Hamburg, 31. Dezember 1847.

Der Hauptinhalt des zweiten Dekrets unsers Senats, durch welches die Eintragung des unbeschnittenen Knaben in die Geburtsregister definitiv verfügt wird, lautet folgendermaßen: „So sehr ein hochedler Rat die religiösen Gefühle ehre und anerkenne, von denen die Supplikanten (die nämlich sich jener Eintragung widersetzt hatten) geleitet würden, so könne er doch nicht umhin, es bei dem früheren Beschlusse zu belassen. E. h. Rat könne es durchaus nicht statuieren, dass die früher nicht vorhanden gewesenen, lediglich durch Rat und Bürgerbeschluss von 1815 eingeführten jüdischen Geburtsregister mit jüdischen Religionsangelegenheiten in irgend einem Zusammenhange fänden. Sie seien lediglich eine obrigkeitliche Anordnung, beschränkten sich deshalb auch nicht auf das männliche Geschlecht und nähmen von der für dieses durch jüdische Religionsvorschriften gebotenen Beschneidung überall keine Notiz, wodurch sie sich also wesentlich von den christlichen Taufregistern unterschieden. Nichtsdestoweniger würden auch die Kinder solcher christlicher Religionsverwandten, welche die Kindertaufe nicht anerkennen, in die Taufregister eingetragen. Die Supplikanten stellten die Behauptung auf, dass wenn jetzt Israeliten ihre Söhne nicht beschneiden lassen wollten, diese zusehen möchten, wie sie sich am Besten eine Stellung unter den Staatsangehörigen schaffen könnten, sie wollten nicht gezwungen sein, sie unter sich aufzunehmen.

Das könne der Senat unmöglich zulassen; solange ein Jude nicht zum Christentum übergetreten sei, müsse der Staat ihn als Israeliten betrachten und behandeln, ohne darnach zu fragen, ob er die Vorschriften seiner Religion genau befolge oder nicht. Von diesem Gesichtspunkte ausgehend habe der Senat von jeher die jüdischen Angelegenheiten betrachtet und gerade aus Achtung für die Gewissensfreiheit der Israeliten sich in religiöse Fragen derselben nie gemischt. Er zweifle nicht, dass die Supplikanten bei nochmaliger ruhiger Erwägung dieser Sachlage sich überzeugen würden, dass der vorliegende Fall eine andere Auffassung von Seiten der Staatsbehörde ohne sonstige erhebliche Inkonvenienzen gar nicht zulasse.“


Wie leicht zu erachten geht die konservative Partei nun damit um, auf dem rein religiösen Gebiet allerlei Barrièren gegen die unbeschnittenen Juden zu errichten, aber worin sollen diese bestehen? Jeziw Pisgam vorzusingen wird wohl selten ein Solcher begehren, zu Kopulationen werden sich immer Assistenten finden lassen, und beerdigt muss eine Leiche am Ende doch werden! – –

Die widrige Meziza-Angelegenheit ist hier noch immer nicht geordnet. Der Senat, getreu seiner ausgesprochenen Ansicht, sich nicht in Angelegenheiten der jüdischen Religion zu mischen, hat dekretiert, da es, eingezogenen Berichten nach, scheine, dass es nicht an Beschneidern mangele, die ohne Aussaugen operierten, die Eltern mithin immer die Wahl hätten, so wolle er die Sache auf sich beruhen lassen. Nun aber ist jene Angabe irrtümlich, denn es gibt jetzt hier keinen nichtsaugenden Mohel, insbesondere da die sämtlichen Mohelim sich neulich auf diesen Modus verschworen haben, worüber unsere orthodoxen Maulwürfe jubilieren, vermutlich weil die Beschneidung dadurch überhaupt mehr abnehmen wird und sie dann wegen der verminderten Konkurrenz ein größeres Stück Leviathan*) zu erwarten haben. Die Verhandlung wird demnach wieder aufgenommen werden müssen.

*) Leviathan (hebr. . . . . . liwjatan „der sich Windende“) ist der Name eines Seeungeheuers der jüdisch-christlichen Mythologie. Seine Beschreibung enthält Züge eines Krokodils, eines Drachen, einer Schlange und eines Wals.

Am zweiten Weihnachtstage hielt unser „Verein zur Beförderung nützlicher Gewerbe unter den Israeliten“ seine 25jährige Stiftungsfeier. Es ward der Bericht verlesen und gedruckt, dessen Inhalt nächstens in d. B. nachfolgen wird. Nachher war Diner von etwa 100 Personen (inklusive Damen) im Viktoriahotel, wo die größte Heiterkeit herrschte und jeder offizielle Toast von einem dazu verfassten Liede begleitet war. Abermals ist der Vorschlag, die jüdischen Kaufleute in den Versammlungen der Kaufmannschaft zuzulassen, mit großer Majorität abgelehnt worden. Es find freilich noch mehrere Gründe als diese Zulassung, welche Schuld sind, dass diese „neue Börsensaals-Ordnung“ durchfiel, und Mehrere von der Majorität erklärten ausdrücklich, es sei nicht ihre Absicht, hierin einen Schritt gegen die Juden zu tun, deren Emanzipation sie im Übrigen geneigt wären; allein die Sache steht doch nun einmal so und die großen Wortführer Hamburgs sind nicht übel beschämt, zumal jetzt, wo Hamburg sich an die Spitze der deutschen Handelsfreiheit gestellt hat. Es gibt so ein Seitenstück zu dem in Abwesenheit der Juden für Mergeland in Christiania aufgestellten Denkmal, oder zu dem liberalen Bravorufen der Zeitungen der freien Stadt Bremen (der Erfinderin der Eskamotage des „von“ statt des „in“ im Art. XVI. der D. B. A.), wo kein Jude übernachten darf, was jene Zeitungen freilich wohlweislich unberührt lassen.
Hamburger Baumwollbörse

Hamburger Baumwollbörse

Blick auf Hamburg - Unterelbe

Blick auf Hamburg - Unterelbe

Lagerhäuser im Hamburger Freihafen

Lagerhäuser im Hamburger Freihafen

Behemoth and Leviathan von William Blake (zwischen 1757 und 1827)

Behemoth and Leviathan von William Blake (zwischen 1757 und 1827)

Die Ungeheuer Leviathan, Behemoth und Ziz, Bibelillustration (Ulm 1238)

Die Ungeheuer Leviathan, Behemoth und Ziz, Bibelillustration (Ulm 1238)

Die Vernichtung des Leviathans, Gravur von Gustav Doré (1865)

Die Vernichtung des Leviathans, Gravur von Gustav Doré (1865)

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