Preußen. Berlin, 10. Januar 1847.

Die Voss. Ztg. enthielt diese Tage folgenden, gediegenen Artikel über die Missionsgesellschaften:

Die Stellung der verschiedenen kirchlichen Parteien, deren Hervorbildung sowohl den kritischen Forschungen im Gebiete theologischer Wissenschaft als einem geläuterten Religionsbegriffe zu danken ist, hat in der neuesten Zeit so sehr an Festigkeit gewonnen, dass der Staat, wollte er diesen Richtungen seine Aufmerksamkeit gänzlich entziehen, leicht einen gerechten Vorwurf auf sich laden würde. Und in der Tat haben die neuesten Verhandlungen in den Kammern und Ständen der meisten deutschen Staaten es klar herausgestellt, dass man den religiösen Fragen einen fast größeren Raum als den politischen einzuräumen für notwendig hielt. So dürfte denn auch bei uns, die wir der baldigen Einberufung der Provinziallandstände entgegensehen, die Rechtmäßigkeit und Anerkennung der einzelnen Religionsgesellschaften von Seiten des Staates in besondere Erwägung gezogen werden, wenn nicht schon früher, wie verlautet, die Emanierung eines Tolleranzediktes, diese Frage einer befriedigenden Lösung entgegenführt. Wie lange aber die Selbstständigkeit einer Religion bestritten werden kann, davon liefert das Judentum ein glänzendes Beispiel und selbst bis in die neuesten Zeiten hinein wurde seine Ausübung nur unter beständiger Bekämpfung vom christlichen Standpunkte, gestattet. Zeitgemäß muss es daher erscheinen, die Aufmerksamkeit der Regierung auf ein Institut zu lenken, das seit den ältesten Zeiten im Dienste der christlichen Kirche, zwar ihrer Ausbreitung förderlich war, dessen Ansehen aber so sehr geschwächt, dessen Tätigkeit, wenn auch äußerst beschränkt, so gefährlich ist, dass seine Existenz fernerhin durchaus in Frage gestellt werden muss. Es sind dies die Missionsgesellschaften zur Bekehrung der Juden. Die ursprüngliche, leitende Idee, der die Mission ihre Entstehung verdankt, war offenbar, heidnische Völker, deren Naturzustand nur die rohesten religiösen Vorstellungen erlaubte, für eine höhere und sittlichere Gottesverehrung heranzubilden. Diesem so schweren Berufe, der die Völkererziehung sich zur Aufgabe stellte, durften in den Zeiten des Glaubenseifers nur die ausgezeichnetsten Männer sich widmen, nur sie konnten es wagen, rohen Völkerstimmen gegenüber, sich den größten Gefahren auszusetzen, ohne eine andere Waffe mit sich zu führen, als das göttliche Wort. Nur wenige Namen sind es, die uns die Geschichte jener Zeiten aufbewahrt und Jahrhunderte vergingen, bis endlich die Engländer unter den protestantischen Völkern zuerst, sich um das Missionswerk besondere Verdienste erwarben. Ihnen musste vor Allen, ihrer umfangreichen Besitzungen halber, daran gelegen sein, auf ein wirksames Mittel zu sinnen, die Zivilisation in den Kolonien zu befördern. In der Verbreitung des Christentums erkannten sie dasselbe und so kam die britische Staatskunst dem Eifer der Missionsgesellschaften entgegen. Diese hatten sich zur Realisierung ihres humanen Strebens vorzüglich der Bibelübersetzungen bedient und es war ihnen auf jene Weise wirklich gelungen, das Evangelium in einzelne ferne Länder zu verpflanzen und daselbst heimisch zu machen. Allein weit häufiger stießen sie auf hartnäckigen Widerstand, den zu überwinden, die größte Beharrlichkeit nicht genügte. So glaubte England sich berechtigt, eine andere Macht, der es schon so Vieles verdankte, die alle seine Unternehmungen zu einer bewundernswürdigen Großartigkeit führte, auch auf dem religiösen Gebiete eine Rolle spielen zu lassen und sprach offen den Grundsatz aus: das Geld ist die kräftigste Waffe der Mission. Diesem Prinzipe treu, konnte man den Wirkungskreis der Mission erweitern. In dieser Absicht erhielten die Bekehrungsgesellschaften eine vollständige Organisation, so dass durch Mitwirkung der Dänen und Deutschen, die sich bereitwillig dem Plane Englands anschlossen, zuletzt in fast allen größeren Städten Vereine entstanden, die, einem gemeinsamen Ziele entgegenstrebend, unter einander in engem Verkehr lebten. Ihre Haupttätigkeit aber widmeten sie der Judenbekehrung und unterhielten zu diesem Zwecke Reisende, die in die kleinsten Ortschaften geschickt wurden, wo sie in jüdische Familien sich eindrängten, nach und nach das Vertrauen derselben erwarben und so am Sichersten ihre Beute zu machen hofften. Der Bibel konnten sie sich nicht bedienen, die Kenntnis dieser und ihr sorgsames Studium wurde den Juden nie bestritten. So suchten die Missionare denn durch Geldspenden und Versprechungen Unbemittelte für ihre Sache zu gewinnen, unglückliche Opfer, die nur zu bald ihren Schritt zu bereuen Gelegenheit hatten, da sie sich nun, auf die Erfüllung ihrer Hoffnungen vergeblich harrend, noch verlassener fühlten als zuvor. Durch solche Machinationen wurden Kinder den Eltern entfremdet, und das Unglück ganzer Familien herbeigeführt. Und diese Gesellschaften erfreuen sich der Autorisation in unserer Zeit, in einem zivilisierten Staate, in unserer Mitte. Noch heute wird von den Kanzeln herab gegen das Judentum gepredigt, noch jetzt werden Betstunden für Proselyten durch die Zeitungen bekannt gemacht, und selbst hochgestellte Geistliche widmen diesen Bestrebungen ihren Eifer. Wir leben ja in einer Zeit, wo die Quellen des Wissens Jedem zugänglich sind, wo die Aufklärung ein gemeinsames Gut Aller und nicht der Adelsbrief einer einzelnen Klasse ist. Hat der Kampf auf religiösem Gebiete, der so vielem Zerwürfnisse und Spaltungen hervorgebracht, die Juden nicht als Mitkämpfer auftreten sehen? Sind sie so lässig dem Bildungsgange gefolgt, dass es der Handhabe bedarf, sie nachzuziehen? Das Fortbestehen der Vereine zur Bekehrung der Juden und die Judenemanzipation schließen sich gegenseitig aus, möge daher die Regierung durch Aufhebung jener Gesellschaften die erste Stufe der Toleranz betreten, damit die Hoffnung auf bürgerliche Gleichstellung der christlichen und jüdischen Untertanen an Glaubwürdigkeit gewinne und die fürsprechenden Petitionen der Landtage eine Wahrheit werden.
      Dr. M. I. Meyer.