Pesth, 10. Dezember 1846

Zu den mannigfachen Streitpunkten, die sich in mehren ungarischen Gemeinden in so betrübender, friedstörender und zwietrachtnährende Weise geltend machen, gesellt sich jetzt ein neuer nicht minder bedrohlicher hinzu, der zwar meines Wissens bisher nur in einem Beispiele vorliegt, aber volle Beachtung beansprucht, weil er anderseits für die betreffende Gemeinde eine sehr wichtige, dass wir nicht sagen eine Lebensfrage bildet, andererseits aber die Umstände und Verhältnisse, die ihn dort erzeugten, an vielen Orten eben dieselben sind und darum die Frage früher oder später auch da und dort aufs Tapet kommen dürfte. In jenen k. Freistädten, wo die Juden von Alters her waren, wie Pressburg, Neutra etc., waren sie stets in eigene Judengassen zurückgedrängt, die sie erst seit dem 1839/40 Reichstage verlassen und in die Stadt ziehen dürfen. Dass diese Erlaubnis vielfach benützt werde, lässt sich leicht denken. Und so viel Hindernisse auch die spießbürgerlichen Bewohner der k. Freistädte der Ansiedelung der Juden in den Weg legten, zogen diese doch haufenweise teils vom Lande, teils aus den Ghettos in die innere Stadt. Ein Ähnliches geschah in Raab, wo aber gegenwärtig die Zahl der stadtbewohnenden Juden derart angewachsen, dass diese sich von der alten Muttergemeinde in der Judenstadt (Szigeth) völlig losreißen und eine eigne Gemeinde bilden wollen. Jene klagt bitter darüber, dass ihr dadurch ein bedeutender Teil ihres Einkommens entzogen und sie fast ruiniert werde, während das verhältnismäßig noch immer kleine Häuflein der Stadtjuden gleichfalls unvermögend sein wird, etwas Rechtes zu bringen, eine Gemeinde zu konstituieren, Beamte zu besolden, Schulen zu errichten etc. etc. und so die Spaltung zum Verderben beider Teile gereichen könne. Die Gemäßigteren der Stadtjuden sind ebenfalls von der Wahrheit dieser Bemerkungen überzeugt und vollkommen geneigt Alles beim Alten, d. h. bei der einen ungeteilten Gemeinde bewenden zu lassen, während der größere Teil für völlige Losreißung stimmt, hauptsächlich aus dem Grunde, weil sie die aufgeklärten Stadtbewohner in ihren religiösen Ansichten mit den orthodoxen Szigetbewohnern nicht mehr übereinstimmen zu können meinen und sie darum eine besondere, von der alten ganz unabhängige Gemeinde mit Einrichtungen nach modernem Zuschnitte gründen wollten. Die Frage wird jetzt in der Gemeinde wie auch in einigen deutschen Journalen (Preßb. Zeitung/Vaterland) hin und her besprochen; unter den letzteren Besprechungen fanden wir rechtinteressant einen ausführlichen Artikel des Herrn Ad. Neustadt, Redakteur der Preßb. Zeitung und Panonia, der sich für die Teilung erklärt, argumentierend: dass in den alten ungarischen Gemeinden, wo man bei jedem Schritt vorwärts mit verrosteten Tekonot und altersvergilbten Minhagims, die aber von der Orthodoxie als heilig und unantastbar betrachtet werden, zu kämpfen habe, dass da alles Reformieren, wenn schon nach jahrelangen Kämpfen, Etwas durchgesetzt wird, doch nur Flickwerk sei, während wir von ganz neu und unabhängig sich bildenden Gemeinden, denen nicht Füße und Hände derart gebunden, rasches Fortschreiten, volles, frisches und kraftvolles Leben, Einrichtungen und Institutionen, dem Bewusstsein der Jetztzeit entsprechend, erwarten können. So richtig diese Ansicht unseres sehr verehrten Freundes scheinen mag, können wir ihr doch nicht unbedingt beitreten. Ich kann in dieser Spaltung der Gemeinde, in dieser förmlichen Losscheidung der Fortschritts- von der Stabilitätspartei kein Heil, vielmehr ein Verderben für die betreffende Gemeinde wie für den Fortschritt erblicken. So wünschenswert und heilsam dies auch vielleicht in manchen größeren Gemeinden Deutschlands sein mag (quod adhuc est demonstrandum!), so nachteilig und unheilbringend muss es für ungarische Gemeinden sein. Diese sind keineswegs so groß als Mancher vielleicht von der Gesamtzahl der ungarischen Judenheit schließen dürfte. Im Auslande sind die Juden hauptsächlich in den größeren Städten zusammengedrängt und bilden da starke Gemeinden, während kleinere Städte und Flecken gar keine haben; bei uns hingegen sind die 270.000 Juden auf 400—450 kleine Gemeinden zerstreut und sind darum unter diesen der großen nur Wenige. Pesth abgerechnet, das durch den Aufschwung der Neuzeit der Mittelpunkt des Handels und darum auch der von allen Seiten herbeiströmenden Judenheit wurde, zählt Ungarn keine Gemeinde mit 1.000 Familien (Pressburg als die größte hat deren 8—900!). Und da diese großenteils arm (ich kenne bedeutende Gemeinden, wo die Hälfte, andere wo 2/3 der Juden vom Tagelohn oder gar vom Bettel leben!) oder doch nur schwach mit Glücksgütern gesegnet sind, von Bankiers aber, oder auch nur von reichen und zugleich edelherzigen Männern, die beim Überblick des Mammons sich zuweilen erinnerten, ein kleines Teilchen desselben allgemeinwohltätigen Zwecken zu opfern, bei uns keine Spur zu finden, so können Sie leicht die Bilanz ziehen, dass der Reichtum der Gemeinden oder doch der zu allgemeinnützlichen Zwecken verwendbaren Fonds derselben nicht sehr bedeutend.

Sollten diese schwachen, an vielen Orten schon jetzt kaum ausreichenden Geldmittel noch zersplittert werden, so reichen diese kaum aus, die nötigsten Gemeindebedürfnisse zu bestreiten, keinesfalls aber die vom Geiste der Zeit unabweislich geforderten neuen Einrichtungen, wie die Gründung guter Schulen, die Bezahlung der Lehrer, Rabbiner, Prediger etc. zu bestreiten und diese müssten entweder ganz unterbleiben oder in der Geburt ersterben, welch' trauriges Schauspiel schon heute manche ungarische Gemeinde darbietet. Auch täuschen Sie sich sehr, wenn Sie glauben, dass davon Heil für die Reform zu erwarten sei, indem die neugeschaffenen Gemeinden durchgreifende Reformen vornehmen und Institutionen ganz dem veredelten Geiste der Gegenwart angemessen schaffen würden. Täuschen wir uns nicht, machen wir uns und Anderen keine Illusionen, die Enttäuschung wäre bitter und vielleicht zu teuer erkauft. Ich brauche Ihnen, geehrtester Herr R—dt! nicht erst unsere sogenannten Reformer und Fortschrittsmänner zu schildern; wir kennen diese nur zu gut, wissen wie's mit ihrer Aufklärung, mit ihrem Sinn für Reform etc. „ausschauet"; wir wissen nur zu gut und sind leider durch die Erfahrung dessen schon zu wiederholten Malen überzeugt worden, dass diese Aufklärung nur, eine halbe, dieser Sinn für Reform nur ein von außen überkommener und konsequenterweise der von denselben hervorgerufene Fortschritt nur ein halber, die von desselben geschaffenen Reformen nur äußerliche. Bei einer solchen förmlichen von Ihnen angeratenen Scheidung der zwei Gegenparteien gewinnen wir Nichts, denn auch die völlig neue Gemeinde würde nur halbe und äußerliche Reformen ausführen (exempla sunt odiosa! Ihnen brauch' ich gewiss keine anzuführen!!), verlieren aber Viel, indem wir dadurch jedes gärende und anregende Element aus der alten Gemeinde scheiden und so diese — die doch heute immerhin noch den größten Teil der Gemeindeglieder fasst — in die alte Indolenz und Untätigkeit verfallen und vielleicht um 50 Jahre wieder zurücksinken lassen . . . . . Summa: Verlust auf beiden Seiten, für die Finanzen und für die Reform, Gewinn auf keiner, Seite . . . also wir bitten: Einigkeit, Einigkeit für heute!! . . .


Die neugegründete ungarische Kleinkinderbewahranstalt, von der ich Ihnen jüngst berichtete, wurde am Letzten v. M. feierlichst eingeweiht. Es wurden nämlich zwei Stunden hintereinander ungarische Reden gehalten Als Kuriosum muss ich Ihnen melden, dass wir zum Schlusse auch eine honigsüße lobüberströmende Rede bekamen von Professor Arányi oder „Chochom-Lostanier-Leben", dem großen Entdecker im Gebiete Mittelalterlicher Judengehässigkeit, von dessen Opus ich jüngst berichtete. Der Judenhass rentiert sich ihm nicht, seine Broschüre bleibt trotz aller Gemeinheit liegen (es ist Selbstverlag!), dem Herrn Professor gelüstet's wieder nach jüdischen „Leckerbissen" und er will seinen Fehler wieder gut machen. Zu diesem Zwecke lässt er auch privatim ankündigen, dass er für die jüdischen Universitätszöglinge außerordentliche Vorlesungen über pathologische Anatomie in deutscher Sprache (die ordentlichen sind ungarisch!) halten wolle. Ein schönes Seitenstück zu dem prager welschen italienischen Sprachmeister!! Das reuige Kind, wie es wieder zur jüdischen „Kugel" kriecht.