Ein Tag auf einer Alpe im Oberinntal

Kehrte ich nicht in der Alm ein,
Ich müsste kein Tiroler sein.


Wenn der Winter sein kaltes Leichentuch über unsere Berge und Täler ausgebreitet hat, da schlummern die zarten Samenkörnlein in der Erde und träumen vom künftigen Leben und Wachstume; die Seen ruhen unter der spiegelglatten Eisdecke und träumen von Sommernacht und Mondschein; ja selbst unsere Bergesspitzen rasten unter gewaltigen Schneemassen und phantasieren zurück in die Geschichte von Jahrtausenden; und so geht auch die Erinnerung des Menschen zur Zeit, wo Blätter und Blüten verfallen sind, und die ganze Gegend eine öde Schneewüste bildet, zu den Freuden des Sommers zurück oder seine Einbildungskraft wandelt vorwärts zu den Tagen, wo die friedlichen Schwalben ihm vom Hausdache herab den Frühling ankündigen. Und so mochten wir auch diesem natürlichen Gange folgen, und unsern verehrten Lesern einen Sommertag zurückführen, der von Raute, Speick und Edelweiß etc. duftet, wir möchten vor ihnen das Gemälde eines Tages auf einer Alpe im Oberinntal aufrollen.


Eine Sennhütte in einem Alpentale, ober welcher auf mit fettem Grase bedeckten Pleisen die Kühe hinaufweiden, während der Hirte an einem Felsen lehnt und aus voller Brust ins Tal hinabjodelt, und die Nebel wie Gespenster auf dem benachbarten Bergesjoche herumreiten, hat so viel Interessantes, das ganze Alpenleben so viel Eigentümliches, man atmet dort oben so reine Tirolerluft, Vaterlandsliebe und Mannhaftigkeit, dass es jedenfalls die Mühe lohnt, auf diesen Stoff näher einzugehen. — Hier wechselt Gewaltiges und Anmutiges im großartigsten Kontraste, und vereiniget sich wieder zur schönsten Harmonie: Oben auf der Bergesspitze thront in kalter Majestät der Gletscher, und unten im Alpentale blühen die Fluren im herrlichsten Schmelze; über Turm hohen Felsen stürzt mit schäumender Wut der Gletscherbach, während an den Seiten die Raute und das Edelweiß duften; in das furchtbare Gebrülle des Ferners und den Donner des Hochgewitters mischt sich das friedliche Geläute der Glocken an den Hälsen der Kühe und das Jauchzen und Jodeln des Hirten und der Sennerin.

Sobald der Tag grauet und die Jochvögel zwitschern, treiben die Hirten die Kuhherde von der Nachtgampe, welches immer eine schöne geräumige Alpenflur ist, wo die Kühe zur Nachtzeit frei herumgehen und sich herumtummeln können, in das Gehege zum Melken zurück. In Mitte von derlei Weideplätzen stehen gewöhnlich gewaltige Fichtenbäume — Wetterbäume genannt — welche der Herde bei den furchtbaren Sturmgewittern, wie sie auf den Alpen zu hausen Pflegen; einen sichern Unterstand gewahren; und die bis an den Gipfel hinauf mit dickem Baumbart überkleidet — wie Riesen einer längst versunkenen Zeit herschauen. In dem Gehege nun nimmt jede Kuh ihren gewohnten Platz ein — der Stafel, das ist, die stärkste Kuh im Stoßen, fasst gewöhnlich auf einer hervorragenden Stelle Posto — und weithin ertönt der luftige Klickklack der Kuhschellen. Da verlassen auch die Sennerinnen ihr weiches Mooslager, welches jenem der Hirten gegenüber in einer Ecke der Taie sich befindet, und aus einer Britsche (Gerüste) von abgefällten Balken, über welche eine Schichte weiches Moos und eine wollene Decke hingebreitet ist, besteht, und auf welchen sie nach den anstrengenden Arbeiten des Tages so sanft ruhen, während draußen der Gletscherbach über turmhohe Felsen herunterrauscht, und in der Ferne das bunte Geklingel der Kuhglocken erschallt, so süß träumen, und eilen mit ihren schneeweißen Milcheimer auf den Hag. Jedes von den Hirten und Sennerinnen hat seine bestimmte Anzahl Kühe zu melken, und der bekannte Ton der Schellen bemerkt ihnen die Stelle, welche sie unter der Herde einnehmen. Allmählich ist der junge Tag auf seinem Rosenbettchen ganz erwacht, hat seine Ärmchen gestreckt und vergoldet stehen die Eisspitzen des ewigen Gletschers; da ist auch die Herde gemolken, die schäumenden Milcheimer werden in die Taie gebracht, die Sennerinnen förlen mit einer glatten hölzernen Schüssel die Unreinlichkeiten, welche auf der Oberfläche der Milch schwimmen, weg, und schütten das blendendweiße Nass in die Stotzen (ein niedriges aus Taufen durch 2 Reifen gebundenes Milchgeschirr) die Hirten kehren indessen die Herde an, und diese bewegt sich langsam dahinweidend auf die höhern Alpenmatten und Pleißen, welche mit Madaun und anderem saftreichen Grase wuchern. Nun kommen die Hirten nochmals zurück in die Taie, legen Butter in hölzerne Schachteln, packen Käse und Brot für das Mittagsmahl, welches sie auf einem bemoosten Steine an der Bergquelle halten, in den Mantelsack. Um diese Zeit kommt dann gewöhnlich der Geishirt mit seiner Herde vom Tale herauf, bringt den Sennleuten Grüße von ihren Verwandten und Freunden, und erzählt Neuigkeiten, wie sie drunten in der Welt vorfallen. Schon von weitem hört man den Ton seines Waldhornes und das Geklimper der Geisschellen, welche sich ohne Unterbrechung und rasch aufwärts ziehen; hinter der Herde her schreitet im Schweiß gebadet der Hirte, seinen wollenen Mantel auf den Schultern, die Hirtentasche an der Seite, und mit wohlgefälligem Lächeln blicken ihm die Sennleute entgegen. Die Geishirten führen ein sehr beschwerliches Leben; kaum dass das erste Frührot den Himmel färbt, sind sie schon auf den Beinen, blasen die Geise aus und ziehen mit ihrer Herde, die unaufhörlich forteilt und nur im Vorbeigehen das junge Laub vom Gebüsche oder die zarten Schösslinge von den Fichtenbäumchen abpflückt, Tag aus Tag ein bis auf die höchsten Alpenspitzen. Bei der Teie verlässt der Hirte dann die Herde, bleibt den größten Teil des Tages in derselben, erweist den Sennleuten allerlei Gefälligkeiten, wofür er mit einer tüchtigen Butterschnitte belohnt wird, und wartet, bis am Abende die Geise wohlgefüttert und mit strotzenden Eitern zurückkehren, worauf er wieder dem Dorfe zufährt, wo er bei den Bauern abwechselnd in die Kost herumgeht: der Geishirt ist ein wahrer Alpenbote.

Jetzt geht es in der Teie sehr geschäftig zu; der Treibkübel mit fünftägigem Rahm angefüllt wird von den kräftigen Armen in Bewegung gesetzt, und die in den blank gescheuerten Kessel gegossene abgerahmte Milch fängt an bei milder Flamme zu gerinnen. Wenn sich allmählich die Schotten von den Kesselwänden löst, nimmt die Sennerin eine eiserne Kelle (Schöpfer), rührt das Ganze wohl um, schürt ein prasselndes Feuer an, und immer fester und dichter wird die Schotten. Da trägt sie die weißgespülten Kasker (hölzerne Näpfe mit Löcher an den Wänden) herbei, gießt die Schotte mit einer Dirchelkelle oder Seichgatze (ein eisernes Seichgefäß) hinein, und die Käse sind gebildet. Diese werden nun getrocknet, und dann später in den Ziënkeller, wo der Alpennutzen aufbewahrt wird, gebracht, wo sie neben den goldgelben Schmalzstöcken, die wie kleine Öfen dastehen, einen freundlichen Anblick gewahren. Indessen ist auch die Butter in dem Schlägkübel zusammengeronnen, die Rechtsennin (Obersennerin) nimmt sie heraus, wälzt sie in kleine Weggen, um sie fest zu machen, und baut dann emsig und fleißig an dem eben begonnenen Schmalzstocke fort. Die aus dem Kübel sprudelnde Buttermilch bringt die Beisennin (Untersennerin) in den Kessel, lässt sie gerinnen und bildet dann die sogenannte Zieger, indem sie die Schotten in die Ziegerrüsten schüttet (hohe hölzerne Gefäße ringsum mit Löcher) und sie hernach zum Austrocknen in Rauch stellt. Das Käßwasser, welches nach herausgefischter Schotten zurückbleibt, trägt die Beisennin in Empern (Wassereimern) in die Schweintröge vor der Taie, wo sich diese Tiere frei herumtummeln, und diesen Trank außerordentlich lieben. So wird das tägliche Sennen (die Tagesarbeit) in der Sennhütte vollbracht, und eine tüchtige Butterschnitte gibt ihnen wieder neuen Mut und Stärke. Während dieser Zeit weiden die Kühe auf mit Madaun und saftreichen Kräutern bewachsenen Alpenmatten und Pleißen; der Gletscherbach rauscht in das freundliche Schellengeläute, die Hirten lehnen an Felsen und jodeln aus voller Brust ins Alpental hinab, oder schnitzen aus Zirbelholz kleine Milchgefäße, um die Köpfe ihrer Milch- und Stechstafel bei der Abfahrt zu zieren. Bisweilen, wenn die Herde auf ganz sicheren Weideplätzen graset, wo die Kühe wohlgefüttert sich gewöhnlich bald ins Gras hinstrecken, lauern die Hirten dann auf Murmeltiere, welche in Steinganden (Steingeröllen), oft in sehr großer Anzahl beisammen leben, neunmal gekrümmte Höhlungen haben, und nur an sehr schönen Sommertagen, wo keine oder doch sehr wenig Wolken das tiefe Himmelsblau bedecken, auf die Weide gehen. Diese Tiere stellen dann gewöhnlich einen Posten aus, der sie beim Grasen bei einer plötzlichen Gefahr durch einen gellenden Pfiff warnt, worauf sie alle gleich in ihre Löcher fliehen. Die Hirten spüren ihre Höhlen aus, und fangen sie entweder in Lätzen, oder lauern sie mit dem Stutzen in der Hand hinter einem Steine ab. Das Fleisch der Murmeltiere (Urmenten) ist schmackhaft und das Fett sehr gesucht.

Andere Male unternehmen aber die Hirten weit gefährlichere Jagden. Sie kennen alle Weideplätzchen und Hügel auf ihrer Alpenwelt wie ihr Vaterhaus. Da geschieht es oft, dass auf irgend einer Alpenmatte, welche über steilen Felsenwänden oberhalb schauerlichen Klüften und Abgründen wie der Paradiesgarten lacht und die kräftigsten Kräuter enthält , die flüchtigen Gämsen kommen und neben den ewigen Eisfeldern sich herumtummeln. Erblickt sie nun das Falkenauge des Hirten, ergreift er seinen scharfgeladenen Stutzen, klettert über lebensgefährliche Felsenabhänge, und ist wohl oft so glücklich, einen tüchtigen Gemsbock aufs Korn zu nehmen, und ihm seinen tödlichen Gruß zuzuschicken. Er schleudert dann die Beute über die Felsen hinaus in die Tiefe, und kehrt jubelnd heim in die Taie. Oft aber muss der Hirte seine Waghalsigkeit teuer büßen. So erblickte vor mehreren Jahren ein Hirte auf einer Alpenmatte *), welche sich zwischen zwei schauerlichen steilen Felsenköpfen befand, mehre Gämsen. Er nahm seinen Gebirgsstock und scharf geladenen Stutzen, kletterte den lebensgefährlichen Pfad hinauf, neben dem in schauerlicher Tiefe der Wildbach hinabrauschte. Als er auf der Höhe stand, fand er zu seinem Schrecken ein Todengerippe, einen verrosteten Gewehrlauf und das Schloss daneben. Jetzt verging ihm die Lust zum Jagen; er zog seine Knospen (grobe hölzerne Schuhe mit starken Eisennägeln beschlagen) aus, schnitt sich Schrammen in die Füße, dass das Blut reichlich hervorquoll, kletterte so den Felsen wieder herunter, und kam Abends mit schaudervoll verwundeten Füßen und halbtot in die Taie.

Heute ist der Ferner so schwarz, der Wind brüllt so schauerlich in seinen Klüften, und die Kühe hängen die Ohren, heute kommt gewiss ein Sturmwetter, treiben wir die Herde auf einen sichern Platz, sagte der Großhirt (Obersenner) zu seinen Kleinhirten an einem heißen Sommertage, als die Sonne recht heiß in die Alpe niederbrannte, und selbst der kalte Hauch des Gletschers die drückende Schwüle nicht zu verscheuchen vermochte. Und wirklich bald nach Mittag krochen schwere Wolken heran, lagerten sich auf dem Ferner, der Wind sauste in der Taie, und Alles wurde finster. Gerade ober dem Kopfe fing der Donner an zu krachen, die Wolken senkten sich immer tiefer und der Blitz fuhr links und rechts in die hundertjährigen Wetterbäume, spaltete sie, oder fuhr an ihnen kreisförmig hernieder. Endlich folgte Schlag auf Schlag, Blitz auf Blitz, alles zitterte, und herab ging's vom Himmel, wie wenn man mit den Schäffern herabgösse. Doch es dauerte nicht lange. Die pechschwarzen Wolken litten über die benachbarten Bergjöcher, es erschien wieder der blaue Himmel, und die unendlich freundliche Sonne, noch einmal dufteten die Edelkräuter, die Alpenrosenstauden und das Edelweiß, lustig läuteten wieder die Kuhschellen, und Hirten und Sennerinnen jodelten und sangen wieder im Alpentale. Während dieser Zeit ist das Sennen in der Tale abgetan, und die Sennerinnen säubern den Boden und spülen blank und sauber den großen kupfernen Kessel, den Treibkübel, die Ziegerrüsten und Motzen, welche letztere in den daranstoßenden Keller leer und aufgeschichtet stehen. Denn die Taie besteht aus 3 Abteilungen: ober 4 Wänden aus Balken, welche auf einem Steinlager ruhen, und rückwärts tiefer in die Erde gehen, wölbt sich das Schindeldach; die schlecht gefügte Türe wird mit einer Schnalle aus Holz geschlossen, Rings herum breitet sich ein stark zerstampfter eingezäunter Platz — der Haag — aus, auf dem die Kühe Morgens und Abends gemolken werden; seitwärts sprudelt eine frische Bergquelle, und im weiteren Umfange ziehen sich die Grasböden hin, auf welchen die Herde zur Nachtzeit weidet, und in deren Mitte die gewaltigen Wetterbäume stehen, und einander wie alte tiefergraute Nachbarn, von der Geschichte vergangener Jahrhunderte zuflüstern Weiter schweift der Blick - auf die saftigen Hochpleißen, und samtenen Alpenmatten, auf den Gletscherbach, der durch schauerliche Felsenklüfte herabstürzt, und von der Höhe schaut der majestätische Ferner herab mit seiner ewigen Eiskrone, Nebel auf seinen Schultern und haucht hie und da eiskalt in das sonnige Alpental. Gleich beim Eintritte rechts befindet sich gewöhnlich der große Kupferkessel, in einer Vertiefung eingemauert, und hart daran die Herdstätte, ober welcher das nötigste Küchengeschirr hängt; auf der linken Seite erheben sich die Britschen mit dem Mooslager für die Sennleute, und dem Eingange gerade gegenüber ist an der hölzernen Zwerchwand, durch welche zwei Türen in die zwei daranstoßenden Keller führen, in der Mitte ein Kruzifix, unten daran hängt ein großer Beten, mit dem der Großhirt alle Abend den Rosenkranz den Sennleuten vorbetet; gleich zur Seite steht der Treibkübel und in irgend einer Ecke eine Flinte oder ein Stutzen. Die Garderobe der Hirten und Sennerinnen passt genau zu den natürlichen Bedürfnissen, nimmt daher auch nur wenig Platz ein: sie besteht bei ersteren in starken wollenen Kleidern und einigen Hemden, und bei letzteren ist ebenfalls der größte Teil aus Wolle samt dem notwendigsten starken Weißzeuge. Geht man in den einen Keller, der gewöhnlich ein wenig tiefer liegt, so sieht man die Stutzen, mit blendender weißer Rahmmilch gefüllt, in schönster Ordnung aufgeschichtet stehen; der zweite aber bewahrt die Erzeugnisse auf der Alpe, Butter-Stöcke, Käse, Ziger, kurz den Ziën.

Allmählich sinkt die Sonne hinter den Ferner hinunter, und seine kalte Eiskrone schimmert im herrlichsten Purpur; die Jochgeier und Steinhühner verschwinden in den Felsen, die Krametsvögel, Schneezwitzger, Wandschnepfen und Ringlamseln hören auf zu zwitschern und verbergen sich in ihre Nester in den schattigen Steinschluchten. Die Geist mit geschwollenen Eitern eilen herab von der Alpenhöhe, und der Geishirt verlässt unter traulichen Lebewohlsagen die Sennhütte, bläst in sein Hörn und eilt der dahineilenden Herde nach in die Heimat; es geht jetzt gegen Abend, und es wird düster und öde im Alpentale; Aber schon hört man in der Ferne das lustige Geläute der Kuhschellen, die Herde zieht wohlgefüttert sanft und friedlich wie Lämmer in ununterbrochenen Zuge über eine Hochpleiße herunter, die Hirten jauchzen hintenher, die Hüte mit frischer Edelraute geschmückt; und wie die Kühe die Taie und den bekannten Haag sehen, brüllen sie fröhlich. Die Hirten treten unter herzlichem Gruße in die Taie, wo ihnen die Rechtsennerin eine kräftige Rahmmilch in einem weißen hölzernen Napfe vorstellt, und alles macht sich dann fertig zum Kühmelken. Diese haben sich auf die gewöhnlichen Plätze begeben, und der bekannte Ton der Schelle sagt jedem der Sennleute, wo die zu melkende Kuh stehe.

Doch heute ist Zoontag, heute wird die Sache länger hergehen; da muss jede Kuh sauber gemolken, die Milch von jeder einzelnen gewogen werden; da darf man keinen Tropfen verschütten. Desswegen ist auch zu diesem wichtigen Geschäfte schon gestern der Bergmeister (der über die Alpe die Aufsicht hat) mit noch zwei andern Männern gekommen, und hat heute und gestern die Herde hüten geholfen. In dieser Hinsicht besteht im Oberinntale der Gebrauch, dass man l4 Tage nach der Auffahrt auf die Alpe, und dann wiederum ungefähr nach 6 Wochen, zoonet, das heißt, die Milch jeder einzelnen Kuh wiegt, wenn mehrere demselben Eigentümer gehören, wiegt man sie zusammen — das Gewicht auf eine Liste bringt, nach welcher dann zur Zeit des Abtragens der Anteil an Butter, Käse und Zieger verhältnismäßig bestimmt wird. Die Berechnung geschieht in Malchen (halben Pfunden) und zwölf Malch machen eine Schlutte aus. Die besten Kühe geben gewöhnlich 2 Schlutten, die mittleren eine, die schlechtem unter einer; weniger als drei Malche werden nicht mehr beachtet. Weil die Sache wichtig ist, muss der Bergmeister immer selbst dabei sein; er muss mithüten, damit die Hirten nicht durch Hin- und Hertreiben der Herde, oder indem sie selbe auf eine schlechte Alpenstur treiben, die Milchbildung verhindern; er muss auch die einzelnen Gewichte fleißig anmerken, um den Bauern dann, wenn er heimkommt, sichere Nachricht darüber zu geben, damit ein jeder Gerechtigkeit erfahre. Denn Sennleuten liegt freilich viel daran, dass der Zoon klein ausfalle, denn auf diese Weise ist es ihnen leicht möglich, heim Teilen des Alpennutzens ihre Alpennachbarn zu überflügeln, das heißt, für die Malch mehr Pfunde geben zu können als diese, und so allgemein für geschickte Sennerinnen und Hirten zu gelten; daher besteht auch die größte Eifersucht zwischen den Nachbaralpen, und manche Rechtsennin denkt Tag und Nacht daran, und gebraucht alle Mittel, um ihrer Nachbarin den Vorrang beim Abtragen abzugewinnen; ja diese Eifersucht besteht sogar zwischen den einzelnen Dörfern, so dass diejenigen, welche bei der Zerteilung besser zugekommen sind, den andern Figuren (Geigen) mit Schwärze am Vorabende des Kirchweihfestes auf das Haus malen, und allerlei spöttische Knittelreime dazuschreiben. Sonst muss man es aber zum Ruhme der Sennleute sagen, dass sie ihre Herden mit redlichem Eifer hüten und pflegen; oft schon sah man einen Hirten weinen wie ein Kind, wenn ihm eine Kuh ohne mindestes Verschulden über einen Felsen hinabstürzte; sie lieben wahrhaft ihre Herde. Vierzehn Tage also nach St. Veit, wo die Alpen bevölkert werden, zoont man das erste Mal, und aus diesem Grunde, damit auch jene Kühe, welche im Winter mager abzubeißen hatten, in dieser Zeit auf den fetten Alpenfluren zu Kraft und Milch gelangen können. Die Zoonweide ist immer die herrlichste Alpenflur, mit den saftreichsten Kräutern bewachsen, und diese, glaubt der Oberinntaler, sei leicht herauszufinden. Denn legt sich das Vieh frühzeitig mit halbleeren Bäuchen in das wuchernde Gras nieder, so gilt ihm dies für den besten Weideplatz, worauf das saftreichste Gras wuchert. Übrigens muss eine Alpe, um gut zu sein, 14 Triebe (Weideplätze für die ganze Herde) enthalten; denn in dieser Zeit schießt das lebenskräftige Alpengras wieder vollkommen nach. Sind nun die Kühe gemolken und die Milch gewogen, so wandelt die Herde auf die Nachtgampe; die Rechtsennin aber bereitet indessen ein kräftiges Rahmmuß, man setzt sich zum trauten Mahle zusammen, und nach demselben, macht sich der Bergmeister mit seinen Gefährten unter herzlichen Aufträgen für die Bekannten und Freunde der Sennleute auf den Weg und geht der Heimat zu. Gewöhnlich sind die Viehbesitzer beim Zoonen selbst dabei.

Lange schon ist die Sonne hinter dem Ferner hinabgesunken und die Nacht breitet ihre dunklen Flügel über das Alpental; in der Taie aber flackert ein lustiges Feuer, um das sich die Hirten wärmen und trocknen; darauf betet der Großhirt den Rosenkranz, und nach dem Gebete begibt sich alles in der Sennhütte zur Ruhe. Nun ist es öde und stille; nur von der fernen Nachtweide her erschallt das verschiedentönige Geläute der Kuhschellen, vom Gletscher herab streicht hie und da ein Mark und Bein durchschneidendes Lüftchen; schüttelt die schlanken Fichtenzweige, und gleichtönig rauschet der Gletscherbach. Wenn aber Fremde in der Taie übernachten, oder Jäger auf den Spielhahnfalz oder die Gämsenjagd auf die Alpe kommen, macht sich das Sennvolk nicht so bald aufs Mooslager, man sitzt dann gemütlich auf der niedern hölzernen Bank, welche am Rande der Vertiefung vor dem Schürloche unter dem Kessel rings umläuft, zusammen. Das Männervolk stopft seine Pfeifen und dann werden interessante Sachen und Erlebnisse erzählt.

— Die Sennleute sprechen von ihrem Alpenleben, von Gletschern, Gämsen, Edelrauten; die Gäste bringen Neuigkeiten aus dem Tale — und wie Minuten verstiegen auf diese Weise die Stunden in der hellbeleuchteten Sennhütte. So kamen auch wir einmal Abends zu einer Alpenhütte, als eben der Großhirt mit seiner wohlgefütterten Herde heimfuhr. Er schüttelte uns kräftig die Hand und die Sennleute hießen uns treuherzig willkommen, darauf wurden wir zum Nachtmahle, das aus einem fetten Rahmmuß, Schotten und in einer guten Milch bestand, freundlich eingeladen. Nach dem Essen schürte der Großhirt einen tüchtigen Knurren von Zirbelholz unter den Kessel, so dass das Feuer bald hoch aufloderte, wir reichten unsere Branntweinflaschen mit Enzian gefüllt, in der Runde herum, und die ganze Gesellschaft wurde redselig und voll guter Dinge. Der Großhirte erzählte uns dann interessante Stücke aus seinem Leben, er war auf den Alpen grau geworden — ja eine jede kannte er genau und wusste alle Geschichtchen und Sagen vorzubringen. Auf der Alpe Boden,*) fuhr er fort, habe einmal ein fürchterliches Hagelwetter 77 Kühe und einen Hirten erschlagen; auf der Alpe Gumpernaun **) sei ein halber Felsenberg losgebrochen, und die ganze Herde, die Sennhütte samt den schönsten grasreichsten Teilen der Alpe sei unter dem Schutte begraben worden. Und wirklich zeigen noch gewaltige Felsblöcke und ein ungeheures Steinlager die Stelle, wo sich einst die grasreichsten Alpenfluren hinbreiteten.

Wir kamen hernach auf die Ferner zu sprechen. Der Großhirt sagte uns, wie diese so fürchterlich brüllten, wenn der Wind in ihre krummen Klüfte fahre; wie er so schwarz herabschaue, vor einem Ungewitter, da treibe er dann jedes Mal die Herde auf einen sichern Platz. Es ist doch ein Wunderding, meinte er, um so einen Ferner; so oft ich auf seinem lichtblauen Eisklumpen stehe, denke ich recht lebhaft an die Allmacht Gottes. Kein Tier kann dort Wohnung nehmen, nur Gämsentritte findet man bisweilen, welche darüber hineilen. Der Übergang bleibt immer gefährlich, denn es können oft plötzlich Klüfte werden, wo sonst nie eine waren. Schon manchen Wagehälsigen haben die Ferner in ihren Eisklüften begraben. Da fällt mir eben eine Geschichte von zwei Studenten ein, die vor etwa 30 Jahren einen Ferner in Patznaun bestiegen, und beinahe beide zu Grunde gegangen waren. Der eine davon ist aus Landeck und der andere von Pians. Der Letztere ist — Gott tröste seine Seele — schon vor mehreren Jahren gestorben. Wenn ihr mir zuhören wollt, will ich es euch erzählen. Der Hirte schürte einen neuen Zirbel-Knurren an und begann dann: Diese zwei lebensfrohen Bursche erstiegen im Gebirge des Patznaunertales den höchsten Eiskopf, und als sie das gewaltige Wunderding angestaunt hatten und heftig zu frieren anfingen, beschlossen sie auf einer andern Seite, wo sich ein gewaltiges Eisfeld zwischen zwei glatten Felsenwänden hinabzog, den Rückweg zu nehmen. Anfangs ging die Fahrt auf der mit lockerem Schnee bedeckten Fläche gut; doch wurde es immer jäher und abschüssiger. Dieses kümmerte sie aber wenig, sie ritten auf ihren Bergstöcken lustig vorwärts. Jetzt ging die Fläche allmählich zu Ende, schon sahen sie in ungeheurer Tiefe das anmutige Alpental, und die Viehherde freundlich dahinweiden. Jetzt verwandelte sich aber die Wand in helles Glatteis, sie fuhren auch über diese steile Spiegelfläche wie der Blitz hinunter. — Nun wurde die Eisfläche ebener und erstreckte sich noch einige Büchsenschüsse hinab. Da standen sie auf einmal vor einer gewaltigen Kluft, die quer über das Eis ging und allen Weg versperrte. — Mit Schrecken standen sie davor und es schauderte ihnen vor der grässlichen Tiefe. Was war zu machen? Zurück konnten sie nicht; seitwärts ragten kahle Felswände empor, und vorne drohte der Tod. — Sie erstarrten schon beinahe vor Kälte und der Tag neigte sich zu Ende. Da wagten sie das Äußerste und beschlossen in ihrer Not über die Kluft zu springen. Sie empfahlen ihre Seele Gott, nahmen von einander Abschied, als gelte er ein ewiges Lebewohl, und als würden sie sich bald im Jenseits sehen. Der größere spreizte sich dann auf den Bergstock und schwang sich glücklich hinüber. Beide jauchzten vor Freude, aber bald jammerte der Gerettete um seinen Freund. Die schreckliche Trennung und die schauerliche Kluft machte beide namenlos schaudern. Jetzt wagte auch letzterer den kühnen Sprung, erreichte glücklich die Zarge (den Rand der Kluft) und beide waren gerettet. Welche Freude beide empfanden, lässt sich nur fühlen. Sie umarmten sich und eilten in die Sennhütte hinab. Die Sennleute hatten die größte Freude über ihre Rettung, wiederholten recht herzlich ihr: „Gott Lob und Dank“ und machten ihnen gleich ein loderndes Feuer an und erquickten sie mit Speise. Sie stärkten und wärmten sich am Feuer. Bald waren einige gemütliche Stündchen verstrichen — Nun mahnte uns die Rechtsennin, wir sollten uns doch zur Ruhe begeben; denn es graue schon bald auf den Alpenspitzen, die Jochvögel würden bald unruhig werden, das Jochköppel (Ringelamsel) pfeift schon sein „Figru“ und der Spielhahn falzt schon am Joche, und wenn wir nicht bald zur Ruhe gehen, setzte sie bei, überrascht uns noch der Geisbube aus dem Tale herauf. Ist es sonst in der Alpe geräuschlos und herrscht ländliche Stille — den Fall, wenn Gäste vom Lande da sind, ausgenommen — so geht es aber zur Nachtzeit, wenn das Sennervolk auch schon längst zur Ruhe gegangen ist, auf der Alpe nicht immer so ruhig zu. Denn am Vorabende von hohen Festtagen oder vor einem heftigen Ungewitter werben, nach dem Glauben der Sennleute, die Geister, welche für ihre bei Lebzeiten auf der Alpe begangenen Ungerechtigkeiten und ihre schuldbare Fahrlässigkeit dorthin verbannt sind und bis am jüngsten Tage leiden müssen, laut, und treiben ihr Unwesen. Da hören dann Hirten und Sennerinnen tote Hirten auf dem Haag herumknospen (mit groben hölzernen Schuhen herumgehen), bei dem Milchstotzen und beim Treibkübel fängt es an zu poltern, wo eine verstorbene Sennerin mit gewissenlosem Leichtsinn die Sache verschwendet hat; und in mancher schauerlichen Schlucht- oder jähen Felsen, über den einst durch die Nachlässigkeit der Hirten eine Kuh hinabgestürzt ist, erschallt ein grausiges Wehklagen und Heulen. Denn bei der Alpenwirtschaft ist die Moral des Oberinntalervolkes äußerst streng; jede Ungerechtigkeit und schuldbare Nachlässigkeit lässt es die Sennleute bis zum jüngsten Tage mit den schrecklichsten Strafen büßen; auch kein Wunder, wenn man bedenkt, dass die paar Kühe, welche ein Bauer auf die Alpe treibt, mit dem Bisschen Türken, den er auf seinem Acker erzeugt, die einzige Nahrungsquelle der Familie bilden, so dass diese, wenn sie um den Alpennutzen, oder gar eine Kuh durch die Schuld der Sennleute verliert, beinahe an den Bettelstab gebracht wird, und sich auch oft zeitlebens nicht mehr von diesem Unfalle erholt.

*) Eine Alpe ungefähr 3 Stunden von Pettneu im Stanzertale entfernt, in der Richtung gegen das Lechtal.

**) Gumpernaun ist eine Alpe, welche auf dem südlichen Gebirge von Flirsch liegt.


Die Witterung wechselt auf den Alpen sehr schnell; denn auf die freundlichsten Sommertage, wo die Alpenrosenstauden auf Gampen und Pleißen blühen, die Edelraute zwischen Schluchten und Felsen duftet und überall das lebensfrische Grün ins Auge lacht, fliegen Plötzlich weiße wilde Nebel um den Ferner herum, es erheben sich kalte, schneidende Lüftchen, die Temperatur sinkt, und die Hirten sagen, jetzt bekommen wir Schneewetter, treiben die Herde auf sichere Weideplätze und treffen alle nötigen Vorkehrungen. Da mags dann im Lande drunten oft die herrlichsten erquickenden Sommerregen geben, aber auf den Alpen droben geht es her wie mitten im Winter; der Sturm heult ums Taiedach herum, dass es ein Grausen ist, es macht fürchterliche Gahwinde (Schneeverwehungen.) Der Schnee fällt unaufhörlich hernieder, bedeckt Fluren und Matten, und am Morgen hat man das traurige Bild des Winters. In solchen Nächten muss dann das Sennvolk sehr vieles leiden, und Tag und Nacht, im Wind und Wetter die Herde hüten. Denn obgleich die Weideplätze sich oft sehr weit ins Land herab erstrecken, so geschieht es doch bisweilen, dass die Herde längere Zeit im tiefen Schnee steht und hungert. Da werden dann die Kühe unruhig und suchen durchzubrechen. Weil aber alle Wege mit hohem Schnee verweht sind, so führt sie ihr Instinkt immer aufwärts, wo auf dem unebenen mit Steinen und Löchern bedeckten Boden der Schritt doch sicherer ist; doch ist es ganz erklärlich, dass auf diese Weise die Rinder dennoch auf gefährliche Stellen kommen, wo sie leicht herabfallen und umkommen könnten. Deswegen halten die Hirten, ja selbst die Sennerinnen bei solchen Gelegenheiten Tag und Nacht Wache und auch der Bergmeister kommt vom Tale herauf und hilft dem Sennvolke gewissenhaft etwaiges Unglück verhüten. Doch dieses geht nicht immer an, und die meisten Unglücksfälle, welche einer Herde zustoßen, geschehen zu solchen Zeiten. Damit aber der Betroffene nicht zu arg gedrückt werde, bestehen beinahe in allen Gemeinden Versicherungsanstalten, wonach jeder Eigentümer nach seiner Anzahl Kühe verhältnismäßig zur Entschädigung beisteuert, und so das Unglück des Nachbars lindern hilft. Zu diesem Ende werden alljährlich vor der Abfahrt auf die Alpe die Kühe geschätzt; der Schätzungspreis gewissenhaft in eine Liste eingetragen, und nach dieser das Schadengeld bestimmt.

Bei dergleichen Schneewetter aber wird das Vieh schnell mager und die Sennerinnen klagen über wenig Milch. Die Sennleute kennen ihre Milchkühe zu genau, um wissen zu können, was die Schuld des Abbruches an der Milch ist; denn beim Auffahren werden dieselben ausgelost, so dass jeder Hirt und jede Sennerin nach ihrem Gewissen den ganzen Sommer nur die bestimmten Kühe zu melken hat. Sie würden gerne alle Strapazen ertragen, könnten sie dadurch den Alpennutzen vermehren. Ist es also bei derlei Ungewittern schon im Herbste drinnen, dann besinnt sich der Bergmeister nicht mehr lange, sondern schickt, wenn der Schnee anzuhalten scheint, einen Boten zur Gemeinde, die Leute möchten zur Teilung des Alpennutzens kommen, er werde mit der Herde heimkehren.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Alpenbilder aus Tirol