Verwaltung

Die Verwaltung Algeriens hat sehr verschiedene Phasen durchlaufen, da jeder neue Vertreter Frankreichs auch neue Ideen und Systeme mitbrachte, die er anstelle der bisher geltenden einzuführen versuchte.

Die Kolonie zerfällt heute in der Richtung von Nord nach Süd in ein Zivil- und in ein Militärgebiet, und in der Richtung von West nach Ost in die drei Departements Oran, Algier und Constantine, welch’ letztere Trennung aber keineswegs natürlichen Grenzen, sondern nur alter historischer Teilung entspricht. Die einzelnen Departements zerfallen im Zivilgebiet in Arrondissements, im ganzen 17, und diese wieder in Kommunen; das Militärgebiet wird in Subdivisionen und Kreise eingeteilt.


Die Verwaltung jedes Departements ist geteilt zwischen einem Präfekten für das Zivilgebiet und einem Divisionsgeneral für das Militärgebiet; beiden Gebieten gemeinsam ist der 1848 geschaffene conseil de préfecture von je vier rechtskundigen Beamten. Seit 1875 ist dazu in jedem Departement auch noch ein repräsentativer conseil général getreten, und zwar setzt sich derselbe in den Departements Algier und Constantine aus je 36, in Oran aus 33 gewählten französischen Bürgern der Kolonie zusammen, wozu in jedem Departement noch 6, von dem Generalgouverneur aus den Notabeln des betreffenden Bezirks ernannte mohammedanische Beisitzer treten. Diese conseils généraux treten jährlich zweimal zusammen und haben dieselben Befugnisse, wie die gleichen Beiräte in Frankreich.

An der Spitze jedes Arrondissements steht ein Unter-Präfekt.

Für die Verwaltung der Eingeborenen-Gemeinden waren frühzeitig die bureaux arabes geschaffen und 1843 von Bugeaud organisiert worden. Dieselben standen unter einem politischen Bureau in Algier — heute das Zentralbureau für Eingeborenen -Angelegenheiten — , bei den Divisionskommandanten jedes Departements bestanden Provinzialdirektionen, bei den Subdivisionen Bureaus 1. Klasse und bei den Kommandanten der Kreise solche 2. Klasse; das Personal wies neben Militär Dolmetscher und Arzt auf. Diese bureaux arabes, als Mittelglieder zwischen den Häuptlingen (Scheichs) der Eingeborenen und der Oberbehörde, bearbeiteten sämtliche Eingeborenen -Angelegenheiten, einschließlich des Steuer-, Rechts-, Polizei-, Unterrichts- und Kultus-Wesens, hatten die Aufgabe, einerseits die religiösen und bürgerlichen Interessen der Eingeborenen, anderseits diejenigen der Kolonisten in ihren Beziehungen zu den Eingeborenen wahrzunehmen, und bildeten, im Gegensatz zu den häufig wechselnden Oberbeamten, das bleibende Element der Verwaltung und als solches ein sehr wichtiges Bindeglied zwischen den Eingeborenen und den Eroberern. Da sie aber ihre Machtfülle nicht selten auch missbrauchten, wurden sie am 12. Mai 1871 aufgehoben. Später wurden sie allerdings wieder eingerichtet, aber in dem Maße, wie sich das Zivilgebiet auf Kosten des' Militärgebiets ausdehnte, verloren auch die schon seit 1868 nur noch in letzterem wirkenden bureaux arabes an Zahl und Bedeutung.

Heute gibt es dafür neue Verwaltungsformen.

Die 334 Kommunen des Zivil-Distrikts zerfallen in 261 kleinere mit vollständiger Selbstverwaltung unter einem gewählten Maire und einem nur von den Franzosen gewählten Gemeinderat; und in 73 größere, sogenannte „gemischte“ , wo die Eingeborenen an Zahl stark überwiegen und die Verwaltung Beamten der Zentralverwaltung übertragen ist, denen eine nur zum Teil gewählte Munizipalkommission zur Seite steht; dieselbe setzt sich aus gewählten französischen und vom Generalgouverneur ernannten eingeborenen Beisitzern zusammen. Die 73 „gemischten“ Kommunen des Zivilgebiets umfassen 5/6, desselben überhaupt und weisen neben 2.600.000 Eingeborenen nur 75.000 Europäer auf. In jeder selbständigen Kommune mit mindestens 100 Eingeborenen sind in dem gewählten Gemeinderat auch 2 — 6 Eingeborene vertreten, die aber nie mehr als ein viertel der Gesamtmitglieder des Gemeinderats bilden und höchstens sechs im ganzen zählen dürfen, ein System, das von den Europäern oft zu Ungunsten der Eingeborenen ausgenutzt wurde; außerdem wirkt der häufige Wechsel der französischen Beamten und deren meist ungenügende Kenntnis des Arabischen ungünstig. Dass die Fremden im Gemeinderat nirgends vertreten sind und auch das Wahlrecht dafür nicht genießen, ist in Anbetracht der besonderen Verhältnisse durchaus verständlich.

Von den 18 Kommunen des Militärgebiets sind 6 sogenannte „gemischte“ 1868 geschaffen und 12 „Eingeborenen-Kommunen“ 1874 eingerichtet. Bei ersteren funktioniert der Kreiskommandant als Maire und ihm zur Seite steht eine Munizipalkommission, die sich aus dem Platzkommandanten, dem Friedensrichter, gewissen Verwaltungsbeamten und fünf Beisitzern zusammensetzt, welch' letztere teils gewählt, teils ernannt werden. Die „Eingeborenen-Gemeinde“ besteht aus verschiedenen Duars und wird von einer Munizipalkommission verwaltet, der als Chef der Kreiskommandant, ferner verschiedene Offiziere, der Vorstand des bureau arabe und eingeborene Notable der verschiedenen Duars angehören. Der Duar, die eigentliche Einheit, steht unter einem Kaid und der Notablenversammlung der Dschemaa.

Außer Duars und Ferkas (Gemeinden) bildet die eingeborene Bevölkerung noch Uls (Stämme) und Arraliks (Vereinigung von Stämmen).

Eingeborene dürfen ihren Wohnsitz nur mit einem Reisepass versehen verlassen, den die Ortsbehörden gratis ausstellen, und der unterwegs und am Reiseziel visiert wird.

Durch fortschreitende Ansiedlungen nimmt natürlich das territoire civil fortwährend auf Kosten des territoire militaire zu, und letzteres rückt immer weiter von der Küste ab, sodass es heute nur noch den größeren Teil der Hochebene und die Sahara umfasst. Im Jahre 1901 stellte sich das Verhältnis zwischen den beiden verschiedenen Verwaltungsgebieten wie folgt: Territoire civil 131.000 qkm mit 4.150.000 Einwohnern, Territoire militaire 348.000 qkm mit 589 000 Einwohnern, während das Zivilgebiet im Jahre 1870 erst 493.000 und noch 1877nur 1.316.000 Köpfe zählte. Nach der Eroberung der Tuat-Oasen ist am 6. Dezember 1902 die algerische Sahara als ein besonderes Militärgebiet der „territoires du Sud“ konstituiert worden, dem man am 24. Dezember 1902 auch eine besondere Verwaltungs- und Finanzorganisation gab. Durch dieses Gesetz vom 24. Dezember 1902 wurde das Generalgouvernement Algerien in zwei Teile mit getrennter Verwaltung geschieden, nämlich in das eigentliche Algerien und in die Südterritorien, welch' letztere gleichzeitig in das Gebiet der Sahara hinein erweitert wurden, entsprechend der Ausdehnung der französischen Macht seit 1899.

An der Spitze der Kolonie steht ein in Algier residierender General-Gouverneur, der auf Vorschlag des Ministers des Innern durch Dekret des Präsidenten der Republik ernannt wird, jährlich 60.000 Francs Gehalt, dazu 40.000 Francs für Repräsentationskosten und 10.000 Francs für Sekretariatsspesen bezieht und über allen Militär- und Zivilbeamten der Kolonie steht; betreffs der Ernennung aller oberen Beamten wird er konsultiert. Der General-Kommandant des XIX. Armeekorps und der Kommandant der algerischen Marine sind , soweit Sicherung der Landesgrenzen und Besetzung und Organisation der „territoires de commandement“ in Frage kommen, durch ein Dekret vom Juli 1901 dem Generalgouverneur unterstellt. Als Repräsentant Frankreichs in Nordafrika korrespondiert er direkt mit dem französischen Gesandten in Tanger, mit Frankreichs Generalresidenten in Tunis und mit dem französischen Generalkonsul in Tripolis. Hinsichtlich der politischen Verwaltung untersteht der Generalgouverneur dem französischen Minister des Innern, in allen anderen Angelegenheiten aber war er bis vor kurzem von den betreffenden französischen Ministerien abhängig, mit denen er direkt korrespondiert. Diese nach dem Mutterland hin gravitierende Zentralisation machte die Kolonie aber vielfach zum Spielball parlamentarischer Einflüsse, und so hat man durch Organisationsgesetze von 1896, 1898 und 1901 die Gewalt des Generalgouverneurs mehr und mehr gestärkt und nur die Departements der Justiz für Nichteingeborene, für Kultus, Unterricht und Finanzen unter den entsprechenden französischen Ministerien belassen.

Dem Generalgouverneur unmittelbar unterstellt sind ein Zivilkabinett, ein Militärkabinett und ein Zentralbureau für Eingeborenen-Angelegenheiten und Militärpersonalien (das alte ,,politische Bureau“), sowie ein Generalsekretär, welcher die Zivilangelegenheiten bearbeitet und den Generalgouverneur im Bedarfsfall vertritt.

Sodann hat man im Dezember 1900 unter Jonnart für die Zentral -Verwaltung der Kolonie drei Direktionen eingerichtet, nämlich je eine für Finanzkontrolle; für öffentliche Arbeiten und Bergbau; und für Ackerbau, Handel und Industrie, denen Révoil 1901 auch noch eine Direktion für Eingeborenen -Angelegenheiten zufügte. Gleichzeitig wurde, um das Generalgouvernement zu entlasten und eine größere Dezentralisation zu erzielen, den Departementspräfekten eine weitergehende Zuständigkeit als bislang eingeräumt und in jedem Departement ein Generalsekretär für die Departements- und Gemeindeverwaltung und ein anderer Generalsekretär für die Eingeborenen -Verwaltung und die allgemeine Polizei angestellt.

Dem obersten Beamten Algeriens sind schon von 1830 an eine oder mehrere Beiräte zugeordnet worden, deren Namen und Bedeutung wechselten. Das Dekret vom 10. Dezember 1860 schuf den nur aus Oberbeamten bestehenden, einmal wöchentlich zusammentretenden conseil de gouvernement, daneben aber den conseil supérieur de gouvernement, der außer Beamten auch Vertreter der anderen Berufsklassen aufweist. Diese letztere ,,assemblée“ ist 1875 und zuletzt durch ein Dekret vom 23. August 1898 reorganisiert worden, welches gleichzeitig eine zweite assemblée, die drei délégations financières, neu schuf.

Der conseil supèrieur umfasst ex officio 22 hohe Regierungsbeamte, zu denen der Gouverneur noch 4 weitere Beamte und 3 notable Eingeborene ernennt, während als Vertretung der Bevölkerung 16 Mitglieder der 3 Finanzdelegationen — darunter 4 der Eingeborenen — und je 5 Vertreter der 3 Departementsräte dienen, sodass also 29 ernannten 31 vom Volke gewählte Mitglieder gegenüberstehen. Die Hauptbefugnis dieses conseil supérieur bildet die Beratung des vom Generalgouverneur aufgestellten Budgetentwurfs und von Verwaltungsfragen. Der conseil supérieur tritt jährlich einmal und zwar nach den délégations financières zusammen.

Die drei délégations financières, denen die Beratung und Kontrolle der Finanzen der Kolonie zusteht, werden von den drei Gruppen der Kolonisten, der Nichtkolonisten und der Eingeborenen auf sechs Jahre gewählt, und zwar wählen die beiden ersten Gruppen in jedem Departement je 8 Mitglieder aus den in die Munizipallisten eingeschriebenen Bürgern, welche mindestens 25 Jahre alt, seit mindestens 12 Jahren Franzosen sein und mindestens 3 Jahre in Algerien wohnen müssen. Jede der beiden französischen Gruppen wählt also 24 Mitglieder, während die Eingeborenen-Delegation nur 21 Mitglieder umfasst, nämlich aus den drei Departements je drei Gewählte aus dem Zivil-Gebiet und je zwei vom Gouverneur ernannte aus dem Militärgebiet, wozu noch sechs von den Kabilen-Häuptlingen gewählte Mitglieder treten. Jede der drei Delegationen berät im allgemeinen für sich allein; durch besondere Verfügung des Gouverneurs können sie aber zu gemeinsamer Beratung von Fragen allgemeinen Interesses zusammentreten. Die Einrichtung der Delegationen hat sich bislang im großen ganzen recht gut bewährt und gibt der Bevölkerung, ohne einen für Algerien unangebrachten Parlamentarismus einzuführen, Gelegenheit, ihre Meinung über Steuer- und anderen Finanzfragen zum Ausdruck zu bringen.

Die Dauer der jährlichen Sessionen der beiden algerischen assemblées, die man ungefähr mit einem Ober- und Unterhause vergleichen kann, ist auf einen Monat beschränkt.

Nachdem Algerien bereits in den Jahren 1848-1852 eine Vertretung in den französischen Kammern hatte, ist ihr dieselbe 1870 aufs neue eingeräumt worden; jedes der drei Departements schickt heute zwei Deputierte und einen Senator nach Paris, und zwar nehmen an den Wahlen dafür nur die Franzosen, nicht aber die Moslims teil, da man den Eingeborenen nur als französischen Untertan, nicht aber als französischen Bürger betrachtet und behandelt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Algerien