Heimkehr von der Alpe im Oberinntal

Nach dem St. Bartholomäustage, wo der Winter nach einem alten Bauernspruch die Füße über die Schrofen herabhängt, um am St. Mathäustage an den Zaun zu kommen, verwelken allmählich die hochgelegenen Pleißen und die Matten, welche während des Hochsommers mit saftigen, milchreichen Kräutern wuchern, werden falb, die Blätter der Blumen und Alpenrosen fallen ab, über die nackten Felsenzacken der Gebirge streichen Abends und Morgens kühle, frostige Lüfte, und schütteln kalten Reif selbst auf die niedriger gelegenen Alpentäler hinab; da sehnen sich Hirte und Herde nach dem St. Mathäustage, dem äußersten Termine der Alpenzeit. Indessen flechten die Hirten aus den üppigen Zweigen des Zirbelkieferbaumes Kränze, schmücken dieselben mit glänzenden Spielhahnfedern und kleinen, nett aus weichem Zirbelholze geschnitzten Milchgefäßen, wie: Schlegkübel, Milcheimer Rahmmesser etc., um die Hörner ihrer besten Milch- und Stechkühe zu bekränzen; die Sennerin schafft aber emsig in der Taie, scheuert blank die Geräte und den kupfernen Kessel, und stellt alles und jegliches an seinen Ort für das kommende Jahr, Erscheint an dem ersehnten St. Matthäustage nun endlich der Bergmeister, so wird die Herde versammelt, die hübschen Kränze werden auf die Hörner gebunden, aber mit dem Unterschied, dass die besten, glatthaarigen Stechkühe mehr mit Spielhahnfedern, die trefflichsten Milchkühe aber mehr mit den niedlichen, künstlich geschnitzten Geschirrchen geschmückt erscheinen. Alles wird nach Verdienst verteilt; der Stafel, die beste Stechkuh, bekommt die schönste Feder, der Milchstafel trägt in seinem Kranze den Schlegkübel oder das Rahmmesser. Dann setzt sich die Herde in Bewegung, in oft unterbrochenem Zuge, indem immer eine ausgezeichnete Stechkuh die Reihe eröffnet, und wandelt die gewohnten Steige ihrer Heimat zu; hintenher gehen die Hirten im lodenen Gewande, in ihren Knospen (grobe Schuhe mit dicken hölzernen Sohlen, und starken Eisennägeln beschlagen), die Hüte mit Edelraute und Federn geschmückt. In den Dörfern bildet die Rückkehr des Alpenviehes eine Art Freudenfest. Die Hausmutter bereitet frühzeitig das Mittagsmahl; während desselben redet Klein und Groß beständig von der Weißen, Braunen, Scheckigen oder wie die Viehnamen alle heißen mögen; nach dem Essen machen sich der Vater und die Buben gleich auf die Beine und gehen der Herde entgegen, und selbst die Mütter und Töchter, die sich sonst nur zu Hause zu schaffen machen, erwarten das Vieh am Eingange der Dörfer, nachdem sie die Ställe gescheuert, und die Krippe reichlich mit Futter versehen haben. Gegen Abend ziehen dann die Kühe unter lustigem Geläute der Schellen, unter Gejauchze und Jodeln der Hirten und Knaben, von denen jeder eine am Schellriemen führt, in die friedlichen Dörfer ein; die Hirten drücken ihren Bekannten und Freunden kräftig die Hände, die Kühe brüllen lustig beim Anblick ihrer alten Ställe und bekannten sorgsamen Pfleger, und das Ganze bildet das Gemälde des heimatlichsten Friedens und der schönsten Harmonie, und man glaubt sich in die Tage zurückversetzt, wo der Mensch noch im seligsten Zustande lebte, mit der Natur und allen Geschöpfen im Frieden stand, und wo wahre Eintracht und Liebe noch auf Erden wohnte.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Alpenbilder aus Tirol