Tunis. Paris, im Dezember 1846.

Auf eine Bevölkerung von 350.000 Seelen enthält Tunis ungefähr 40.000 Israeliten, von denen die Mehrzahl die Hauptstadt bewohnt. Sie sind seit alter Zeit hier ansässig, und es sind Grabsteine vorhanden, welche bis ins 10te Jahrhundert hinaufsteigen. Zu Nabel existiert eine Gemeinde von 1.500 Israeliten, in Soliman von 5—600, ebenso in Suza, aber die Hauptgemeinde ist die von Tunis. Da das Ghetto zu klein war, ist ihnen ein neues Quartier angewiesen worden. Während in den Barbareskenstaaten es den Juden verboten ist, die arabische Schrift zu lernen, steht es ihnen in Tunis frei. Wahrend die Juden von Marokko auf keinem Pferde reiten dürfen, barfuß vor den Moscheen, dem kaiserlichen Palast, den Häusern der Heiligen, Kadis, Muphtis etc. vorübergehen müssen, und den Beschimpfungen und Erpressungen der Marokkaner ausgesetzt sind, wovon selbst die Frauen nicht befreit sind: leben die Juden von Tunis unter ganz anderen Verhältnissen. Außer dem Handel üben sie alle Handwerke, sind Ärzte, Schatzmeister. Und während der Kaiser von Marokko in seinen Diensten nicht einen Israeliten hat, sind am Hofe des Beys mehre Beamte Juden. Sein Leibarzt, der ihn nach Paris begleitet hat, Herr Lambroso, ist Israelit; sein Schatzmeister, Jussef Semara, ist ebenfalls Israelit, und die Schatzmeister, welche zwei Male jährlich die Soldaten, die, um die Abgaben des Bezirks zu erheben, ausrücken, begleiten, sind ebenfalls Israeliten; die erste Dekoration des neuen Ordens, welchen der Bey gestiftet hat, hat ebenfalls ein Jude erhalten. Die Juden können sich ebensogut wie die Muselmänner im Bardo, der Residenz des Beys, zeigen, um seine Gerechtigkeit anzurufen; ihr Zeugnis hat denselben Wert, wie das der anderen Untertanen, während in Marokko das Zeugnis eines Juden nichtig ist.

In Tunis gibt es 27 Synagogen, von denen zwei größeren die große tunesische und die große portugiesische Synagoge. Ungeachtet, der großen Zahl von Armen, Greisen und Kranken, sorgt die Gemeinde für Alles; ungefähr 6.000 Fr. werden wöchentlich für die Nahrung der Armen verwendet, die vom Fleische erhoben werden. Die Macht der Rabbinen ist sehr ausgedehnt, wie im ganzen Orient; sie sprechen unabhängig Recht in allen Zivil-, Handels- und Polizeisachen der Israeliten unter sich, und der Eid wird in der Synagoge vor dem Sepher geleistet. Nur die Kapitalprozesse kommen vor die Landesjustiz. Die Strafen, welche die Rabbinen verhängen, sind Geldstrafen, Gefängnis, Geißelung, Bastonnade, kleiner und großer Bann.


Der Ritus ist der portugiesische. Der Unterricht ist hauptsächlich der religiöse; mehre Rabbinen ergeben sich dem Studium der Kabbala, und die Amulette stehen in großen Ehren. Man glaubte zu der Zeit, dass Napoleon ein Amulett nach den Vorschriften des Rabbinen Azulai trug. Diejenigen Israeliten, welche ihre Studien weiter treiben wollen, gehen nach Livorno; dieselbe Stadt verschafft ihnen auch die hebräischen Bücher.