck entfernt im Stanzertale. Dem Hirten waren einige Schafe über die Gebirge gegangen, und zu der Montafoner Herde gekommen. Als der Hirte sie vermisste, durchsuchte er alle Gebirgsschluchten und Höhen, kam auf seinem Wege zum Montafoner Schäfer und fragte ihn, ob er keine fremde Schafe habe? Dieser antwortete, er wisse nichts, und führte den Suchenden zu der Herde, und also gleich erstieg der Hirte von Verwall einen Felsenkopf, jodelte über die Herde hinunter und augenblicklich blökten einige Schafe, weil sie die Stimme ihres Hirten erkannten. Aber auch der Hirte kannte gleich ihr Blöken und rief voll Freude: „Das sind meine Schafe!“ und wirklich fand er aus der großen Herde, die bei 2.000 Stück zählte, seine verlornen Schafe heraus.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Alpenbilder aus Tirol