Preußen, Gnesen, 16. November 1847.

In Betreff endlich der sozialen und bürgerlichen Gemeindezustände nimmt Gnesen keineswegs den letzten Rang unter den größeren Provinzialstädten ein, vielmehr steht es in mancher Hinsicht den größten voran. Während z. B. in Posen erst vorigen Jahres. Herr M. Mamroth zum Stadtverordneten und in Lissa erst vor Kurzem Herr S. Levy zum Stadtverordnetenstellvertreter gewählt worden, sehen wir hier nicht nur seit einer Reihe von Jahren die Herren L. Heilbronn, H. Zippert und J. Russak einen würdigen Platz in dem Stadtverordnetenkollegio einnehmen, sondern seit zirka zwei Jahren ist der wegen seines edlen Charakters, seiner Bildung und liberalen Gesinnung allgemein hochgeschätzte Präses Herr Moritz Russak sogar Magistratsmitglied. Diese Erscheinung könnte zu der Annahme berechtigen, dass hier bereits jede soziale Schranke gefallen, welche anderwärts die Religionsparteien noch von einander trennt. Und gleichwohl ist dem in Wahrheit nicht so, wovon die Schuld nicht so ganz allein auf Konto des auch hier nicht fehlenden christlichen Risches zu stellen sein dürfte, sondern wohl auch großenteils dem schmählichen Wucher anheimfällt, dessen leider Viele unserer hiesigen Glaubensgenossen mit Recht bezichtigt werden. –

Trotz des mitunter großen Reichtums vieler Häuser und der Wohlhabenheit der Gemeinde überhaupt sind hier im Ganzen nur zwei Wohltätigkeitsvereine anzutreffen: der Beerdigungsverein und der Frauenverein zur Bekleidung armer Schulkinder. Von Ersterem, dessen Statuten gegenwärtig einer Revision unterliegen, ist weiter Nichts zu berichten, als dass er, wie überall – existiert und seiner traurigen Bestimmung, die Glaubensbrüder zu verscharren, pflichteifrigst nachlebt. Doch dürfte die Mitteilung hier nicht am unrechten Orte sein, dass es der Gemeinde im Jahre 1842 gelungen, einen großen, bequem gelegenen Platz anzukaufen und dessen bauliche Einrichtung zum Gottesacker zu bewerkstelligen. Derselbe wurde, beiläufig bemerkt, schon damals mit einer deutschen Rede und hebräischen Choralgesang, ausgeführt von den Lehrern und der Schuljugend, feierlichst eingeweiht – ein Faktum, das vielleicht isoliert in der Geschichte der jüdischen Gemeinden unserer Provinz dastehen dürfte. Gleichzeitig war für einen anständigen Leichenwagen mit schwarzer Draperie für das Gespann und dessen Führer gesorgt worden, welcher Wagen zur Zeit jedoch schon außer Gebrauch und durch einen sehr eleganten von modernem Bau, durch die Munifizenz eines achtbaren Gemeindemitgliedes akquiriert, ersetzt worden ist, und bleibt in dieser Hinsicht nur noch ein mehr geregelter Leichenkondukt zu wünschen übrig. –


Der zweite Verein, vom Herrn Lehrer Stenzel 1841 ins Leben gerufen, erfreut sich sowohl der heilsamsten Wirksamkeit, als auch der Segnungen aller derer, die seiner Wohltaten teilhaft werden, und verdient es hier insbesondere Madame Markus Witkowska, die edle, tatkräftige, im Wohltun unermüdliche Vorsteherin dieses Vereins – eine wahrhafte Mutter der Waisen – in Verehrung und Dankbarkeit öffentlich genannt zu werden. Ein Verein zur Unterstützung verschämter Armen war vor einigen Jahren hier aufgetaucht, hatte indes leider nur ein sehr ephemeres Leben. Am meisten beklagenswert ist aber der Mangel eines Krankenverpflegungsvereins, wie solcher in vielen anderen, selbst kleineren Gemeinden besteht und vor Kurzem auch in Nakel bei Bromberg sich konstituiert hat. Es müsste aber die Tendenz eines solchen Vereins nicht wie dort eine bloß einseitige sein, d. h. nur auf Geldbeiträge fundiert und ausschließlich den Armenkranken zugute kommend; vielmehr wäre es wünschenswert, dass seine Wirksamkeit eine umfassendere sei. Die Vereinsmitglieder unter einander müssten neben den zu steuernden Geldkräften für die Armenkrankenpflege, noch die Verpflichtung übernehmen, sich selbst in Krankheitsfällen wechselseitig mit ihren Körperkräften zu dienen. Denn es gehört nicht zu den Seltenheiten, dass sogar bemittelte und reiche Kranke, besonders in chronischen Fällen, der nötigen Wartung entraten müssen, weil selbst für Geld nicht immer, oder doch nur solche Leute als Mischmorim für die Nachtzeit namentlich zu bekommen sind, welche nachlässig und verdrossen dem Patienten die nötige Hilfeleistung angedeihen lassen. – Die Gemeinde hat zwar seit längerer Zeit für die ärztliche Behandlung der Armenkranken ein jährliches Honorar etatsmäßig stipuliert, wie sehr diese aber dessen ungeachtet vernachlässigt werden, beweisen zur Genüge die häufigen Klagen derselben und wie sie lieber zu jedem andern, als dem eigentlichen Armenarzte ihre Zuflucht nehmen. Um nicht ferner dieses Geld zwecklos zu verausgaben, sollte die Gemeinde das besagte Honorar noch erhöhen und dem jungen so talentvollen als gescheidten Arzte Dr. Krysteller zu Teil werden lassen, zumal derselbe ohnehin bisher unentgeldlich und lediglich in Rücksicht der großen Kalamität die Armenkranken behandelt und außerdem noch rühmliche Dienstfertigkeit im Interesse der Gemeinde mehrfach an den Tag gelegt hat. Möchten doch diese wohlmeinenden Worte nicht ganz überhört werden und in der Brust Vieler einen sympathetischen Wiederhall wecken, damit was hier als Wunsch aus: gesprochen, in Bälde sich zur Tat gestalte!! – Zum Schlusse wollen Sie mir, hochgeehrter Herr, noch gestatten, mit wenigen Worten einer Feier Erwähnung zu tun, welche am 15. d. Monats, als am Geburtstage Sr. Majestät unters Königs hier stattgefunden. Mittels eines von Seiten des wohllöblichen Magistrats erlassenen Programms wurden die Feierlichkeiten, wie sie an dem erwähnten Tage vor sich gehen sollten, angekündigt. Darin hieß es, denn unter Anderem auch: dass Vormittags in der Domkathedrale und evangelischen Kirche solenner Gottesdienst und Predigt, Nachmittags erhöhte Andacht im jüdischen Tempel sein werde. Es war an einem Freitag und die Andacht begann um 3 Uhr Nachmittags, bei ganz erleuchtetem und von zahlreichen Personen beiderlei Geschlechts aus allen Konfessionen und Ständen gefülltem Gotteshause. Zunächst wurden mehrere passende hebräische Gesänge von einem kräftigen Knaben- und Mädchenchor, unter Direktion und Mitwirkung des Kantors mit Orchesterbegleitung abgesungen. Darauf folgte eine der Bedeutung des Tages angemessene Predigt, welche mit einem schönen Gebete für König und Vaterland schloss, woran sich wieder einige Gesänge und endlich der Abendgottesdienst erhebend anreihten. – Möge das vorstehende, unwillkürlich etwas breit ausgefallene Referat als Einleitung dienen zu denjenigen, die ich nun von Zeit zu Zeit bei Vorkommnissen in unserer Gemeinde und deren Environs mit Ihrer gütigen Erlaubnis zu machen gedenke. x.