Alpenbilder aus Tirol

Ein Beitrag zur Volks-, Landes- und Naturkunde
, Erscheinungsjahr: 1856
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Oberinntal, Inntal, Sittenbild, Volkskunde, Landeskunde, Naturkunde, Volksbräuche, Alpen, Brauchtum, Tirol
        „Wer Tirol nit kennt,
        Wird vom Himmel trennt“

             Altes Volkslied
Eine Alpenfahrt im Oberinntal.

Nach den Alpen lasst mich ziehen,
Wo Fleiß und Wirtschaft blühen.


Wenn der Frühling in unsere Täler eingezogen, die Auen und Wiesen gruanen (grünen), kommt der Alpenhirt, und man lässt die Kühe aus; der Hirte hütet die Kuhherde auf den Gemeindeplatzatzungen, geht bei den Bauern nach der Rod (Reihe) in die Kost herum, bis die Zeit kommt zum Auffahren auf die Alpe. Ein solcher Tag, wo man die Kühe das erstemal zusammen auf die Weide lässt, ist für die Knaben ein wahrer Kirchtag, auf den sie sich schon vom Winter her freuen; denn auf den freundlichen Fluren, welche sich um das Dorf herumziehen, gibt es Zweikämpfe ohne Zahl; jede Kuh misst ihre Stärke mit der anderen; voll Spannung begleiten die Buben ihre Kühe, gehen wohl gar kleine Wetten ein, welche Kuh siegen werde, und der Jubel hat dann kein Ende, wenn die Braune eines Knaben den Stafel hat. Der Alpenhirt hat dann immer Gesellschaft genug, die Buben bleiben den ganzen Tag bei der Herde, führen mitunter lustige Spiele auf, suchen Vogelnester, spotten den Guckguck, und am Abende helfen sie dem Hirten die Kühe nach Hause treiben. Dieses gewährt dann ein ungemein liebliches Bild, wenn beim Gebetläuten die Männer und Jünglinge vor der Tür auf der Hausbank kniend, den englischen Gruß beten, die Herde mit lustigem Geklimper, und hintenher die jauchzenden Knaben in die friedlichen Dörfer einziehen.

Während dieser Zeit, gewöhnlich sind es einige Wochen — geht der Bergmeister mit einigen Leuten aus der Gemeinde auf die Alpe, damit auf Veitstag, wo gewöhnlich die Auffahrt Statt hat, Alles hergerichtet sei. Da werden dann die Zäune, welche sich um den Haag herum oder an anderen gefährlichen Stellen befinden, ausgebessert; die Nachtgampen werden zum Teile mit dem Mist, der vor der Taie aufgeschichtet liegt, gedüngt, die Milchgeschirre und andere Notwendigkeiten in Ordnung gebracht, und eigens bleibt ein Mann zurück, der Holz macht und das Geziefer (Schafe und Geise) von der Alpenweide abhütet, nämlich der Grashirt. Endlich bricht der Veitstag an; am Vorabende kommt der Bergmeister auf den Platz vor der Kirche, wohin die Leute täglich in den Rosenkranz gehen, und sagt: Morgen früh fährt man ab. — Jetzt geht's im Hause geschäftig zu; es werden Lebensmittel für die Sennleute eingepackt, die Buben, welche sich es nie nehmen lassen, und wären sie auch noch so jung, mit ihren Kühen selbst in die Alpe zu fahren, suchen die Stricke, den Kühen wird geweihtes Salz, mit Mehl vermengt (Mieth) gegeben, und überhaupt Alles auf den folgenden Tag hergerichtet. Den Unterhalt (die Kost) des Sennvolkes bestreiten die Gemeinden dadurch, dass sie ein bestimmtes Quantum Mehl, Brote, Salz, Fisolen oder Erbsen auf jede Kuh anlegen (bestimmen), welches jede betreffende Partei selbst auf die Alpe schaffen muss. Auf diese Weise kostet der Transport keinen Kreuzer, und unter zweimalen, bei der Auffahrt und beim ersten Mal „Abtragen“ wird die Taie hinreichend mit Proviant versehen. Am Tage der Auffahrt zur Alpe hängt der Bube in aller Frühe den Kühen die Alpenschellen, welche einen rauen, stärkeren Ton haben, als die gewöhnlichen, an, der Vater besprengt sie mit Weihwasser, und lässt sie ab der Kette. Nun geht die Herde mit lautem Geschalte, jeder Knabe hinter seinen Kühen, mit einem Pack Lebensmittel für das Sennvolk auf dem Rücken, aus dem Dorfe der Alpe zu. Wenn sie kort ankommen, ist's eine Freude zu sehen, wie sie so lustig grasen, und sich so heimisch fühlen, und nur ungern verlassen die Buben die lieben Kühe, und gehen zu den Eltern zurück, diesen Nachricht bringend, wie es bei der Auffahrt ihnen ergangen.