Verteidigung, Streitkräfte

Die Streitkräfte der Kolonie, welche durch fort währenden Kleinkrieg und durch das Lagerleben auf einer hohen Stufe der Kriegsbereitschaft stehen, setzen sich aus französischen und eingeborenen Truppen zusammen, und auch erstere liefert heutigen Tages zum großen Teile die Kolonie selbst.

Bis 1875 waren die in Algerien ansässigen Franzosen gänzlich vom Militärdienst befreit und wurden erst dann unter gewissen Bedingungen dazu herangezogen; seit 1889 haben sie ein Jahr aktiven Heeresdienstes bei dem in Algerien stationierten 19. Armeekorps zu leisten, soweit sie dauernd oder wenigstens bis zu ihrer Überführung in die Territorialarmee in der Kolonie leben. Im Interesse einer lückenlosen Durchführung des Systems der zweijährigen Dienstzeit haben die französischen Kammern Ende 1904 aber, gegen die Ansicht des Ministerpräsidenten, des Kriegsministers und des Generalgouverneurs von Algerien, auch für Algerien und Tunesien die Annahme des zweijährigen Dienstes beantragt.


Dagegen sind die in Algerien lebenden Fremden auch heute noch militärfrei, mit Ausnahme der auf französischem Boden geborenen Spanier, welche laut Konvention von 1862 in französischen Regimentern dienen müssen, wenn sie nicht militärische Diensterfüllung in Spanien nachweisen können.

Auch die Eingeborenen sind, mit Ausnahme der „Gums“, der Rekrutierung nicht unterworfen; da man sie nicht als französische Bürger betrachtet, haben sie auch weder deren Rechte noch Pflichten; dagegen werden sie auf freiwillige Meldung hin zu vierjährigem Dienste eingestellt, und diesem ersten Engagement können zwei weitere à vier Jahre und schließlich ein viertes zu drei Jahren folgen. Bis 1903 konnten die Eingeborenen nur in Spezialregimentern, bei den 1842 geschaffenen Turkos oder Tirailleurs indigenes und bei den reitenden Spahis dienen, die bereits 1830 eingerichtet wurden; um dem europäischen Militär in Südalgerien den dort sehr anstrengenden Dienst zu erleichtern, dürfen Eingeborene seit 1903 aber auch bei Artillerie, Genie, Train, Verwaltung und Krankendienst eingestellt werden. Die Spahis sind teils wie die anderen Truppen kaserniert, teils mit ihren Familien und Herden auf Außenposten in Smalahs angesiedelt, wo sie ein ihnen zugewiesenes Stück Land bebauen. In den Turkos- und Spahi-Regimentern besteht die Hälfte der Korporale, Sergeanten, Unteroffiziere und Leutnants aus Eingeborenen, die höheren Offiziere sind aber auch in diesen Truppenteilen ausschließlich Franzosen. Die „Gums“, ein Aufgebot eingeborener Reiter, bilden eine Art Miliz, die auf Befehl des französischen Kommandanten von den Stammesoberhäuptern zu Expeditionen zusammengezogen und zu Eskorten, Vorposten und als Plänkler verwandt werden. Diese Gums, Angehörige befreundeter Araberstämme, sind zur Bekämpfung anderer Araber, Berber und Marokkaner fast noch besser, als die Spahis zu verwenden, weil sie mit der Kampfart des Feindes und dessen Schlupfwinkeln, sowie mit den Anstrengungen des Wüstenlebens besonders vertraut sind.

Die aus Franzosen gebildeten algerischen Truppen sind die auch bereits 1830 eingerichteten Zuaven-Infanterieregimenter, ferner die 1832 gebildete leichte afrikanische Infanterie der sogenannten „Joyeux“ oder ,,Zéphyrs“ und sodann die 1831 gebildete und mit arabischen Pferden versehene Kavallerietruppe der Chasseurs d' Afrique, die sich meist aus den schon recht zahlreichen Kolonistensöhnen rekrutieren. Außerdem steht der größere Teil der beiden Regimenter der Fremdenlegion in Algerien; letztere wurde nach der Juli-Revolution gebildet, um sich der zweifelhaften Elemente der Hauptstadt zu entledigen und 1831 in Toulon nach Algerien eingeschifft. Diese Truppe zählte 1834 bereits 5.600 Mann, meist Abenteurer, worunter leider 2/3 Deutsche.

Das in Algerien stationierte und dem französischen Kriegsministerium unterstehende 19. Armeekorps gehört in Infanterie und Kavallerie ausschließlich Algerien an — französische Regimenter sind in normalen Zeiten nicht in Algerien stationiert, dagegen sind Artillerie, Train und Genie von Truppen des Mutterlandes detachiert.

Die Gesamtstärke in Algerien beträgt etwa 55.000 Mann, nämlich bei der Infanterie: je drei Regimenter Zuaven und Turkos, den größten Teil der beiden Fremdenregimenter, zwei Bataillone leichte afrikanische Infanterie und drei Strafkompanien; bei der Kavallerie: fünf Regimenter Chasseurs d' Afrique und drei Regimenter Spahis; ferner neun Batterien Artillerie, neun Train- und vier Genie-Kompanien.

Dazu treten noch für die Polizei des äußersten Südens die aus verschiedenen Truppenarten — Infanterie, Artillerie, Kavallerie und Kamelreitern zusammengesetzten, 1902 gebildeten drei Kompanien der Sahara -Oasen für Gurara, Tuat und Tidikeld, denen 1904 eine vierte in Beni Abbes am Wad Saura und eine fünfte in Colomb bei Beschar am Wad Kherua zugefügt wurden.

Die sämtlichen Truppen sind übrigens in der Wirklichkeit meist nur mit kleinen Teilen in ihren Garnisonen zu finden; die meisten Einheiten stehen an der marokkanischen Grenze bis tief nach dem Süden hinunter.

Zu den genannten Heeresteilen tritt in Algerien auch noch eine Territorialarmee, bestehend aus zehn Bataillonen Zuaven, sechs Eskadronen Chasseurs d' Afrique und zehn Batterien, und ferner weist Algerien 228 Brigaden Gendarmerie auf, wovon 176 zu Pferde und 52 zu Fuß.

Die in Algerien stationierte Marine untersteht einem Konteradmiral. Die für das algerische Marineheer Eingeschriebenen sind seit 1896 den gleichen Bedingungen wie in Frankreich unterworfen, d. h. sie sind vom 18. — 50. Jahre dienstpflichtig, haben aber nur ein Jahr aktiven Dienst. Die Zahl der Eingeschriebenen belief sich 1903 auf 6.560, wovon 540 geborene, 5.440 naturalisierte Franzosen und 580 Eingeborene waren.

Dazu tritt seit 1903 noch eine, von eingeborenen Moslims gebildete Baharia, deren Mitglieder zu mindestens drei Jahren aktiven Dienstes bei der französischen Flotte verpflichtet sind.

Die Küstenbefestigungen Algeriens sind gewaltig verstärkt worden und Rachgun an der Mündung der Tafna soll als Kriegshafen ausgebaut werden.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Algerien